Bevölkerungsreaktionen auf den KPdSU–Parteitag (2)
9. März 1981
Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung der DDR zum XXVI. Parteitag der KPdSU [Bericht O/93b]
Hinweisen aus allen Bezirken der DDR und der Hauptstadt Berlin zufolge ist auch weiterhin in allen Kreisen der Bevölkerung eine breite Zustimmung zu den Ergebnissen des XXVI. Parteitages der KPdSU festzustellen.
Vor allem wird immer wieder der Rechenschaftsbericht1 als eine klare Orientierung zu den internationalen Fragen und Aufgabenstellungen zur inneren Entwicklung der UdSSR gewertet und die von Optimismus und Sachlichkeit getragene Atmosphäre des Parteitages besonders hervorgehoben.
In den vom Umfang noch breiter gewordenen Reaktionen der Bevölkerung zeigen sich in den unverändert grundsätzlich positiven Einschätzungen der Ergebnisse des XXVI. Parteitages neben den bereits genannten Tendenzen eine Reihe weiterer spezifisch zu beachtender Aspekte.
Auch weiterhin stehen vor allem Probleme der Erhaltung des Friedens, der Abrüstung sowie Vorschläge für vertrauensbildende Maßnahmen im Mittelpunkt des Interesses und der Gespräche.
Es wird hervorgehoben, die Vorschläge seien von großer Tragweite und geeignet, die Westmächte eventuell zu zwingen, vom bisherigen Konfrontationskurs abzugehen.
Anerkennung findet dabei die Tatsache, dass die Sowjetunion im Interesse des Friedens bereit sei, den gesamten europäischen Teil ihres Territoriums in die internationale militärische Kontrolle einzubeziehen.
Im Zusammenhang mit der gewachsenen Kriegsgefahr fanden die Darlegungen im Rechenschaftsbericht zur Verteidigungsfähigkeit des Sozialismus starke Beachtung, wobei es richtig sei, die politischen Lösungswege in den Vordergrund zu stellen.
Die Existenz der Sowjetunion und ihr aufopferungsvolles Eintreten für den Weltfrieden – so wird immer wieder bekräftigt – sei auch für die DDR eine Lebensfrage. Deshalb gelte es für die Bürger der DDR, auch in Zukunft das Bündnis mit der Sowjetunion zu stärken.
Vereinzelt bekannt gewordene Meinungen im Zusammenhang mit bisherigen destruktiven Äußerungen von Staatsmännern und Politikern imperialistischer Staaten, besonders der USA und der BRD, beinhalten Zweifel an einer ehrlichen Verhandlungsbereitschaft westlicher NATO-Staaten und an dem Willen, auf die sowjetischen Vorschläge einzugehen.
Ausgehend von den Profitinteressen des Imperialismus, seinen Machenschaften zur Schürung von Krisen und Konflikten und damit zusammenhängenden Rüstungsinteressen, sei zu befürchten, dass insbesondere die NATO-Staaten die sowjetischen Vorschläge nicht akzeptieren.
Offenbar auch von westlichen elektronischen Massenmedien beeinflusst wird dazu behauptet, die neuen sowjetischen Vorschläge für ein Moratorium zur Stationierung von Raketenwaffen mittlerer Reichweite enthielten nichts Neues; sie seien nur ein »propagandistischer Trick«.2
Das gegenseitige Misstrauen, insbesondere zur Stärke des beiderseitigen Verteidigungspotenzials sei zu groß, um echte Erfolge auf dem Gebiet der Abrüstung zu erreichen.
In diesem Zusammenhang werden verschiedentlich Befürchtungen dahingehend geäußert, dass die offene Darlegung noch vorhandener Mängel und Schwächen in der Volkswirtschaft der UdSSR, vor allem auf dem Gebiet der Arbeitsproduktivität und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts den Eindruck erwecken könnte, die Sowjetunion wäre nicht in der Lage, der verstärkten Aufrüstung seitens der NATO-Staaten entsprechend zu begegnen.
Die erreichten Ergebnisse der Sowjetunion auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet, finden unter der Bevölkerung hohe Wertschätzung. Unter Hervorhebung der Gewährung materieller und finanzieller Unterstützung für andere Länder und der notwendigen Ausgaben zur Gewährleistung der Verteidigungsbereitschaft werden der Leistungswille und die Leistungsstärke des Sowjetvolkes als beispielgebend für die Welt charakterisiert.
In Einzelmeinungen wird jedoch darauf verwiesen, dass auch die Sowjetunion offensichtlich ebenso wie die DDR und andere sozialistische Staaten bestimmte Schwierigkeiten in der Volkswirtschaft habe, so z. B. in der Industrie (ungenügende Auslastung moderner Technik) und in der Landwirtschaft (Disproportionen zwischen vorhandener Nutzfläche und Produktionsergebnissen).
Dazu stehen viele Detailfragen im Mittelpunkt des Interesses, wobei immer wieder die offene, verständliche sowie selbstkritische Art und Weise der Darlegung der Probleme noch bestehender Schwierigkeiten und Mängel hervorgehoben wird.
So wurden u. a. die Ausführungen über die Erhöhung des Anteils der individuellen Hauswirtschaften, einschließlich ihrer Versorgung mit Futtermitteln durch die Kolchosen, in einigen LPG mit Verwunderung aufgenommen. Es sei angenommen worden, dass die sowjetische Landwirtschaft insgesamt schon weiter entwickelt sei. Bei einer »übersteigerten individuellen Hauswirtschaft« bestehe die Gefahr, dass das Interesse für die genossenschaftliche Arbeit nachlasse.
Anknüpfend an die sachliche, ehrliche und vertrauensvolle Erörterung vieler Fragen auf dem XXVI. Parteitag der KPdSU, wie an der Überwindung bestehender Schwierigkeiten gearbeitet werden müsse, sei es erforderlich, diese angesprochenen Schwächen mit den »bestehenden Schwierigkeiten u. a. kritikwürdigen Mängeln« in der DDR zu vergleichen. Aus derartigen Diskussionen geht hervor, auch die Partei- und Staatsführung der DDR müsse eine »realere Wertung der tatsächlichen Lage« im Interesse der weiteren Erhöhung des Vertrauensverhältnisses vornehmen. In der DDR bestünden zu große Widersprüche zwischen manchen offiziellen Erklärungen und der täglich zu erlebenden Praxis. (Besonders von Parteimitgliedern und anderen fortschrittlichen Kräften wird in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit hingewiesen, keine Schönfärberei zuzulassen und offene Probleme der inneren Entwicklung der DDR anzusprechen.)
Eine derartige Praxis wäre vertrauensstärkend und könne wesentlich mit dazu beitragen, noch bestehende Probleme schneller zu überwinden.
In Meinungsäußerungen und Stellungnahmen aus Kreisen von Kulturschaffenden der DDR wird überwiegend eine zustimmende Haltung zu den im Rechenschaftsbericht enthaltenen Aussagen sichtbar. (Vorliegende Hinweise lassen jedoch noch keine Gesamteinschätzung zu.)
So wird der XXVI. Parteitag der KPdSU in seiner internationalen Wirkung für außerordentlich bedeutsam gehalten. Diese Einschätzung bezieht sich u. a. auf die Ausführungen zum Verhältnis der KPdSU zu den anderen kommunistischen und Arbeiterparteien, die einen wichtigen Beitrag der KPdSU zur Festigung und zum Ausbau dieser Beziehungen darstellen.
Weiter wird besonders der offensive Charakter der Ausführungen begrüßt, der bereits kurz nach der Veröffentlichung zahlreiche Staatsmänner imperialistischer Staaten zu öffentlichen Erklärungen auf die Vorschläge des Genossen Breschnew gezwungen habe.
Breite Zustimmung fanden in diesen Kreisen die Vorschläge zur Erhaltung des Friedens und zur Abwendung der Gefahr eines 3. Weltkrieges, wobei allerdings z. T. ernsthafte Bedenken und ein gewisser Unglaube zum Ausdruck kommen, ob ein 3. Weltkrieg unvermeidlich sei. So wird u. a. behauptet, dass im Bericht die Gefahr des 3. Weltkrieges noch nicht deutlich genug hervorgehoben worden wäre und die verbleibenden Möglichkeiten zur Erhaltung des Friedens »gering, ja fast katastrophal gering«, seien.
Aus anderen Meinungsäußerungen geht hervor, dass es beeindruckend gewesen sei, dass die Sowjetunion nicht mit ihrer militärischen Stärke geprahlt habe, dies andererseits auch nicht notwendig habe. Dennoch würden die Ausführungen im Rechenschaftsbericht für die imperialistischen Staaten eine deutliche Warnung darstellen.
Für die Unterschätzung der von den imperialistischen Staaten ausgehenden Kriegsgefahr kennzeichnend sind bekannt gewordene Meinungen, wonach am Friedenswillen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten zwar nicht zu zweifeln sei, es aber gefährlich wäre, zugleich auch kapitalistischen Staaten zu unterstellen, keinen neuen Krieg beginnen zu wollen.
Vorliegende Reaktionen aus kirchlichen Kreisen lassen erkennen, dass offensichtlich ein großer Teil kirchlich gebundener Personen die Aussagen und den gesamten Verlauf des XXVI. Parteitages der KPdSU interessiert verfolgt.
Besondere Beachtung fand insbesondere die große Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion mit den USA zu Abrüstungsfragen trotz deren gegenwärtig betriebenen militanten Politik.
Es wurde jedoch gleichzeitig ein gewisser Zweifel an fruchtbaren Verhandlungsergebnissen zum Ausdruck gebracht, da weder die USA noch die UdSSR »von ihren grundsätzlichen Positionen zurückweichen würden«.
Aufgrund jüngster Erklärungen der USA-Regierung und der NATO-Beschlüsse sei eigentlich mit einer sehr scharfen Reaktion der Sowjetunion zu rechnen gewesen, jedoch seien die Sachlichkeit und Ausgewogenheit bemerkenswert.
Zu Fragen der Erhaltung des Friedens wurde weiter die Hoffnung geäußert, die Regierungen sollten ihre Verantwortung zur Rettung der Menschheit vor einem atomaren Inferno voll wahrnehmen. In diesem Sinne müsse deshalb die Feststellung im Rechenschaftsbericht der KPdSU hervorgehoben werden, dass das erste Recht der Menschen das Recht auf Leben sei, was auch völlig dem humanen Anliegen der Kirche entspräche.
Insgesamt werden die Aussagen des Rechenschaftsberichtes als »wohltuend«, »erleichternd« und als die »besten« bezeichnet, die in den zurückliegenden Monaten zur Verständigung und für Verhandlungen zwischen den Staaten gemacht worden seien.
In den ersten Reaktionen aus den Bereichen der Massenmedien und der Verlage ist eine positive Aufnahme des Rechenschaftsberichtes an den XXVI. Parteitag festzustellen, wobei insbesondere die umfangreiche Berichterstattung in den Medien der DDR hervorgehoben wird.
Verschiedene ausländische Mitarbeiter bezeichnen den Rechenschaftsbericht als konstruktiv. Die Einschätzungen zur Lage in verschiedenen geografischen Gefahrenzonen (z. B. arabischer Raum) wurden sehr aufmerksam verfolgt und diskutiert. Begrüßt werden dabei die Feststellungen zu Fragen der Selbstbestimmung und des Rechtes der staatlichen Souveränität jedes einzelnen Staates.
Die klare Einschätzung zur Lage in der VR Polen3 wird als besonders wichtig bezeichnet, da die Situation auch gegenwärtig noch mit Sorge betrachtet werden müsse.