Antrittsbesuch des Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz bei Honecker
23. Januar 1981
Information Nr. 39/81 über erste interne Auswertungen des Antrittsbesuches des Vorsitzenden der »Berliner Bischofskonferenz« beim Vorsitzenden des Staatsrates der DDR durch den leitenden katholischen Klerus
Dem MfS wurde intern bekannt, dass durch die Teilnehmer des Gesprächs, das der Vorsitzende des Staatsrates der DDR am 15. Januar 1981 im Gebäude des Staatsrates mit Repräsentanten der katholischen Kirche der DDR führte,1 unmittelbar nach dieser Begegnung mit internen Auswertungen begonnen wurde.
Im Anschluss an das Gespräch kamen die Teilnehmer Bischof Schaffran2 (Vorsitzender der »Berliner Bischofskonferenz«), Prälat Dissemond3 (Sekretär der »Berliner Bischofskonferenz«) und Ordinariatsrat Lange4 (»Bischöfliches Ordinariat« Berlin) mit leitenden Mitarbeitern des »Bischöflichen Ordinariats« zu einer ersten internen Auswertung zusammen.
Von ihnen wurde übereinstimmend eingeschätzt, das Gespräch habe in einer überaus aufgeschlossenen und ungezwungenen Atmosphäre stattgefunden. Der Vorsitzende des Staatsrates habe sich »in einer guten Verfassung befunden« und das Gespräch souverän und mit großer Sachkenntnis geführt; sein Auftreten sei höflich, aber bestimmt gewesen. Er habe es verstanden, den gesamten Gesprächsverlauf flüssig zu gestalten, wobei der Inhalt der Begegnung lebensnah und von der hohen Verantwortung des Vorsitzenden des Staatsrates für alle Bürger der DDR getragen gewesen sei.5
Im Mittelpunkt des Gesprächs hätten Fragen der Erhaltung des Friedens und der Veränderung der Diözesangrenzen entsprechend der Staatsgrenze der DDR gestanden. Zu den Fragen der Erhaltung des Friedens habe der Staatsratsvorsitzende die Ziele und Aktivitäten der Regierung der DDR dargelegt und in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass er mit großem Interesse die Reisen von Papst Johannes Paul II. verfolge. Diese seien seines Erachtens nicht nur als Selbstverständnis der katholischen Kirche, sondern auch als Initiativen zur Beendigung des Rüstungswahnsinns und als Handlungen zur Erhaltung des Weltfriedens zu verstehen. Hier habe es völlige Übereinstimmung zwischen den Gesprächspartnern gegeben. Der Staatsratsvorsitzende habe an seine persönlichen Begegnungen mit dem jetzigen Staatssekretär des Vatikans, Kardinal Casaroli,6 und an dessen Friedensbemühungen erinnert.
In Bezug auf die Veränderung der Diözesangrenzen entsprechend der Staatsgrenze der DDR sei der Staatsratsvorsitzende davon ausgegangen, dass die DDR folgerichtig im Ergebnis der Spaltungspolitik westdeutscher Kreise und deren Verbündeter entstand und heute niemand an den Realitäten der souveränen DDR vorbeikomme. Demzufolge müssten in allen Bereichen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.
In diesem Zusammenhang habe Bischof Schaffran darauf verwiesen, dass die »Berliner Bischofskonferenz«7 in der DDR selbstständig tätig sei und die Bischöfe in der BRD nicht befugt seien, in die Belange der katholischen Kirche in der DDR einzugreifen. Dieser Hinweis Bischof Schaffrans habe den Staatsratsvorsitzenden zu der Bemerkung »das würden wir auch nicht zulassen« veranlasst.
Bischof Schaffran verwies bei der Auswertung in internem Kreis darauf, dass er sich aufgrund des Verlaufs des Gesprächs und der Gesprächsführung durch den Vorsitzenden des Staatsrates entgegen der Auflage der »Berliner Bischofskonferenz« nicht kritisch zu »Schwierigkeiten vereinzelter katholischer Schüler und Studenten an Volksbildungseinrichtungen« geäußert habe, da ihm ein Eingehen auf diese Fragen als nicht geeignet erschien. In der internen Beratung wurde darauf verwiesen, es werde »nicht einfach« sein, hierzu das Verständnis aller Bischöfe der »Berliner Bischofskonferenz« zu erlangen.
Bischof Schaffran erklärte in der internen Beratung weiter, wegen des positiven Verlaufs des Antrittsbesuches werde er auch nicht, wie ursprünglich vorgesehen, an den Gesprächen mit den Bischöfen aus der BRD, die für den 16. Januar 1981 vorgesehen waren, teilnehmen, um Missdeutungen seitens des Staatsapparates auszuschließen.
Die interne Beratung legte fest, den Vatikan schriftlich über den positiven Verlauf des Antrittsbesuches Bericht zu erstatten, wobei ausgedrückt werden soll, dass »auch positiv reagiert werden sollte«. Im Mittelpunkt des Berichtes sollten die angesprochenen Fragen der Erhaltung des Weltfriedens und der Veränderung der Diözesangrenzen entsprechend der Staatsgrenze der DDR stehen.
Am 19. Januar 1981 kamen die katholischen Bischöfe in der DDR zu einer internen außerplanmäßigen Sitzung in der Residenz des Berliner Bischofs in Berlin, Französische Straße 34, zusammen.
Bischof Schaffran informierte während dieser Zusammenkunft die Bischöfe über seinen Antrittsbesuch am 15. Januar 1981 beim Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Erich Honecker.
Grundlage für die »Unterrichtung« bildete die erste Auswertung im internen Kreis am 15. Januar 1981.
Bischof Schaffran charakterisierte anfangs den Gesamtverlauf der Begegnung und betonte auch vor diesem Kreis die aufgeschlossene und aufgelockerte Atmosphäre sowie das von Sachkenntnis geprägte Auftreten des Staatsratsvorsitzenden. Es habe während der Unterhaltung keine »Zwangspausen« gegeben; jede Seite habe sich aktiv am Gespräch beteiligt. Während des Antrittsbesuches habe es den Austausch von »üblichen Höflichkeitsbezeugungen« gegeben. Darüber hinaus sei vom Staatsratsvorsitzenden die Gelegenheit genutzt worden, vor allem zu zwei Grundfragen die Position der DDR darzulegen.
Zum einen hätte der Staatsratsvorsitzende zu den derzeitigen Erfordernissen der Abrüstung aus der Sicht der sozialistischen Staaten gesprochen und in diesem Zusammenhang das besondere Friedensengagement des Papstes Johannes Paul II. hervorgehoben.
Zum anderen wäre vom Staatsratsvorsitzenden sehr klar und unmissverständlich darauf verwiesen worden, dass die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Staat der DDR noch besser gestaltet werden können. Hierzu gehöre die Veränderung der Diözesangrenzen in der DDR, die kein formeller Akt sei.8
Die Regierung der DDR wende sich dagegen, dass westdeutsche Regierungskreise den Papst, u. a. auch bei seiner Reise in die BRD, in dieser entscheidenden Frage negativ beeinflussen.
In der anschließenden Aussprache wurde von einigen Bischöfen (u. a. Bischof Huhn,9 Görlitz) die Frage gestellt, ob Bischof Schaffran zu den »Schwierigkeiten katholischer Schüler und Studenten an Volksbildungseinrichtungen« gesprochen habe, da auch die katholische Kirche die Gelegenheit nutzen sollte, sich aus ihrer Sicht zu bestimmten Grundfragen zu äußern.
Bischof Schaffran erklärte hierzu, er wäre im Zusammenhang mit den Fragen der Erhaltung des Weltfriedens darauf eingegangen, wie die katholische Kirche daran mitwirke, das »Freund-Feind-Bild« zu verändern. Zu den Bildungsfragen habe er sich nicht geäußert, da hierzu das Statement der katholischen Kirche hinreichend bekannt sei. Außerdem wäre ein Ansprechen dieser Sache aufgrund der debattierten weltpolitischen Fragen deplaciert gewesen.
In der Aussprache wurde weiter die Frage gestellt, weshalb – entgegen der vorherigen Vereinbarung – vom Fernsehen der DDR Bilder mit Ton vom Antrittsbesuch gesendet wurden. Bischof Schaffran entgegnete, die Ausstrahlung des Tones sei lediglich während der Begrüßung erfolgt; das eigentliche Gespräch anlässlich des Antrittsbesuches sei nur mit Bild und Kommentierung gebracht worden.
Eine weitere Frage bezog sich darauf, was den katholischen Geistlichen bei persönlichen Anfragen über den Antrittsbesuch übermittelt werden solle. Die Bischöfe kamen überein, die Geistlichen darauf hinzuweisen, bei der Begegnung zwischen dem Staatsratsvorsitzenden und Bischof Schaffran habe es sich um einen ausschließlichen Antrittsbesuch gehandelt. Sachgespräche hätten auf anderer Ebene vorher stattgefunden und würden entsprechend den bisherigen Gepflogenheiten weiter stattfinden. Es sei weiter zu orientieren, aus dem Gespräch mit dem Staatsratsvorsitzenden solle nicht eine Veränderung der Grundhaltung des katholischen Klerus in der DDR abgeleitet werden.10
Der Antrittsbesuch entspreche den Realitäten und einem gegenseitig respektierten Grundverhalten. Die apolitische Haltung werde deshalb beibehalten.
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