Überprüfung des »Spiegel«-Artikels über einen übergesiedelten Häftling
17. Februar 1977
Überprüfungsergebnisse zum »Spiegel«-Artikel vom 24.1.1977 über den ehemaligen Strafgefangenen Pfeil, Harry [Bericht K 1/75]
In einem Artikel des »Spiegel« vom 24.1.1977 wird der Pfeil, Harry, als »Stasi-Agent in der Bundesrepublik« bezeichnet, der während seiner Haft in der DDR »Mitgefangene und Sportprominenz« aufklären sollte und zwecks »Ausspionierens von Bundeswehranlagen« in die BRD entlassen worden sei.1 In dieser und in weiteren Veröffentlichungen (»BZ«, 3.5., 10.2.77, »Morgenpost« 5. und 10.2.)2 verleumdet und diskriminiert Pfeil des Weiteren in übler Weise unsere Sportpolitik, insbesondere unsere Sportfunktionäre und Leistungssportler.
Zur Überprüfung der angeführten Fakten wurden Konsultationen geführt mit den zuständigen Leitern und Mitarbeitern der Hauptabteilung IX, der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt (Abteilungen IX, XX, KD Plauen), der Bezirksverwaltung Cottbus (Abteilung VII) und der Kreisdienststelle Schwedt/Oder sowie mit dem Offizier für Kontrolle und Sicherheit (OKS)3 der StVE Cottbus. Des Weiteren wurde in operative Materialien dieser operativen Diensteinheiten, in den Untersuchungsvorgang über Pfeil sowie in Archivmaterialien Einsicht genommen und wurden entsprechende Überprüfungen bei der Hauptabteilung VI und der Abteilung XII des MfS durchgeführt.
1. Zielstrebige Angebote des Pfeil zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS
Bei dem Pfeil handelt es sich um Pfeil, Harry, geb. 25.10.1949 in Erlangen, wohnhaft gewesen: Plauen, Breitscheidt Str. 65. Festnahme: 11.6.1974. Urteil: 26.9.1974, vier Jahre Freiheitsentzug und Schadenersatz von 6 850 M wegen Terror, ungesetzlichen Grenzübertritts – in Vorbereitung zum schweren Fall, mehrfachen Betrugs (§§ 101 Abs. 1, 213 Abs. 1 und 2, Ziff. 1 und 3, Abs. 3 StGB, §§ 178 Abs. 1, 180 StGB);4 (»Spiegel«-Artikel: Terror, Gefährdung des Weltfriedens, Verherrlichung des Revanchismus und Faschismus in der BRD). Einlieferung in StVE Cottbus: 3.10.1974. Vorstrafe: Ein Jahr Freiheitsentzug wegen Fahnenflucht (§ 254 StGB),5 verbüßt vom September 1968 bis September 1969 im Strafvollzugskommando Schwedt/Oder. Aus dem Strafvollzug in die BRD entlassen: 26.5.1976.
Während der Verbüßung der Strafe im Jahre 1968/69 (Fahnenflucht; nicht wie im »Spiegel«-Artikel wegen »Nichtanzeige einer Fahnenflucht«) unternahm Pfeil bereits die ersten, gezielten Maßnahmen, mit dem MfS in Verbindung zu kommen. Reue und positive politische Grundhaltung vortäuschend, bot er dem Mitarbeiter des Strafvollzugskommandos an, nach einer legalen Übersiedlung in die BRD der »DDR von Nutzen zu sein«.
Im Rahmen der operativen Bearbeitung des Pf. während des Strafvollzuges wegen des Verdachtes der Sammlung von Nachrichten konnte durch zuverlässige inoffizielle Quellen erarbeitet werden, dass sein erklärtes Ziel darin bestand, mit allen Mitteln zu versuchen, legal bzw. ungesetzlich die DDR zu verlassen und er dazu die Verbindung zum MfS suchte, um »später einmal offiziell die Grenze nach Westdeutschland überschreiten zu können, um … gegen die DDR arbeiten zu können«. Nach der Strafverbüßung bzw. seiner Entlassung aus der NVA wollte er »alles unternehmen, um gegen diesen Staat und dieses menschenunwürdige Regime« zu arbeiten. Dazu beabsichtigte er, die Tätigkeit in einer Bar in Plauen für seine »konspirative politische Tätigkeit« zu nutzen (vgl. Bericht des IM »Bernhard« vom 15.7.1969). Adressen und belastendes Material sammelte er vor allem von Strafgefangenen, die Spezialeinheiten angehörten, um sie nach Entlassung aus der NVA erpressen zu können.
Während des Grundwehrdienstes einschließlich der Zeit der Strafverbüßung hatte Pf. nie Kontakt zum MfS. Er wurde im Rahmen seiner operativen Bearbeitung durch den Mitarbeiter des Strafvollzugskommandos abgeschöpft, ohne ihm konkrete Aufträge zu anderen Strafgefangenen zu erteilen.
Am 15. Februar 1971 unternahm Pf. erneut den Versuch, mit dem MfS in aktiven Kontakt zu kommen. Bei einer Vorsprache in der Kreisdienststelle Plauen bat er um die Erteilung der Genehmigung zum legalen Verlassen der DDR und verband diese Bitte mit dem Vorschlag, nach der Übersiedlung für das MfS zu arbeiten. Er wollte dazu auf pädagogischem Gebiet eingesetzt werden. Die Kreisdienststelle ging auf dieses Angebot nicht ein.
Pfeil wurde von der Kreisdienststelle Anfang 1974 unter operative Kontrolle gestellt, nachdem er seit 1971 achtmal aufgrund eigener Initiativen die Arbeitsstellen wechselte (Buna, Merkers/Werdau) und seit Januar 1974 als Kassierer in der »Teddy«-Bar in Plauen sein letztes Arbeitsrechtsverhältnis aufgenommen hatte.
Im Rahmen der operativen Absicherung des Pf. wurde durch IM sein Plan zum gewaltsamen Grenzdurchbruch mit Geiselnahme (vietnamesische Studentinnen; am Tag des Fußballweltmeisterschaftsspiels DDR – BRD;6 Grenzübergangsstelle in der Hauptstadt der DDR zu Westberlin) aufgeklärt. Seine Festnahme und Überführung zur Abteilung IX der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt erfolgte am 11.6.1974.
Bereits in der Erstvernehmung des Pf. am 11.6.1974 wurden alle wesentlichen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale zum Nachweis des Terrors und des ungesetzlichen Grenzübertritts in Vorbereitung zum schweren Fall erarbeitet (»Spiegel«-Artikel: nach 59 Tagen habe er das Unumgängliche gestanden!).
Am 23.7.1974 wurde der Vorgang abgeschlossen und an den Staatsanwalt zur Anklageerhebung übergeben, worauf ab 23.9.1974 vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichtes Karl-Marx-Stadt verhandelt wurde.
Während des Aufenthaltes des Pf. in der Untersuchungshaftanstalt der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt vom 11.6.1974 bis 3.10.1974 wurde er weder von der Abteilung IX noch von der Abteilung XIV oder anderen operativen Diensteinheiten des MfS inoffiziell operativ genutzt. Pfeil hat in der Untersuchungshaft, außer seine unmittelbaren strafbaren Handlungen betreffend, zehn Niederschriften zu Personen und Sachverhalten (u. a.: Situation im Gaststättenwesen, BSG Motor WEMA Plauen, VEB Fleischkombinat Plauen) angefertigt, soweit er diese Fakten bei Vernehmungen selbst angegeben hat. Dies entspricht der allgemeinen Praxis in der Vernehmungstätigkeit. So fertigte er u. a. Niederschriften über seine persönlichen Verbindungen an, unter denen sich auch zwei Fußballspieler befanden, die er aus Plauen kannte und die für kurze Zeit (jeweils ca. 1 Jahr) beim FC Karl-Marx-Stadt trainierten bzw. spielten (15 Zeilen und eine Seite!).
Nach Überprüfung der von Pfeil niedergeschriebenen Fakten und Einschätzungen durch die zuständigen operativen Diensteinheiten der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt wurde festgestellt, dass die objektiven Fakten dieser Informationen in der Regel der Wahrheit entsprachen, die Einschätzungen, Vermutungen und Behauptungen oft nicht bestätigt werden konnten. Die Angaben Pfeils im »Spiegel« über angebliche Misshandlungen während der Untersuchungshaft sind vollständig erlogen.
Ab 3.10.1974 befand sich Pfeil in der StVE Cottbus, bis er am 3.5.1976 in die StVE Karl-Marx-Stadt verlegt und von dort in die BRD ausgewiesen wurde. (Die Hauptabteilung IX hat im Juni 1976 über Pfeil bei der Hauptabteilung VI Einreisesperre eingeleitet.)
Pfeil hat sich nach einem Jahr Strafverbüßung schriftlich beim Offizier für Kontrolle und Sicherheit des Strafvollzugs (Oltn. Kunze, Angehöriger der K, Dezernat 1/47 – ehemaliger Mitarbeiter der Kreisdienststelle Cottbus) gemeldet, um ihm seine Mitarbeit anzubieten. Als Motiv seines Angebotes gab Pfeil an, sich damit die Möglichkeit der Wiedereinreise in die DDR zu seinen Großeltern nach seiner legalen Übersiedlung in die BRD, von der er absolut überzeugt war, zu erhalten. (Von Strafgefangenen wird die StVE Cottbus u. a. als »Außenstelle des Aufnahmelagers Gießen«8 bezeichnet; 70–80 % der Strafgefangenen der StVE Cottbus wurden in die BRD entlassen.) Nach Abstimmung mit der Abteilung VII der Bezirksverwaltung Cottbus wurde entschieden, den Pfeil durch die Arbeitsrichtung 1/4 unter Kontrolle zu halten und ihn abzuschöpfen. Er erhielt keine Aufträge und wurde im Prinzip nur angehört, wenn er sich zu einer Aussprache meldete. So informierte er den OKS über Missstände im Strafvollzug, über Verstöße gegen Ordnung und Sicherheit sowie über viele Strafgefangene, u. a. auch über die im »Spiegel« genannten Strafgefangenen Benes, Pechmann und Pietsch,9 da er mit ihnen gemeinsam über eine Periode von mehreren Monaten im Produktionsbereich »Pentacon«10 tätig war. Er wurde niemals beauftragt, über diese oder andere Strafgefangene bzw. über deren Verbindungen zu anderen Leistungssportlern oder ins kapitalistische Ausland zu berichten.
Von Januar 1976 bis zu seiner Ausweisung übergab Pfeil dem OKS laufend Informationen über illegale Briefbeförderungen durch einen Zivilmeister des VEB »Pentacon«, die im Wesentlichen der Wahrheit entsprachen, vorhandene Informationen bestätigten und zur Einleitung weiterer operativer Maßnahmen dienten. Durch diese Informationen, neben anderen, wurden Voraussetzungen geschaffen, dass der Operative Vorgang der Abteilung VII (Reg.-Nr. VI/174/76, § 247 StGB – »Bestechung«)11 abgeschlossen werden konnte. Der Zivilmeister wurde aus dem Betrieb entlassen.
Bezeichnend für Pfeil ist, dass er erst zu dem Zeitpunkt dem OKS diese Informationen weiterleitete, nachdem er den Zivilmeister selbst erpresst hatte und eigene Briefe befördern ließ sowie andere Strafgefangene diese Möglichkeit aufgrund seiner Information ebenfalls ausgenutzt hatten.
Das Angebot des Pfeil an den OKS zur Zusammenarbeit muss auch im Zusammenhang betrachtet werden mit seinem abgebauten Prestige unter den Strafgefangenen, als bekannt wurde, dass er zu einem anderen Strafgefangenen homosexuelle Beziehungen aufgenommen hatte. Nach Bekanntwerden dieser Beziehungen im Januar 1976 wurde dieser Strafgefangene innerhalb der StVE verlegt. Eine schriftliche Bitte des Pfeil an den OKS, diese Entscheidung rückgängig zu machen, wurde abgelehnt. Dennoch konnte Pfeil diese Beziehungen zu diesem Strafgefangenen weiter pflegen. Ein im Dezember 1975 genehmigter Antrag des Pfeil an den Abteilungsleiter Erziehung der StVE, ihm und diesem Strafgefangenen in der Freizeit einen freien Verwahrraum zur Ausarbeitung eines offiziellen Verbesserungsvorschlages zur Verfügung zu stellen (Arbeitsbedingungen im Tri-Raum des Produktionsbereiches des VEB »Pentacon«), wurde nicht rückgängig gemacht. Diese Möglichkeit – meist sonntags zwischen 13.00 Uhr und 18.00 Uhr – wurde vom OKS genutzt, um Pfeil und den anderen Strafgefangenen, dieser hatte sich inzwischen auf Initiative des Pfeil auch zur Zusammenarbeit angeboten, abzuschöpfen.
Unabhängig von der Verbindung des Pfeil zum OKS, bei dem ihm zu jeder Zeit bewusst war, dass es sich um einen Mitarbeiter des Strafvollzugs handelt, versuchte er ständig, bis zu seiner Ausweisung unter Ausschaltung des OKS und später mit der Bitte um seine Hilfe, Kontakt zum MfS herzustellen. So schlägt Pfeil in einem Brief »An den zuständigen Mitarbeiter des MfS!« vor, im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem MfS nach der Übersiedlung Kontakt herzustellen zur Organisation Mierendorff (Westberlin),12 zum CIA, zu einem Journalisten des »Spiegel« und zu einem Korrespondenten von DPA (letztere operativ angefallen im Zusammenhang mit der operativen Bearbeitung der Schleuserorganisation Mierendorff, erfasst für Hauptabteilung VI).
Aufgrund der Überprüfungen der Abteilung VII der Bezirksverwaltung Cottbus, u. a. bei der Kreisdienststelle Plauen, und der Auswertung des vorhandenen operativen Materials über Pfeil (Schwedt/Oder) wurde zu ihm während der Strafverbüßung durch das MfS kein Kontakt aufgenommen. Alle Darlegungen im »Spiegel« in diesem Zusammenhang sind vollständig erlogen.
Die Überprüfungen in der Abteilung XII des MfS ergaben, dass Pfeil nur für die Kreisdienststelle Plauen im Zusammenhang mit dem geplanten Grenzdurchbruch KK-erfasst ist. Eine Erfassung des Pfeil für das MfNV, Verwaltung Aufklärung, u. a. Organe, liegt nicht vor.
Der Untersuchungsvorgang der Abteilung IX der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt wurde von anderen operativen Diensteinheiten nicht ausgeliehen.
Der Pfeil behauptet im »Spiegel«-Artikel, dass er am 3.10.1976 durch einen Dr. Svoboda vom MfS beauftragt worden sei, Informationen über eine Radarstation zu beschaffen. Bei der Abteilung XII des MfS ist ein Dr. Swoboda, Franz-Xaver, München, Rechtsanwalt, für die HV A/IX (Genosse Dr. Koppelt) in einem Sicherungsvorgang erfasst. Mit der HV A wurde noch keine Rücksprache geführt.
2. Zum Persönlichkeitsbild des Pfeil
Pfeil wurde von den Großeltern in Plauen erzogen, da seine unverheiratete Mutter 1950 ungesetzlich die DDR verließ und in der BRD ihren Wohnsitz nahm.
Er besuchte von 1955 bis 1964 die Grundschule in Plauen. (Pfeil ist nie an der Kinder- und Jugendsportschule Karl-Marx-Stadt gewesen!) Die begonnene Lehre als Bäcker gab er nach sechs Monaten wieder auf, weil er nicht in Schicht arbeiten wollte. Anschließend ließ er sich als Glühlampenfacharbeiter ausbilden, arbeitete aber nach der Lehre als Fräser (ohne Berufsausbildung) im VEB WEMA Plauen.
Von Mai 1968 bis Oktober 1969 war Pfeil Angehöriger der NVA. Während dieser Zeit verbüßte er eine Strafe wegen versuchter Fahnenflucht (1 Jahr).
Weitere Arbeitsstellen:
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Oktober 1969 bis März 1970 (6 Monate) VEB WEMA Plauen – Fräser
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April 1970 bis Dezember 1970 (9 Monate) Sportstättenverwaltung Plauen – Maschinist
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Januar 1971 bis April 1971 (4 Monate) ohne Arbeit; Versuch, beim 1. FC Union13 »anzukommen«
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März 1971 bis August 1971 (6 Monate) FDJ-Kreisleitung Buna-Schkopau – Instrukteur (nach eigenen, noch nicht überprüften Aussagen: mit falschen Angaben im Personalfragebogen Einstellung erschlichen)
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August 1971 bis Dezember 1971 (5 Monate) VEB Kalibetrieb »Werra«, Objekt »Ernst Thälmann«, Regenerierungswerkstatt – Handwerker und Sportinstrukteur
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Dezember 1971 bis April 1972 (5 Monate) VEB Weimar-Kombinat – Schlosser
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Mai 1972 bis November 1972 (7 Monate) VEB Kfz-Werk »Ernst Grube« Werdau – Schlosser
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Dezember 1972 bis Januar 1974 (12 Monate) VEB Fleischkombinat Plauen – Schlosser
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Januar 1974 bis Festnahme 11.6.1974 (6 Monate) HO-Kreisbetrieb Plauen, »Teddy«-Bar – Kassierer
Zur sportlichen Betätigung wurde bekannt:
Pfeil war niemals ein »bekannter Fußballspieler« noch Trainer. Er spielte bei der BSG WEMA Plauen14 Fußball.
Von Januar 1971 bis Juli 1971 war er als Übungsleiter für die 1. Jugend- und 1. Schülermannschaft in der BSG Chemie Buna-Schkopau verantwortlich. Während dieser Zeit zeichnete er sich durch Arroganz und Überheblichkeit aus, was auch zur Ablehnung seines Versuches führte, sich als hauptamtlicher Funktionär in Leitungsfunktionen der BSG wählen zu lassen. Ein vorgesehenes Disziplinarverfahren für die BSG Chemie Buna wegen der Abwerbung von Spielern der 1. Männermannschaft von Motor WEMA Plauen (damals DDR-Liga)15 durch Pfeil wurde nicht durchgeführt, da nach entsprechendem Einfluss die Spieler nicht übernommen wurden. Mit Schreiben vom 19. Juli 1971 wurde ihm vom Bezirksfachausschuss Fußball des Bezirkes Halle mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Verfehlungen aller Funktionen enthoben ist. Der Bezirksfachausschuss Fußball Karl-Marx-Stadt hatte einen analogen Beschluss bereits 1970 gefasst.
Anschließend war Pfeil ca. drei Monate im Sportbüro des VEB Kalibetrieb »Werra« als Instrukteur für den Nachwuchs eingesetzt. Von einer vorgesehenen Qualifizierungsmaßnahme als Nachwuchstrainer für die Junioren wurde jedoch Abstand genommen, da Pfeil aufgrund seiner ablehnenden Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung auch negativen Einfluss auf die Sportler ausübte und westliche Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie Presseerzeugnisse verbreitete. Außerdem hatte Pfeil wegen seiner vielfältigen Schulden und nicht eingehaltenen Versprechungen unter den Sportlern keinen guten Leumund. Pfeil kündigte am 4.12.1971 sein Arbeitsrechtsverhältnis, da er nicht als Nachwuchstrainer eingesetzt wurde. (Entgegen stehen die Lügen im »Spiegel«: Pfeil habe die Ligamannschaft trainiert und sei wegen seiner Nichtteilnahme an der Volkswahl entlassen worden. Es liegen keine Hinweise vor, dass Pfeil 1971 nicht an der Wahl teilgenommen hat.)
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Gegenüber Personen, zu denen er Vertrauen hatte, machte er aus seiner negativen Einstellung zur DDR und der Absicht, sie zu verlassen, um gegen uns arbeiten zu können, keinen Hehl. Er verstand es, alle wahrgenommenen Gegebenheiten und Erscheinungen seiner unmittelbaren Umwelt in seinem Sinne kritisch zu verarbeiten und in seinem Interesse zu modifizieren, zu färben, zu verherrlichen oder auch besonders überzubetonen, sodass er bei vielen Personen vorerst glaubwürdig erschien und von diesen oft erst durch eigenes Erleben durchschaut wurde. Aufgrund seines relativ gut entwickelten psychologischen Sinns ist er in der Lage, die Situation schnell zu erfassen und seinen Gesprächspartner zu erkennen und zu analysieren.
3. Zu beachtende operative Verbindungen und Fakten zu Pfeil
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Zu den im »Spiegel«-Artikel genannten drei Mitstrafgefangenen, über die Pfeil angeblich berichten sollte, wurde festgestellt:
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Pechmann, Matthias – ehemaliger Schwimmer. P. steht durch die Abteilung XX der Bezirksverwaltung Leipzig unter operativer Kontrolle wegen erneuter Vorbereitungshandlungen zum Verlassen der DDR. Im Vordergrund steht dabei das Bestreben, durch ständige Antragstellung auf Übersiedlung sein Ziel letztlich zu erreichen. P. hat Verbindung zu Schwimmern der BRD, denen er u. a. ähnliche Informationen über die ehemalige Schwimmerin Gabriele Wetzko-Hunger lieferte, wie sie Pfeil in den Veröffentlichungen der »BZ« und der »Morgenpost« vom 10.2.197716 verleumderisch darlegte. Kontakte zu Pfeil sind nicht bekannt.
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Benes, Volker – ehemaliger Trainer SV Dynamo.17 B. wird gegenwärtig vom Leiter der Kreisdienststelle Schwedt/Oder als IMS genutzt und als ehrlich eingeschätzt. Aktive Kontakte nach der BRD bzw. Westberlin sind nicht vorhanden. Eine operative Nutzung in dieser Richtung ist nicht vorgesehen. (Benes schätzte als Strafgefangener in Berlin in einer Niederschrift vom März 1975 zu Pfeil – im Mai 1976 in die BRD entlassen – ein, dass Pfeil bereit wäre, »vor den entsprechenden antikommunistischen Polizeiorganen verleumderische, das Ansehen der DDR schädigende Informationen zu liefern, hauptsächlich darum, um durch entsprechende antikommunistische Propaganda sich den finanziellen Nährboden für seine Bauvorhaben abzusichern«.
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Pietsch, Rodolf – ehemaliger Abteilungsleiter im VEB VTA »Kirow« Leipzig.18 P. wurde am 11.8.1976 in die BRD entlassen.
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- 2.
Im »Spiegel« vom 14.2.1977 wurden in Kenntnis des Charakters von Pfeil Meinungen von ehemaligen Strafgefangenen über Pfeil wiedergegeben, in denen sie sich über Pfeil empören und u. a. zum Ausdruck bringen, dass
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die Darstellung der Behandlung der Strafgefangenen Übertreibungen seien,
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seine Behauptung, zur Fußballprominenz der DDR gehört zu haben, »der Phantasie dieses Menschen entstammt«,
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Pfeil andere Strafgefangene zu Handlungen inspirierte, um sie dann bei der Strafvollzugseinrichtung zu belasten.19
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Schirmer [Unterschrift], Major
4. Schlussbemerkung
Bei den durchgeführten Überprüfungen wurde festgestellt, dass im Zusammenhang mit Entlassungen aus dem Strafvollzug in die BRD oft Situationen entstehen, die sich nachteilig auf die weitere Arbeit von operativen Diensteinheiten des MfS sowie des Dezernates I/4 auswirken.
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Da in der Regel mit den operativen bzw. territorial zuständigen Diensteinheiten keine zentrale Abstimmung erfolgt bzw. diese oft erst einen Tag vor der Verlegung (mit Sonder-Dokument) erfolgt, besteht in vielen Fällen keine Möglichkeit, entsprechend den operativen Interessen auf diese Entscheidung Einfluss zu nehmen. So gab es beispielsweise in der StVE Cottbus eine Situation, in der die Arbeitsrichtung I/4 und die Abteilung VII ohne Quellen und andererseits eine mögliche operative Nutzung nach Entlassung nicht vorbereitet war.
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Nach unseren bisherigen Feststellungen wird vor der zentralen Entscheidung über eine mögliche Entlassung in die BRD (im untersuchten Fall stand der Zeitpunkt der Entlassung mindestens ca. 5 Monate vorher bereits fest!) nicht umfassend geprüft, welches operative Material über die betreffende Person bei den operativen Diensteinheiten vorliegt (außer dem, was zur Verurteilung führte), und welche operativen sowie politischen Konsequenzen sich nach Entlassung in die BRD ergeben könnten.
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Es erscheint u. E. auf keinen Fall als operativ ausreichend, nach Entlassung in die BRD durch die Hauptabteilung IX über die betreffende Person Einreisesperre bei der Hauptabteilung VI einzuleiten. Es wäre operativ notwendig, die operativ zuständigen bzw. die objektmäßig und territorial zuständigen operativen Diensteinheiten über die Entlassung zu unterrichten, die in Abhängigkeit vom vorhandenen operativen Material, von der Person und von anderen Zusammenhängen die erforderlichen operativen Maßnahmen einzuleiten haben.
Schirmer | Major