»Verhaltensweisen« von Manfred Krug
22. April 1977
Information Nr. 257/77 über Verhaltensweisen des Krug, Manfred
Im Zusammenhang mit dem von Krug, Manfred, geb. am 8.2.1937 in Duisburg, wohnhaft: 117 Berlin, [Adresse], verheiratet, 3 Kinder, Beruf: Siemens-Martin-Stahlwerker, Schauspieler, Sänger, freischaffend, vornehmlich beschäftigt vom VEB DEFA-Studio für Spielfilme, Fernsehen der DDR, VEB Deutsche Schallplatte, parteilos, 1968 Wehrersatzdienst (NVA), […] am 19.4.1977 beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow, Abt. Innere Angelegenheiten, abgegebenen schriftlichen »Antrag auf Ausreise aus der DDR in die BRD« wird nachstehend auf einige seine Person und Haltung charakterisierende Fakten hingewiesen.
Zur Person des Krug, Manfred:
Er entstammt einer bürgerlichen Familie. Sein Vater war leitender technischer Angestellter der Stahlindustrie und während des Faschismus Mitglied der Nazipartei. Die Familie siedelte 1941 von Duisburg nach Brandenburg über, wo der Vater zuletzt (seit 1971 Invalidenrentner) im Stahl- und Walzwerk Brandenburg in leitenden Funktionen tätig war. Die Ehe der Eltern wurde 1945 mit der Festlegung geschieden, dass jedes Elternteil einen der zwei ehelichen Söhne erziehungsberechtigt versorgt. Danach wurden er und sein Vater Bürger der DDR, während seine Mutter und sein Bruder Bürger der BRD wurden.
Die Mutter Krug, Alma, wiederverheiratete [Name], geb. am [Tag] 1908 in Moers, Rentnerin, jetzt wohnhaft in 41 Duisburg, [Adresse], unterhält keinen Kontakt zu Krug, Manfred.
Sein Bruder Krug, Roger, geb. am [Tag] 1939 in Georgsmarienhütte, jetzt wohnhaft in 7036 Schönaich/BRD, [Adresse], nach eigenen Angaben Busfahrer bei einer Verkehrsgesellschaft, unterhält seit Jahren enge Verbindungen zu Krug, Manfred.
Von 1951 bis 1954 arbeitete Krug, Manfred, in Brandenburg als Stahlwerkerlehrling, Hilfslaborant, Schmelzer-Anlernling, 3. Schmelzer und Ofenkontrolleur in dem damals von seinem Vater geleiteten VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg. Während der Zeit seiner Berufsausbildung kam er mit dem Laienschauspiel in Berührung. Bereits während dieser Zeit verhielt er sich oft undiszipliniert und gefiel sich in der Rolle eines Anführers. Krug glaubte, aufgrund seiner Eigenschaften wie gute Lernfähigkeit, Beeinflussung und Beeindruckung anderer Menschen seine Persönlichkeit am besten als Schauspieler verwirklichen zu können. Nach dem Besuch der Schauspielschule war er von 1955 bis 1957 als Eleve am Berliner Ensemble, ab 1957 bei der DEFA und später auch im Fernsehen der DDR tätig. Krug erreichte besonders durch seine Rollen in Film und Fernsehen sowie durch sein zusätzliches Wirken als Jazz-Interpret und Musical-Darsteller Popularität. Er hatte eine Reihe Schallplattenerfolge und gastierte in der »Komischen Oper« in »Porgy and Bess«. Er hatte ständig hohe Einkünfte, und seine Tagesgagen gehörten zu den Spitzengagen der DDR. 1968 und 1971 wurde er mit dem Nationalpreis ausgezeichnet.
In seinem gesamten Verhalten zeigte sich aber auch, dass seine vielseitigen schauspielerischen und gesanglichen Fähigkeiten keine Ergänzung in seinen charakterlichen und moralischen Eigenschaften fanden und finden. Seine völlige Uneinsichtigkeit in gesellschaftliche Notwendigkeiten wurde besonders in den letzten Jahren immer deutlicher. Sein Verhalten äußerte sich weiter in Stardenken, in anmaßender Überheblichkeit im Auftreten gegenüber staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen, was bis zur Missachtung bestimmter Gesetze führte.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Die von Manfred Krug in großen Fernseh- und Filmprojekten verkörperten positiven Rollen sieht er neben den damit verbundenen finanziellen Einnahmen vor allem als Alibi für die Begründung seiner Ansprüche gegenüber gesellschaftlichen und staatlichen Stellen.
Mit zunehmenden künstlerischen Erfolgen gebärdete er sich immer überheblicher und vertrat mehrfach in der Öffentlichkeit die Meinung, die DDR sei auf ihn, den Künstler Krug, angewiesen. 1974 protzte er damit, Millionär zu sein. Auf einer von ihm aus diesem Anlass gegebenen Party betonte er selbstsicher, er habe es geschafft, die Gagen zu bekommen, die er fordere.
Krug ist verheiratet mit Krug, geb. Zschelletzschky, Ottilie, geb. am [Tag] 1942 in Berlin, Lehrerin, jetzt Hausfrau. (Ihr Vater, Zschelletzschky, Herbert, Kunsthistoriker und ehemaliger Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, jetzt Rentner, wohnhaft in Berlin, ist Mitglied der SED und wird als politisch zuverlässig eingeschätzt. Ihre Mutter, ehemalige Oberschullehrerin, ist verstorben.)
Krugs Ehefrau ist um eine gute Erziehung der Kinder bemüht, hält Kontakt mit der Schule und interessiert sich für die Pionierarbeit. Sie ist mit politischen Äußerungen bisher nie in Erscheinung getreten. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Das Ehepaar Krug hat drei Kinder: Krug, Daniel, geb.: [Tag] 1964, Krug, Josephine, geb.: [Tag] 1965, Krug, Stephanie, geb.: [Tag] 1970.
Zur weiteren Entwicklung und politischen Grundhaltung des Krug, Manfred:
Krug schloss sich bereits Anfang der 50er Jahre der sozialistischen Entwicklung schwankend bis feindlich gegenüberstehenden Personenkreisen an. Dazu gehört sein engster Freund Jurek Becker, mit dem er in einer 3-Raum-Wohnung in einer Wohngemeinschaft in 1058 Berlin, [Adresse], wohnte. Nach eigenen Angaben Krugs verband beide eine anarchistische Lebensweise und Weltanschauung. Ihre gemeinsame Wohnung war bis 1963 stark besuchtes Party-Quartier, in dem vornehmlich Studenten und »Party-Mädchen« verkehrten.
Wegen lautstarker Feierlichkeiten musste des Öfteren die VP eingreifen. Bereits während dieser Zeit gehörte auch Wolf Biermann zu dem engsten Freundeskreis Krugs.
Krug, der sich bis Mitte der 60er Jahre häufig zu die DDR diffamierenden Äußerungen hinreißen ließ, wurde in den darauffolgenden Jahren vorsichtiger in seinen politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit. Er ging offensichtlich jedem politischen Engagement aus dem Wege und gab sich nach außen den Anschein eines loyalen Bürgers, wobei er sich selbst als einen »klarsehenden« Menschen bezeichnete.
[…] Im Wohngebiet war er bestrebt, den Eindruck einer positiven Einstellung zu unserem Staat zu erwecken, wobei er jedoch keine Kontakte in der Wohngegend unterhielt.
Im internen Kreis brachte Krug jedoch wiederholt seine ablehnende Haltung zur Kulturpolitik von Partei und Regierung zum Ausdruck und setzte sich für eine sogenannte Liberalisierung in den geistig-kulturellen Bereichen ein.
Als die Maßnahmen der DDR zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR für Biermann1 bekannt wurden, engagierte sich Krug bekanntlich sofort aktiv in der »Protestbewegung« bestimmter Kulturschaffender.
Krug brüstete sich später vor seinem Bekanntenkreis, auch während einer Aussprache, die ein Politbüro-Mitglied mit dem Ziel der Zurücknahme seiner Unterschrift mit ihm geführt habe, »standhaft und stark« geblieben zu sein und »Rückgrat bewiesen« zu haben.
Während einer Konzert-Tournee vom 13.1.1977 bis 4.2.1977 durch die DDR trat Krug während der insgesamt 24 Konzerte zurückhaltend auf und war offensichtlich bestrebt, öffentlichkeitswirksame und offene provokatorische Äußerungen und Handlungen zu vermeiden. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang seine laufenden Anspielungen während aller Konzerte auf Besucher, die angeblich aus dienstlichen Gründen anwesend seien, wobei seine Bemerkungen bis zur persönlichen Beleidigung anwesender Funktionäre reichten. (Siehe dazu Information des MfS Nr. 100/77.)
Zu einem Vorkommnis kam es nach seinem Konzert am 2.2.1977 in Mühlhausen. Krug begab sich von Mühlhausen am späten Abend nach Erfurt, um im Hotel »Tourist« zu übernachten.
Vor dem Konzert hatte Krug im Hotel bereits ein Abendessen mit Bier bestellt.
Als er nach seiner Rückkehr aus Mühlhausen im Hotel »Tourist« das bestellte Abendessen mit dem Bier verlangte, wurde vom Barkeeper erklärt, dass er kein Bier erhalten könne. Durch die anwesende Hotelleiterein wurde ergänzt, dass er aber ein »Herrengedeck«2 erhalten könne. Krug äußerte daraufhin: »Das ist nur im Sozialismus möglich, das gibt es überhaupt nicht.« Der anwesende Ehemann der Hotelleiterin, [Name 1, Vorname], machte gegenüber Krug die Bemerkung, dass es im Sozialismus auch keine Schweizer Bankkonten gebe. Auf diese Bemerkung hin geriet Krug in einen Wutanfall und wurde gegenüber [Name 1] tätlich. Er schlug [Name 1] mehrmals mit der Faust ins Gesicht und auf den Kopf. Dazu machte Krug die Bemerkungen: »Du Schwein, von wem hast du das, welche Verbrecher haben dir das gesagt? Du Lump, glaub nicht, was die anderen Lumpen hier sagen, das sind alles Verbrecher, die so etwas erzählen.« Durch Anwesende wurde Krug von weiteren Tätlichkeiten abgehalten.3
Im Ergebnis einer Anzeige des [Name 1] wurde durch das VPKA Erfurt ein Ermittlungsverfahren gegen Krug eingeleitet. Das Ermittlungsverfahren wurde bisher nicht abgeschlossen, um Krug keine Gelegenheit zu geben, notwendige rechtliche Sanktionen als »Unrechtmäßigkeiten« und als »Repressalien« gegen seine Person hinzustellen und diese Vorgänge zur Verleumdung staatlicher Maßnahmen der DDR auszunutzen. Dabei wurde berücksichtigt, dass dieses Vorkommnis auch durch das falsche Verhalten des Hotelpersonals und des [Name 1] mit hervorgerufen wurde. (Die Unbeherrschtheit und Aggressivität Krugs ist seit Langem bekannt und führte unter anderem auch zu folgendem Vorkommnis: Am 24.4.1966 – Krug und Havemann kannten sich noch nicht persönlich – behinderte Havemann mit seiner Fahrweise einen hinter ihm fahrenden Pkw »Mercedes«, der ständig zum Überholen ansetzte, am Überholvorgang. Als dem Fahrer dieses Pkw – Krug – der Überholvorgang gelang, stoppte er den von Havemann gefahrenen Pkw, riss die Tür auf und schlug dem Fahrer zweimal heftig ins Gesicht, sodass diesem – Havemann – drei Zähne ausfielen. Ohne bei diesem Vorgang Worte zu verlieren, setzte Krug anschließend die Fahrt in seinem Pkw fort. Krug war jedoch von Havemann erkannt worden. Havemann wurde danach durch Eva-Maria Hagen und Biermann mit Krug zusammengeführt, wobei es eine »Versöhnungsfeier« gab, die für die seit diesem Zeitpunkt bestehende Bekanntschaft Havemann – Krug die Grundlage bildete. Krug ist seitdem als Sympathisant Havemanns bekannt.4
Krug war besonders in den letzten Jahren sehr stark bemüht, Kontakte und Verbindungen zu »einflussreichen Persönlichkeiten« zu schaffen, um seine Person in diesen Kreisen stärker zur Geltung zu bringen und diese Beziehungen in seinem Interesse auszunutzen. Diesem Zweck diente auch die am 12.2.1977 in seinem Haus durchgeführte Geburtstagsfeier, an der ca. 35 Personen teilnahmen.
Unter den Anwesenden befanden sich seine langjährigen Verbindungen wie Jurek Becker, Armin Mueller-Stahl, Angelica Domröse und Hilmar Thate, Willy und Maria Moese, Klaus und Bettina Schlesinger, Frank Beyer, Jutta Hoffmann, Stefan Heym, Karl Sturm, sein Bruder Roger Krug.
Auf Einladung Krugs waren weiter erschienen der portugiesische Botschafter mit Frau, leitende Mitarbeiter der Botschaften der USA und Perus, Mitarbeiter der italienischen Botschaft und mehrere Personen aus Westberlin, die früher in Botschaften nichtsozialistischer Länder in der DDR gearbeitet hatten.
Die Gespräche während der Party fanden fast ausschließlich in Gruppen statt, u. a. auch separate Gespräche zwischen Krug, Armin Mueller-Stahl und einem Mitarbeiter der Botschaft der USA. Im Verlaufe des Abends wurde die neueste Ausgabe der Zeitschrift »Stern« herumgereicht, in dem ein Artikel Stefan Heyms enthalten war. (Es handelte sich dabei um die Veröffentlichung Heyms im »Stern« Nr. 8 vom 10.2.1977, in der er in verleumderischer Form über seine »Analyse« der Sendungen der »Aktuellen Kamera« des Fernsehfunks der DDR berichtete.)5 Während der Party, die bis früh 5.00 Uhr andauerte und während der verhältnismäßig wenig Alkohol getrunken wurde, kam es zu keinen offenen gezielten Aktionen gegen die Partei- und Staatsführung.
Manfred Krug gab jedoch seinen Gästen Gelegenheit zu bestimmten Äußerungen. So legte Schlesinger u. a. dar, dass man sich in der jetzigen Zeit doch enger verbünden müsste, statt sich auseinanderzuleben. Alle, die den Protest unterschrieben hätten, seien sich ihrer Handlung bewusst gewesen, ungeachtet der unterschiedlichen Gründe, die sie dazu bewegt hätten. Es sei darum gegangen, die Kulturpolitik in unserem Staat zu verändern.
Angelica Domröse und Hilmar Thate legten dar, sie seien unzufrieden darüber, dass sie und andere keine zusätzlichen Aufgaben als Schauspieler erfüllen könnten. Das wurde von Manfred Krug bestätigt, da er auch nicht eingesetzt werde.
Manfred Krug gab weiter bekannt, seine DDR-Tournee hätte wenig Erfolg gehabt, da der Kartenverkauf gezielt vorgenommen und alle Veranstaltungen überwacht worden wären.
Im Zusammenhang mit seinem 40. Geburtstag lud Krug am 15.2.1977 weitere Personen in seine Wohnung ein. Anwesend waren u. a. sein in Hohen Neuendorf lebender Vater, sein Bruder Roger und der Schauspieler Mueller-Stahl. Krug äußerte dabei mehrmals, er würde eines Tages mit seiner Familie bei seinem Bruder in Duisburg vor der Tür stehen. Er würde legal übersiedeln, weil er zu der Überzeugung gelangt sei, dass er mit dem Staatssystem in der DDR nicht mehr zurechtkomme. Zugleich unterbreitete er seine »Vorstellungen« vom Staat wie »freie Wahl mit Abwählbarkeit« aller Personen in öffentlichen Ämtern, Presse-, Funk- und Fernsehfreiheit, »freie Reisetätigkeit« und dergleichen. Im gleichen Zusammenhang brachte er zum Ausdruck, dass solche Funktionäre wie Genosse Lamberz6 und Genosse Adameck7 abgesetzt werden müssten. Außerdem gab er eine eigene schriftliche Ausarbeitung – eine Art Gedächtnisprotokoll – zur Kenntnis, von der er meinte, sie enthielte alle Angaben, wie er sich gegenüber dem Genossen Lamberz in einer Aussprache geäußert habe. (In einem anderen Falle erklärten er und sein Bruder Roger in sehr internem Kreis, Manfred Krug habe durch seinen Bruder Roger ein »Wanzengerät« (Abhöranlage) mitbringen lassen, mit dem er das Gespräch, das Genosse Lamberz mit ihm in seiner Wohnung geführt habe, vollständig aufgezeichnet hätte, um die Aufnahme später »bei Bedarf« entsprechend zu verwenden.)8
Manfred Krug war in den letzten Wochen bestrebt, seine Verbindungen zu Mitarbeitern ausländischer Botschaften zu intensivieren, was bereits bei den von ihm ausgesprochenen Einladungen zu seiner Geburtstagsparty zum Ausdruck kam. Dabei orientiert er sich auf den 1. Sekretär und Leiter der Wirtschaftsabteilung der USA-Botschaft, Parker, sowie den ehemaligen 1. Sekretär und Leiter der Verwaltungsabteilung der Botschaft, James Weiner, und dessen Ehefrau. Zwischen Parker und Krug finden in kurzen Abständen Familienbesuche statt. (Parker gehörte zu den Gästen der Geburtstagsparty und führte mit Krug und anderen Personen interne Gespräche.) Weiner wurde im September 1976 von der USA-Botschaft abberufen, befindet sich jetzt in Washington, hält jedoch weiterhin Verbindung zu Krug und schöpft Krug offensichtlich als Informanten über die kulturpolitische Situation in der DDR ab.
Weitere Verbindungen aktiviert Krug zum Botschafter Portugals in der DDR, de Medina, in dessen Residenz Krug mit Ehefrau, Thate/Domröse, Jutta Hoffmann u. a. bereits an einer Silvester-Party 1976/77 teilgenommen hatte. (Während dieser Zusammenkunft hatte Krug u. a. auch ein längeres internes Gespräch mit dem Mitarbeiter der BRD-Vertretung Bräutigam.) Am 10.2.1977 kam Krug mit Ehefrau einer Einladung des Botschafters Portugals in die Residenz anlässlich des Geburtstages dessen Ehefrau nach. (Dort waren auch Domröse/Thate, Jutta Hoffmann, der Komponist Medek u. a. anwesend.) Hier wurden u. a. Gespräche über die kulturpolitische Situation in der DDR geführt, ohne dass jedoch Krug mit besonders provokatorischen Äußerungen in Erscheinung trat.
Am 18.2.1977 nahm Krug an einer Kostüm-Party in der französischen Residenz teil. Teilnehmer waren u. a. Gaus/BRD-Vertretung,9 die Botschafter von Argentinien, Brasilien, Portugal, Holland, Italien, Österreich, Peru, England, Schweden, Griechenland. Krug, der sich zurückhaltend bewegte, führte jedoch intensive Gespräche mit mehreren Botschaftern, besonders mit Gaus und Mr. Polansky, derzeit amtierender Botschafter der USA-Botschaft.
Die Einladung zur Kostüm-Party hatte Krug über den Botschafter Portugals, de Medina, erhalten, der ihm gleichzeitig mehrere Blanko-Einladungen übergab mit der Bitte, sie an seine »Freunde« weiterzugeben. (Zzt. ist nicht bekannt, an wen Krug diese Einladungen gab.)
Am 24.2.1977 fand in der USA-Botschaft eine Party statt, zu der der Mitarbeiter Mr. Bishop eingeladen hatte. An Krug, der dieser Einladung gefolgt war, zeigten eine Reihe anwesender Diplomaten Interesse, darunter auch der Mitarbeiter der BRD-Vertretung, Lambach. Sie bedauerten, dass Krug nicht wie bisher eingesetzt werde. Lambach erklärte, Krug mache einen Fehler, indem er zu oft bei Diplomaten auftauche und »über sein Leid klagt«.10
Manfred Krug ist insbesondere seit Anfang des Jahres bemüht, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um »eine berufliche Benachteiligung seiner Person als Reaktion auf seine Unterschrift« zu ermitteln. So erklärte er gegenüber dem Mitarbeiter der DEFA, Eckermann, er benötige Absagen unbedingt schriftlich, um »eines Tages mit diesen Briefen zu Lamberz zu gehen«. Durch diese »Sammlung« möchte er herausfinden, »welche Institutionen auf unterschiedliche Weise Repressalien gegen ihn handhaben«.
Seine Freunde sind von ihm aufgefordert, ihn über alle Gerüchte, die über ihn in der Bevölkerung kursieren, zu unterrichten, wobei er die Ansicht vertritt, dass diese Gerüchte gegen ihn »von höchster Stelle« in Umlauf gesetzt werden, um ihn zu diffamieren und zu verunsichern.
Mehrfach wurde intern bekannt, dass Manfred Krug in individuellem Kreise die Absicht äußerte, mit seiner Familie die DDR zu verlassen, falls sich seine beruflichen Möglichkeiten weiter einengen würden, wobei sich diese Äußerungen in den letzten Wochen verdichteten. Seine Ehefrau sei mit dem Verlassen der DDR nicht einverstanden, richte sich jedoch nach ihm. Sein Vater, der ihn von dieser Absicht abhalten wolle, habe auf ihn keinen Einfluss. Krug unternahm in den letzten Tagen Aktivitäten, seine Grundstücke zu verkaufen (sein Grundstück in Vipperow, Kreis Röbel/Müritz und sein Haus in der [Adresse] in 111 Berlin).
Außerdem wurden von ihm engsten Freunden mehrfach Antiquitäten größeren Umfangs – insbesondere Möbel und größere Stücke – aus seiner Sammlung zum Weiterverkauf angeboten. (In der Wohnung Krugs sollen sich zahlreiche Antiquitäten und Kunstgegenstände, die einen äußerst hohen Wert besitzen – besonders Gemälde, Porzellan und Möbel – befinden. Krug besitzt vier wertvolle Oldtimer, die in einem Schuppen in Birkenwerder abgestellt sind und von Peter Sturm mit gewartet und gepflegt werden.)
Intern wurde dem MfS weiter bekannt, dass sich Krug in engerem Kreise dahingehend geäußert hat, für den Fall der Ablehnung seines Ersuchens werde der Journalist Tautz-Wiessner vom ZDF »sein ständiger Gast«; er würde dann die bereits bestehenden Verbindungen zu Tautz-Wiessner entsprechend gegen die DDR ausnutzen.
Am 12.4.1977 führte der Generaldirektor des VEB DEFA Studio für Spielfilme, Genosse Mäde, in Abstimmung mit dem Stellvertreter des Ministers für Kultur und Leiter der HV Film, Genossen Horst Pehnert, ein ausführliches Gespräch mit Krug, der sich nach wie vor bei der DEFA unter Vertrag befindet. Ziel des Gespräches war, Auskünfte über seine gegenwärtige Haltung zu gewinnen, um daraus Schlussfolgerungen für den Einsatz der mit ihm produzierten Filme (»Feuer unter Deck«11 und »Das Versteck«)12 sowie weitere reale Möglichkeiten der Zusammenarbeit abzuleiten. In diesem Gespräch zeigte Krug nach Angaben des Genossen Mäde zunächst eine verhärtete und verkrampfte Grundhaltung, bezeichnete die Reaktion auf sein Verhalten in der Biermann-Angelegenheit als »Kesseltreiben« und äußerte Verbitterung darüber, dass ihm seitdem seine Wirkungsmöglichkeiten praktisch genommen seien. Er bezog sich darauf, dass ihm von der Leitung des Fernsehens zwei angeblich fest vereinbarte große Rollen – »Götz von Berlichingen« und »Michael Kohlhaas« – entzogen wurden und ihm, bei dem »die Telefone sonst nie ruhten«, auch seither keinerlei neue ernsthafte künstlerische Angebote unterbreitet worden seien.
Im Zusammenhang mit den sich im Rahmen dieser Diskussion ergebenden Bezugspunkten auf den Fall Biermann äußerte sich Krug im Sinne der »Notwendigkeit von mehr Öffentlichkeit« (die »Petition hätte besser im ND gestanden« u. Ä.). Im weiteren Verlauf der Diskussion habe Krug sachlicher reagiert und erklärt, er sei in erster Linie Schauspieler und könne viele größere politische und historische Zusammenhänge nur bedingt beurteilen. Krug habe zum Schluss des Gesprächs den Eindruck hinterlassen, als ob er beginne, das reale Kräfteverhältnis zur Kenntnis zu nehmen und in Richtung vernünftiger Schlussfolgerungen weiterzudenken.
Intern wurde dem MfS bekannt, dass sich Wolf Biermann am 17.4.1977 telefonisch von Westberlin aus mit Krug, der sich zu dieser Zeit in intensiven Gesprächen mit Jurek Becker befand, in Verbindung gesetzt hat. Krug ließ in einem Gespräch verlauten, Biermann habe ihn ausführlich über seine Pläne informiert, sich aber auch über seine Situation erkundigt. Krug habe Biermann mitgeteilt, dass über ihn nach wie vor viele Gerüchte im Umlauf seien, die systematisch verbreitet würden. Über seine Aussprache beim Generaldirektor der DEFA, Genossen Mäde, habe er mitgeteilt, dass er dort »nichts Konkretes zu hören bekommen« habe, sondern nur »einige hinhaltende, begütigende Worte«. Ihm sei die Mitarbeit bei der Synchronisierung eines rumänischen Filmes angeboten worden; diesen »Knochen« hätte er aber nicht aufgegriffen.
Zu den von Krug zur »Begründung« seines »Antrages auf Ausreise« genannten Fakten ist festzustellen, dass diese Behauptungen und Beschuldigungen in der Regel nicht den Tatsachen entsprechen bzw. es sich um Falschinterpretationen oder seine eigenen Erfindungen handelt.
Die bisherigen Überprüfungen ergaben z. B.:
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Anforderungen zu Gastspielen des Krug im kapitalistischen Ausland sind nicht bekannt. Seitens des Ministeriums für Kultur und der Künstleragentur der DDR13 konnte es demzufolge keine Maßnahmen im Sinne des »Abblockens« derartiger Angebote geben.
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Die Verfilmung des »Götz von Berlichingen« (Fernsehfilm) war im Gespräch. Zzt. bestehen noch keine Produktionsabsichten. Es wurden auch noch keine konkreten Festlegungen hinsichtlich der Besetzung getroffen. Die Produktion »Michael Kohlhaas« war ursprünglich für 1977 geplant, wurde aber aus produktionstechnischen Gründen verschoben und soll eventuell 1978 realisiert werden. Der endgültige Schauspielereinsatz ist noch nicht festgelegt. (In den nächsten Wochen sollen einige ältere Filme mit Krug im Nachmittagsprogramm des DDR-Fernsehens gesendet werden.)
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Im September 1976 wurde Manfred Krug durch die Leitung des Betriebsteiles »Amiga«14 das Interesse bekundet, seine Erfolgstitel zusammengefasst auf einer Langspielplatte zu produzieren. Es sollte sich dabei ausschließlich um Titel handeln, die bereits ein- oder mehrmals auf anderen Platten veröffentlicht wurden. Im Anschluss daran wurde Krug dieses Interesse nochmals schriftlich bestätigt mit dem Vermerk, dass die Produktion gegenwärtig aus Kapazitätsgründen nicht erfolgen kann. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass das Projekt sofort realisiert wird, wenn die Kapazität frei wird.
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Ende 1976 wurde durch Mitarbeiter des Betriebsteiles »Litera«15 Manfred Krug anlässlich eines Gespräches über Produktionsprobleme mitgeteilt, dass »Litera« beabsichtige, eine Mark-Twain-Platte mit ihm zu produzieren. Krug bekundete seinerseits sein Interesse. Eine konkrete Absprache bzw. Festlegung erfolgte weder schriftlich noch mündlich. Aufgrund des Personalmangels bei »Litera« war es bisher nicht möglich, die Mark-Twain-Platte zu produzieren, sodass ihre Produktion eventuell Ende 1977 erfolgt.
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Hinsichtlich der Darlegungen des Krug im Zusammenhang mit dem DEFA-Spielfilm »Feuer unter Deck« ist bis jetzt vorgesehen, die Kino-Premiere vorfristig für den 10.6.1977 anzusetzen und diesen Film 14 Tage später anlässlich der Sommerfilmtage16 als Beitrag zu zeigen. Die HV Film oder nachgeordnete Einrichtungen haben in keinem Fall weder gegenüber Krug noch anderen Personen begründet, dass der DEFA-Spielfilm »Feuer unter Deck« wegen des Verhaltens von Krug kein Beitrag der Sommerfilmtage 1977 sein wird.
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Im Zusammenhang mit der geplanten Gastspieltournee von namhaften Unterhaltungskünstlern aus der DDR in die [sic!] BRD, die ursprünglich für April 1977 vorgesehen war, wurden mit Krug keinerlei Gespräche bezüglich einer Teilnahme an diesem Gastspiel geführt. Es war ein ausdrücklicher Wunsch des westdeutschen Konzertagenten Funke aus Hamburg, der die gesamte Tournee in der BRD organisieren wollte, dass Manfred Krug teilnimmt. Seitens der Künstleragentur der DDR sowie des Komitees für Unterhaltungskunst17 war nicht vorgesehen, dass Krug innerhalb einer derartigen Gastspielreise eingesetzt wird. Wegen schleppender Verhandlungsführung vonseiten Funkes und seinem offensichtlichen Desinteresse kam es bisher zu keinem Vertragsabschluss.
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Nach vorliegenden Hinweisen trifft zu, dass Krug auf eine für September 1976 zu seinem Bruder in die BRD vorgesehene und bereits genehmigte Besuchsreise wegen der Teilnahme an den »Tagen der Unterhaltungskunst in der ČSSR« verzichtet hat und damit einverstanden war, zu einem späteren Zeitpunkt zu reisen. Im Januar 1977 beantragte Krug beim Ministerium für Kultur diese Reise für den März 1977. Soweit bekannt, wurde die Genehmigung dieser Reise von dem Verhalten Krugs während seiner Konzert-Tournee im Januar/Februar 1977 abhängig gemacht und danach zustimmend entschieden. Aus bisher noch nicht geklärten Gründen ist Krug von der Genehmigung seiner Reise nicht benachrichtigt worden.
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Konkrete Hinweise, inwieweit die Konzert- und Gastspieldirektion und Kulturhäuser der DDR von Vereinbarungen mit Krug zurückgetreten sind, liegen nicht vor. Im Gegensatz zur Behauptung des Krug liegen jedoch interne Hinweise vor, denen zufolge Krug Auftrittswünsche (Traktorenwerk Gotha und Rat der Stadt Schwedt) negiert und ein Nichtzustandekommen eines Vertrages selbst provoziert hat.
Intern wurde dem MfS bekannt, dass der Schauspieler Armin Mueller-Stahl ebenfalls ein Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD zu stellen beabsichtige. Einen entsprechenden Antrag habe er bereits schriftlich vorbereitet. Er ist auch von Manfred Krug über dessen Ersuchen auf Übersiedlung informiert.
Im vertraulichen Gespräch äußerte Mueller-Stahl, die Geschehnisse um Biermann wären bei ihm lediglich der »Auslöser« für eine beabsichtigte Antragstellung auf Übersiedlung. Er könne »nicht mehr heucheln und stillschweigend die Politik der DDR und die Missstände beim Fernsehfunk der DDR mit ansehen«. Er wolle in »größerer Freiheit« leben als sie ihm in der DDR gewährt werden könne. Er wolle »anständig aus der DDR gehen und aus seinem Weggehen kein politisches Kapital schlagen«. Mueller-Stahl verhält sich jedoch noch unsicher und schwankend, ob er das Ersuchen demnächst abgeben sollte.
Es wird eingeschätzt, dass bei einer Aussprache durch einen von Mueller-Stahl akzeptierten Gesprächspartner und einer darauf basierenden weiteren Einflussnahme bestimmte Möglichkeiten gesehen werden, ihn von der Abgabe des Ersuchens abzubringen und die bei ihm vorhandenen Unklarheiten und Schwankungen zurückzudrängen.
Nach dem MfS vorliegenden Informationen ist einzuschätzen, dass der Gegner und von ihm beeinflusste Kräfte in der DDR bestrebt sind, nach dem Scheitern der Versuche, in der DDR eine breite »innere Opposition« zu formieren und sie mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auftreten zu lassen, nunmehr mittels der Inspirierung und Organisierung von rechtswidrigen Übersiedlungsersuchen durch »prominente« Schauspieler, Schriftsteller, Kunstschaffende u. a. politischen Druck auf die DDR auszuüben, eine politische Verunsicherung in der Bevölkerung zu erreichen und die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu verleumden und zu diskriminieren.
Von dieser Zielsetzung ausgehend erfolgt eine verstärkte politisch-ideologische Einflussnahme auf dafür geeignet erscheinende Personen in der DDR, um sie möglichst noch vor der KSZE-Folgekonferenz in Belgrad18 zu derartigen Schritten zu bewegen.
Anlage zur Information Nr. 257/77
[Ausreiseantrag von Manfred Krug]
An den Rat des Stadtbezirks Pankow | Abteilung Innere Angelegenheiten | 110 Berlin-Pankow | Joh.-R.-Becher-Str. 24a/26
Manfred Krug | 111 Berlin | [Adresse] | Berlin, 16.4.1977
Betrifft: Antrag auf Ausreise aus der DDR in die BRD19
Mein Name ist Manfred Krug, ich bin Schauspieler und Sänger. Infolge der Scheidung meiner Eltern bin ich als Kind im Jahr 1949 aus der BRD in die DDR gekommen, wo ich seither lebe. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder.
1956 lernte ich Wolf Biermann kennen, mit dem ich befreundet war und bin. 1965 erschien ein erster gegen Biermann gerichteter Artikel im ND20; ich habe Biermann damals verteidigt,21 woraufhin ich öffentlich gemaßregelt wurde. Zwar kam für mich – im Gegensatz zu anderen DDR-Künstlern – kein Gastspiel im Kapitalistischen Ausland infrage, ich gehörte nie zum »Reisekader«, alle Angebote, die aus dem Ausland an mich ergangen waren, wurden abgeblockt, nicht ein einziges Mal gehörte ich etwa zu einer der vielen in interessante Länder reisenden DEFA-Delegationen, – weitergehende Folgen sind mir seinerzeit jedoch nicht erwachsen.
Diesmal ist das sehr viel anders: Wie bekannt ist, verfassten nach der Biermannausweisung im November 1976 zwölf DDR-Schriftsteller einen Protest, den auch ich später unterschrieb. Nach einem mit mir geführten Gespräch war ich nicht bereit, diese Unterschrift zurückzuziehen. Seither hat sich mein berufliches und privates Leben schlagartig verändert. Zunächst schloss mich das Fernsehen der DDR von jeglicher Mitarbeit aus. Dies war zwar nicht so unerträglich wie die fristlose Entlassung gegenüber den Kollegen E.-M. Hagen und I. Gorges, aber es war deshalb sehr hart, weil mir dadurch zwei für einen deutschen Schauspieler unwiederbringliche Rollen verloren gegangen sind. Ich war für die Titelrollen zweier Erstverfilmungen vorgesehen, für den »Götz von Berlichingen« und den »Michael Kohlhaas«.
»Die großen Erfolge«, eine fertig zusammengestellte Langspielplatte, wird nicht – wie vorgesehen und angekündigt erscheinen.
Der DEFA-Spielfilm »Feuer unter Deck«, an dem ich während des Sommers 1976 gearbeitet habe, wird nicht – wie vorgesehen – ein Beitrag der Sommerfilmtage 1977 sein, und zwar mit der Begründung, ich hätte in Erfurt einen ehrbaren Genossen niedergeschlagen und dadurch ein Benehmen gezeigt, das noch Schlimmeres erwarten lässt. (Darauf komme ich zurück.)
Durch einen Mitarbeiter des Komitees für Unterhaltungskunst der DDR war mir zwei Tage vor der Biermann-Ausweisung erstmalig eine Konzert-Tournee in die BRD angeboten worden, der ich für April 1977 zugesagt hatte. Diese Tournee findet nicht statt.
Durch den Leiter der Abteilung Litera beim VEB Deutsche Schallplatten war mir die Produktion einer Mark-Twain-Platte für das erste Quartal 1977 angeboten worden, die ich zugesagt hatte. Diese Produktion findet nicht statt.
Im Herbst 1976 habe ich auf eine mir zustehende Reise in die BRD zur Hochzeit meines dort lebenden Bruders verzichtet, weil mich das Komitee für Unterhaltungskunst der DDR gebeten hatte, stattdessen an den »Tagen der Unterhaltungskunst der DDR in der ČSSR« teilzunehmen, was ich mit Erfolg tat. Die Leiterin der Abteilung Unterhaltungskunst im Ministerium für Kultur der DDR gab mir das feste Versprechen, die Reise zu meinem Bruder zu einem späteren Zeitpunkt antreten zu dürfen. Am 1. Januar 1977 beantragte ich diese Reise für den Monat März 1977. Ich erhielt nicht einmal eine Antwort.
Obwohl ich noch nie ein Konzert gegeben habe, welches nicht ausverkauft gewesen wäre, liegt kein neues Angebot vor, im Gegenteil, von fünfzehn im Vorjahr zugesagten Konzerten sind neun ersatzlos gestrichen worden. So hat zum Beispiel die Leiterin eines Berliner Kulturhauses ein mit mir geplantes Konzert wieder abgesagt mit der Begründung, dies sei der Wunsch des Magistrats.
Dies ist eine unvollständige Auswahl von Repressalien, von denen angekündigt worden war, dass es sie nicht geben wird.
Leider wurden von Anfang an mich betreffende ungeprüfte Informationen verbreitet, wie zum Beispiel die unwahre Behauptung des Kulturministers, ich hätte Leute unter Druck gesetzt, um das Zustandekommen weiterer Unterschriften unter die Petition zu erwirken. Viele unwahre Geschichten sind in Umlauf gebracht worden, das gipfelte darin, dass in Erfurt ein Mann öffentlich eine Bemerkung gemacht hat, die den Eindruck erwecken sollte, ich würde über ein Bankkonto in der Schweiz verfügen. Dieser Anwurf hat dazu geführt, dass ich gegen den Mann tätlich wurde. Die berufliche Tätigkeit dieses Mannes lässt vermuten, dass ihm als Grundlage nicht ein irgendwo aufgeschnapptes Gerücht vorlag, sondern eine bewusst falsche Information. Inzwischen hat mir die Erfurter Polizei mitgeteilt, es handele sich nicht um eine Verfehlung oder um eine Straftat, sondern – nach Aussage des Verleumders – um eine »allgemeine Redewendung«.
Schmerzlich ist die auf solche Weise erzielte beginnende Isolierung. Erste Bekannte verzichten auf Besuche; bei der Auszahlung der Jahresendprämie wagten unter Hunderten noch fünf Kollegen, mir die Hand zu geben; Eltern verbieten ihren Kindern, mit meinen Kindern weiterhin zu spielen. Binnen kurzer Zeit muss es gelungen sein, mich schlechtzumachen. Wie anders wäre es möglich, dass auf Betriebsparteiversammlungen gesagt wird, Krug spiele zwar Parteisekretäre, führe aber das Leben eines Bourgeois, man müsse sich von solchen Leuten trennen? oder dass eine Berliner Staatsbürgerkundelehrerin ihren Schülern sagt, Schauspieler verkauften für Geld ihre Meinungen, der Schauspieler Krug insbesondere sei ein Krimineller, der schon mehrmals im Gefängnis gesessen habe? oder dass einem befreundeten Bildhauer22 von Armeeoffizieren – seinen Auftraggebern – geraten wird, sich von mir zu distanzieren? oder dass Beamte in der Nachbarschaft Recherchen darüber anstellen, wen ich wie häufig besuche? oder dass auf einem Potsdamer Forum öffentlich geäußert wird, ich sei ein Staatsfeind und ein Verräter an der Arbeiterklasse. Das war ich nie und ich werde es nie sein. Aber ich werde ganz so behandelt:
Während meiner letzten Konzert-Tournee bin ich von Kriminalbeamten offen observiert worden; meine Ansagen sind demonstrativ mitgeschrieben worden; viele Freunde unserer Musik beklagten sich, es habe kein freier Kartenverkauf stattgefunden; Pressefotografen sind aus dem Saal entfernt worden; zum ersten Mal gab es Gruppen von Zuhörern – vor allem in den vorderen Reihen – die während des ganzen Konzerts finstere Mienen vorführten und keine Hand rührten, eine Art von verabredeter Feindseligkeit, die einem Bühnenkünstler die Arbeit unmöglich macht, die ihn kaputtmacht. Ich weiß jetzt, welche Unzahl von Möglichkeiten es gibt, einen Menschen zu entmutigen und ihn schließlich zu deprimieren. Dagegen waren Geschmacklosigkeiten, die ich anlässlich der Premiere des Films »Spur der Steine« erlebt habe,23 vergleichsweise plump und dadurch schmerzloser.
Da ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass es verschiedene Meinungen geben kann und muss und dass es nicht verboten sein darf, sie öffentlich auszutragen, und dass zum Beispiel Wolf Biermann unserem Lande fehlt, sehe ich nach meinem Erfahrungen keine Chance, hier weiter zu existieren. Die Situation mag für einen Schriftsteller eine andere sein, der nur Papier und Bleistift für seine Arbeit braucht.
Nach reiflichem Bedenken beantrage ich für meine Familie und für mich die Ausreise aus der DDR in die BRD, wo meine Mutter und mein Bruder leben. Unsere seit elf Jahren mit uns zusammenlebende Haushälterin Rosemarie Engel (50 Jahre) möchte aus Liebe zu den Kindern, denen sie eine zweite Mutter geworden ist, und aus Treue zur Familie mit uns gehen.
Mein Haus in 111 Berlin, [Adresse], überlasse ich dem Staat; es ist das materielle Ergebnis langjähriger fleißiger Arbeit. Ebenso überlasse ich der Gemeinde Vipperow im Kreis Röbel das Wassergrundstück, das ich als Vergünstigung nach dem Fernsehfilm »Wege übers Land«24 1968 kaufen konnte.
Ich hoffe sehr, dass meinem Antrag stattgegeben wird und bitte darum, meine Umzugsangelegenheiten ohne Verzug aber nicht überstürzt regeln zu können.
Manfred Krug