Untersuchung einer Havarie im Kaliwerk Zielitz
11. März 1977
Information Nr. 157/77 über die vorliegenden Untersuchungsergebnisse im Zusammenhang mit der Aufklärung der Ursachen der schweren Havarie im VEB Kaliwerk Zielitz, [Kreis] Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, am 3.2.1977
Am 3.2.1977, gegen 20.35 Uhr, kam es im VEB Kaliwerk Zielitz, [Kreis] Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, in und an der Schachtförderanlage I zu einer schweren Havarie. Durch das automatische Auslösen eines elektrischen Impulses wegen »zu hoher Fördergeschwindigkeit« wurde die Fördermaschine außer Betrieb gesetzt. Laut Schaltplan der Automatik hätte sofort die Betriebsbremse bzw. bei deren Versagen die Sicherheitsbremse wirksam werden müssen. Beide Bremsen wurden jedoch nicht wirksam, sodass das mit 50 t Rohsalz beladene volle Fördergefäß infolge des Eigengewichts seine Bewegungsrichtung umkehrte und in den Schachtsumpf stürzte. Das leere Gegenfördergefäß wurde über die übertägigen Steuer- und Begrenzungsschalter hinaus in den Prellträger des Förderturmes getrieben. Erhebliche Beschädigungen der Fördergefäße, der Ober- und Unterseile sowie von Schachteinrichtungen waren die Folge.
Es trat kein Personenschaden ein. Nach vorliegenden Angaben beträgt der Sachschaden ca. 1,2 Mio. Mark. Die gesamte Förderleistung und Produktion des VEB Kaliwerk Zielitz (2 500 t Kalidüngemittel/Tag) war für die Zeit vom 3.2. bis 21.2.1977 unterbrochen.
Nach entsprechenden Hinweisen der Ökonomen des Industriezweiges Kali könne der eingetretene Produktionsausfall trotz eingeleiteter Sondermaßnahmen im Verlaufe des Jahres 1977 nicht mehr vollständig aufgeholt werden. Die Exportverpflichtungen der DDR würden jedoch dadurch nicht beeinträchtigt werden.
Die gemeinsam mit Spezialisten der Obersten Bergbehörde und der Technischen Überwachung eingeleiteten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen der schweren Havarie führten zu folgendem Ergebnis:
Durch die technische Untersuchung des Hydrauliksystems der Bremseinrichtung konnte festgestellt werden, dass nach Stillstand der Fördermaschine das Vorsteuerventil der Hydraulik für die Betriebs- und die Sicherheitsbremse nicht wirksam wurde. Das führte zur vorübergehenden Blockierung des Hydrauliksystems der gesamten Bremseinrichtung, sodass beide Bremsen nicht wirksam werden konnten.
Die Fachexperten stellten im Rahmen der Untersuchungen eindeutig fest, dass das Versagen und Blockieren des Vorsteuerventils auf unsachgemäß ausgeführte Prüfhandlungen (Benutzen scharfkantiger Werkzeuge), auf Beschädigungen und Verschleißerscheinungen am Stößelschalter des Vorsteuerventils (Abbruch von Pressstoffteilen, Beschädigung von Dichtungen) und auf defekte Funktionsteile infolge unzureichend durchgeführter Instandhaltungsarbeiten zurückzuführen ist. (Die Vorsteuerventile im Hydrauliksystem der Bremsanlage bilden bereits seit Jahren einen absoluten Schwerpunkt im Störgeschehen des VEB Kaliwerk Zielitz.)
In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass am Havarietag bereits 19 Störungen im elektrischen und hydraulischen Teil der Schachtförderanlage I aufgetreten waren. Die Häufung derartiger Störungen nahmen die Verantwortlichen jedoch nicht zum Anlass, eine intensive Ursachenforschung einzuleiten und entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der Störquellen anzuweisen.
Im VEB Kaliwerk Zielitz wurden in der Vergangenheit eine Reihe von Verletzungen der Bestimmungen der ABAO 120/21 – Bergbausicherheit im Bergbau unter Tage – zugelassen. Beispielsweise waren die der Bergbausicherheit dienenden Instandhaltungsarbeiten von bergbaulichen Anlagen, Geräten und Maschinen nicht immer gewährleistet bzw. für Prüfvorgänge wurden stets scharfkantige Werkzeuge, die u. a. auch zur Beschädigung der Vorsteuerventile führten, benutzt.
Im Rahmen der Untersuchungen konnten eine Reihe weiterer Mängel und Missstände, insbesondere bei der Wartung, Pflege und Instandhaltung der Anlagen, die nicht unmittelbar zur Auslösung der schweren Havarie beigetragen haben, aufgedeckt werden. Dazu gehören in erster Linie die ungeeignete Bauart der Ventile, ohne Genehmigung vorgenommene bauliche Veränderungen an der Steueranlage, die Anwendung des Konstruktionsprinzips der Reihenschaltung der Ventile im Hydrauliksystem sowie die insgesamt nur unzureichend entwickelte Ursachenforschung des gesamten Störgeschehens im VEB Kaliwerk Zielitz.
Im Rahmen der geführten Untersuchungen konnte des Weiteren herausgearbeitet werden, dass in diesem Betrieb im Interesse der Planerfüllung den Erfordernissen zur Gewährleistung der Sicherheit und Beherrschung der komplizierten Förderanlage nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen wurde.
Die Untersuchungen bestätigten auch, dass die Schalt- und Prüfhandlungen am automatischen System nicht voll beherrscht werden und für diese Handlungen sowie für eine Reihe von Pflege-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten erst noch die erforderlichen Weisungen und Anordnungen ausgearbeitet werden müssen.
Auf der Grundlage der bei den Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse wurde zwischenzeitlich in der ausschließlich der Personenbeförderung dienenden zweiten Fördermaschine eine dritte unabhängige Bremseinrichtung eingebaut.
Der Hersteller der automatischen Fördermaschine, der VEB NOBAS Nordhausen, erhielt den Auftrag, für die Bremsung eine sichere technische Konstruktion zu schaffen.
Das MfS setzt in Zusammenarbeit mit der Deutschen Volkspolizei die Untersuchungen fort. Seitens der Obersten Bergbehörde wird ein Ordnungsstrafverfahren gegen den Seilfahrtobersteiger eingeleitet, und außerdem sind weitere betriebliche Disziplinarmaßnahmen vorgesehen.