Tötungsdelikt an einem Grenzsoldaten bei Eisenach
15. Juli 1977
Information Nr. 470/77 über ein Tötungsdelikt an dem Angehörigen der Grenztruppen der DDR, Soldat [Name 1, Vorname], am 14.7.1977
Am 14.7.1977, um 12.24 Uhr, wurde an der Staatsgrenze der DDR zur BRD im Sicherungsabschnitt Lauchröden, Kreis Eisenach, der dort zum Dienst als Grenzposten eingesetzte Angehörige der Grenztruppen der DDR Soldat [Name 1, Vorname], geb. am [Tag] 1957 in Zeitz, wohnhaft: 49 Zeitz, [Adresse], Grundwehrdienst seit 12.11.1976, Grenzkompanie Großensee, Grenzregiment Mühlhausen, Grenzkommando Süd, mit einer Schussverletzung tot aufgefunden.
Der dieses Tötungsdeliktes dringend verdächtige, als sein Postenführer fungierende Angehörige derselben Einheit, Gefreiter Fehder, Andreas, geb. am [Tag] 1957 in Berlin, wohnhaft: 104 Berlin, [Adresse], Grundwehrdienst seit 3.5.1976, ist nach der BRD fahnenflüchtig geworden. Gegen ihn wurde wegen fahrlässiger Tötung im schweren Fall gemäß § 114, Absatz 1 und 2, Ziffer 2 StGB1 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.
Die geführten Untersuchungen ergaben:
Der Fahnenflüchtige Fehder ist der zweite von drei Söhnen des […] Kraftfahrers [Vorname 1] Fehder und der gut beleumundeten Büroangestellten [Vorname 2] Fehder, deren Ehe 1974 geschieden wurde. Im Elternhaus bzw. bei seiner Mutter aufgewachsen, besuchte er aufgrund mangelnder Lernhaltung die POS nur bis zur 8. Klasse und brach die anschließend aufgenommene Lehre als Maurer aus gleichen Gründen ab. Von seinen Angehörigen wird er als politisch desinteressiert eingeschätzt und bekundete ihnen gegenüber mehrfach Unlust zum Wehrdienst, wogegen ihm von seinen Vorgesetzten ein guter Grenzdienst bescheinigt wird.
Der Soldat [Name 1] wuchs neben zwei jüngeren Schwestern im Haushalt des der SED angehörenden Kraftfahrers [Vorname 1 Name 1] und der Poststellenleiterin [Vorname 2 Name 1] in geordneten Verhältnissen auf und wurde im Sinne der sozialistischen Gesellschaftsordnung erzogen. Nach dem Abschluss der 10. Klasse erlernte er bei der SDAG Wismut den Beruf eines Hauers. Als Angehöriger der Grenztruppen bezog er eine positive Haltung zum Grenzdienst und verrichtete denselben entsprechend.
Fehder und [Name 1] waren am 14.7.1977 für die Zeit von 4.00 bis 12.00 Uhr gemeinsam zum Grenzdienst im Sicherungsabschnitt Lauchröden eingesetzt. Um 11.00 Uhr hatte sich der Postenführer Fehder letztmalig über das Grenzmeldenetz ordnungsgemäß beim Führungspunkt der Einheit gemeldet. Als um 12.24 Uhr das Postenpaar Gefr. [Name 2] und Soldat [Name 3] am Ablösepunkt des Sicherungsabschnittes, ca. 1 km nordwestlich der Ortschaft Gerstungen und 2,5 km vom Grenzverlauf entfernt eintrafen, fanden sie dort [Name 1] mit einer Schussverletzung tot auf, während über den Verbleib Fehders zunächst keine Feststellungen getroffen werden konnten.
Um 15.38 Uhr informierte ein Angehöriger des Bundesgrenzschutzes, Grenzinformationspunkt Herleshausen, den in der GÜST Wartha diensthabenden Offizier der Grenztruppen der DDR, Major [Name 4], fernmündlich darüber, dass am 14. Juli 1977, gegen 13.00 Uhr, der Gefr. Fehder auf dem Bundesgebiet angetroffen wurde. Dort gab er an, als Posten einer Doppelstreife an seiner Waffe hantiert zu haben. Dabei habe sich ein Schuss gelöst und den anderen Posten getroffen, über die Art der Verletzungen könne er keine Angaben machen.
Eine inhaltlich übereinstimmende offizielle Mitteilung machte um 18.15 Uhr ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD an den Bereitschaftsdienst des MfAA der DDR, die lediglich noch insofern ergänzt war, dass Fehder nach dem geschilderten Tatgeschehen in Panik verfallen sei, seine Waffe weggeworfen und anschließend die Grenze überschritten habe. Diese Mitteilung war mit der Begründung eingeleitet worden, dass sich eine nicht näher erläuterte Hilfeleistung notwendig machen könne.
Die unabhängig von den geschilderten Geschehnissen zwischenzeitlich am unveränderten Tatort aufgenommene kriminalistische Arbeit ergab, dass sich die Leiche am für das Postenpaar bestimmten Einsatzort in Rückenlage an der Böschung der durch den Sicherungsabschnitt führenden stillgelegten Autobahnbrücke befand. Die Dienstwaffe des [Name 1], ein LMG »D«, lag links neben dem Körper und war in geladenem und gesichertem Zustand. Das eingeführte Magazin enthielt 29 Patronen. Der Mündungsschoner war aufgesetzt. Unter dem Kopf sowie auf der Brust der Leiche befand sich je ein aufgeblasenes Luftkissen, die vorschriftswidrig aber gewohnheitsmäßig vom Postenpaar mitgeführt worden waren. Die Lage derselben lässt sich nicht eindeutig in den Tathergang einordnen. Der Tatort weist weder Kampf- noch andere Spuren auf, aus denen auf die Veränderung der Lage des Getöteten geschlossen werden könnte.
Drei Meter oberhalb des Kopfes der Leiche wurden eine Patronenhülse M 43 und im Umkreis von 15 Metern drei Reststücke eines Mündungsschoners einer MPi »K« gesichert.
Obwohl der endgültige Obduktionsbefund noch aussteht, kann nach Auffassung des Obduzenten in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Mitarbeiter der eingesetzten Spezialkommissionen als sicher gelten, dass [Name 1] in aufrecht stehender oder sitzender Haltung von vorn aus einer Schussentfernung von etwa zwei Metern getroffen wurde. Es handelt sich um einen Herzdurchschuss mit sofortiger Todesfolge, wobei das Projektil 1 cm unterhalb der linken Brustwarze eindrang und an der Unterkante des rechten Schulterblattes austrat. Der Tod ist gegen 11.30 Uhr eingetreten. Der Schusskanal lässt auf eine dem Opfer analoge Körperhaltung des Täters bei der Schussabgabe schließen.
Die unter dem Einsatz eines Fährtenhundes erfolgte Rekonstruktion des Weges des Täters zum Grenzdurchbruchsort ergab, dass Fehder den günstigsten Weg eingeschlagen und dabei eine Wegstrecke von 4 km bei einer Luftlinie von 2,5 km zurückgelegt hatte. Dichtes Waldgelände erschwerte die bisher erfolglose Suche nach der MPi »K« des Fehder, nach der am Nachmittag des 14.7.1977 durch Angehörige der Grenzüberwachungsorgane der BRD im eigenen Grenzvorfeld mit unbekanntem Ergebnis ebenfalls gesucht worden war.
Die geführten Ermittlungen sowohl bei den Angehörigen und Bekannten des Fehder als auch in der Grenzkompanie Großensee ergaben keine Hinweise auf eine länger beabsichtigte bzw. vorbereitete Fahnenflucht. Das Täter-Opfer-Verhältnis ergibt keine Hinweise auf eine vorsätzliche Tötung. Aus der Gesamtheit der bisher getroffenen Feststellungen kann die Version der fahrlässigen Tötung nicht widerlegt, der Vorsatz jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Genossen Oskar Fischer, wurde vereinbart, dass ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD die zuständigen Behörden der BRD ersucht, ein Gespräch mit dem fahnenflüchtigen Fehder, Andreas, führen zu können mit dem Ziel, ihn zur Rückkehr in die DDR zu bewegen. Unabhängig von dem Ergebnis des Gespräches sind die notwendigen rechtlichen Maßnahmen vorbereitet. Sollte das Gespräch negativ verlaufen, muss vom Generalstaatsanwalt der DDR ein Auslieferungsersuchen an die zuständigen BRD-Behörden gestellt werden.2