Tod eines Pfarrers der evangelischen Landeskirche Sachsen (2)
20. Januar 1977
Information Nr. 46/77 über die Beisetzung des Superintendenten [Name 1, Ort 1], Bezirk Karl-Marx-Stadt
In Ergänzung der Information Nr. 33/77 vom 14.1.1977 über das Ableben des Superintendenten [Name 1] wurden folgende beachtenswerte Einzelheiten bekannt:
Während der Befragung der [Name 3, Vorname 2] durch die DVP wurde von ihr angegeben, dass [Name 1, Vorname 1] während ihres intimen Beisammenseins über eine starke Übelkeit geklagt habe. Die [Name 3, Vorname 2] hatte jedoch in der Befürchtung, dass ihr intimes Verhältnis bekannt werden könnte, unterlassen, einen Arzt zu benachrichtigen, obwohl sie wusste, dass [Name 1] teilweise unter starken Herz- und Kreislaufbeschwerden litt.
In dem vom Institut für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig erarbeiteten Gutachten wird darauf verwiesen, dass [Name 1] durch Herz-Kreislauf-Vorschädigung verstarb, der Tod jedoch hätte verhindert werden können, wenn [Name 1] rechtzeitig ärztlich versorgt worden wäre.
Aufgrund des Tatbestandes war offensichtlich, dass die zuständigen Kirchenleitungen bestrebt waren, Einzelheiten zu den Vorgängen um [Name 1] und die [Name 3] nicht in der Öffentlichkeit bekannt werden zu lassen.
In dieser Situation fand am 17.1.1977 seitens der Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft Karl-Marx-Stadt, Staatsanwalt Böhm und Staatsanwalt Ducke, ein Gespräch bei dem Kirchenamtsrat Dr. [Vorname Name 5] statt, an dem die Vertreter der Kirchenleitung, Bischof Hempel, Oberkirchenrat von Brück, der Präses der Synode, Domsch, Kirchenamtsrat Dr. [Name 5] sowie der Sohn des Verstorbenen, Pfarrer [Vorname 2 Name 1], teilnahmen.
Zu Beginn des Gespräches wurde seitens der Staatsanwälte Verwahrung eingelegt gegen die von Vertretern der Kirchenleitung im Zusammenhang mit dem Nichtauffinden des [Name 1] aufgestellte Behauptung, er sei von den Sicherheitsorganen festgenommen worden.
Danach wurde den Anwesenden der Sachverhalt zum Ableben von [Name 1] dargelegt und Auszüge aus den Protokollen der Aussage der [Name 3], in denen sie ihre Schuld bekennt, verlesen. Außerdem wurde ihnen das ärztliche Gutachten zur Kenntnis gegeben. Den Vertretern der Kirchenleitung wurde weiter mitgeteilt, dass im Falle der [Name 3] von ihr Verletzungen der Strafrechtsnormen vorliegen, die Staatsanwaltschaft aber im Interesse einer Zusammenarbeit Staat – Kirche bereit sei, die [Name 3] straffrei ausgehen zu lassen.
Die Kirchenleitung wurde aufgefordert, sich für die [Name 3] verantwortlich zu fühlen und ihre Betreuung zu übernehmen. Die Vertreter der Kirchenleitung waren mit den Vorschlägen einverstanden und bekräftigten durch Unterschriften ihre Bereitschaft, diese Aufgaben zu übernehmen.
Im Ergebnis dieses Gespräches wurde die [Name 3] am 17.1.1977 aus dem Gewahrsam der DVP an den Superintendenten [Name 6] übergeben, der seitens der Kirchenleitung für ihre »seelsorgerische Betreuung« verantwortlich zeichnet.
Mitglieder der Kirchenleitung und Beteiligte an dem Gespräch durch Vertreter der Staatsanwaltschaft äußerten nach der Aussprache intern, der Staatsapparat habe sich »außerordentlich entgegenkommend und einfühlsam« verhalten. Für den Ausgang der Sache wären sie »sehr dankbar«, und sie seien bemüht, alle eingegangenen Versprechen und Verpflichtungen strikt einzuhalten und »die Ereignisse auch weiterhin im kleinsten Rahmen abzuhalten«.
Die Trauerfeier für [Name 1] fand am 18.1.1977, 11.00 Uhr, in [Ort 1] und die Beisetzung ca. zwei Stunden später in [Ort 2] bei Karl-Marx-Stadt statt. An der Trauerfeier nahmen ca. 800 Personen, darunter Oberkirchenrat von Brück und der Präses der Landeskirche, Domsch, teil. Unter den Teilnehmern fand eine Geldsammlung zur Unterstützung der Familie [Name 1] statt.
Obwohl die Amtsbrüder des Kirchenkreises [Ort 1] im Talar erschienen waren, die Pfarrerschaft einen Kranz niederlegte und während der Trauerfeier in allen Gemeinden des Kirchenkreises die Glocken geläutet wurden, war das Zeremoniell nicht so feierlich wie bei Beerdigungen anderer Superintendenten. Die zwölfminütige Predigt von Bischof Hempel wurde von Teilnehmern als »sehr schwach« eingeschätzt, da sie sehr allgemein gehalten war und keine Bezüge auf den Verstorbenen erkennen ließ. Bezüge auf die Familienverhältnisse des [Name 1] und die Todesursache wurden nicht hergestellt; lediglich zum Schluss wurde zum Ausdruck gebracht, dass »wir alle fehlsame Menschen« sind.
Gegen 13.00 Uhr wurde [Name 1] in [Ort 2] durch die engsten Familienmitglieder beigesetzt. Durch Bischof Hempel wurden lediglich kurze allgemeine Worte gesprochen.
In [Ort 1] und in [Ort 2] wurden zum Zeitpunkt der Trauerfeierlichkeiten keine Journalisten aus dem NSA oder diplomatische Vertreter festgestellt. Besondere Vorkommnisse waren nicht zu verzeichnen.