»Verhalten« von Manfred Krug nach seiner Übersiedlung
20. Oktober 1977
Information Nr. 649/77 über das Verhalten des ehemaligen DDR-Schauspielers und Sängers Manfred Krug seit seiner Übersiedlung nach Westberlin am 20.6.1977
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen war durch den Krug im Zusammenhang mit seiner Übersiedlung nach Westberlin mehrfach geäußert worden, dass er sich nach seiner Ausreise aus der DDR loyal verhalten und keine gegen die DDR gerichteten Aktivitäten unternehmen werde. Damit wolle er sich die Möglichkeit für eine Einreise in die DDR offenhalten bzw. Chancen für vorteilhafte kommerzielle Beziehungen bewahren.
An dieses Versprechen hat sich Krug im Wesentlichen gehalten. Er selbst ist internen Hinweisen zufolge auch der Überzeugung, dass er bisher »im Sinne verabredeter Übereinkommen« aufgetreten sei und sich nicht in diskriminierender Weise gegenüber der DDR geäußert habe. (Armin Mueller-Stahl sei von ihm mehrfach aufgefordert worden, das bei möglichen Gesprächen mit führenden Genossen der DDR zu betonen.)
Im Gegensatz zu seinem bisherigen Verhalten ist die am 6.10.1977 vom BRD-Sender »Deutschlandfunk« ausgestrahlte Lesung des Krug aus dem im Rowohlt-Verlag/BRD erschienenen Buch des DDR-Schriftstellers Hans Joachim Schädlich »Versuchte Nähe«,1 dessen Inhalt eindeutig gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichtet ist, einzuschätzen.
Wie dem MfS intern bekannt wurde, ging die Initiative für die Lesung aus Schädlichs Buch eindeutig von Krug aus. Er setzte sich Anfang September 1977 mit Schädlich in Verbindung und unterbreitete diesem den Vorschlag, im BRD-Sender »Deutschlandfunk« aus dem Buch »Versuchte Nähe« zu lesen. Die Durchführung der Lesung im »Deutschlandfunk« begründete Krug damit, dass dieser Sender überall in der DDR empfangen werden könne, auch dort, wo ein Empfang des Westfernsehens nicht möglich sei. Dadurch könnten nach Meinung Krugs viele DDR-Bürger, für die Schädlich sein Buch eigentlich geschrieben habe, erreicht und angesprochen werden. Gleichzeitig würde aufgrund der Tatsache, dass diese Lesung sein erster Auftritt im Rundfunk der BRD überhaupt sei, die Publizität von Schädlichs Buch noch zusätzlich erhöht werden. In Vorbereitung der Lesung erbat sich Krug biographische Daten Schädlichs, um diesen den Hörern des »Deutschlandfunks« vorzustellen. Schädlich gab Krug für die beabsichtigte Lesung seine ausdrückliche Zustimmung.
Schädlich, dessen schriftstellerische Arbeiten aufgrund ihres antisozialistischen Inhalts in der DDR nicht verlegt wurden, ist in letzter Zeit von DDR-feindlichen Kräften in der BRD systematisch aufgewertet worden. (Lesungen aus Schädlichs Buch wurden auch von Günter Grass veranstaltet. Durch den bekannten Antikommunisten Raddatz, Professor für Germanistik, ehemaliger DDR-Bürger (Verräter), wurde Schädlichs Buch ausführlich in der BRD-Zeitschrift »Die Zeit« rezensiert und ein renommierter Literaturpreis gefordert.)2 In einer Meldung der BRD-Zeitung »Frankfurter Rundschau« vom 14.10.1977 wird in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass der »DDR-Autor« Hans Joachim Schädlich mit seinem Buch »Versuchte Nähe« auch im Oktober die Bücher-Bestsellerliste des Südwestfunks (SWF) anführt.3
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen unterhielt Krug bis zu seiner Übersiedlung nach Westberlin keine engeren Kontakte zu Schädlich. Beide kamen erstmals anlässlich der von Krug am 19.6.1977 veranstalteten sogenannten Abschiedsfeier persönlich zusammen.
Die Lesung wurde am 22.9.1977 im Studio des »Deutschlandfunks« in Westberlin aufgenommen und am 6.10.1977, in der Zeit von 10.05 bis 10.30 Uhr, im Rahmen der Senderreihe »Die Leseprobe« gesendet. Krug setzte seiner Lesung die ihm von Schädlich übermittelten biographischen Daten voran und wies darauf hin, dass Schädlichs Texte, die er ab 1971 DDR-Verlagen und DDR-Redaktionen vorlegte, nicht in der DDR erscheinen konnten. Außerdem betonte Krug, dass er aus dem Buch »Versuchte Nähe« einige Geschichten lese, die er selbst ausgewählt habe. Er brachte aus dem 25 Einzelbeiträge umfassenden Buch, das nach vorliegenden Einschätzungen von Fachexperten in seiner Grundtendenz die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR in massiver Form diskriminiere, die Geschichten »Tibaos«, »Apfel auf silberner Schale« und »Letzte Ehre großem Sohn« zur Verlesung.4
Die Geschichte »Tibaos« unterstützt in literarisch geschickt gestalteter Form die gegnerische Verleumdungskampagne des Hochspielens widerrechtlicher Antragstellungen auf Übersiedlung in die BRD bzw. das ungesetzliche Verlassen der DDR, wobei die vom Gegner propagierte Menschenrechtsproblematik als Hintergrund wirkt. Des Weiteren wird in dieser Geschichte die These vertreten, dass die Grenzen nicht nur nach außen, sondern auch gegen die Menschen im Innern gesichert sind und die Waffen gegen die eigenen Bürger gekehrt werden. Verbunden wird dies mit der Darstellung angeblicher Demagogie, Lüge, Heuchelei und, wenn nötig, brutaler Unterdrückung. Indirekt wird von Demokratie im »anderen« Land gesprochen, die für diejenigen, die auswandern wollen, erstrebenswert ist. Letztlich wird gesagt, dass dort, wo Machtmittel bei der Verhinderung der Auswanderung nicht mehr helfen, die zermürbende Taktik des Hinhaltens angewendet wird, die den Menschen von innen her aushöhlt. Es wird eingeschätzt, dass »Tibaos« zu den politisch-negativsten der drei durch Krug vorgelesenen Geschichten und des ganzen Buches von Schädlich gehört.
In der Geschichte »Apfel auf silberner Schale« wird von Schädlich in Anlehnung an Tendenzen in der Westliteratur versucht, kleinbürgerliches Wohlstandsdenken im Sozialismus darzustellen und – ausgehend von einem in diffamierender Form beschriebenen Verhalten eines »vermögenden DDR-Bürgers« – die Jugend zum Protest gegen solche Personen aufzufordern.
In der Geschichte »Letzte Ehre großem Sohn« beschreibt Schädlich mit pedantischer Genauigkeit und pathetischen Worten das Ableben, die Vorbereitung und Durchführung der Trauerfeierlichkeiten für den zaristischen Minister des Äußeren, Fürst Alexander Borissowitsch Lobanow (1825–1895).5 Diese Geschichte ist im pseudodokumentarischen Stil geschrieben. Sie stellt eine Verspottung gegenwärtiger Ehrungen bedeutender Persönlichkeiten dar, deutlich bezogen auf die Sowjetunion. Obwohl der Text scheinbar ganz im Historischen bleibt, wird mit Begriffen wie »Beisetzung an der Mauer des Klosters Nowo Spasski« oder »seine nie nachlassende Sorge galt der Stärkung der Kampfgemeinschaft der russischen Diplomaten mit den Diplomaten der verbündeten Länder« eine deutliche Anspielung auf gegenwärtige Kommuniqués angestrebt. Es wird der Versuch unternommen, eine Gleichsetzung von heutiger sozialistischer und vergangener zaristischer Macht als Eindruck beim Leser hervorzurufen.
Durch die Lesung im »Deutschlandfunk« hat Krug zur Popularisierung des antisozialistischen Machwerkes »Versuchte Nähe« und zur Verbreitung seines die DDR, die Sowjetunion und andere sozialistische Staaten verleumdenden und diskriminierenden Inhalts beigetragen.