Unberechtigtes Verlassen der Transitstrecke durch zwei Franzosen
10. Oktober 1977
Information Nr. 618/77 über das unberechtigte Verlassen der Transitwege zwischen der BRD und Berlin (West) durch zwei französische Staatsbürger am 19.9.1977
Am 19.9.1977, um 17.35 Uhr, erschienen die französischen Staatsbürger [Name 1, Vorname 1], geb. am: [Tag] 1925 in Carmaux, wohnhaft: [Adresse], und dessen Tochter [Name 1, Vorname 2], geb. am: [Tag] 1958 in Albi, wohnhaft: wie Vater, mit dem Pkw Typ »Citroen«, amtliches Kennzeichen […], an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße, um nach Berlin (West) auszureisen.
Bei der Ausreiseabfertigung nach Berlin (West) wies sich der [Name 1, Vorname 1] mit dem französischen Personaldokument Nr. […] (siehe Dokumentation) sowie einer Laissez-passer (Reiseanlage – ohne Nummer) aus, in welchem für [Name 1] die Bestätigung für eine Reise von Helmstedt nach Berlin (West) und zurück im Zeitraum vom 19.9. bis 28.9.1977 vermerkt ist. Die Tochter des [Name 1], [Name 1, Vorname 2], wies sich ebenfalls mit einem französischen Personaldokument (Nr. […] – siehe Dokumentation) und einer Laissez-passer (mit gleichem Inhalt wie bei [Name 1, Vorname 1]) aus. Des Weiteren führten der [Name 1, Vorname 1] und seine Tochter je einen ordre de route (Dienstreiseauftrag, ohne Nummer, unterschrieben am 30.8.1977 von Le General Chef du Gouvernement Militaire Français de Berlin, in welchem ihnen die Berechtigung für eine ungehinderte Reise nach Berlin (West) und zurück in der Zeit vom 19.9. bis 28.9.1977 erteilt wurde) mit sich.
Da sich beide Personen im Besitz von Reisedokumenten befanden, die nicht von den Grenzkontrollorganen der DDR ausgestellt waren, aus den von ihnen mitgeführten Dokumenten jedoch ersichtlich war, dass die ordre de route beider Personen am 19.9.1977, 12.10 Uhr, mit Stempel der Gendarmerie Française P.C.R. Helmstedt (siehe Dokumentation), die Laissez-passer beider Personen am 19.9.1977 (bei [Name 1, Vorname 1] mit der Uhrzeit 12.45 Uhr) von Angehörigen der GSSD an der Grenzübergangsstelle Marienborn mit einem Stempel versehen worden sind (siehe Dokumentation), erfolgte die weitere Klärung des Sachverhaltes unter Einbeziehung des Kommandanten der GSSD an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße.
In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass sich der [Name 1, Vorname 1] und seine Tochter am 19.9.1977 auf einer Transitreise von Marienborn nach Drewitz befanden, rechtswidrig von der Transitstrecke abgewichen sind, in die Hauptstadt der DDR, Berlin, einreisten und sich zur Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße begaben, um nach Berlin (West) auszureisen. Auf Befragung durch Angehörige der Passkontrolleinheit erklärte [Name 1], dass er sich verfahren habe.
Im Ergebnis der Klärung des Sachverhaltes wurde vom Kommandanten der GSSD an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße entschieden, dass beide Personen nicht über die Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße, sondern über die Grenzübergangsstelle Drewitz nach Berlin (West) auszureisen haben. Daraufhin wurden [Name 1, Vorname 1] und seine Tochter am 19.9.1977, um 18.15 Uhr, nach Drewitz verwiesen, wo sie am 20.9.1977, 2.15 Uhr, in der für den Transitverkehr militärischer Personen und Güter der in Berlin (West) stationierten drei westlichen Besatzungstruppen vorgesehenen Spur zur Ausreise nach Berlin (West) erschienen und – wie bereits an der Grenzübergangsstelle Marienborn – von Angehörigen der GSSD abgefertigt wurden.
Den zuständigen Organen der DDR liegen aus den von [Name 1, Vorname 1] und seiner Tochter mitgeführten Personaldokumenten keine Hinweise darauf vor, dass es sich bei ihnen um französische Militärpersonen handelt.
Aus einer Äußerung des [Name 1] gegenüber einem Angehörigen der Passkontrolleinheit ist lediglich bekannt, dass er seinen Schwiegersohn, der bei den in Berlin (West) stationierten französischen Besatzungstruppen Dienst versehe, besuchen wolle.
Bezüglich der Nichtfeststellung der Abweichung dieser Personen von der vorgeschriebenen Transitstrecke Marienborn–Drewitz und ihrer Ankunft an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ist zu bemerken, dass die von [Name 1] angegebene Begründung des Verfahrens als glaubhaft eingeschätzt wird. Den zuständigen Organen der DDR liegen keine Hinweise darauf vor, dass [Name 1, Vorname 1] bereits in der Vergangenheit eine derartige Transitreise durch die DDR durchgeführt hat, sodass sein Handeln auf Ortsunkenntnis und der Nichtbeherrschung der deutschen Sprache bei der Einschätzung der Richtungs-Beschilderung der Transitstrecken der DDR nach Berlin (West) über die Grenzübergangsstelle Drewitz zurückzuführen sein dürfte. Derartige Fehlverhaltensweisen werden bei Transitreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten des Öfteren festgestellt. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass von den zuständigen Organen der DDR auf den Transitstrecken keine Feststellungen über anderweitige Rechtsverletzungen des [Name 1, Vorname 1] und seiner Tochter während seiner Transitreise am 19.9.1977 bekannt wurden, die ein Einschreiten der zuständigen Organe der DDR erforderlich gemacht hätten. Eine vorzeitigere Feststellung der Transitabweichung ist in der Regel kaum möglich.
Seitens der Grenzkontrollorgane der DDR wurden bisher keine Feststellungen über die Rückreise des [Name 1, Vorname 1] und seiner Tochter von Berlin (West) nach der BRD getroffen. (Die in der Anlage befindliche Dokumentation der Personal- und Reisedokumente der französischen Staatsbürger [Name 1, Vorname 1] und [Vorname 2] ist nur zur internen Auswertung für den Gesandten der Botschaft der UdSSR in der DDR, Genossen Chotulew, bestimmt. Eine Verwendung gegenüber Behörden der französischen Militäradministration ist nicht möglich.)
Bei eventuell notwendig werdenden Rückfragen wird gebeten, diese direkt an das Ministerium für Staatssicherheit zu richten. Das betrifft auch eventuell auftretende Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt von Angehörigen der in Westberlin stationierten drei westlichen Besatzungsmächte in die Hauptstadt der DDR, Berlin.
[Anlage 1 zur Information Nr. 618/77]
[Dokumentation der Personal- und Reisedokumente (nicht überliefert).]
»Anlage« 2 zur Information Nr. 618/77
Vermerk über ein Gespräch des Genossen Mitdank mit dem Gesandten der Botschaft der UdSSR, Genossen Chotulew, am 20.9.1977 im MfAA
Abteilung Westberlin | Berlin, 20.9.1977
Genosse Ch. teilte mit, dass die sowjetischen Militärbehörden über die Verletzung der für den Transitverkehr der Westmächte geltenden Bestimmungen durch einen Angehörigen der französischen Streitkräfte informiert haben. Nach diesen Informationen ist ein französischer Militärangehöriger in den Abendstunden des 19. September auf der Fahrt von Marienborn nach Westberlin nicht wie den Festlegungen entsprechend über Drewitz eingefahren, sondern durch die Hauptstadt der DDR. Am Grenzübergang Friedrichstraße habe der französische Militärangehörige nach Westberlin ausreisen wollen. Diese Ausreise sei ihm verweigert worden. Daraufhin habe der Franzose die Rückreise angetreten und sei über Drewitz nach Westberlin eingereist.
Genosse Ch. bemerkte, es sei bedauerlich, dass der französische Militärangehörige nicht früher bereits durch die entsprechenden Kontrollposten der DDR gestellt und an der Weiterfahrt gehindert worden sei. Er bat um nähere Information über diese Angelegenheit. Weiter äußerte Genosse Ch., dass nach Ansicht der sowjetischen Stellen dieses Vorkommnis offenkundig bewusst herbeigeführt worden sei, um die Haltung der Kontrollorgane der DDR bzw. der UdSSR zu testen.
Nach Vorliegen der genauen Fakten beabsichtige die sowjetische Seite, gegen diese Verletzung der Festlegungen im Militärtransitverkehr Verwahrung einzulegen. Dabei sollen die Behörden der Westmächte aufgefordert werden, künftig derartige Abweichungen im Transitverkehr auszuschließen.
Der Unterzeichner nahm an dem Gespräch teil.
Burger