Tödlicher Unfall im Kaltwalzwerk des Eisenhüttenkombinats Ost
20. Mai 1977
Information Nr. 334/77 über bisher vorliegende Aufklärungsergebnisse im Zusammenhang mit einem schweren Arbeitsunfall im Kaltwalzwerk des Eisenhüttenkombinates Ost am 4. Mai 1977
Am 4. Mai 1977, gegen 8.50 Uhr, ereignete sich im Kaltwalzwerk des Eisenhüttenkombinates Ost, Abteilung Warmbandlager, in Eisenhüttenstadt, [Bezirk] Frankfurt/O., beim Ausbrennen eines Salzsäure-Auffangbehälters eine Explosion mit Stichflamme.
Dabei wurden die Werksangehörigen [Name 1, Vorname] (34), geb.: [Tag] 1942, wohnhaft: Eisenhüttenstadt, [Adresse 1], tätig als Fachingenieur in der Betriebsüberwachung/Mechanik, [Name 2, Vorname] (29), geb.: [Tag] 1947, wohnhaft gewesen: Eisenhüttenstadt, [Adresse 2], Schlosser, [Name 3, Vorname] (25), geb.: [Tag] 1951, wohnhaft: Eisenhüttenstadt, [Adresse 3], Schlosser, und [Name 4, Vorname] (23), geb.: [Tag] 1953, wohnhaft: Eisenhüttenstadt, [Adresse 4], Schlosser, schwer verletzt und mussten mit Verbrennungen in das Kreiskrankenhaus Eisenhüttenstadt eingeliefert werden. (Der Schlosser [Name 2, Vorname] ist am 6. Mai 1977 aufgrund der erlittenen Verletzungen verstorben. Der Gesundheitszustand des Schlossers [Name 4] hat sich weiter verschlechtert, er ist seit seiner Einlieferung in das Krankenhaus noch immer besinnungslos.) Es entstanden kein Sachschaden und kein Produktionsausfall.
Die durch das MfS im Zusammenwirken mit der DVP unverzüglich eingeleiteten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen dieses schweren Unfalls ergaben Folgendes:
Der Abschnittsleiter der Abteilung Betriebsüberwachung-Mechanik II, [Name 5, Vorname] (40), geb.: [Tag] 1937, wohnhaft: Eisenhüttenstadt, [Adresse 5], Tätigkeit: Ingenieur für Walzwerktechnik und Plastschweißen, beauftragte die Geschädigten mit dem Ausbrennen eines 40 m³ Rauminhalt betragenden Salzsäure-Auffangbehälters, das auf der Grundlage eines im Kombinat erarbeiteten Neuerervorschlages1 erfolgen sollte, um die bisher mechanisch vorgenommene zeitaufwendige und mit schwerer körperlicher Arbeit verbundene Entfernung der Gummiinnenverkleidung abzulösen. Ein zum Neuerervorschlag erarbeiteter Ablaufplan sah dazu vor, den Behälter mit Abfallholz und Putzwolle zu füllen, das Brennmaterial zur Erleichterung und Beschleunigung des Zündprozesses mit Petroleum zu benetzen und den Brennprozess durch Einblasen von Heißluft aus einem umgebauten Düsenaggregat zu gewährleisten. Der Neuerervorschlag wurde am 4.10.1976 in einem Versuch außerhalb des Betriebsgeländes unter Absicherung durch die Betriebsfeuerwehr erstmalig erprobt, wobei die Zündung durch einen Angehörigen der Betriebsfeuerwehr vorgenommen worden war und entsprechend dem Ablaufplan verfahren wurde. An der Erprobung hatten u. a. der bereits genannte Abschnittsleiter [Name 5] und der Geschädigte [Name 1] teilgenommen. Bei dieser Erprobung war bereits erkannt worden, dass insbesondere der Zündvorgang ein entscheidendes Gefahrenmoment darstellt, weil bei der Zündung aus den Öffnungen des Behälters Stichflammen austraten. Ungeachtet dieser Erkenntnis wurden in den Ablaufplan keine diese Risikofaktoren ausschließenden Festlegungen zur sicheren Vornahme der Zündung des Brennmaterials eingearbeitet.
Wie die Untersuchungen ergaben, erfolgte auch für das Ausbrennen des Behälters am 4. Mai 1977 durch den Abschnittsleiter [Name 5] keine detaillierte Arbeitsanweisung. Entgegen den im Ablaufplan zum Neuerervorschlag getroffenen Festlegungen, für die Einleitung des Brennvorganges Petroleum zu verwenden, ließ [Name 5] für das Ausbrennen des Behälters am 4. Mai 1977 ein Fass mit 200 Liter Waschbenzin, dessen Flammpunkt wesentlich niedriger liegt, bereitstellen. Eine stichhaltige Begründung für diese Handlungsweise kann [Name 5] nicht abgeben.
Für den Brennvorgang im Innern des Behälters war das gestapelte Brennmaterial mit ca. zwölf Eimern Waschbenzin übergossen worden. Die Zündung erfolgte durch [Name 2] mittels einer Lunte, die von außen durch eine Einstiegsöffnung in den Behälter eingebracht wurde.
Zum Zeitpunkt der Zündung befanden sich die anderen drei Geschädigten ca. 3–5 m von dieser Einstiegsöffnung entfernt und wurden durch die aus dem Behälter herausschlagenden Stichflammen voll getroffen. Obwohl die Überwachung und Absicherung des Zünd- und anschließenden Brennvorganges mit der Betriebsfeuerwehr vereinbart worden war, wurde von den Geschädigten das Eintreffen der Betriebsfeuerwehr nicht abgewartet.
In Abhängigkeit von weiteren Untersuchungsergebnissen, insbesondere der umfassenden Prüfung von Verletzungen der Bestimmungen des Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutzes sowie der konkreten Pflichtverletzungen, wird über die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen entschieden.