Sitzung der KKL am 30.4. und 1.5.1977
10. Mai 1977
Information Nr. 307/77 über die Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR am 30.4. und 1.5.1977
Dem MfS liegen über den Inhalt dieser Konferenz folgende interne Hinweise vor:
Bei dem für den 11.5.1977 vorgesehenen Grundsatzgespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen sollen im Wesentlichen die im Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen1 an die Synode des Bundes enthaltenen Probleme in Bezug auf »Kirche im Sozialismus«2 zur Sprache kommen. Bischof Schönherr habe darauf orientiert, dass bei dem Gespräch das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche herausgestellt und betont werden soll, dass die Kirche an seiner weiteren Verbesserung interessiert sei. Die Vertreter des Bundes3 sollten bei dem Gespräch versuchen, seitens der staatlichen Seite solche Aussagen zu erreichen, die in den Presseorganen der DDR und der BRD zitiert werden können als Ausdruck des guten Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.
Darüber hinaus sollten sich die Vertreter des Bundes bemühen, dass die staatlichen Vertreter die Zusicherung machen, bei der Behandlung heikler Fragen toleranter zu sein. Die Erfahrung habe gezeigt, dass bei Einzelerscheinungen oder kritischen Anmerkungen der Staat sofort Schlussfolgerungen auf die gesamte Kirche in der DDR ziehe. Das sei nicht richtig.
Zur Gesprächsführung machte Bischof Schönherr den Vorschlag, dass er das Gespräch mit allgemeinen Feststellungen einleiten wird und sich die anderen kirchlichen Vertreter dazu äußern. Detailprobleme sollten nicht behandelt werden.
Seitens der Kirchenleitung ist beabsichtigt, folgende Probleme zu stellen:
Grundprobleme Kommunismus und Kirche
Dabei soll zur Sprache gebracht werden, wie sich der Christ in der sozialistischen Gesellschaft engagieren kann. Es sollte geprüft werden, inwieweit der Christ in der DDR tatsächlich mitarbeiten kann, oder ob ihm allein aus der Tatsache seines Christseins die Aufstiegschancen verwehrt sind. Hier sei ein Widerspruch vorhanden zwischen zentralen staatlichen Erklärungen und örtlichen Entscheidungen.
Fragen der Volksbildung
Hierbei soll geklärt werden, wie der Christ in der DDR sein Geschichtsbild entwickeln kann bei dem bestehenden Bildungsanspruch der sozialistischen Gesellschaft mit dem Primat, kommunistische Persönlichkeiten zu entwickeln. Der Christ müsse seine Meinung äußern können, ohne seinem Gewissen widersprechende Erklärungen abgeben zu müssen. Bei der Behandlung dieser Fragen soll auf die Gewährleistung der verfassungsmäßigen Rechte christlicher Bürger und den Widerspruch zwischen festgelegten Grundsätzen und der Handhabung in der Praxis verwiesen werden.
Das Buch »Was ist Kommunismus?«
(Es handelt sich um eine 1974 im Verlag »Neues Leben« erschienene Übersetzung sowjetischer Autoren. Interessant seien dabei die Seiten 167/169, wo gegen das religiöse Bewusstsein, kirchliche Feiertage usw. polemisiert werde. Kirchliche Vertreter sprechen seit Erscheinen des Buches bei Aussprachen mit staatlichen Stellen immer wieder darüber.)4
Finanzielle Fragen
Hier soll die Frage gestellt werden,
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wie die Bereitstellung von Mitteln für Sozialleistungen und Zahlung von Mindestlöhnen für ca. 30 000 kirchliche Mitarbeiter, entsprechend den sozialistischen Gesetzen, garantiert werden kann.
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wie die finanziellen Verluste der konfessionellen Krankenhäuser, die durch erhöhte Arzneikosten u. Ä. entstehen, ausgeglichen werden können.
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In diesem Zusammenhang soll des Weiteren geklärt werden, wie das Mitspracherecht der Gewerkschaften in konfessionellen Einrichtungen gestaltet werden kann.
Probleme im Zusammenhang mit der KSZE, insbesondere im Blick auf Belgrad 5
(Hierzu wurden keine weiteren Erläuterungen gegeben.)
Bischof Schönherr habe die Absicht geäußert, die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR über das Ergebnis des Gespräches zu informieren. Sollte sich die Notwendigkeit ergeben, will er hierzu, ähnlich wie während der Synode des Bundes 1976 in Züssow,6 eine geschlossene Sitzung durchführen. Er hoffe jedoch, der Synode im Ergebnis des Gesprächs mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen über die weitere Festigung des Verhältnisses und die Entwicklung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche berichten zu können. Es erfolgte keine Festlegung darüber, welche Mitglieder des Vorstandes des Bundes sich für die Gesprächsführung auf bestimmte Probleme vorbereiten sollen.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde der Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen an die vom 12. bis 17.5.1977 in Görlitz stattfindende Synode des Bundes behandelt. In dem Bericht wird u. a. zum Problem Kirche im Sozialismus zum Ausdruck gebracht:
»… Im Verhältnis von Staat und Kirche, besonders dort, wo es sich nicht einfach durch pragmatische Absprachen regeln lässt, sind tragfähige Formeln als Markierungspunkte eines Prozesses notwendig und hilfreich. Für unser Verhältnis als Kirche zum Staat benötigen wir Koexistenzformeln … Es geht um die Koexistenz von Menschen und menschlichen Gemeinschaften, nicht um Übereinstimmung von Ideen und Grundanschauungen. Wir haben häufig darauf hingewiesen, dass das Wort von der ideologischen Nichtkoexistenz, das man gelegentlich hört, nicht zutreffend und gefährlich ist. Entweder ist es falsch, denn Ideologien bestehen, ob man sie will oder nicht. Sie können nur richtig oder falsch sein. Oder es enthält die Drohung, die eine Ideologie zu beseitigen, um die andere durchzusetzen. Das könnte Konsequenzen haben, die nach den Erfahrungen der Geschichte nur schrecken können. Das Wort ›Kirche im Sozialismus‹ droht zur Leerformel zu werden, wenn nicht das konkrete Gegenüber zu einem falschen ›Gegen‹ oder ›Neben‹ im Blick bleibt.
Kirche im Sozialismus wäre eine Kirche, die auch als solche, in derselben Freiheit des Glaubens, bereit ist, dort, wo in unserer Gesellschaft menschliches Leben erhalten und gebessert wird, mit vollem Einsatz mitzutun und dort, wo es nötig ist, Gefahr für menschliches Leben abwenden zu helfen …
Der IX. Parteitag7 betonte als Kennzeichen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die untrennbare Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Er stellte ›die Annäherung aller Klassen und Schichten auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Weltanschauung der Arbeiterklasse‹ als Ziel heraus. Die Aufnahme eines Passus über Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Gleichberechtigung aller Bürger, unabhängig von rassischer und nationaler Zugehörigkeit, von Weltanschauung, religiösem Bekenntnis und sozialer Stellung, in das Parteiprogramm ist von spezifischer Bedeutung für die Kirchen in der DDR. Es war eine Meinungsbildung der Konferenz der Kirchenleitungen in dieser Sache vorhergegangen, in der die Frage gestellt wurde, warum im Entwurf des Parteiprogramms keinerlei Hinweise auf freie Religionsausübung und andere wichtige Aussagen zum Verhältnis von Staat und Kirche, wie noch im Parteiprogramm von 1963,8 enthalten seien …
Was Kirche im Sozialismus ist, entscheidet sich zuallererst daran, ob der einzelne Bürger in der sozialistischen Gesellschaft der DDR mit seiner Familie als bewusster Christ leben und das Vertrauen haben kann, dass ihm und den Christen, die nach ihm kommen, dies auch in Zukunft möglich sein wird.
Es ist oft gesagt worden, zuletzt vom Generalsekretär und Vorsitzenden des Staatsrates Erich Honecker bei der 1. Tagung der neugewählten Volkskammer: ›Unsere sozialistische Gesellschaft bietet jedem Bürger, unabhängig von Alter und Geschlecht, Weltanschauung und religiösem Bekenntnis, Sicherheit und Geborgenheit, eine klare Perspektive und die Möglichkeit, seine Fähigkeiten und Talente, seine Persönlichkeit voll zu entfalten.‹9 Wir hoffen, das so verstehen zu können, dass die klare Perspektive und die volle Entfaltung der Persönlichkeit auch für den christlichen Bürger voll gelten. Offenbar sind solche klaren Worte bisher noch nicht in dem Maße Allgemeingut geworden, dass man ihre Wirkung überall spürt. Bei der kommunistischen Erziehung wird für eine andere Grundanschauung wie den Marxismus-Leninismus keinerlei Raum gelassen …
Wir bitten, nicht missverstanden zu werden, als ob wir Angst hätten. Aber im Sinne eines guten, vertrauensvollen Miteinanders ist es nicht günstig, wenn der Christ fragen muss: Ist der christliche Bürger beim Aufbau des Kommunismus ein Unglücksfall, der abgestellt werden müsste? Wird hier nicht ein antagonistischer Gegensatz in die Bildungspolitik hineingetragen?
Wir haben es schon mehrfach gesagt: Fälle von ausgesprochener Diskriminierung sind, wenn sie mit Namen und Tat zur Sprache gebracht werden können, geprüft und im Allgemeinen abgestellt worden … Diejenigen, die solche Diskriminierungen verursacht haben, haben doch meist keine persönlichen Erfahrungen mit der Kirche gehabt. Muss es nicht daran liegen, dass die Generallinie sich nicht bis in die Parteischulen hinein durchsetzen kann? Was wird mit den Büchern wie ›Was ist Kommunismus?‹ u. Ä., die in Massenauflagen erscheinen, bezweckt? Wird nicht der Lehrer, der hört, dass die ›bürgerliche Moral‹ mit ›unserer‹ Moralauffassung unvereinbar ist, darauf gestoßen, dies Verdikt auf die christliche Sittlichkeit zu beziehen? In welchem Verhältnis steht das dort entworfene Bild von Religion und Sittlichkeit zu dem, das die Erklärungen der Regierung vorauszusetzen scheinen?
… Fragwürdig für den Christen ist auch, dass sich der Führungsanspruch der SED auf die kleinsten Einheiten erstreckt. Altbewährte Christen mögen auf wichtigen Posten bleiben. Aber engagierte junge Christen haben kaum Aussicht, dorthin zu gelangen, und wenn sie noch so gute Wissenschaftler wären. Wir verstehen nach wie vor nicht, dass den Mitgliedern der Baueinheiten10 das Studium versagt ist. Man kann seinen Staat auch anders verteidigen als mit der Waffe. Dass die Regierung der DDR die Möglichkeit der Waffendienstverweigerung gegeben hat, beweist ihre Stärke. Diese wird durch einschränkende Maßnahmen nicht größer …
Der Respekt vor der Würde des christlichen Mitbürgers hätte die Kommentare vom 31.8.1976 zum Tode von Oskar Brüsewitz11 verbieten müssen.
Dass die Massenmedien noch am Wahltage über die Wahlbeteiligung leitender Geistlicher berichtet haben, war ein Missgriff, der sich nicht wiederholen darf …«
Im Bericht wird weiter zur KSZE und sich daraus ergebende Konsequenzen Stellung genommen. Dabei werden auch Probleme der Menschenrechte behandelt unter Bezugnahme auf die KSZE. Die Ausführungen sind jedoch so gehalten, dass es zu keinen Kontroversen zwischen Staat und Kirche kommen kann.
Der Entwurf des Berichtes der Konferenz der Kirchenleitungen an die Synode wurde diskutiert und bis auf wenige Änderungen bestätigt. Die endgültige Fassung soll jedoch erst kurz vor Beginn der Synode vorgelegt werden.
Nach weiter vorliegenden internen Hinweisen ist den Mitgliedern der Konferenz der Kirchenleitungen bekannt gegeben worden, dass der seitens des Bundes an den Genossen Honecker gerichtete Brief in Bezug auf bezahlte Freistellung der Synodalen (Laien) zur Teilnahme an Synoden12 positiv beantwortet worden sei. Im Antwortschreiben sei die Zusicherung gemacht worden, eine Passage im Gesetzbuch der Arbeit13 entsprechend der Eingabe zu ändern und eine bezahlte Freistellung der Synodalen zu erwirken. Der Brief wurde als positives Ergebnis dahingehend gewertet, dass bei konkreten Anfragen Lösungswege durchaus gegeben sind.
Bischof Fränkel, Görlitz, wurde die Frage gestellt, ob er zu seinen Erklärungen im ZDF-Interview vom 5.4.1977 noch stehe (Fränkel hatte sich in diesem Interview zu Problemen der KSZE und des Verhältnisses Staat – Kirche geäußert). Fränkel brachte zum Ausdruck, dass die von ihm abgegebenen Erklärungen im Interview seine feste Meinung wären.
Zu der Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen waren nicht anwesend:
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Bischof Gienke, Greifswald, als Vertreter nahm Propst Haberecht teil,
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Kirchenpräsident Natho, Dessau, Vertreter Pfarrer Schulze (Mitglied des Landeskirchenrates Anhalt), Dessau,
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Bischof Krusche, Magdeburg, Vertreter Propst Bäumer, Magdeburg,
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Oberkirchenrat Dr. Plath, Greifswald, Vertreter Propst Lange, Greifswald.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.