Übersiedlungsersuchen der Ostberliner Schriftstellerin Jutta Bartus
31. Oktober 1977
Information Nr. 679/77 über Haltung und Aktivitäten der Bartus, Jutta, im Zusammenhang mit ihrem rechtswidrigen Übersiedlungsersuchen
Die Bartus, gesch. Endler, gesch. Wagner, Jutta, geb. am 11.1.1926 in Breslau, wohnhaft: 1055 Berlin, [Adresse], Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, Mitglied der SED seit 1964, ist seit 1955 (nach ihrer Rückkehr aus der BRD, wohin sie 1950 übergesiedelt war) als freischaffende Schriftstellerin tätig.
Sie verfasste mehrere Hörspiele, Bücher für Fernsehfilme, Gedichte und Lieder, die nach Ansicht von Experten nur mittelmäßiger literarischer Qualität waren und wenig Publikumswirksamkeit hatten. Seit ca. zwei Jahren ist sie literarisch nicht mehr produktiv tätig […]
Seit den konterrevolutionären Ereignissen 1968 in der ČSSR1 trat die Bartus wiederholt politisch-negativ, insbesondere zur Kulturpolitik von Partei und Regierung, in Erscheinung.
In der Folgezeit bekundete sie mehrfach ihre Sympathie für Biermann und forderte Ende 1975 in einer Mitgliederversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes die Rehabilitierung Biermanns. Die Bartus solidarisierte sich mit den Unterzeichnern der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Biermanns2. Sie bedauerte, nicht zu den Unterzeichnern der Protestresolution zu gehören und vertrat die Meinung, diese Protestresolution hätte unter Beteiligung weiterer Schriftsteller noch gründlicher vorbereitet werden müssen. Seit dieser Zeit unterhielt sie zu Sarah Kirsch bis zu deren Ausreise aus der DDR persönlichen Kontakt und billigte deren feindliche Auffassungen und Verhaltensweisen.
1975 wurde ihr Sohn [Vorname Name] wegen Fahnenflucht und versuchtem gewaltsamen Grenzdurchbruch zu mehreren Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Bartus verbreitete in diesem Zusammenhang in ihrem Bekanntenkreis die Behauptung, ihr Sohn wäre zu Unrecht verurteilt worden, da er für seine Handlung nicht zurechnungsfähig sei. Im Gerichtsverfahren wurde die Zurechnungsfähigkeit durch ärztliche Gutachten erwiesen.
Am 18.10.1977 informierte Jutta Bartus mündlich die Abteilung Innere Angelegenheiten beim Rat des Stadtbezirks Berlin-Prenzlauer Berg darüber, dass sie dem ZK der SED schriftlich ihre Absicht zur Übersiedlung in die BRD mitgeteilt habe.
Es wurde bekannt, dass die Bartus folgende Gründe für ihre Übersiedlungsabsicht anführte:
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Die Übersiedlung der Sarah Kirsch in die BRD habe sie zutiefst erschüttert;
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ihr Sohn sei aus den oben angeführten Gründen »zu Unrecht« verurteilt;
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sie befinde sich in einer Notlage, da »viele ihrer Manuskripte« nicht gedruckt würden;
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sie hätte keine finanziellen Mittel mehr und wisse nicht, wovon sie leben solle, weshalb sie bereits ihren Pkw habe verkaufen müssen;
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ihre Unterstützungsanträge beim Schriftstellerverband würden so behandelt, dass es für sie eine »Erniedrigung« bedeute.
Durch den Schriftstellerverband eingeleitete Überprüfungen ergaben, dass die von der Bartus angeführten Gründe nicht den Tatsachen entsprechen und eine Verleumdung des Schriftstellerverbandes darstellen.
Am 27.10.1977 wurde der Bartus in einem Gespräch beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Prenzlauer Berg, Abteilung Innere Angelegenheiten, mitgeteilt, dass ihr Ersuchen auf Übersiedlung rechtswidrig und deshalb zurückgewiesen ist. Jutta Bartus brachte in diesem Gespräch zum Ausdruck, dass ihre Absicht, die DDR zu verlassen, endgültig sei.