Aufruf zur Einführung eines Sozialen Friedensdienstes
7. Juli 1981
Information Nr. 346/81 über weitere Aktivitäten evangelischer kirchlicher Kreise zur Einrichtung eines »Sozialen Friedensdienstes« als Alternative zum Wehr- und Wehrersatzdienst
Ergänzend zur Information Nr. 284/81 vom 3. Juni 1981 wurde intern bekannt, dass in den letzten zwei bis drei Wochen von politisch-negativen Kräften der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ausgehende Bestrebungen, mit einer »Alternative« zum Wehr- und Wehrersatzdienst wirksam zu werden, vom Stadium interner Vorbereitungen in Aktivitäten zum Erreichen einer bestimmten Massenwirksamkeit übergeleitet wurden. Eine textliche Fassung des sogenannten Alternativvorschlages (siehe Anlage) wurde in fast allen Bezirken der DDR in kirchlichen Gremien verbreitet und zur Diskussion gestellt.
Nach bisher vorliegenden Hinweisen wird mit diesen Aktivitäten das Ziel verfolgt,
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bis zum 1. September 1981 (Weltfriedenstag) ca. 300 000 Unterschriften für den »Alternativvorschlag« zu sammeln,
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die Aktion durch die Herbstsynoden der Landeskirchen sanktionieren zu lassen,
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unter Einbeziehung kirchlicher Publikationsorgane den »Alternativvorschlag« (mit Unterschriften) der Volkskammer der DDR und dem zuständigen UNO-Ausschuss (genannt wurde auch der Ministerrat der DDR) zu übergeben und
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die Volkskammer der DDR aufzufordern (unter Druck zu setzen), ein »Gesetz über den Sozialen Friedensdienst« zu beschließen.
Wie intern bekannt wurde, begann Pfarrer Wonneberger1 (Weinbergkirche Dresden) – in Abstimmung mit Landesjugendpfarrer Bretschneider2 (Dresden) – bereits im Oktober/November 1980 im Zusammenhang mit der Zunahme der Verbreitung pazifistischen Gedankengutes, vor allem seit der sogenannten kirchlichen gesamtdeutschen3 Friedensdekade im November 1980 unter dem Motto »Frieden schaffen ohne Waffen«, mit der Erarbeitung des entsprechenden Papiers.4
Am 18.4.1981 hat Pfarrer Wonneberger entsprechend einer Festlegung der unter seiner Leitung gebildeten sogenannten Initiativgruppe »Sozialer Friedensdienst«5 dieses Papier mit einem Anschreiben an den Volkskammerabgeordneten Dr. Möller6 (NDPD/Dresden) abgeschickt, um die »Reaktion staatlicher Organe zu testen« (wurde von Möller dem Rat der Stadt Dresden/Abt. Inneres übergeben und nicht beantwortet).
Nach weiteren internen Hinweisen haben ebenfalls im April 1981 Bausoldaten7 (Einsatzort Militärakademie »Friedrich Engels«, Dresden) an alle Bischöfe der Landes- und Freikirchen sowie der katholischen Kirchen in der DDR ein Schriftstück geschickt, in welchem u. a. auch die Forderung nach einem »Sozialen Friedensdienst« erhoben wurde.
Am 9.5.1981 wurde in einer weiteren Beratung der »Initiativgruppe« die vorläufige Endfassung des Papiers festgelegt. (Bei den weiteren Unterzeichnern des Papiers handelt es sich um den Superintendenten Dr. Wetzel, Dresden und Pfarrer Burkhardt, ehemaliger Jugendpfarrer Weinbergkirche Dresden, jetzt Pfaffroda, Karl-Marx-Stadt.)
Hinsichtlich der weiteren Verbreitung und Behandlung des »Alternativvorschlages« erscheinen folgende – überwiegend intern bekannt gewordene – Aktivitäten bedeutsam:
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Nach dem vorgenannten Zeitpunkt übersandte der sogenannte Arbeitskreis »Erziehung zum Frieden« der Evangelischen Studentengemeinde Dresden den Alternativvorschlag an alle Evangelischen Studentengemeinden in der DDR mit der Aufforderung, Meinungen oder Zustimmungen an die »zuständigen Kirchenkreise« zu übergeben.
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In einer Beratung am 2. Juni 1981 legte der sogenannte Arbeitskreis »Erziehung zum Frieden« der Evangelischen Studentengemeinde Magdeburg fest, das »Dresdener Papier« zur Meinungsbildung in Räumen der Studentengemeinde öffentlich auszuhängen. Der Initiator – Student an der TH Magdeburg – forderte dazu auf, sich in Briefen an die Kirchenleitungen zu wenden, um eine »breite Massenbewegung« für den »Sozialen Friedensdienst« zu demonstrieren.
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Im Rahmen der 6. »Werkstatt-Tage« der Jungen Gemeinde in Halle (20. Juni 1981) wurde eine Informationsrunde mit Vertretern der Initiative »Sozialer Friedensdienst« aus Dresden durchgeführt. Vor ca. 500 Personen informierten diese über das Anliegen ihrer Aktion; der größte Teil der Anwesenden trug sich in die Unterschriftenlisten ein.
Diakon Rochau (Halle-Neustadt) habe das »Dresdener Papier« in ca. 800 Exemplaren vervielfältigt und u. a. während der Veranstaltungen der »Werkstatt-Tage« verteilt.
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Während der »Feier zur Johannisnacht« am 24. Juni 1981 in der Offenbarungskirche Berlin-Friedrichshain (Teilnahme ca. 500 Jugendliche) wurde in einer Arbeitsgruppe ein Poster mit der Forderung nach Einrichtung des »Sozialen Friedensdienstes« zur Diskussion gestellt. Darauf war neben dem Text das Symbol der »Friedensdekade 1980« (Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet)8 abgebildet. Interessenten an diesem Poster konnten ihre Adresse zwecks postalischer Nachsendung hinterlassen.
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Während des Landesjugendsonntages der Landeskirche Mecklenburg am 20./21. Juni 1981 in Güstrow, [Bezirk Schwerin], wurden durch einen neugebildeten Initiativkreis »Sozialer Friedensdienst« (Leitung durch die Pfarrer Lietz, Güstrow,9 und Nath,10 Brinckmansdorf,11 Rostock) auf einem Ausstellungsstand zu Fragen der Abrüstung das »Dresdener Papier« ausgelegt und die Teilnehmer aufgefordert, sich in Schreiben an die Landeskirchen bzw. deren Synoden zustimmend zu diesem Papier zu äußern. Ein Dresdener Teilnehmer am Landesjugendsonntag verteilte Abzüge des Papiers.
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Im Verlauf des Evangelischen Kirchentages vom 19. bis 21. Juni 1981 in Görlitz wurden in einer Arbeitsgruppe (Thema: »Wie fängt der Frieden an?«) an die ca. 100 Anwesenden gleichfalls Kopien des »Dresdener Papiers« mit der Aufforderung verteilt, Abschriften zu fertigen und diese, weiterzuverbreiten.
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Die Junge Gemeinde in Jena/Stadt-Mitte12 führte am 27. Juni 1981 eine Werkstattveranstaltung mit ca. 400 Jugendlichen aus den Bezirken Gera, Halle, Leipzig, Dresden sowie der Hauptstadt Berlin durch, während der kurzfristig ebenfalls eine Arbeitsgruppe »Sozialer Friedensdienst« gebildet wurde. In dieser Arbeitsgruppe beschäftigten sich ca. 70 Jugendliche mit den inhaltlichen Fragen des »Dresdener Papiers« und entwickelten u. a. folgende Zusätze:
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keine kasernierte Unterbringung der »Sozialen Friedensdienst«-Leistenden;
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keine Ausbildung in Zivilverteidigung und Katastrophenschutz;
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keine Eingliederung in das Deutsche Rote Kreuz;
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keine militärischen Vorgesetzten;
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Einräumung der Möglichkeit des Ablegens einer Facharbeiterprüfung im sozialen oder pflegerischen Bereich.
Nach Auffassung der Beteiligten könne durch eine Masseninitiative für den »Sozialen Friedensdienst« die Volkskammer der DDR in gewisser Weise unter Druck gesetzt und durch das Stellen einer Vielzahl von Forderungen die Realisierung eines Minimums erreicht werden.
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Während einer Zusammenkunft des sogenannten großen Mittwochkreises der evangelischen Jugendarbeit Leipzig wurden durch die Mitarbeiterin des »Leiterkreises« [Name 1] gleichfalls Exemplare des »Dresdener Papiers« verteilt und dazu aufgefordert, eine »öffentliche Diskussion« zu führen sowie Unterschriften zu sammeln und diese kirchenleitenden Gremien zuzusenden.
Im Bericht von Bischof Rathke (Schwerin) an die Synode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in der DDR13 (25.–28.6.1981 in Gera-Lusan) fand die Problematik des »Sozialen Friedensdienstes« gleichfalls Erwähnung. Rathke hob in diesem Zusammenhang den Pazifismus als eine notwendige Form des Friedenskampfes hervor und forderte die Synodalen auf, jungen Menschen, die statt des Dienstes in der Armee in sozialen Einrichtungen arbeiten wollen, Verständnis und Hilfe entgegenzubringen.
Der Mitunterzeichner des »Dresdener Papiers«, Superintendent Dr. Wetzel, warnte auf der Synode davor, den »Sozialen Friedensdienst« als eine »alternative Flucht aus dem Armeedienst in die soziale Sphäre« anzusehen. Die genannte Initiative solle keine Massenaktion und Gegenkampagne zum Wehrdienst darstellen, sondern nur für die »Minderheit« bestimmt sein, die durch »ihre geistige Haltung gewillt sei, alle Konsequenzen (zwei Jahre Dienstzeit usw.) zu tragen«.
Bischof Hempel (Dresden) brachte zum Ausdruck, dass man sich mit dem »Sozialen Friedensdienst« keinen Illusionen hingeben solle; man dürfe die jungen Christen, die in der NVA dienen, nicht vergessen und verunsichern.
Mit dem Ziel, die weitere Popularisierung des »Alternativvorschlages« und die Fortsetzung der Unterschriftenaktion zu unterbinden, wird Folgendes vorgeschlagen:
Das Staatssekretariat für Kirchenfragen sollte beauftragt werden, kurzfristig eine Konzeption für notwendige offensive Maßnahmen und eine entsprechende Argumentation zu erarbeiten. Auf deren Grundlage sollten seitens des Staatssekretariats für Kirchenfragen auf leitende Kräfte des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR14 und zugleich seitens der Räte der Bezirke auf die Kirchenleitungen der Landeskirchen der erforderliche Einfluss ausgeübt werden.
Dabei müsste – neben der entschiedenen Zurückweisung der Unterschriftenaktion – auch unmissverständlich gefordert werden, zu verhindern, dass der »Alternativvorschlag« Beratungsgegenstand der Herbstsynoden und anderer kirchlicher Veranstaltungen wird.
Hinsichtlich der Unterschriftenaktion sollte den kirchenleitenden Kräften gleichzeitig verdeutlich werden, dass die erfolgten Unterschriftensammlungen Bevölkerungsbefragungen gleichzusetzen sind, die entsprechend den Rechtsvorschriften der DDR der Genehmigung bedürfen und es sich bei den festgestellten Aktivitäten eindeutig um einen Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR handelt.
Anlage zur Information Nr. 346/8115
Brief und Aufruf zum Sozialen Friedensdienst (SoFd)
Lieber Freund!
Wir suchen weiter nach Wegen zum Frieden. Die »Ehrfurcht vor dem Leben« gebietet uns, Frieden zu schaffen ohne Waffen und uns für das bedrohte Leben einzusetzen.
Uns bedrängt die immer weiter wachsende Rüstung16, im Westen und im Osten. Uns bedrängt das immer mehr zunehmende Gewicht des Militärischen in unserer Gesellschaft. Uns bedrängen auf der anderen Seite ebenso die sozialen Mangelerscheinungen, dort, wo es um die Kranken, die körperlich und geistig Geschädigten, die Alten in Alters- und Pflegeheimen, die Suchtgefährdeten und auch um die Wiedereingliederung von Strafentlassenen geht. Auf diesen Gebieten fehlt es ja erheblich an Arbeitskräften.
Diesem Mangel wäre zum Teil schon mit Hilfskräften abzuhelfen, die ihren Willen und Menschlichkeit mitbringen. Die qualifizierten Arbeitskräfte könnten sich ihren eigentlichen Aufgaben voll widmen.
Wir haben uns am 25.4. und 9.5.1981 in Dresden getroffen und an der seit einem halben Jahr diskutierten Initiative »Sozialer Friedensdienst« (SoFd) weitergearbeitet. Der überarbeitete Text liegt hier vor. Unsere Initiative will ein konkreter Beitrag sein, Frieden einzuüben und gleichzeitig denen in unserer Gesellschaft zugutekommen, die Hilfe am dringendsten brauchen.
Sozialer Friedensdienst
Die Volkskammer der DDR möge beschließen:
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Als gleichberechtigte Alternative zu Wehrdienst und Wehrersatzdienst wird ein sozialer Friedensdienst (SoFd) eingerichtet. Die Erfassung, Musterung und Einberufung dazu erfolgt dem Wehrdienst entsprechend. Das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht vom 24.1.1962 mit den dazu erlassenen Folgebestimmungen ist dahingehend zu ändern.
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Der SoFd-Leistende wird zu einer 24monatigen Dienstzeit verpflichtet
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als zeichenhafte Vorgabe seines Friedenswillens
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als Schwelle für »Drückeberger«.
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- 3.
Der SoFd-Leistende genießt die gleichen Rechte wie der Wehrdienst-Leistende (z. B. Versicherung, Entlohnung, Urlaub, Erhalt des früheren Arbeitsplatzes).
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Eine Kasernierung in Wohnheimen kann vorgesehen werden, um einseitigen »Heimschlafvorteil« zu vermeiden.
- 5.
Es erfolgt eine Grundausbildung in Erster Hilfe und Katastrophenschutz.
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Der SoFd-Leistende erhält regelmäßig politischen Unterricht mit den besonderen Schwerpunkten: Friedenssicherung, Abrüstung, gewaltfreie Konfliktbewältigung.
- 7.1.
Der Einsatz von SoFd-Leistenden geschieht an sozialen Schwerpunkten
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Heimbetreuung (Kinderheime, Altersheime, Pflegeheime, Heime für körperlich und geistig Behinderte)
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Krankenhaus-Hilfsdienst
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Sozialfürsorge (Suchtkranke, Jugendhilfe, Resozialisierung)
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Volkssolidarität
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der Bereich Umweltschutz ist daraufhin zu prüfen.
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- 7.2.
Die Zielsetzung dabei ist
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Entlastung der Fachkräfte für ihre eigentlichen Aufgaben
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Entlastung von Familienvätern und -müttern von Nacht- und Wochenenddienst.17
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Wenn Du Dir diese Initiative zu eigen machen kannst, sprich mit Deinen Freunden darüber. Schreibe bis zum 1. September 1981 (Weltfriedenstag) an die Synode der Kirche, in deren Bereich Du wohnst. Es kommt auf Dich wie auf jeden Einzelnen an.
Dresden, am 9.5.1981 | Im Namen der Initiativgruppe
(gez.) Burkhardt (gez.) Dr. Wetzel (gez.) Wonneberger
Ihr Chr. Wonneberger (handschriftlich)
Liebe Kollegen!
Anbei die Initiative »Sozialer Friedensdienst« mit der Bitte um weitere
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Abschriften
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Verbreitung
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Diskussion in Gemeinde- und Freundeskreisen.
Sicher ist es gut, die Adresse der Synodalkanzlei, wenigstens mündlich, weiterzuvermitteln.
Weitere Schritte sollen für die Zeit nach den Herbst-Synodaltagungen ins Auge gefasst werden.
Mit herzlichem Gruß, Ihr | gez. Chr. Wonneberger