»Verhaltensweisen« des Schauspielers Armin Mueller-Stahl
10. Juni 1977
Information Nr. 395/77 über Verhaltensweisen des Schauspielers Armin Mueller-Stahl
Dem MfS wurde intern bekannt, dass Mueller-Stahl, Armin, geb. am 17.12.1930, wohnhaft: 117 Berlin, [Adresse], verheiratet mit Mueller-Stahl, Gabriele, Ärztin im Krankenhaus Berlin-Kaulsdorf, die Absicht verfolgt, beim Genossen Lamberz1 vorzusprechen, um über die Lage der »Petitionisten«2 allgemein und über seine persönliche Lage Klarheit zu erlangen, bzw. je nach Verlauf dieses Gespräches sein Ansinnen vorzutragen, die DDR zu verlassen. Über einen Termin hat er sich bisher nicht geäußert, will sich jedoch »zu gegebener Zeit bemerkbar machen«.
Weiteren internen Hinweisen zufolge, äußerte Mueller-Stahl seit etwa Mitte April 1977 in vertraulichen Gesprächen, ebenfalls – wie Krug – ein Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD zu stellen. Mueller-Stahl hat seit dieser Zeit mehrmals Entwürfe eines entsprechenden Ersuchens vorbereitet – letztmalig Anfang Juni 1977 –, bis jetzt aber noch nicht an staatliche Organe herangetragen.
In diesem Zusammenhang wird aus Kreisen um Mueller-Stahl bekannt, dass er sich zunehmend schwankend und unsicher verhalte, ob er das Ersuchen abgeben solle. Nach eigenen Äußerungen sei er »innerlich zerrissen«, fühle sich »verlassen und überflüssig« und sei derzeitig »unfähig zu arbeiten«. Seine Unentschlossenheit kommt z. B. darin zum Ausdruck, dass er einerseits äußert, er habe sein Haus nicht gebaut, um es zu verlassen, sondern [um] darin zu wohnen, andererseits betont, er wolle es demnächst seiner Schwester überschreiben lassen. In einem anderen Falle meinte er, die DDR bald verlassen zu müssen, widersprach jedoch auch nicht, als für ihn ein Urlaubsplatz auf Hiddensee im August 1977 gebucht werden sollte.3
Aus vertraulichen Äußerungen des Mueller-Stahl ist bekannt, dass er bereits Antiquitäten aus seiner Sammlung mithilfe befreundeter Diplomaten illegal nach Westberlin verbringen ließ, aber danach auch Überlegungen anstellte, sie wieder zurückholen zu lassen.
In internen Gesprächen betont Mueller-Stahl wiederholt, gegen ihn und andere Künstler würde seit November 1976 »von denen da oben ein Kesseltreiben veranstaltet«. Zur Begründung dieser Auffassung wird von ihm u. a. vorgebracht:4
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Trotz eines persönlichen Versprechens des Genossen Lamberz ihm gegenüber und seiner eigenen »Wohlverhaltenserklärung« an Genossen Lamberz wären er und andere Künstler »Repressalien« ausgesetzt. Beispiele dafür seien u. a. die kurzfristige Absage seines »Porträts per Telefon«,5 die Ablösung seines Schwagers Ulf Reiher als Intendant des Landestheaters Halle, die Mitteilung an seine Schwägerin [Vorname Name] (Studentin an der Ingenieurschule für Chemie, Berlin-Friedrichshain), die Seminargruppe würde einen Exmatrikulationsantrag stellen, da er ein Übersiedlungsersuchen abgegeben hätte. (Die Ablösung des Ulf Reiher als Intendant des Landestheaters Halle steht nicht in Verbindung mit der Haltung des Mueller-Stahl, sondern ist das Ergebnis politisch-ideologischer Auseinandersetzungen mit Reiher am Landestheater Halle. Für die Schwägerin [Vorname Name] ist bisher kein Exmatrikulationsantrag gestellt. In Auseinandersetzungen mit ihr wegen ihrer vollkommen ungenügenden Studienleistungen wurde ihr jedoch diese Möglichkeit angedeutet. Ihre Leistungen haben sich danach verbessert. In den Gesprächen gab es keine Bezugspunkte zu Mueller-Stahl.)
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Genosse Adameck6 habe sich ihm gegenüber unsachlich verhalten und u. a. geäußert: »Ich mache aus Dir ein Nichts!« Bestimmte Arbeitsvereinbarungen seien nicht realisiert worden.
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Gerade ihm als » einen ganz großen Schauspieler« müssten »Zugeständnisse und größere Freiheiten« gewährt werden. (Darunter würde er auch Reisegenehmigungen in das nichtsozialistische Ausland verstehen.)
Nach vorliegenden Hinweisen steht Mueller-Stahl stark unter dem negativen Einfluss von Krug und des Ulf Reiher, der sich häufig bei ihm aufhält. Nach eigenen Äußerungen empfindet Mueller-Stahl gegenüber Krug »große Achtung und Dankbarkeit«, da er [dazu] beigetragen hätte, sein Selbstvertrauen zu stärken. Früher hätte er alles toleriert, was die Partei- und Staatsführung, »die Adamecks« u. a. unternommen hätten. Jetzt – unter dem Einfluss von Krug – sei »seine Persönlichkeit aufgebrochen«, er fühle sich nicht mehr als »Schleimscheißer und Duckmäuser« und könne es »denen da oben endlich heimzahlen«.7
Bezeichnend für die Haltung des Mueller-Stahl ist, dass er offensichtlich aus Verbundenheit zu Krug nach dem von Krug abgegebenen Übersiedlungsersuchen eine Zusammenkunft in seiner Wohnung organisierte.
Während des Treffens, zu dem ca. 25 Personen erschienen waren (u. a. Heym, Becker, Beyer, Krug, Poche, Ulf und Gisela Reiher, Hagen Mueller-Stahl – Bruder, wohnhaft: Westberlin, Mallinger – Mitarbeiter der holländischen Botschaft in der DDR), trug Krug die Gründe für sein beabsichtigtes Verlassen der DDR vor. Mueller-Stahl betonte während dieser Zusammenkunft, dass derartige Treffen organisiert würden, um »die Isolierung, in die man geraten wäre, wenigstens in ihrem Kreis zu verhindern und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern«.
Gegenüber anderen Gesprächspartnern äußerte Mueller-Stahl vertraulich, die Geschehnisse um Biermann wären bei ihm lediglich der »Auslöser« für eine beabsichtigte Übersiedlung. Er könne »nicht mehr heucheln und stillschweigend die Politik der DDR und die Missstände beim Fernsehen der DDR mit ansehen«. Er wolle »in größerer Freiheit« leben, als sie ihm in der DDR gewährt werden könnte.8
Aus dem unmittelbaren Personenkreis um Mueller-Stahl wurde intern geäußert, Mueller-Stahl sehe sich immer stärker in der Rolle eines Märtyrers und gefalle sich darin. So äußerte er z. B., dass er lieber eine »verbogene Biographie statt eines verbogenen Rückgrats« hätte. Auch das »sehr angenehm« verlaufene Gespräch mit Genossen Bentzien (10.5.1977) könne daran nichts ändern. Genosse Bentzien hätte ihm »tolle Angebote, u. a. Westreisen mit Ehefrau«, unterbreitet. Aber für ihn komme alles zu spät. Er würde jetzt Veranstaltungs- und Rollenangebote aus Solidarität mit Krug und seinen anderen Freunden ablehnen, da er »ganz einfach ein Fünkchen Charakter zeigen« müsse.9
Nach internen Hinweisen entwickelt Mueller-Stahl zeitweise Vorstellungen, wie bestimmte vermögensrechtliche Fragen in Vorbereitung der Übersiedlung zu klären wären. Er äußerte z. B., dass er sein Wohnhaus (Wert ca. 100 000 M, davon ca. 40 000 Hypothek) an seine Schwester überschreiben lassen und dem Rechtsanwalt Irmscher eine Generalvollmacht zur Abwicklung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten nach Ausreise aus der DDR erteilen wolle. Konkrete Aktivitäten in dieser Richtung erfolgten jedoch noch nicht.
In diesem Zusammenhang sind vertrauliche Äußerungen der Ehefrau des Mueller-Stahl interessant, die auf eine veränderte Position gegenüber der von ihr früher eingenommenen Haltung schließen lassen. Sie erklärte Mitte Mai, dass sie nicht aus der DDR weggehen wolle. Sie habe in der DDR als Ärztin ihre Perspektive. Ihr Ehemann hätte nur »schlechte Ratgeber«. Ihre Ehe ginge an der gegenwärtigen Situation zugrunde, da sie kein normales Familienleben mehr führen könnten. Mueller-Stahl würde ständig unsachlich diskutieren, verworrene Vorstellungen über die Zukunft entwickeln und sich gegenüber Partei- und Staatsfunktionären ungerecht verhalten. Alles würde überschattet und beeinflusst durch unerwünschte Besucher und Anrufer, die sich gegenseitig bemitleiden und aufputschen.10
In einer Diskussion im internen Kreis unterstützte die Ehefrau des Mueller-Stahl die dort geäußerte Meinung, Krug »übe mit seiner genehmigten Ausreise Verrat«, sie sehe weder für Krug noch für ihren Ehemann Gründe, aus der DDR wegzugehen, und Mueller-Stahl solle in dieser Angelegenheit endlich den Ratschlägen seiner wirklichen Freunde folgen.
Wie intern weiter bekannt wurde, schreibt Mueller-Stahl – ebenso wie Krug – an einem »Tagebuch über die Novemberereignisse«. Nach eigenen Äußerungen würde er täglich fünf Seiten fertigstellen. Er zeichne jedes Gespräch als »Gedächtnisprotokoll« auf und wolle u. a. nachweisen, dass auch derzeitige »Angebote der Partei- und Staatsführung« nur als vorübergehende taktische Maßnahmen zu beurteilen wären. Die »psychischen Repressalien bis hin zur Sippenhaft« würden weitergehen. Das »Tagebuch« würde er – wenn er nicht mehr in der DDR wäre und »im Westen als Schauspieler keine Perspektive sähe« – veröffentlichen.11 Dann würde man sich »um ihn reißen«, ebenso wie es mit Ingolf Gorges geschehen sei, der »mit seinen Enthüllungen über die DDR im Westen groß herausgekommen« wäre.
Nach streng vertraulichen Hinweisen enthalte das Tagebuch des Mueller-Stahl Aufzeichnungen über Gespräche, die er seit November mit den verschiedensten Personen hatte, dargestellt von der Position seiner subjektiven Betrachtungsweise. So seien z. B. ausführlich Gespräche wiedergegeben, die er mit dem Genossen Adameck, Genossen Engelhardt/ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen der DDR und Leiter des Bereiches Kunst und Kulturpolitik, Genossen Hans Bentzien, stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Fernsehen der DDR und Leiter des Bereiches Kunst und Kulturpolitik, aber auch mit Manfred Krug, Frank Beyer/Regisseur des DDR-Fernsehens, Stefan Heym u. a. hatte. In den Aufzeichnungen würden Vorbehalte des Mueller-Stahl gegenüber der Partei- und Staatsführung sichtbar, die in Einzelfällen bis zur Verleumdung von Partei- und Staatsfunktionären reichen würden. Die Aufzeichnungen des Mueller-Stahl würden außerdem subjektive Bemerkungen zur Person des Gesprächspartners enthalten. So bezeichne er den Genossen Adameck als Typ mit einem »Kopf voller Haare«, dessen »geifernde Stimme« nicht zu ertragen sei. Genosse Engelhardt sei der »Hauptschuldige« an seiner Lage, und er könne unter den »Kriechern« nicht mehr arbeiten.12
Der Gesprächspartner Frank Beyer hätte Mueller-Stahl in gewisser Weise beeindruckt, da er ihm brutal vorgeworfen habe, er handle als »Abklatsch« von Krug. Beyer habe ihm zu bedenken gegeben, der finanzielle und moralische Schaden, den Krug anderen Filmschaffenden zufüge, sei noch nicht abzusehen. Auch er sei davon betroffen, da eine Reihe Filme aus dem Verkehr gezogen würden.13
Mueller-Stahl habe in seinem »Tagebuch« weiter vermerkt, auch Stefan Heym habe ihm von einer Übersiedlung abgeraten, da es bei der »Protesterklärung« nicht um Forderungen nach Ausreise, sondern um Kritik an der Kulturpolitik der Partei gegangen sei. Mueller-Stahl habe dazu kommentiert, Heym sei für ihn kein Maßstab, da dieser reisen könne, wohin er wolle.
Mueller-Stahl befasse sich in längeren Ausarbeitungen mit dem »Tagebuch« des Krug,14 das er im vollen Wortlaut kenne. Krug sei darin nicht in allen Passagen bei der Wahrheit geblieben und habe eine Reihe von Gesprächen nach Belieben ausgelegt. Mueller-Stahl sei »schockiert« von den Schilderungen in diesem »Tagebuch«; Krug habe im letzten Gespräch, das Genosse Lamberz mit ihm geführt hat, diesem zugesagt, sein »Tagebuch« nicht zu veröffentlichen und vor Ausreise komplett beim Genossen Lamberz zu hinterlegen. Mueller-Stahl schildere in seinem »Tagebuch« das Verhalten Krugs in diesem Zusammenhang als »Freikauf für seine Ausreise«, zeige sich enttäuscht über das »kommerzielle Denken und Handeln« Krugs und stelle dar, ihre Beziehungen seien dadurch abgekühlt.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
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