Tagung der »Berliner Konferenz katholischer Christen Europas«
10. Februar 1977
Information Nr. 85/77 über die Tagung des »Internationalen Fortsetzungsausschusses« der »Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten« in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Am 25. und 26. Januar 1977 tagte in der Hauptstadt Berlin (Klub der Kulturschaffenden)1 turnusmäßig der »Internationale Fortsetzungsausschuss« (IFA) der »Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten« (BK).2
Von den 35 gewählten IFA-Mitgliedern aus der Sowjetunion, der DDR, ČSSR, VR Polen, VR Ungarn, VR Rumänien und 17 westeuropäischen Ländern waren 29 anwesend.
Zielsetzung der Tagung waren Diskussionen und Beschlussfassung über das politische Programm der BK für das Jahr 1977, abgestimmt und ausgerichtet auf den Moskauer Weltkongress religiöser Friedenskräfte3 als Höhepunkt des politischen Engagements der in der BK tätigen Katholiken aus Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsstrukturen. (Dazu sollen 1977 eine Vielzahl von Veranstaltungen unter dem Generalthema »Abrüstung – Solidarität – für eine Welt ohne Krise und Kriege« organisiert und durchgeführt werden.)
Des Weiteren wurden die politische Tätigkeit der BK im Jahre 1976 analysiert und eine eventuelle künftige Kooperation mit anderen europäischen Friedensgremien erörtert.
Bereits vor Beginn der Tagung zeichnete sich internen Hinweisen zufolge ab, dass einige oppositionelle Kräfte aus der BRD, Belgien, Frankreich, Niederlande und Italien beabsichtigen, die Diskussionen zu nutzen, um die politische Zielstellung der BK abzuschwächen und zu verändern.
Im Verlauf der Tagung entwickelten auch die Italiener Zapulli und Giovannoni sowie die Belgier Thill und Bostoen unterschwellige bis offene negative Diskussionen zum Problem Menschenrechte, zum Moskauer Weltkongress, zur Internationalisierung der Leitung der BK und zur politischen Zielstellung der BK für 1977, die durch Vertreter aus der VR Polen und der ČSSR in verschiedenen Positionen unterstützt wurden.
Im Ergebnis aller Debatten wurde erreicht, dass sich der IFA für ein Engagement zur Abrüstung, Solidarität und zum Frieden festlegte, jedoch wurde aufgrund der Manipulationen der obengenannten Kräfte eine politische Modifizierung des Engagements teilweise abgelehnt und diese Ablehnung mit moralischen, ethischen und religiösen Gründen erklärt. Mit der Annahme des Aktionsprogramms wurde die dabei geplante Zielstellung erreicht.
Der Charakter der Auseinandersetzungen zeigte eine Vielschichtigkeit der politisch-ideologischen Probleme und z. T. opportunistische Tendenzen in der individuellen Haltung der Teilnehmer aus kapitalistischen Ländern. Ziel dieser Diskussionen war eine politische Neutralisierung der BK, ein Abrücken von der erklärten pro-sozialistischen Haltung der BK und die Prägung eines antikirchlichen Charakters. Provokationen und offene Angriffe gegen die sozialistischen Länder wurden dabei nicht vorgetragen.
In diesem Zusammenhang sind folgende Einzelheiten bemerkenswert:
Die Menschenrechtsproblematik wurde von dem Italiener Giovannoni zuerst angesprochen. Er forderte, dass sich eine Zusammenarbeit mit anderen Friedensorganisationen inhaltlich auf die Durchsetzung der Menschenrechte in Ost und West orientieren müsste. Dazu müsse man auch zur Menschenrechtsproblematik in den sozialistischen Ländern Stellung nehmen.
Nachdem von Grenet, Frankreich, diese These unterstützt wurde, erklärte Thill, Belgien: »Dort, wo Menschenrechte durchgesetzt werden, geschieht das durch Forderungen der Masse, die eine Macht sein kann, egal ob im Imperialismus oder Kommunismus.«
Zapulli, Italien: »Wir wollen keine Gesellschaftsordnung verteidigen, sondern uns aussprechen, was wir als BK zur Durchsetzung der Menschenrechte aktiv unternehmen können.«
Mara, ČSSR: Zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche habe die Regierung der ČSSR Verhandlungen mit Rom aufgenommen. Ziel sei, ein ähnliches Verhältnis wie in der DDR zu schaffen. Die Glaubensfreiheit in der ČSSR bestehe einzig im Recht der ritualen Tätigkeit. In der ČSSR würde es nicht so viele Schwierigkeiten geben, wenn man diese Probleme früher und menschlicher geklärt hätte.
In der zurückliegenden Zeit hatte Zapulli, unterstützt von Franzosen, Belgiern und Holländern, innerhalb des IFA die Meinung manipuliert, die BK bestehe aus »politisch orientierten Linkskatholiken«, die mit einem Weltkongress religiöser Repräsentanten keine Gemeinsamkeiten hätten.
Als Prof. Butkus, UdSSR, dem IFA offiziell im Namen des Sekretärs des Vorbereitungskomitees mitteilte, dass die BK zwei ordentliche Delegierte zum Weltkongress entsenden kann, entwickelte Zapulli Diskussionen, die letztlich dazu führten, dass sich der IFA gegen Aktivitäten zum Weltkongress aussprach. Es kam zum Ausdruck, dass zwei Delegierte für eine Organisation wie die BK eine »Beleidigung und Herabwürdigung« ihrer politischen Wirksamkeit in Europa sei. Wenn unter diesen Umständen eine Teilnahme erfolge, dann höchstens als Beobachter.
Im Ergebnis der weiteren Diskussionen wurde dann aber die offizielle Teilnehme in Moskau beschlossen.
Einige theologische und politische Formulierungen in der Präambel des Entwurfes zum Aktionsprogramm nahm der polnische Sejm4-Abgeordnete Jankowski zum Anlass für die Feststellung, dass die Präambel »zu religiös und zu lang« sei. (Sein Beitrag bestand aus einer vorgefertigten Disposition.) Diese Feststellung nutzten eine Reihe westlicher Vertreter zur Entfachung einer weltanschaulichen Auseinandersetzung. Im Ergebnis mehrerer Abstimmungen wurden in der Präambel des Aktionsprogramms Umformulierungen und Streichungen vorgenommen. Dadurch ist die Präambel politisch neutralisiert. Gestrichen werden mussten z. B. die positiven Orientierungen auf den Moskauer Weltkongress, die Fortsetzungskonferenz der KSZE in Belgrad,5 die UNO-Friedensarbeit, die soziale Krise im Kapitalismus und die päpstliche Friedensbotschaft.
Die polnischen Vertreter Jankowski, Sniechowski und Majdecki stimmten gegen die vom Veranstalter vorgeschlagenen Formulierungen.
Zapulli war auch der Wortführer einer zum Teil offenen und unterschwelligen Diskussion mit der Forderung nach einer »Demokratisierung und Pluralisierung« der direkten Leitung der BK. Dabei wurden solche Forderungen vorgetragen wie größere Internationalisierung der Leitung durch mehr Vertreter aus kapitalistischen Ländern, keine vorgefertigten Beschlussvorlagen, die BK müsse antiklerikalen Charakter haben, freie Wahl der Diskussionsthemen, die nicht durch eine Tagesordnung eingeengt werden.
Intern wurde bekannt, dass Zapulli in Gesprächen mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Heyl vorgab, mit seiner Meinung die der Mehrheit des IFA und der gesamten BK zum Ausdruck zu bringen. Ihm sei auch bekannt, dass Vertreter mehrerer sozialistischer Länder seine Meinung teilten und beabsichtigten, diese in Form von »Memoranden« bei ihren »zuständigen Stellen« kundzutun. Demzufolge gäbe es für die BK zwei Alternativen:
- –
Die BK ist Mittel für die Verbreitung von Prinzipien der sowjetischen Außenpolitik. Dann müsse das offen erklärt und ein entsprechender Kaderstamm in kapitalistischen Ländern geschaffen werden. Mit der derzeitigen Zusammensetzung ginge das nicht.
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Die BK wird auf den Status zum Zeitpunkt ihrer Gründung zurückgeführt, d. h. zu einem »freien Forum« europäischer Katholiken. Dann müsse »ein anderer Kurs« eingeschlagen, die Leitung internationalisiert, die politische Linie modifiziert und ein »freies Mitentscheidungsrecht« der Westeuropäer garantiert werden.
Die vier eingeladenen Vertreter aus der BRD blieben trotz vorheriger Zusage kurzfristig unter Berufung auf gesundheitliche Gründe und unvorhergesehene berufliche Verpflichtungen der IFA-Sitzung fern. Intern ist bekannt, dass dem Verwaltungsdirektor der Universität Tübingen/BRD, Kralewski, in einem anonymen Schreiben Repressalien angedroht wurden, falls er an der IFA-Tagung in der DDR teilnimmt.
Das schwedische IFA-Mitglied – die in der Vergangenheit progressiv und aktiv aufgetretene Dominikanernonne Stensdotter – war wenige Tage vor Reiseantritt »unauffindbar« verschwunden. (Der Vorsitzende der BK, Fuchs, ist im Besitz eines Fahndungsplakates der schwedischen Polizei.) Innerhalb der IFA kursierten Gerüchte, dass ihr Verschwinden mit der Reisetätigkeit in die DDR im Zusammenhang stehen würde.
Über die Aktivitäten der DDR-Vertreter im IFA wurde dem MfS bekannt: Neben dem Vorsitzenden Fuchs ist die DDR durch den Abteilungsleiter im CDU-Hauptvorstand Niggemeyer und den Redakteur der Zeitschrift »begegnung«,6 Guske, vertreten.
Fuchs allein konnte sich nicht behaupten. Das Auftreten von Niggemeyer entsprach nicht der Bedeutung der Tagung. Mehrmals fehlte er in kritischen Situationen wegen beruflicher Verpflichtungen. Guske war erkrankt. Versuche für die kurzfristige Delegierung eines qualifizierten Vertreters scheiterten aus nicht näher bekannten Gründen an der Haltung des dafür zuständigen politischen Mitarbeiters beim Nationalrat der Nationalen Front, Grewe, Mitglied der CDU.
In den Abendstunden des 26.1.1977 wurde eine Delegation des IFA zu einem ca. vierstündigen Gespräch vom Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Filaret, empfangen. Filaret erklärte in Bezug auf den Moskauer Weltkongress, dass dort sowohl Vertreter von Kirchen als auch andere religiöse Kräfte vertreten sein werden und befürwortete die ihm informativ dargelegten Vorstellungen der BK zur Teilnahme.
Als Abschlussveranstaltung wurde im Salon Leipzig des Interhotels »Stadt Berlin« am 27.1.1977 zwischen 10.00 und 12.00 Uhr ein Pressegespräch durchgeführt. Daran nahmen zwölf Journalisten von Publikationsorganen in der DDR, ein polnischer Journalist und ein Vertreter der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) aus Westberlin (Martin Höllen) teil.
Die BK war vertreten durch Fuchs/DDR, Vorkony/VR Ungarn, Zapulli/Italien, Gives/Irland, Majdecki/VR Polen, Grenet/Frankreich und Mara/ČSSR. Im Verlauf dieses Pressegespräches orientierte der BK-Vorsitzende Fuchs auf das starke Interesse der BK und ihren Willen zum Engagement für Moskau. Darüber hinaus berichtete Majdecki über die Zusammenarbeit der drei polnischen katholischen Gruppen mit der BK, die er als gut und nützlich herausstellte.
Nachdem durch die DDR-Journalisten eine Reihe von Sachfragen zur politischen Tätigkeit, Zielstellung und zu geplanten Friedensaktionen gestellt wurden, ergriff Zapulli das Wort. Er stellte heraus, dass auf der 27. IFA-Tagung umfangreiche Kontroversen über unterschiedliche Auffassungen zu den Problemen Fortsetzungskonferenz der KSZE in Belgrad,7 Entspannung, Abrüstung und Menschenrechte geführt wurden. Er schätzte es als äußerst positiv ein, dass man in der BK »ungehindert« über derartige Probleme reden könne und die Möglichkeit bestehe, seine Meinung offen darzulegen und nicht durch vorgegebene Richtungen eingeengt sei.
Höllen (KNA) interessierte sich dafür, ob bei dem Empfang beim Patriarchen Filaret oder in einem anderen Zusammenhang Informationen über eine mögliche Teilnahme von Rom und Pax Christi-International8 in Moskau gegeben werden können. Darüber hinaus wollte Höllen wissen, welche Bischöfe an der 6. Plenartagung der BK teilnehmen werden und ob die Päpstliche Kommission »Justitia et Pax«9 einen Vertreter entsenden wird. Höllen wurde auf die Zugehörigkeit einiger Bischöfe aus der VR Ungarn, der ČSSR sowie die Haltung des französischen Bischofs von Orleans, Riobé, zu Problemen der BK bzw. über die Mitarbeit bei BK-Veranstaltungen hingewiesen.
Provokatorische Fragen bzw. feindliche Haltungen zur Politik der DDR und der sozialistischen Länder wurden im Verlauf dieses Pressegesprächs nicht bekannt. Es gab ebenfalls keine Reaktionen auf die gegenwärtigen Probleme in der ČSSR.10 In einem internen Gespräch äußerte sich Höllen dahingehend, dass bei KNA keine Anhaltspunkte über eine unmittelbare Beteiligung kirchlicher Kreise an diesen Auseinandersetzungen vorhanden seien.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.