Tagungen der Synoden der Landeskirchen von Mecklenburg und Anhalt
7. April 1977
Information Nr. 214/77 über die 3. Tagung der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs in Schwerin und die Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalt in Dessau
Vom 17.3. bis 19.3.1977 wurde in Schwerin die 3. Tagung der 9. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs durchgeführt.
Während der Bericht der Kirchenleitung, der Jahresbericht des Oberkirchenrates und alle anderen schriftlich vorbereiteten Materialien der Synode keine politischen Angriffe enthielten, trat der Synodale Pastor Burkhardt, Matthias, aus Retgendorf, Kreis Schwerin-Land, in der Diskussion zum Jahresbericht des Oberkirchenrates im Zusammenhang mit Übersiedlungs- und »Menschenrechts«-Fragen politisch negativ auf. (Pastor Burkhardt trat in der Vergangenheit wiederholt politisch negativ in Erscheinung. So stellte er sich nach der Selbstverbrennung von Pastor Brüsewitz1 hinter dessen »Forderungen«. In seiner jetzigen Tätigkeit als verantwortlicher Pastor für das Neubaugebiet Schwerin-Großer Dreesch entwickelt er eine aktive Hausarbeit, wobei er die Gläubigen gegen die Entwicklung der DDR zu beeinflussen versucht.)
Mit seinem Diskussionsbeitrag verfolgte Burkhardt offensichtlich das Ziel, die kirchlichen Organe zu veranlassen, sich in innerstaatliche Angelegenheiten einzumischen. Burkhardt formulierte sein »Anliegen« wie folgt:
»Zu den positiven Entwicklungen der letzten Jahre gehört auch die Tatsache, dass Vertreter unserer Kirche bei besonderen Anlässen in das westliche, überhaupt in das Ausland reisen können. Der Bericht des Oberkirchenrates zeigt, dass das nicht nur Spitzen der Landeskirche sind, die reisen. Das ist meines Erachtens ein Grund zur echten Mitfreude. Was mir allerdings zu denken gibt, ist die Tatsache, dass die Kirche offensichtlich auf diesem Gebiet fast schon eine privilegierte Gesellschaft in dieser Gesellschaft geworden ist. Ich denke jetzt an die Menschen unseres Staates, und das sind nicht wenige, die ja als eifrige Leser der vieldiskutierten Schlussakte von Helsinki2 einen Ausreiseantrag nach dem Westen gestellt haben. Gewiss sind viele Anträge zügig bearbeitet worden; viele durften ausreisen, ganz besonders unerwünschte Personen. Wer aber denkt an die vielen Personen, die aufgrund ihres Ausreiseantrages ihre Arbeitsstelle verloren haben, die monatelang arbeitslos waren und die jetzt als Hilfsarbeiter nur einen Mindestlohn verdienen. Wer denkt an die Menschen, die zu Staatsfeinden gestempelt worden sind, die sie überhaupt nicht sind, die jetzt zum Teil völlig isoliert, ohne jeglichen Kontakt zur Umwelt und zu ihren Verwandten drüben stehen, völlig vereinsamt, im Zustand seelischer Depressionen, hoffnungslos dahinlebend. Wenn es noch immer der Auftrag Jesu Christi für seine Kirche ist, zuerst für die Erniedrigten und Beleidigten da zu sein, dann können wir an solchen Menschen nicht vorübergehen.
Ich habe sehr deutlich im Ohr, was Bruder Sagert vorhin gesagt hat, dass man solche Fragen zunächst einmal in aller Verschwiegenheit klären muss. Es wird dies sicher sehr häufig getan. Aber ich bin zu der Meinung gekommen, dass hier die Arbeit am Einzelfall keinen Schritt weiterhilft. Es ist meines Erachtens nötig, die kirchliche Öffentlichkeit auf diese Personen, diese Zustände hinzuweisen. Die Kirche könnte meines Erachtens zu dieser Problematik eine klare Stellungnahme abgeben, weil wir ja einen leichtfertigen Wechsel der Staatsangehörigkeit grundsätzlich ablehnen. Unser Platz ist eindeutig hier, in diesem Land. Aber andererseits ist es ganz deutlich unsere Aufgabe, den Bedrückten zu helfen, besonders dann, wenn es für sie keinen anderen gibt, der ihre Sache in der Öffentlichkeit vertritt.«
Burkhardt stellte zwei Anträge an die Synode:
»Die Landessynode möge eine Stellungnahme erarbeiten, die auf die seelische Not der Menschen hinweist, die einen Ausreiseantrag gestellt haben. Die Landessynode möge nicht sofort in eine Plenumsdebatte zu dieser Problematik eintreten, sondern zuerst dem bereits benannten Berichtsausschuss den Auftrag geben, nach reiflicher Prüfung dieser Frage der Synode eine Vorlage zur Diskussion zu stellen.«
Bei der Abstimmung über die Anträge sprachen sich von den 53 Synodalen sechs für deren Unterstützung aus. Daraufhin wandte sich der Synodale Prof. Dr. Kiesow an den Präses der Synode und erklärte, dass er es für eine Entmündigung der Synode halte, wenn man nur zum Antrag, nicht aber zur Sache sprechen lasse. Wer ein solches Problem in der Öffentlichkeit vorbringe, müsse auch von vornherein mit Widerspruch rechnen. Im Übrigen sei ihm nicht bekannt, dass diese Angelegenheit überhaupt ein solches Problem sein sollte, wie es Burkhardt behauptet. Landessuperintendent Sagert forderte Burkhardt auf, Material zur Bearbeitung des Antrages zu liefern.
Landesbischof Rathke leistete dieser Diskussionsentwicklung durch seine Haltung noch Vorschub, indem er auf die Herbstsynode 19763 verwies. Dort hatte er formuliert, es wäre schmerzhaft, wenn man kein offenes Wort mehr wagen und sagen könnte, nur zweideutig rede oder schweige. Die Kirche würde »in diesen menschlichen Fragen zum Teil im größerem Umfang angesprochen«.
Die Anträge von Burkhardt wurden an den Berichtsausschuss verwiesen.
Dem Berichtsausschuss gehörten ca. 20 Synodale an. Zu Beginn der Debatte im Berichtsausschuss erklärte der Präses der Synode, Wahrmann, er sei von den an der öffentlichen Sitzung teilnehmenden staatlichen Vertretern darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Einmischung in staatliche Angelegenheiten erfolge, wenn die Synode eine Stellungnahme zu Burkhardts Anträgen abgebe. Die Grenze der seelsorgerischen Tätigkeit würde hier weit überschritten.
Im Berichtsausschuss kam es zu einer lebhaften Diskussion. Burkhardt wurde aufgefordert, ihm bekannte Beispiele zu nennen. Er konnte jedoch lediglich eine Person anführen, deren Übersiedlungsantrag abgelehnt worden sei. Die zuständigen Organe hätten mit dieser Person mehrere Gespräche geführt, in deren Ergebnis sich der Antragsteller verzweifelt an Burkhardt gewandt habe. Er habe sich veranlasst gesehen, der verzweifelten Familie Beistand zu leisten und hätte sich bereits mit staatlichen Stellen auseinandergesetzt.
Der Synodale Vogt vertrat dazu die Meinung, die Kirche sollte »aktiv werden«, wenn konkrete Kenntnis bestehe, und Einzelfällen sollte auch einzeln nachgegangen werden. Prof. Dr. Kiesow machte nochmals in der Diskussion darauf aufmerksam, es sollte beachtet werden, dass die Synode durch die Anträge von Burkhardt unter einem Zwang stehe. Somit könne nicht verantwortet werden, im Berichtsausschuss schon etwas Generelles zu sagen. Er wurde von dem Synodalen Seite unterstützt, der die Frage stellte, ob es sich lohne, für diese von Burkhardt genannte Person »eine Sache so weit zu treiben«.
Daraufhin erklärte Landesbischof Rathke, er habe in seinem Amtsbereich »viele Fälle in den verschiedensten Phasen« auf seinem Schreibtisch. Im Fall Burkhardt sei die Frage zu stellen, inwieweit überhaupt die Mittel der Öffentlichkeit genutzt werden sollten.
Pastor Burkhardt bestand hartnäckig auf dem Öffentlichkeitscharakter seiner Anträge und brachte in diesem Zusammenhang zum Ausdruck, auch die Schriftsteller in der DDR würden gerade jetzt massiv ihre Meinung zu diesen Fragen äußern.
Darauf erklärte Landessuperintendent Sagert, die Kirche habe eine solche »Basisentscheidung« wie z. B. Christa Wolf u. a. Schriftsteller bisher noch nicht getroffen. Die Landessynode sollte bei der Abfassung von Worten sehr vorsichtig sein; er hätte mehrfach die Erfahrung gemacht, dass die Landessynode zu früh etwas gesagt hätte.
Durch den Einfluss progressiver Kräfte im Berichtsausschuss wurde verhindert, dass die Anträge von Pastor Burkhardt als Synodenvorlage behandelt wurden. Demzufolge fand im Plenum keine Diskussion und keine Abstimmung statt. Die Synode wurde lediglich über folgende Formulierung des Berichtsausschusses in Kenntnis gesetzt:
»Der Berichtsausschuss der Synode hat sich über die seelische Belastung von Menschen informiert, die durch ihren Ausreiseantrag oft isoliert und ratlos sind. Die Gemeinden und ihre Seelsorger mögen solchen belasteten Menschen alle mögliche seelsorgerische Hilfe erteilen. Dazu gehört auch das Gespräch mit den zuständigen staatlichen Vertretern. Die Landessynode bittet den Landesbischof, nach seinen Möglichkeiten konkrete Fälle in Gesprächen mit staatlichen Stellen vorzutragen.«
Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs wählte folgende Teilnehmer als Synodale des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR:
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Pastor Christoph Stier, Lichtenhagen-Dorf
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Landespastor Kurt Winkelmann, Güstrow
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Laie Christoph Gürtler, Kratzeburg/Neustrelitz, Dipl. Forst-Ing.
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Laie Siegfried Wahrmann, Wismar, Kaufmann, Präses Landessynode Mecklenburg.
Vom 25.3. bis 27.3.1977 wurde in Dessau die Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalt durchgeführt.
Der Situationsbericht von Kirchenpräsident Natho beschäftigte sich ausschließlich mit innerkirchlichen Problemen. Während der gesamten Synode wurden keine negativen Aussagen zu politischen oder gesellschaftlichen Problemen getroffen.
Schwerpunkt der Diskussionen war die Entschließung zum Friedensdienst der Kirche. In der Entschließung werden die Ergebnisse der kirchlichen Aktivitäten bei verschiedenen Aktionen wie »Brot für die Welt«4 genannt, und es wird zur aktiven Teilnahme am kirchlichen Friedensdienst aufgefordert.
Wörtlich heißt es: »Auch wenn die besondere Verantwortung für das friedliche und gerechte Zusammenleben von Menschen und Völkern bei den Politikern liegt, tragen wir doch alle mit an der Sorge um den Frieden und um die Teilnahme aller Menschen am wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritt. Uns beschwert die Tatsache der Verwendung von Mitteln für ständig steigende Rüstungsausgaben und die damit wachsende Gefährdung des für uns alle lebensnotwendigen Friedens. Wir begrüßen darum jede Initiative, die zum Ziel hat, Vereinbarungen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu treffen.«
Die Weltkonferenz religiöser Friedenskräfte im Juni 1977 in Moskau5 wird in der Entschließung in das weltweite Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit eingeordnet. »Die Landessynode begrüßt die Teilnahme von Vertretern des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR an dieser Konferenz. Die Landessynode bringt den Wunsch zum Ausdruck, dass diese Konferenz dazu beitragen möge, den Friedenswillen zu stärken, das Gespräch über konkrete Schritte zur Abrüstung zu intensivieren und auch die Religionen aneinander näherzubringen in der gemeinsamen Verantwortung für den Frieden der Welt.«
Außerdem wird dem Wunsch Ausdruck gegeben, dass die Helsinkier Folgekonferenz in Belgrad6 den Weg der Zusammenarbeit und der Entspannung fortsetzen möge zur Förderung des friedlichen Miteinanders der Völker.
Die Entschließung wurde mit 29 Stimmen gegen vier Stimmen bei sechs Enthaltungen angenommen.
Im Zusammenhang mit der Moskauer Konferenz brachten Kirchenpräsident Natho und Oberkirchenrat Schulze ihr Bedauern über das Abstimmungsergebnis der Konferenz der Kirchenleitungen7 – wonach die Delegation des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR nur einen Beobachterstatus haben wird – zum Ausdruck (siehe Information des MfS Nr. 170/77 vom 16.3.1977). Als wesentlichstes Argument gegen einen Delegiertenstatus sei eine geplante Stellungnahme der Konferenz in Moskau zur »Charta 77«8 genannt worden. Da der Inhalt dieser Stellungnahme nicht bekannt sei, wolle man sich »den Rücken freihalten«.
Die Synode der Landeskirche Anhalt wählte einstimmig Franke, Dietrich, [geb.] [Tag] 1937, Kreisoberpfarrer, und Hanff, Günter, [geb.] [Tag] 1911, Laie, als Synodale des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.
Die Information ist nicht zur öffentlichen Auswertung bestimmt.