Reaktionen in der DDR auf Bahros Präsenz in den Westmedien (1)
25. August 1977
Erste Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR zum öffentlichen Auftreten des Bahro [Bericht K 3/18a]
Bisher liegen nur wenige erste Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR auf das Auftreten des Bahro vor.
In einigen Fällen wird geäußert, die Person Bahro sei bisher niemandem bekannt gewesen; erst durch die Sendungen in westlichen Publikationsmitteln seit dem 23.8.19771 sei auf ihn aufmerksam gemacht worden.
In diesem Zusammenhang wurde in Arbeiterkreisen die Meinung vertreten, Bahro hätte sich unverständlich ausgedrückt; es sei schwer oder unmöglich, seinen Gedanken zu folgen, und wahrscheinlich handele es sich bei ihm um einen »intellektuellen Spinner«, der nicht genau wisse, was er wolle. Seine ganze Haltung mache jedoch auch für einen Arbeiter sichtbar, dass er ein Gegner der DDR ist.
Aus Kreisen Kulturschaffender, welche die Politik der DDR unterstützen, wurden Meinungen bekannt, die von westlichen Massenmedien ausgestrahlten Interviews mit Bahro hätten deutlich gemacht, dass die Plattform des Bahro von langer Hand vorbereitet worden sei. Es wäre der Anschein entstanden, dass Bahro als Nachfolger für Havemann aufgebaut werden solle. Gleichzeitig wurde in diesen Kreisen Interesse bekundet, die »Spiegel«-Veröffentlichungen vom 22.8.19772 bzw. das »Werk« des Bahro3 kennenzulernen.
In einem anderen Falle wurde dem MfS aus einer negativen Gruppierung (Stade, Plenzdorf) bekannt, dass sie sich gegenseitig auf die Sendung am 22.8.1977, 22.00 Uhr, RIAS II, aufmerksam machten und sie dann gemeinsam abhörten (etwa 6 Personen). Der Personenkreis zeigte sich sehr interessiert. In der anschließenden Diskussion wurde Bahro in Detailfragen beigepflichtet, wie z. B., es würde stimmen, dass sich Funktionäre »in ihr stilles Kämmerlein zurückziehen«; es würde endlich vieles bisher Verschwiegene angesprochen. Bahro würde der SED mit bestimmten Argumenten »den Wind voll aus den Segeln nehmen«. Der Personenkreis einigte sich, das Machwerk Bahros bei Erscheinen in der BRD zu beschaffen, um sich näher mit der Substanz zu beschäftigen.
Aus dem VEB Gummikombinat Berlin-Weißensee wurde intern bekannt, dass ein Teil der dort Beschäftigten am 23.8.1977 Sendungen westlicher Massenmedien verfolgten, nachdem im Verlauf des gleichen Tages durch »Flüsterpropaganda« bekannt geworden sei, dass »ein Mitarbeiter« des Gummikombinates auftreten würde. Aus Kreisen von Produktionsarbeitern wurden solche Argumente bekannt, wie
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das scheint ein »Spinner« zu sein; ein Arbeiter weiß nicht, was er eigentlich will,
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im Betrieb hat ihn niemand gekannt; er hätte besser seine Kraft zur Lösung der Betriebsprobleme investieren sollen,
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über »Abbau der Arbeitsdisziplin und Arbeitsmoral«, über »organisierte Verantwortungslosigkeit« in den Betrieben der DDR zu reden, sei von Bahro eine »bodenlose Frechheit«; er sei in seiner Funktion selbst in dieser Beziehung verantwortlich gewesen, hätte sich aber nicht durchgesetzt,
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Bahro habe z. B. die Aufgabe im Betrieb, ein ehrenamtliches WAO-Kollektiv zu schaffen, nicht erfüllt und würde jetzt darüber reden, die Arbeiter dürften nicht mitentscheiden.
In einigen Fällen wurde von Produktionsarbeitern des Gummikombinates die Frage aufgeworfen, warum »nicht früher festgestellt worden wäre, dass Bahro gegen die DDR arbeitet«.
Während der am 24.8.1977 durchgeführten BGL-Sitzung im Gummikombinat, in der die Haltung des Bahro im Allgemeinen verurteilt wurde, vertrat jedoch der Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung die Meinung, zur Inhaftierung des Bahro erwarte er eine detaillierte Begründung, sonst hätte es den Anschein, dass ein DDR-Bürger bei Meinungsäußerung in westlichen Massenmedien in der DDR verhaftet würde.