Westberliner Ballonaktionen mit »Hetzschriften«
18. März 1977
Information Nr. 159/77 über Hetzschriften-Ballonaktionen von Berlin (West) aus
In der Nacht vom 4.3. zum 5.3.1977 wurde von Berlin (West) aus eine Flugblattaktion mithilfe von Ballons gegen die DDR durchgeführt. Eine solche Flugblattaktion fand bereits am 7.1.1977 statt.
Jede Flugblattlast wurde von jeweils drei mit hochexplosivem Wasserstoffgas gefüllten Ballons (Kunststoffhülle) getragen. Diese Last, bestehend aus einem Zeitauslösemechanismus und einem Plastebehälter mit 500 Hetzschriften, hatte ein Gewicht von 3 kg. Die Ballons hatten einen Durchmesser von ca. 1,5 m. Eine größere Anzahl der eingeschleusten Hetzflugblätter konnte sichergestellt werden.
Die Täter versuchten unter Ausnutzung der meteorologischen Bedingungen (zum Zeitpunkt der Aktion am 4./5.3.1977 waren stürmische Winde zu verzeichnen) sowie mithilfe des Auslösesystems eine breite Streuung der Flugblätter zu erreichen.
Die Hetzflugblätter haben hetzerische Verleumdungen zum Inhalt. Sie richten sich u. a. gegen das sozialistische Strafrecht und die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR bzw. beinhalten hetzerische Forderungen gegenüber der DDR bezüglich der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. In diesem Zusammenhang werden Hinweise zur Erlangung der Ausreiseerlaubnis aus der DDR gegeben.
In Pressemitteilungen, die unmittelbar nach Durchführung der Flugblattaktionen an mehrere Presseagenturen und Redaktionen mit Sitz in Berlin (West) verschickt wurden, bekannte sich das sogenannte »Tübinger Institut zur Bekämpfung der Menschenrechtsverletzungen in der DDR«1 »in Wahrnehmung der vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen vernachlässigten Aufgaben« vorbehaltlos zu den vorsätzlich durchgeführten Provokationen gegen die DDR und wies auf weitere derartig beabsichtigte Aktionen hin.
Im Ergebnis durchgeführter Ermittlungen wurde festgestellt, dass es sich bei den Initiatoren der Flugblattaktionen um rechtsextremistische, neonazistische und kriminell-terroristische Elemente aus der BRD und Berlin (West) handelt. Als unmittelbare Organisatoren konnten identifiziert werden:
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»Hochschulring Tübinger Studenten« (HTS)2
74 Tübingen, Grabenstraße 19
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»Studentischer Arbeitskreis Mitteldeutschland/
Junge Europa Studenteninitiative« (SAM/JES)3
74 Tübingen, Grabenstraße 19
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»Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG)-Nürnberg4
8501 Heroldsberg, Sofienhöhe 5
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»Notgemeinschaft Freier Berliner«5
Berlin (West), Claudiusstraße 10
Diese Vereinigungen verbergen sich hinter dem auf den Hetzflugblättern angegebenen »Institut zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in der DDR«.
Zu den Hauptinitiatoren dieser Vereinigungen und der Flugblattaktionen gegen die DDR gehören Heinzmann, Axel, geb. am [Tag] 1946, wohnhaft in Tübingen, [Adresse], Leiter des »Hochschulrings Tübinger Studenten« und des »Studentischen Arbeitskreises Mitteldeutschland«, Mitglied der »Gesellschaft für Menschenrechte e. V.«,6 Frankfurt/M. und Moldenhauer, Bernd, geb. am 14.8.1949, wohnhaft in Berlin (West), [Adresse], sogenannter 1. Sekretär der »Notgemeinschaft Freier Berliner« und Mitglied der »Gesellschaft für Menschenrechte e. V.«, Frankfurt/M., sowie der Leiter der neonazistischen »Wehrsportgruppe« (WSG), Hoffmann, Karl-Heinz (38), wohnhaft in 8501 Heroldsberg, [Adresse].7
Ein weiterer Teilnehmer an den Flugblattaktionen ist der Funktionär der CDU Ostwestfalen-Lippe/BRD Kappelt, Olaf, wohnhaft: 4970 Bad Oeynhausen/BRD, Soziologiestudent.8
Kappelt ist Präsident des »Bundes Mitteldeutscher Jugend«9 und zeichnet verantwortlich für den Inhalt der Hetzschrift »Tarantel – Zeitschrift für Menschenrechtsfragen, aktive Deutschland- und Außenpolitik«.10 Gegenwärtig versucht Kappelt, in Funktionärskreisen der CDU/CSU sowie unter anderen revanchistischen Kräften Unterstützung für die Errichtung eines sog. »Oskar-Brüsewitz-Zentrums«11 in Westfalen/BRD zu erhalten.
Von den Flugblattaktionen wusste und über die Termine der Durchführung informiert war der Löwenthal, Gerhard, Moderator des ZDF, Sprecher vom »Bund Freies Deutschland«12 und Ehrenmitglied des HTS, sowie die Springer-Presse, insbesondere der »Springer-Inlandsdienst« (sog. ASD).13
Der ASD erhielt von den Organisatoren der Flugblattaktion vom 4./5.3.1977 sofort nach Durchführung der Aktion eine »Vollzugsmeldung«. (Am 6.3.1977 erschien in der »Berliner Morgenpost« eine entsprechende Presseveröffentlichung, am 7.3.1977 auch in der »Welt« und in der »BZ«.14 Über die Durchführung der Flugblattaktion am 7.1.1977 veröffentlichten die in Hamburg erscheinende »Bild am Sonntag« am 9.1.1977 und die »Bild-Post« am 20.2.1977 entsprechende kurze Pressemeldungen.)15
Nach vorliegenden Hinweisen sind auch den zuständigen Behörden in der BRD und in Berlin (West) die Aktivitäten der o. g. Vereinigungen und Personen bekannt. Sie waren auch über die gegen die DDR gerichteten Flugblattaktionen informiert.
Es wird vorgeschlagen, gegen derartige gegen die Entspannung und Normalisierung der Beziehungen gerichtete und das Leben und die Gesundheit von DDR-Bürgern gefährdende Aktivitäten in geeigneter Form zu protestieren – bei
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der Regierung der BRD gegen die Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR, den Missbrauch von Berlin (West) für verbrecherische Aktivitäten gegen die DDR und die Verletzung des Luftraumes der DDR durch Organisationen in der BRD,
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dem Senat von Berlin (West) gegen die Verletzung des Luftraumes der DDR, die Gefährdung der Flugsicherheit im Luftraum der DDR und die Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR.
Der Generalsekretär des ZK der SED, Genosse Erich Honecker, dem diese Information bereits vorlag, hat den vorstehend genannten Vorschlägen zugestimmt und festgelegt, diese Information zum Zwecke der Einleitung erforderlicher Maßnahmen durch das MfAA zu übergeben.16
Anlage 1: 2 Blatt (Kopie v. 5.3.77) [nicht überliefert]
Anlage 2: 1 Blatt v. 7.1.77 [nicht überliefert]