Reaktionen auf die Angebotserweiterung in Intershops
17. Februar 1977
Hinweise über Reaktionen verschiedener Bevölkerungskreise der DDR zur Erweiterung des Handelsnetzes der Intershop-Läden und des in diesem Handelsnetz eingesetzten Warensortiments [Bericht O/36]
Aus verschiedenen Bezirken der DDR – vorwiegend Arbeiterzentren – mehren sich in letzter Zeit Meinungsäußerungen über die Erweiterung des Handelsnetzes der Intershop-Läden1 und über das in diesem Handelsnetz angebotene breitere Warensortiment.
Insbesondere treten diese Diskussionen, die sich im Wesentlichen gegen vorgenannte Umstände richten, vorwiegend unter Arbeitern und anderen Werktätigen auf, die einen festen Klassenstandpunkt zu unserem Staat besitzen. Inhaltlich enthalten diese Reaktionen im Wesentlichen folgende Aussagen:
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Den Nutzen aus der Einrichtung bzw. Neueröffnung von Intershop-Läden hätten in erster Linie solche Personenkategorien, die direkte verwandtschaftliche oder andere persönliche Beziehungen nach nichtsozialistischen Staaten, insbesondere in die BRD oder nach Westberlin, unterhalten; daraus ergeben sich z. T. künstlich geschaffene Unterschiede und bestimmte »Privilegien« für eine bestimmte Schicht der Bevölkerung; offensichtlich sei man jetzt in der DDR besonders angesehen, wenn man »viel Devisen in die Staatskasse einbringe«;
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der überwiegende Teil der DDR-Bevölkerung, der ehrlich seiner Arbeit nachgehe und keine Gelegenheit zum Erwerb westlicher Devisen habe, müsse sich dadurch zwangsläufig benachteiligt fühlen;
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durch den Besitz westlicher Zahlungsmittel und die dadurch vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten in Intershop-Läden werde oftmals gerade jener Teil der DDR-Bevölkerung bevorteilt, der keine positive Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR besitze;
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es sei unverständlich, dass in den Intershop-Läden auch solche DDR-Erzeugnisse zum Verkauf angeboten würden, die im Binnenhandel gar nicht oder nur sehr selten und in äußerst geringer Anzahl zu haben seien (angeführt werden besonders hochwertige Erzeugnisse auf dem Gebiet der Radiotechnik, Schreibmaschinen, Kristallwaren, Fliesen, Kunstgewerbeartikel, bestimmte Spirituosen u. a.), dadurch würden sich die ohnedies langen Wartefristen für den »normalen« Käufer weiter erhöhen, manche Artikel ganz aus dem Binnenhandel verschwinden. (In diesem Zusammenhang werden auch immer wieder Preisvergleiche gezogen.)
Immer wieder wird, insbesondere von positiven Kräften, auf die negativen ideologischen Einflüsse und Auswirkungen und daraus resultierenden Schwierigkeiten der politisch-ideologischen Arbeit hingewiesen. Obwohl teilweise das persönliche Verständnis betont wird, dass unser Staat die Erwirtschaftung von Devisen fördern und zu diesem Zweck auch Möglichkeiten für die Abschöpfung vorhandener Devisenbestände in der Bevölkerung schaffen müsse, seien dabei insbesondere folgende Faktoren zu wenig beachtet worden:
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Der Anreiz, in den Besitz westlicher Devisen zu kommen, vergrößere sich immer mehr. Z. B. resultierten daraus wachsende Kontaktbestrebungen von Bürgern der DDR zu Bürgern aus nichtsozialistischen Staaten, was teilweise bis zur Würdelosigkeit (z. B. Betteln, Anbieten von Hilfsdiensten für Bürger aus nichtsozialistischen Staaten) reicht. Letztere Erscheinung tritt insbesondere bei Jugendlichen, Studenten und Kindern auf. In diesem Zusammenhang tritt auch immer wieder die Meinung auf, in den Intershop-Läden stelle sich die »westliche Welt« den Jugendlichen so dar, wie sie in deren Vorstellungen und Illusionen existiere;
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der »Anreiz« der Intershop-Läden verführe praktisch dazu, illegale Tauschgeschäfte mit Mark der DDR zu betreiben; weiter werde das u. a. auch daran deutlich, dass in Einzelfällen Handwerker und Feierabendbrigaden vorrangig Reparaturen u. a. dort ausführen, wo zumindest ein anteiliger Betrag in »westlichen Devisen« gezahlt werde.
Die erkennbaren Grundrichtungen in den Meinungsäußerungen seitens progressiver Kreise, teilweise auch von Mitgliedern der SED, zu diesen Problemen bringen vorhandene Unklarheiten, Zweifel an der Richtigkeit derartiger Maßnahmen und auch Fragen der rechtzeitigen Information innerhalb der Partei zum Ausdruck.
Im Zusammenhang mit der sich abzeichnenden Entwicklung gibt es weiter Hinweise, die unklare und spekulative Auffassungen widerspiegeln und die in Einzelfällen feindlich-negativen Charakter tragen. Dabei werden besonders die bisherigen Anstrengungen und Ergebnisse bei der Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung der DDR mit Konsumgütern infrage gestellt. U. a. wird behauptet, die Errichtung der Intershop-Läden könne als Beweis für die »ökonomische Rückständigkeit der DDR« angesehen werden, und es sei ein »Armutszeugnis«, zu versuchen, durch derartige offensichtliche Maßnahmen westliche Zahlungsmittel einzunehmen. Neben den erstgenannten Diskussionen befinden sich eine Reihe von Gerüchten im Umlauf, die im Wesentlichen Folgendes beinhalten:
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Ab 1977 werden in Intershop-Läden alle Pkw-Fabrikate sowohl der DDR als auch westlicher Herkunft gehandelt werden;
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zum Preise von 60 000 DM seien Neubauwohnungen in Bezirksstädten käuflich zu erwerben;
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Kfz-Ersatzteile und ein reichhaltiges Ersatzteilsortiment aus anderen Bereichen (Eisen-, Blech-, Metallwaren, Monsator2) seien zukünftig ständig in Intershop-Läden zu haben;
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FDGB-Ferienplätze seien ebenfalls für westliche Devisen zu kaufen.
Wie durch die BV Karl-Marx-Stadt bekannt wurde, werden im dortigen Intershop-Laden elektronische Bauteile vom Typ »Decoder« der BRD-Firma Grundig zum Preis von 280 DM je Stück verkauft, deren Einbau in Farbfernsehgeräte den Farbfernsehempfang der Systeme Pal3 und Secam4 ermöglicht.
Damit ist es möglich, das BRD-Fernsehen in Farbe zu empfangen. Der zentrale Vertrieb dieser Bauteile erfolgt durch das zentrale Auslieferungslager Ronneburg, Bezirk Gera.
Die Nachfrage nach diesen elektronischen Bauteilen ist so groß, dass der Bedarf bei Weitem nicht gedeckt werden kann, obwohl der Einbau dieser »Decoder«, wie auch seitens des zentralen Auslieferungslagers orientiert wird, »privat« durchgeführt werden müsse.
Da in den operativen Diensteinheiten des MfS offenkundig keine Klarheit darüber besteht, in welcher Form sich die weitere Entwicklung des Handelsnetzes und des Angebots der Intershop-Läden vollziehen soll, sie aber in der operativen Arbeit, besonders der Reaktion der Bevölkerung, zunehmend auch mit solchen Problemen konfrontiert werden, wäre es zweckmäßig, durch die entsprechende Diensteinheit eine diesbezügliche Information für die Leiter der operativen Diensteinheiten des MfS erarbeiten zu lassen.