Probleme der Bergbausicherheit im Kalibergbau
9. November 1977
Information Nr. 635/77 über einige Probleme der Bergbausicherheit im Kalibergbau der DDR
Ausgehend von den im Zusammenhang mit dem großflächigen Zusammenbruch des Ostfeldes der Kaligrube »Marx-Engels« im VEB Kaliwerk »Werra« (23.6.1975)1 geführten Untersuchungen – über deren Ergebnisse das MfS ausführlich in der Information Nr. 353/76 vom 7.5.1976 informierte – ergaben weitere Überprüfungen, dass in den Kalibergbaubetrieben der DDR eine Reihe von weiteren Problemen bestehen, die die Bergbausicherheit beeinflussen.
Insgesamt ist nach Feststellungen des MfS erkennbar, dass im Kalibergbau der DDR die Entwicklung vom Bemühen des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali sowie der Kombinats-, Betriebs- und Werkleitungen der Kalibetriebe gekennzeichnet ist, die Schwerpunkte der Bergbausicherheit, insbesondere auf den Gebieten der Geomechanik zur Gewährleistung der Standsicherheit der Grubenbaue, der CO2-Ausbruchsgefährdung und der hydrologischen Gefährdung (besonders durch die verpresste BRD-Kalilauge) sowohl durch Forschungsarbeiten als auch durch Einführung neuer Technologien, wie dem maschinellen Berauben,2 besser zu beherrschen.
Besondere Aktivitäten zur Erhöhung der Bergbausicherheit wurden nach dem Erlass des Ministerratsbeschlusses vom 16.12.1976 (Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit)3 sowie der daraufhin am 11.2.1977 durchgeführten Grundsatzberatung der Abteilung Grundstoffindustrie des ZK der SED, des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, der Obersten Bergbehörde und der Leitungen des Kombinates Kali sowie des Kalibetriebes »Werra« über den Stand der Bergbausicherheit unternommen.
Wie die nunmehr vorliegenden Untersuchungsergebnisse des MfS verdeutlichen, sind jedoch noch weitere erhebliche Anstrengungen des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, des Industriezweiges Kali und der Organe der Staatlichen Bergaufsicht sowie ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen erforderlich, um die bisher noch nicht gelösten bzw. die nicht beherrschten Probleme der Gefährdung der Bergbauaufsicht einer Lösung zuzuführen.
Das betrifft insbesondere
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die weitere Beschleunigung des wissenschaftlich-technischen Vorlaufs in der Forschung nach neuen Abbauverfahren im Carnallitit4 und zur CO2-Ausbruchsproblematik,
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eine strenge Einhaltung der Abbauparameter und der Dimensionierungsverfahren,
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die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit und die Durchsetzung der Bergbausicherheitsvorschriften sowie
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die planmäßige Durchführung der Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten an Kali-Schachtanlagen.
In nachfolgenden Abschnitten wird über einige der vorgenannten Probleme detaillierter informiert.
Zu einigen Problemen des wissenschaftlich-technischen Vorlaufs in der Forschung nach neuen Abbauverfahren
Der Kalibergbau der DDR verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren einen Nachholbedarf an Forschungsaufgaben zur Schaffung neuer Kaliabbauverfahren. Dabei wurde die Weiterentwicklung eines effektiven und sicheren Abbauverfahrens für den Carnallitit in großen Teufen5 durch die Leitung des Kombinates Kali und des Instituts für Bergbausicherheit vernachlässigt. Dieser Zustand veranlasste das Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali sowie die Oberste Bergbehörde, konkrete Forderungen nach zielgerichteter Forschung zu stellen. Vom Generaldirektor des Kombinates Kali wurde in Abstimmung mit dem Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali sowie dem Leiter der Obersten Bergbehörde im 2. Halbjahr 1975 die Durchführung komplexer Untersuchungen zum Abbau des Carnallitit im Flöz »Thüringen« angewiesen. Die Untersuchungen wurden im Frühjahr 1976 begonnen, nachdem wissenschaftlich und praktisch solche nicht beherrschten Ereignisse im Kalibetrieb »Werra« eingetreten waren wie
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Salz-Gasausbruch beim Bohren eines Großloches am 9.2.1975 (2 Tote),
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pseudotektonisches Ereignis (23.6.1975) mit bebenartigen Erscheinungen an der Tagesoberfläche und ca. 3 km² Verbruchsfläche in der Grube »Marx-Engels«,
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Salz-Gasausbruch (28.12.1975) während des Schichtwechsels im Steinsalz des Carnallititflözes mit 20 000 t Auswurf und
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Salz-Gasausbruch (4.4.1976) beim Sprengen im Carnallititflöz mit 40 000 t Auswurf.
Diese Ereignisse führten zu größeren Ausrüstungsverlusten und beachtlichen Produktionsausfällen. Der Generaldirektor des Kombinates Kali bildete daraufhin eine Arbeitsgruppe (Fachleute des Kombinates Kali), die innerhalb weniger Wochen, im Mai 1976, eine Abbaustudie erarbeitete und vorlegte. Diese Studie ist auf bergbausicherheitstechnische Abbauprobleme im Flöz »Thüringen«, soweit dieses Carnallitit enthält, beschränkt. (Für den Abbau von Carnallitit unter Verhältnissen, wie sie in den Gruben »Marx-Engels« und »Ernst Thälmann« vorliegen, gibt es im Weltmaßstab keine Vergleichsmöglichkeiten.)
Dieses Projekt ist nach Meinung dieser Fachleute jedoch in keiner Weise wissenschaftlich fundiert und auch nicht ausreichend beweiskräftig für eine sichere und effektive Abbauführung, was sie u. a. mit der in der Studie enthaltenen Feststellung selbst zum Ausdruck bringen. Es heißt dort:
»Soweit im Zuge einer zielstrebigen Entwicklung erforderlich und gleichzeitig möglich, wird im Hinblick auf eine Reduzierung der bestehenden objektiven Wissenslücken ernsthaft zu forschen sein.«
Nach der Erarbeitung des Abbauprojektes erhob der Grubenbetriebsdirektor der Kaligrube »Marx-Engels« (Mitautor) Bedenken hinsichtlich der zusätzlichen Einführung von Baustreifenpfeilern und Auffahrung von Strecken im Steinsalz. Seine Bedenken resultierten daraus, dass die Durchsetzung dieses Abbauprojektes für die Grube »Marx-Engels« einen täglichen ca. 4 000 t umfassenden Förderausfall bringen würde. Im Einzelnen weist der Grubenbetriebsdirektor der Kaligrube »Marx-Engels« auf die in der Studie vorgesehenen Aus- und Vorrichtungsarbeiten hin, die einen 22%igen Mehraufwand erfordern würden. Falls die im Projekt geforderte Verlagerung der Bandstrecken in das liegende Steinsalz erfolge, würden weitere bisher noch unübersehbare Nachteile auf ökonomischem Gebiet entstehen. Fachleute des Kalibergbaus befassen sich deshalb bereits damit, wie und in welchem Umfang Veränderungen an diesem Projekt vorgenommen werden müssen, um es produktionswirksam zu machen.
Wie dazu dem MfS bekannt wurde, bestehen über dieses Abbauprojekt unter der technischen Intelligenz des Kalibetriebes »Werra« und des Instituts für Bergbausicherheit folgende Meinungen und Auffassungen:
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Das Projekt basiere auf keiner wissenschaftlichen Grundlage, d. h., forschungsseitig liege kein fundiertes Material zugrunde, das die empirisch gefundenen Feststellungen rechtfertigen würde.
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Für die Bestimmung der Breite der Baustreifenpfeiler (120 m) liegen keine Berechungsgrundlagen vor.
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Ökonomische Berechnungen und Angaben zur Überführung dieses Vorhabens in die Praxis des Kalibergbaus wurden nicht vorgenommen (in der Arbeitsgruppe war kein Ökonom mit tätig).
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Durch die Anwendung des Projektes treten letztlich Abbauverluste der abbauwürdigen Lagerstätte ein.
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Der Steinsalzversatz erweitert sich, was einen erheblichen Mehraufwand an Ausrüstungen und Arbeitszeit zur Folge habe.
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Eine Erhöhung der bergbaulichen Sicherheit der Grubenbetriebe »Marx-Engels« und »Ernst Thälmann« des Kalibetriebes »Werra« durch Anlegen von Baustreifenpfeilern in der Stärke von 120 m und Auffahren von Bandstrecken in das liegende Steinsalz konnte nicht bewiesen werden, d. h., es liegen dafür keine wissenschaftlichen Berechnungen vor.
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Die festgestellten Ursachen des Ereignisses vom 23.6.1975 im Grubenbetrieb »Marx-Engels« sind bei der Ausarbeitung des Projektes nicht berücksichtigt worden.
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In die Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des Projektes wurde keine Vertreter des Instituts für Bergbausicherheit bzw. der Bergakademie Freiberg einbezogen (lediglich nach der Erarbeitung wurde das Projekt vom Institut für Bergbausicherheit »gebilligt«).
Es wird eingeschätzt, dass die Erarbeitung des Projektes unter den Bedingungen des objektiv fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes, des dringenden Erfordernisses der Schaffung eines neuen Abbauverfahrens des Carnallitit im Flöz »Thüringen« und der nicht komplex genutzten Möglichkeiten aller Forschungskapazitäten erfolgte. Ein Teil der für die Erarbeitung des Projektes erforderlichen wissenschaftlichen Untersuchungen werden nunmehr seit einiger Zeit im Rahmen von Forschungsaufgaben des Staatsplanes Wissenschaft und Technik der Kaliindustrie, des Instituts für Bergbausicherheit und der Bergakademie Freiberg durchgeführt.
Es wird in diesem Zusammenhang für unbedingt erforderlich gehalten, im Interesse der Sicherung dieser wissenschaftlich bedeutsamen Aufgabenstellung eine ständige Kontrolle der Einhaltung der Termine sowie der wissenschaftlichen Zielstellung und ihrer produktionstechnischen Realisierung zu gewährleisten. Weiterhin sollten die gegenüber dem Projekt bestehenden Meinungen und Auffassungen einer Reihe Angehöriger der wissenschaftlich-technischen Intelligenz des Kalibetriebes »Werra« und des Instituts für Bergbausicherheit zum Anlass nochmaliger Überprüfungen genommen werden, um die nächsten Schritte zur Realisierung des Projektes in der notwendigen Reihenfolge bestimmen und durchsetzen zu können.
Zu einigen Problemen der Einhaltung der Abbauparameter und der Dimensionierungsverfahren im Kalibetrieb »Werra« und in den Kaligruben des Südharzes
Nachdem im Kalibetrieb »Werra« im Jahre 1976 zahlreiche Verstöße gegen die Abbauparameter und die Dimensionierungsverfahren von Pfeilern festgestellt und Maßnahmen zu deren Beseitigung eingeleitet wurden, konnte eine deutliche Verbesserung, besonders auf der Grundlage der erlassenen Anweisung des Generaldirektors des Kombinates Kali zur Einhaltung der Abbauparameter und durch die Arbeit der Bergbehörde Erfurt, erzielt werden. Dies führte zu einer Erhöhung der Bergbausicherheit auf diesem Gebiet.
Einen Schwerpunkt von Verstößen gegen die Abbauparameter und damit gegen die Standsicherheit der Grubenbaue bilden gegenwärtig, wie die Kontrollen und Untersuchungen zeigen, die Kaligruben des Südharzes. Im Jahr 1976 wurden ca. 1 000 Abbaue in den sechs Kaligruben des Südharzes aufgefahren, wobei 184 Abweichungen von den vorgeschriebenen Abbauparametern durch die Markscheidereien6 festgestellt wurden. Damit bestätigte sich das vorjährige Untersuchungsergebnis, dass in Gruben bei ca. 20 % der Abbaue Abweichungen auftreten. Besonders wurden Überschreitungen der Abbaubreiten vorgenommen, was zu einer Schwächung der Pfeiler führte. Nur aufgrund der Tatsache, dass in den überprüften Gruben des Südharzes vorwiegend Hartsalze abgebaut werden und Vertaubungen sowie Restpfeiler zusätzliche Stützflächen ergeben, ist zzt. trotz der festgestellten Abweichungen von den Abbauparametern keine Gefährdung der Standsicherheit vorhanden.
Trotzdem sind auch weiterhin Maßnahmen erforderlich, die die exakte Einhaltung der Abbauparameter und Dimensionierungsverfahren auf der Grundlage der Bergbaubestimmungen im Interesse einer ausreichenden First- und Stoßsicherheit gewährleisten.
Die Aufklärung und Auswertung von Vorkommnissen im Kalibergbau, der Einleitung von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit und Ordnung
Ein gravierendes Vorkommnis im Kalibergbau bildete die schwere Havarie vom 3.2.1977 im Schacht 1 des Kalibetriebes Zielitz. Durch diese Havarie entstand ein Sachschaden von 1,3 Mio. Mark und ein Produktionsausfall von 41 Tt Kalidüngemittel. Als Ursache der Havarie wurde das Versagen der Sicherheitsbremse an der Fördermaschine durch Unzulänglichkeiten an den mechanischen und hydraulischen Steuereinrichtungen der Bremsanlage aufgrund unzureichender Prüfung und Instandhaltung festgestellt. In der Untersuchungstätigkeit durch das Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, die Oberste Bergbehörde sowie das Kombinat und den Betrieb kam es bei der Ursachenfindung zu Meinungsverschiedenheiten über Ursachen und begünstigende Bedingungen, was auf eine nicht den Erfordernissen entsprechende fehlende wissenschaftlich-technische Abstimmung seitens der Untersuchungsgruppen zurückzuführen war.
Es zeigte sich zwar, dass in der Untersuchungstätigkeit dieser Organe zu den Ursachen der Havarie im Kalibetrieb Zielitz bereits qualitativ weitere Fortschritte erzielt wurden, besonders in der Gesamtaussage der Untersuchungsberichte, jedoch bei technisch derart komplizierten Havarien eine bessere Abstimmung zwischen den eingesetzten Untersuchungsgruppen erforderlich ist, um die Ursachen und begünstigenden Bedingungen zweifelsfrei zu ermitteln. Die Analyse von Untersuchungsberichten dieser Organe macht deutlich, dass Ursachen und begünstigende Bedingungen teilweise noch nicht ausreichend auseinandergehalten werden und die Kausalkette bis zur tatsächlichen Ursache noch nicht weit genug verfolgt wird. Eine allseitige und umfassende Einflussnahme sowie Ableitung der erforderlichen Maßnahmen zum Ausschluss der Wiederholung derartiger Vorkommnisse kann nach den vorliegenden Erfahrungen der Experten nur bei richtiger Herausarbeitung sowie Trennung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen gewährleistet werden.
Besonders auch bei der Feststellung technischer und technologischer Ursachen von Havarien befriedige noch immer nicht das Niveau abgeleiteter Maßnahmen zur Erhöhung der Bergbausicherheit.
Teilweise werden die verursachenden Mängel in der Technik oder Technologie nicht beseitigt und die Gefahr des Auftretens gleicher Vorkommnisse besteht weiter. Auf diesem Gebiet sind ebenfalls noch zielstrebigere Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit der Technik und Technologie erforderlich, insbesondere sind durch die Staatlichen Bergaufsichtsorgane und deren wissenschaftliche Institutionen konkrete Maßnahmen abzuleiten und von den Betrieben zu realisieren.
Im Zusammenhang mit der Auswertung der Havarie Zielitz wurde gemäß Beschluss des Präsidiums des Ministerrates der DDR vom 10.2.19777 eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Ministeriums für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, des Ministeriums für Schwermaschinen- und Anlagenbau, der Obersten Bergbehörde, des Staatlichen Amtes für Technische Überwachung eingesetzt mit der Zielstellung, alle anderen Schachtförderanlagen des Industriezweiges Kali auf ihre Funktionstüchtigkeit und Betriebssicherheit zu überprüfen. Damit wurde erstmalig in Auswertung einer schweren Havarie eine allseitig abgestimmte Arbeitsaufgabe für die Sicherheit im gesamten Industriezweig und in der vorbeugenden Arbeit zur Vermeidung derartiger Havariefälle in kürzester Frist realisiert.
In diesem Zusammenhang wird auch auf Vorkommnisse mangelhafter Instandhaltung der Schachtausbauten hingewiesen. Nach vorliegenden Hinweisen wurden z. B. auf der Schachtanlage Springen (»Werra«-Revier) Unregelmäßigkeiten bei der Schachtförderung durch das Schlagen des Unterseiles festgestellt (ein mit Rohsalz gefüllter Schachtsumpf war unregelmäßig geleert worden).
Auf anderen Schachtanlagen wird gegenwärtig die Instandhaltungszeit für die Schachtanlage zugunsten der Produktenförderung reduziert. Die Verkürzung der Schachtreparaturzeiten zugunsten der Produktenförderung birgt die Gefahr von Havarien mit ihren schwerwiegenden Folgen und ökonomischen Verlusten in sich.
Es wird vorgeschlagen, die seitens der zuständigen staatlichen Organe eingeleiteten Maßnahmen zur Erhöhung der Bergbausicherheit im Kalibergbau der DDR konsequent weiterzuführen, ihre Realisierung ständig zu kontrollieren, um die von Partei und Regierung gestellten hohen Produktionsziele zu gewährleisten.