Auswertung einer Reise eines Mitarbeiter des IGW in die VR Polen
27. April 1981
Operativ-Information [Vorgehen gegen Ostblockstaaten – Bericht K 1/107]
Nach zuverlässigen internen Angaben der HA XX wertete das Kuratorium des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaften (IGW) der Universität Erlangen (BRD)1 im März 1981 eine Reise des Mitarbeiters des Instituts, Burrichter,2 im Oktober 1980 in die VR Polen, aus, um daraus Schlüsse für das Vorgehen gegen andere sozialistische Länder, insbesondere gegen die DDR, zu ziehen.
Das Kuratorium kam im Ergebnis der Diskussion zu der Feststellung, dass eine »Liberalisierung« der sozialistischen Länder nicht nach einer Universalmethode erfolgen könne. In jedem Falle seien die typischen nationalen Eigenarten des jeweiligen Landes zu berücksichtigen. Voraussetzung hierfür sei die genaue Analysierung der nationalen Eigenarten der »Liberalisierungs-, Demokratisierungs- und Revisionismusdebatte« in den sozialistischen Staaten.
Eine schematische Übertragung der Vorgänge in der VR Polen3 auf die DDR sei nicht möglich. Die Vorgänge 1968 in der ČSSR4 und in der VR Polen5 machten jedoch die strategische Bedeutung der Akademie der Wissenschaften6 als »Gehirntrust« der Partei sichtbar. Man könne nur über den Wissenschaftsapparat an die Partei herankommen.
Da der wissenschaftlich-technischen Revolution insbesondere in der DDR wachsende Bedeutung beigemessen werde, stünden die wissenschaftlichen Bereiche, insbesondere die Akademie der Wissenschaften, im Zentrum der Kontaktpolitik. Es gelte herauszufinden, wer in diesen Bereichen welche Auffassungen vertritt, welche Entwicklungsvorstellungen in den Schubläden der Wissenschaftler liegen. Hierbei müsste berücksichtigt werden, welche Vorstellungen bereits in der Periode des »Neuen ökonomischen Systems«7 entwickelt wurden, welche »liberalistischen Ideen« die damaligen typischen Vertreter dieses Systems vertraten.
Befragt werden sollten dazu auch ehemalige Kader aus dem Parteiapparat. Bei derartigen Befragungen würden zwar keine Geheimnisse debattiert, doch die Analyse solcher Gespräche sei von großer Bedeutung für die Festlegung taktischer Orientierungen im Vorgehen gegen die DDR. Man könne daraus wertvolle Erkenntnisse für die Gegenwart ableiten.
Die Beratungsteilnehmer trafen die Feststellung, dass neben der Akademie der Wissenschaften der DDR auch das Institut für Politik und Wirtschaft (IPW)8 in der DDR hinsichtlich seiner Tätigkeit in Richtung BRD eine immer größere Bedeutung erlange. Das IPW wurde als Steuerungsinstrument der Regierung der DDR bezeichnet. Daraus erwachse dem IGW in Erlangen eine Schlüsselfunktion im Rahmen der BRD-Politik gegenüber der DDR. Es sei deshalb erforderlich, das IGW weiter auszubauen, um die Kontakte mit dem IPW der DDR auf gleicher Ranghöhe erweitern zu können. Man könne davon ausgehen, dass bereits gute Kontakte bestünden.
Eine Aufwertung des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft sei bereits mit dem Einsatz von Bölling9 als Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR erfolgt. Bölling sei vor Übernahme seines Amtes mit allen Staatssekretären zusammengetroffen, um sich über die von den Bundesministerien unterhaltenen Kontakte in die DDR informieren zu lassen. In diesem Zusammenhang habe er sich auch vom geschäftsführenden Direktor des IGW unterrichten lassen.
Bölling habe entschieden, sich in seiner Tätigkeit stark auf die Arbeit dieses Instituts zu stützen. Es sei vereinbart worden, die Mitarbeiter des IGW Burrichter und Förtsch10 in periodischen Abständen als Volontäre in der Ständigen Vertretung der BRD arbeiten zu lassen. Sie sollen die gesamte Auswertung leiten und direkt von der Hauptstadt der DDR aus die Kontakte zur Akademie der Wissenschaften und zum Institut für Politik und Wirtschaft steuern.
Es sei zu beachten, dass Einladungen zu Gesprächen mit DDR-Wissenschaftlern vorzugsweise nach Österreich erfolgen sollten, da erfahrungsgemäß Ausreisegenehmigungen für DDR-Bürger in Drittländer, u. a. nach Österreich, von den DDR-Behörden eher erteilt würden als in die BRD.
Bei derartigen Kontakten – möglichst im kleinen Kreis, bei einer Flasche Wein – erhoffe man sich Informationen über revisionistische Positionen und Standpunkte von Wissenschaftlern, über Verhaltensweisen bestimmter Partei- und Staatsfunktionäre. Man könne davon ausgehen, dass die Kontaktpartner aus der DDR Interesse daran haben, ihre Stellung als Reisekader zu festigen. Deshalb sollen ihnen gezielte Informationen zugespielt werden. Hinsichtlich Honoraren, Reisekosten und kleinen Geschenken werde man sich großzügig zeigen.
Der als Studienreise deklarierte Aufenthalt Burrichters im Oktober 1980 in der VR Polen diente dem Ziel, die Situation an der Akademie der Wissenschaften in Warschau und die Aktivitäten der Mitarbeiter der Akademie bei den Vorgängen in der VR Polen zu erkunden.
Burrichter berichtete, dass sich die Strategie des Vorgehens der Intellektuellen in Polen am Modell der Vorgänge im Jahre 1968 in der ČSSR anlehne. Jedoch habe man aus den Ereignissen in der ČSSR die Schlussfolgerungen gezogen, nicht gleichzeitig die strategische Linie zu entwickeln und als Drahtzieher politischer Aktivitäten in den Vordergrund zu treten. Man habe eine Taktik angewandt, die dazu führte, dass sich die Arbeiter an die Intellektuellen mit der Forderung wandten, sie zu unterstützen. Dann seien die in der Schublade liegenden strategischen Pläne der Intellektuellen zur Anwendung gekommen. Es wurde eine Strategie der Doppelherrschaft, d. h. die Erosion der Staatsmacht durch den Aufbau einer politisch gleichwertigen Organisation, entwickelt. Diese Organisation soll ständig weiter stabilisiert und ausgebaut werden, jedoch stets »unterhalb der Interventionsschwelle«. Burrichter verwies darauf, dass durch die polnische Akademie der Wissenschaften »Solidarność«11 gesteuert werde. Insgesamt 18 Wissenschaftler der Akademie stünden »Solidarność« ständig beratend zur Seite.