Vorbereitung der Übersiedlung von Manfred Krug und Familie
21. Juni 1977
Information Nr. 408/77 über Aktivitäten des Manfred Krug im Zusammenhang mit seiner Übersiedlung in die BRD
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen hatte Krug am 19.4.1977 beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow, Abt. Innere Angelegenheiten, ein vom 16.4.1977 datiertes schriftliches Ersuchen auf Ausreise aus der DDR in die BRD für sich, seine Ehefrau, seine drei Kinder sowie für seine Haushälterin Engel, Rosemarie, abgegeben.
Am 25.5.1977 wurde dem Ehepaar Krug in einer vorher vereinbarten Aussprache im Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow, Abt. Innere Angelegenheiten, mitgeteilt, dass sie mit ihren drei Kindern nach Abwicklung der Formalitäten – wie Umzugsgut, Eigentumsfragen usw. – ausreisen können. Gleichzeitig wurde ihnen erklärt, dass ihre Haushälterin Engel bei bestehender Absicht auf Übersiedlung persönlich ein Ersuchen an den Rat des Stadtbezirkes richten muss.
Eine weitere Aussprache mit dem Ehepaar Krug fand am 1.6.1977 im Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow zwecks Entgegennahme der für die Übersiedlung erforderlichen Unterlagen und einer Informierung über den Stand der Übersiedlungsvorbereitungen statt. Während dieser Aussprache wurden alle von Krug zu seiner Übersiedlung vorgebrachten Fragen – u. a. über sein bewegliches und unbewegliches Vermögen, Umzugs- und Zollprobleme – sachlich und ausführlich erörtert und im Einverständnis mit Krug geklärt.
Besonders in der Aussprache am 1.6.1977 bedankte sich Krug für die faire und konkrete Art und Weise der Behandlung seiner Probleme und betonte, dass die erhaltene Auskunft zum Stand der Bearbeitung des Ausreiseersuchens seiner Haushälterin seine Erwartungen übertreffe.
Intern war dem MfS bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass Krug im vertraulichen Kreise geäußert hatte, er habe bereits »Wertsachen und Antiquitäten durch befreundete Diplomaten illegal in Koffern in den Westen verbringen lassen«. Gleichzeitig hatte er seinen Bekanntenkreis über sein Ausreiseersuchen und die Genehmigung seines »Antrages« in Kenntnis gesetzt. In diesem Zusammenhang äußerte er auch, dass seitens der staatlichen Organe zügig gearbeitet werde, um die Formalitäten seines Übersiedlungsersuchens zu bearbeiten, und Mitarbeiter staatlicher Organe im Einsatz seien, um seine Probleme schnell zu regeln.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass insbesondere der Regisseur Frank Beyer und die Schauspielerin Jutta Hoffmann im vertraulichen Gespräch nach Bekanntwerden der Antragstellung des Krug die Auffassung vertraten, Krug sei von seinem Vorhaben nicht mehr abzubringen, es müsste jedoch auf ihn eingewirkt werden, den Zeitpunkt seiner Übersiedlung so lange wie möglich hinauszuschieben, um die Aufführung des von ihnen gemeinsam mit Krug produzierten DEFA-Spielfilmes »Das Versteck« zu sichern. Die Initiative für diese Aktivitäten ging dabei von Frank Beyer aus. In der Folgezeit versuchten beide Personen auch mit Nachdruck, Krug zu überzeugen, zu warten bis ihr Film angelaufen sei. Wiederholt brachten Beyer und Hoffmann zum Ausdruck, dass es ihnen nicht um Krug, sondern um ihren Film ginge. Beide äußerten in vertraulichen Gesprächen, sie hätten sich nur aus diesem Motiv heraus in Gesprächen mit Genossen der Partei- und Staatsführung bereit erklärt, Krug zu beeinflussen, jegliche Aktivitäten im Zusammenwirken mit westlichen Journalisten zu unterlassen.
Folgende DEFA-Spielfilme, in denen Manfred Krug die Hauptrolle spielt, wurden bisher nicht uraufgeführt:
»Feuer unter Deck« – Regisseur: Herrmann Zschoche, Autor: Wolfgang Müller (Ehemann der Katja Lange), Dramaturg: Brigitte Gotthard, Schauspieler: Manfred Krug, Renate Krößner, Fred Delmare, Thomas Neumann, Jürgen Heinrich, Hilmar Baumann u. a. Die Uraufführung war vorgesehen für den 9.6.1977 in Berlin; die Veranstaltung wurde entsprechend einer Verfügung abgesetzt. Es handelt sich um eine Filmkomödie über Probleme der Binnenschifffahrt.
»Das Versteck« – Regisseur: Frank Beyer, Autor Jurek Becker, Dramaturg: Gerd Gericke, Schauspieler: Manfred Krug, Jutta Hoffmann, Alfred Müller, Dieter Mann, Marita Böhme u. a. Die Uraufführung war für den 26.8.1977 in Berlin vorgesehen. Dieser Film behandelt Dreiecks-Probleme und Probleme einer geschiedenen Ehe.
Am 10.6.1977 wurde im Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow, Abt. Innere Angelegenheiten, eine weitere Aussprache mit dem Ehepaar Krug durchgeführt, um Probleme der Abwicklung der Umzugsvorbereitungen zu klären. Eingangs des Gesprächs entwickelte Krug aus eigener Initiative die Vorstellung, noch bis Ende August 1977 in der DDR zu verbleiben, um seine Filmpremiere »Das Versteck« abzuwarten. Ohne auf diese Bemerkung Krugs einzugehen, wurden die Probleme der Abwicklung der Umzugsvorbereitungen beraten, wobei sich im Wesentlichen zeigte, dass alle eingeleiteten Maßnahmen zügig durchgesetzt waren. Der Krug infolge dessen vorgeschlagene Termin der Ausreise am 15.6.1977 wurde von ihm in starker Erregung zurückgewiesen, wobei er äußerte, dieser Termin käme nun doch einem »Rausschmiss« gleich. Im Verlaufe des Gesprächs akzeptierte er den Vorschlag, am 20.6.1977 aus der DDR auszureisen.
Intern ist dem MfS bekannt, dass Krug am 14.6.1977 Frank Beyer über diese Situation unterrichtete, wobei dieser erklärte, sich bei »entsprechenden Stellen« für Krug einzusetzen. Beyer habe nach persönlicher Äußerung am gleichen Tag »Beschwerde geführt« beim stellvertretenden Minister für Kultur und Leiter der HV Film, Genossen Horst Pehnert, da nach seiner Ansicht nun doch die Aufführung seines Films »Das Versteck« gefährdet sei, und habe die festgelegte Ausreisefrist für Krug als »Betrug, Lüge, Wort- und Vertrauensbruch« bezeichnet. Auf Vermittlung des Genossen Pehnert sei ein Gespräch beim Minister für Kultur, Genosse Hoffmann, vereinbart worden, an dem Frank Beyer und Jutta Hoffmann teilnahmen.
Es zeichnet sich ab, dass seit den ersten Äußerungen Krugs in seinem Umgangskreis, in die BRD übersiedeln zu wollen, sowie in noch stärkerem Maße nach der Abgabe seines Ersuchens auf Übersiedlung aus der DDR in die BRD in der Westpresse eine Kampagne angelaufen ist, wobei in vielfältigen Artikeln auf die bevorstehende Übersiedlung des Krug in einer die DDR abwertenden Form hingewiesen wird.
Bereits am 10.3.1977 erschien in den Westberliner Zeitungen »Bild Zeitung«, »BZ« und »Morgenpost« je eine Mitteilung über die Absicht Krugs, in die BRD auszureisen.1 Die Meldungen bezogen sich auf eine Party im Hause Krugs, während der Krug sein Vorhaben angekündigt hatte. An dieser Party hatten auch Diplomaten von Botschaften nichtsozialistischer Länder teilgenommen. In diesen Meldungen Westberliner Zeitungen wurden als Gründe für die vorgesehene Ausreise des Krug in die BRD bereits die gleichen genannt, die Krug später am 19.4.1977 bei der Begründung seines Übersiedlungsersuchens anführte.
Nach Bekanntwerden des Übersiedlungsersuchens und insbesondere nach dessen Genehmigung – Krug hatte den Stand seines Vorhabens jeweils seinem Umgangskreis bekannt gegeben – wurden durch westliche Massenmedien verstärkte Aktivitäten unternommen, um die Übersiedlung des Krug zu publizieren und im Sinne der politisch-ideologischen Diversion gegen die DDR auszunutzen. Hinweisen zufolge nahmen Vertreter folgender BRD-Massenmedien Verbindung zu Krug auf:
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Riek – »Münchner Abendzeitung«
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Förster – »Berliner Morgenpost«/Westberlin
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Korruhn – WDR – »Deutsches Fernsehen« Köln
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Hesslein – ARD-Studio in der DDR
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Lehmann – ARD-Studio in der DDR
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Trenkner – ARD-Fernsehen Baden-Baden
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Schwarz – »Spiegel«/Hamburg
Krug selbst nahm Verbindung zum Vertreter des ZDF-Büros in der DDR, Sager, auf. Nach Äußerungen von Krugs Ehefrau im internen Kreis habe Sager erklärt, Krug »brauche sich keine Sorgen zu machen, in Westberlin allein nur den Journalisten entgegentreten zu müssen«.
Internen Hinweisen zufolge habe Sager im Einvernehmen mit Krug Einzelheiten zum Ablauf einer der nächsten Sendungen des ZDF »Kennzeichen D«,2 die sich mit Krugs Angelegenheiten befassen soll, erörtert. Sager habe Krug mitgeteilt, er habe sich dafür verwendet, dass die Massenmedien der BRD und Westberlins bis zur Ausreise Krugs »fair play« spielen und keine wesentlichen Veröffentlichungen bringen würden. Gleichzeitig habe Sager Starthilfe und Betreuung angeboten.
Sager kündigte im vertraulichen Kreis an, am Abend des Tages der Ausreise Krugs in der Nachrichtensendung des ZDF »heute« ein Exklusivinterview mit Krug zu bringen. Trenkner, ARD-Fernsehen Baden-Baden habe mit Krug eine Zusammenkunft nach seiner Übersiedlung vereinbart und ihm mitgeteilt, er wolle ihm »ein ganz faires Angebot« machen.
Den BRD-Zeitschriften »Stern« und »Spiegel« gab Krug Zusagen zu Erst-Interviews nach seiner Übersiedlung in die BRD. In den letzten Tagen wurde festgestellt, dass Krug den Reporter des »Stern« vor seinem Haus abwies, offenbar in der Absicht, eine gegen die bisherige Veröffentlichungen in der Westpresse zu seiner Übersiedlung gerichtete Haltung zu »demonstrieren«.
Auch der »Berliner Morgenpost« versprach Krug ein Exklusivinterview unmittelbar nach seiner Übersiedlung in die BRD. Krug bzw. seine Ehefrau informierten am 4. und 5.6.1977 die genannten Vertreter der »Berliner Morgenpost« und der »Münchner Abendzeitung« von der genehmigten Übersiedlung in die BRD. Interviews vor seiner Übersiedlung mit Vertretern westlicher Massenmedien lehnte Krug ab.
Seit dem 4.6.1977 wird in den westlichen Massenmedien die bevorstehende Übersiedlung Krugs massiv publiziert.3 Dabei wird in den letzten Tagen in diesen »Artikeln« mehrfach darauf verwiesen, der DDR würde aus der Übersiedlung Krugs Schaden erwachsen, da die beiden Krug-Filme nicht aufgeführt würden und mit weiteren »Aufführungsverboten« der anderen rund 60 Film- und Fernsehproduktionen, in denen Krug mitgewirkt hat, zu rechnen sei.
In den letzten Tagen wurden Äußerungen Krugs bekannt, nach denen er befürchtete, dass die Westpresse ihm vor seiner Ausreise »aufgrund ihrer Schreibereien« noch Schwierigkeiten bereitet. Andererseits trat Krug mit Vermutungen auf, staatliche Organe hätten die Veröffentlichungen in der Westpresse »lanciert«, um ein »Druckmittel« gegen ihn im Zusammenhang mit der befohlenen beschleunigten Ausreise zu erhalten.
Neben den genannten Verbindungen zu Vertretern westlicher Massenmedien besitzt Krug vielfältige Kontakte zu westlichen Diplomaten, die er auch gegenwärtig aufrecht erhält. Hierzu gehören:
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Gaus – Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR
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Polansky – amtierender Botschafter der USA in der DDR
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de Medina – Botschafter Portugals in der DDR
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Magno – 1. Sekretär der Botschaft Italiens in der DDR
Krug nahm an mehreren Empfängen in westlichen Botschaften teil. Besonders enge Kontakte hat Krug zu den Mitarbeitern der USA-Botschaft Parker und Klein, zu denen familiäre Beziehungen bestehen.
Krug steht weiterhin in Verbindung mit dem aus der DDR ausgebürgerten Biermann4 und den in die BRD übergesiedelten Hagen, Eva-Maria, und Hagen, Nina. Diese Personen bestärkten Krug in seinen Übersiedlungsabsichten und sicherten ihm Unterstützung in der BRD zu. Eva-Maria Hagen sei nach Äußerungen Krugs die Initiatorin eines »Empfangskomitees« für die Ankunft Krugs in Westberlin. Außerdem habe sie bereits für Krug einen Vertrag mit der Schallplattenfirma CBS abgeschlossen.
Am 17.6.1977 erschienen die Eheleute Krug vereinbarungsgemäß im Rat des Stadtbezirkes Berlin-Pankow, Abt. Innere Angelegenheiten, zur Entgegennahme der Ausreisedokumente sowie der Urkunden über die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Die üblichen Bearbeitungs- und Visagebühren in Höhe von 90,00 M wurden von ihnen ohne Bemerkung bezahlt. Krug erklärte in dieser Aussprache, es sei ihm wahrscheinlich nicht möglich, sich vollkommen vor der Springer-Presse abzuschirmen, er halte jedoch an seinem Genossen Lamberz gegebenen Versprechen fest, keine »schädlichen Handlungen gegen die DDR« vorzunehmen.
Die Umzugsgüter Krugs wurden in den letzten Tagen zügig vom Binnenzollamt Berlin abgefertigt. Anliegend wird eine kurze zusammenfassende Darstellung des Umzugsgutes der Familie Krug, das mit vier Volvozügen mit Anhängern und zwei Lastzügen mit Plane und Spiegel zu seinem Bruder, Krug, Roger, wohnhaft: 7036 Schönaich/BRD, transportiert wurde, gegeben.
Krug führte am 19.6.1977 ab ca. 19.30 Uhr eine Abschiedsparty durch, zu der er nach seinen Äußerungen seine engsten Freunde eingeladen hatte. Diese Party war von Sarah Kirsch/Lyrikerin und Hans Joachim Schädlich/Schriftsteller angeregt worden. Bei den Vorbereitungen wurde er aktiv von Jurek Becker unterstützt.5
Krugs Gäste trafen ab ca. 19.00 Uhr ein und verließen die Party zu unterschiedlichen Zeiten. Die Feier wurde am 20.6.1977, 4.00 Uhr, beendet. Unter den insgesamt 39 Gästen Krugs befanden sich u. a. Jurek Becker/Schriftsteller, Hans Joachim Schädlich/Schriftsteller, Günter Fischer/Kapellenleiter, Jutta Hoffmann/Schauspielerin, Günter Kunert/Schriftsteller, Armin Mueller-Stahl/Schauspieler, Klaus Poche/Schriftsteller, Klaus Lenz/Kapellenleiter, Lothar Reher/Abteilungsleiter »Volk und Welt«, Willy Moese/Karikaturist, Maria Moese/Programmsprecherin Fernsehen der DDR, Gerhard Wolf/Schriftsteller, Christa Wolf/Schriftsteller,6 Frank Beyer/Regisseur, Sarah Kirsch, Klaus Schlesinger und Bettina Wegner sowie – später eintreffend – Monika Unferferth/Programmsprecherin Fernsehen der DDR.
Außerdem waren Vertreter der niederländischen und der italienischen Botschaft in der DDR erschienen.
Während der Party saßen die Gäste in kleineren Gruppen zusammen, wobei teilweise reichlich Alkohol getrunken wurde. Die Party wurde als aufgelockert bis fröhlich geschildert und machte nicht den Eindruck einer Abschiedsfeier. Es gab keine Abschiedsrede, keinen Toast und keine Abschiedszenen. Die Ehefrau Krugs gab sich im Gegensatz zu sonst vordergründig ausgelassen und inspirierte die heitere Stimmung. Ausnahmen bildeten Jutta Hoffmann und Maria Moese, die ständig in Tränen ausbrachen und Krug mehrfach umarmten. Einen Zwischenfall gab es mit dem stark angetrunkenen Musiker Klaus Lenz, der in den Partyräumen randalierte und Krug und Reher vorwarf, sie seien Bourgeois, sodass Krug veranlasste, ihn nach Hause zu bringen.
Krug saß während der Feier fast ausschließlich mit Kunert, Becker und Poche zusammen, führte mit diesen Personen intensive Gespräche und kümmerte sich nicht um den Verlauf der Feier.
Krug erschien mit Ehefrau und drei Kindern am 20.6.1977, 15.48 Uhr, an der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße zur Ausreise. Er wurde bis 16.01 Uhr der üblichen Kontrolle unterzogen und hat 16.03 Uhr die Staatsgrenze ohne Vorkommnisse passiert.
Auf Westberliner Seite wurde er von zwei Angehörigen der Westberliner Polizei und zwei Zivilisten – einer mit Fotoapparat und einer mit Schreibblock – begrüßt. Nach fünf Minuten erfolgte die Weiterfahrt Krugs.
Anlage zur Information Nr. 408/77
Zusammenfassende Darstellung über das Umzugsgut der Familie Krug
Für den Transport des Umzugsgutes werden eingesetzt: Vier Volvozüge mit Anhänger und zwei Lastzüge mit Plane und Spiegel.
[Auflistung des Umzugsgutes nicht wiedergegeben.]