Bevölkerungsreaktionen zum Treffen Honecker und Schmidt (3)
12. Dezember 1981
2. Bericht zur Reaktion der Bevölkerung der DDR zum Treffen Honecker – Schmidt [Bericht O/104c]
Einschätzungen aus allen Bezirken der DDR zufolge steht das Treffen Honecker – Schmidt weiterhin im Mittelpunkt der Gespräche aller Personengruppen der Bevölkerung der DDR.1 Dabei sind die Wertungen des Treffens in diesen Äußerungen im großen Umfang weiter zustimmend und positiv.
Die im Bericht vom 11.12.1981 eingeschätzten Tendenzen, insbesondere im Zusammenhang mit auftretenden Fragen und Unklarheiten, Zweifeln und Skepsis, Erwartungshaltungen und Spekulationen waren in der Berichtszeit im gleichen Umfang und in gleichen Aussagen in allen Bezirken der DDR und Personengruppen zu verzeichnen. Darüber hinausgehende bemerkenswerte Haltungen, Reaktionen und Meinungsäußerungen zeigen sich wie folgt:
Vom Umfang her verstärkt haben sich Fragen und Spekulationen im Zusammenhang mit der Zusammensetzung der Delegation der BRD. So wird die Teilnahme von BRD-Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff2 damit in Zusammenhang gebracht, dass konkrete Schritte zur Ausgestaltung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten eingeleitet werden. Neben der Annahme, wonach mit neuen Kreditregelungen gerechnet wird (mittlere leitende Wirtschaftsfunktionäre), gehen eine Reihe Personen davon aus, dass aus der BRD in stärkerem Maße als bisher Konsumgüter und Pkw importiert würden.
In einer Reihe Äußerungen – vornehmlich progressiver Bürger – wird hervorgehoben, die Teilnahme von Minister Franke3 an den Gesprächen sei als eine »Vorbelastung« anzusehen, da durch seine Teilnahme als Repräsentant eines sogenannten »innerdeutschen Ministeriums« völkerrechtliche Normative missachtet und ihm das »Mitspracherecht« für DDR-Staatsbürger eingeräumt werde.
In diesem Zusammenhang haben sich Spekulationen von solchen Personen, die bereits rechtswidrige Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD gestellt haben, weiterhin verstärkt, wobei angenommen wird, dass durch Forderungen Minister Frankes eine zügigere und erfolgreiche Bearbeitung ihrer Anträge durch die staatlichen Organe der DDR erfolgen könnte.
In OV bearbeitete und unter OPK stehende Personen verhalten sich weiterhin zurückhaltend. Einige Personen dieser Kategorie äußerten unabhängig voneinander, es sei »zwecklos«, Aktivitäten zu unternehmen bzw. zu versuchen, Schmidt zu sehen, da vermutlich die Sicherheitsmaßnahmen in einem solchen Maße verstärkt worden seien, dass alle derartigen Vorhaben von vornherein scheitern würden.
Einen geringen Umfang nehmen von dieser Personenkategorie unter Gleichgesinnten geäußerte feindlich-negative Meinungen ein, z. B.
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die DDR sei zu diesem Treffen »gezwungen« und von Verhandlungen »abhängig«, da ihr »das Wasser bis zum Halse stehe«;
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es bliebe »zu hoffen«, dass Schmidt »durch Druck« Zugeständnisse seitens der DDR im Reiseverkehr erreicht;
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»menschliche Erleichterungen« für DDR-Bürger, insbesondere auf dem Gebiet der Reisetätigkeit, sollten nach dem Vorbild Polens und Jugoslawiens erfolgen;
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Güstrow sei während der Zeit des Aufenthaltes der BRD-Delegation »eingekesselt« und z. T. (politisch Unzuverlässige betreffend) »evakuiert«4;
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das Treffen mit Schmidt erfolge »am abgelegensten Ort der DDR«, um ähnliche »Massensympathiebekundungen« der DDR-Bevölkerung, wie beim Besuch Brandts in Erfurt, von vornherein auszuschalten.
Internen Hinweisen zufolge wird im klerikalen Bereich intensiv über das Treffen Honecker – Schmidt diskutiert. Es dominieren:
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Zustimmungen zum Stattfinden des Treffens;
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Hoffnungen auf »Vorleistungen« beider Seiten zur Erhaltung des Friedens;
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Erwartungen auf »greifbare« Ergebnisse des Treffens;
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Spekulationen hinsichtlich »menschlicher Erleichterungen«;
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Schaffung von noch besseren Bedingungen zur »partnerschaftlichen Zusammenarbeit« der Kirchen beider deutscher Staaten.
So wird vom Vorsitzenden des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR und Bischof der Kirchenprovinz Sachsen-Magdeburg, Krusche, die Auffassung vertreten, dass die Zusage von Bundeskanzler Schmidt trotz massiver Widerstände in der BRD hoch einzuschätzen sei, obwohl Schmidt nichts »Greifbares« habe, was aus dem Treffen herauskommen könne. Krusche sehe in der Gesprächsbereitschaft von Schmidt ein Zeichen, dass es ihm (Schmidt) um die Friedenssicherung ernst sei.
Leitende Mitarbeiter des Evangelischen Konsistoriums der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen vertraten in internen Gesprächen die Auffassung, im Mittelpunkt des Treffens stehe die Behandlung von Abrüstungsfragen. Es wurde die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass auch »Probleme der Kirche in beiden deutschen Staaten« zur Sprache kommen.
Der Finanzreferent im Konsistorium der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Lunkenheimer, äußerte, er erwarte, dass die Begegnung zur Schaffung einer aufgeschlossenen Atmosphäre beitragen möge, in deren Ergebnis Verhandlungen stattfinden.
Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin-Pankow, Krätschell (unterhält Verbindung zu dem Mitarbeiter im Bundeskanzleramt, Bräutigam), bezeichnete das Treffen als »Ereignis ersten Ranges«. Krätschell hob hervor, dass die DDR ständig gesprächsbereit gewesen sei und keine Vorbedingungen stelle. In diesem Zusammenhang missbilligte er ausdrücklich spekulative bzw. hetzerische Publikationen in westlichen Massenmedien.
Superintendent Schulz, Evangelisch-Brandenburgische Kirche Templin, ist der Ansicht, die Verhandlungen brächten keine Resultate, bevor nicht seitens der BRD die Staatsbürgerschaft der DDR anerkannt werde.
Führungskräfte der Evangelischen Landeskirche Thüringen begrüßten das Treffen und erhoffen weitere Erleichterungen auf humanitärem Gebiet. Namentlich bekannte Pfarrer und technische Angestellte von Kirchenleitungen erhoffen »Erleichterungen« im humanitären Bereich, insbesondere Reduzierung des Mindestumtausches, Reiseerleichterungen, Familienzusammenführungen, die Weiterführung der »Partnerschaftsbeziehungen« mit Kirchengemeinden in der BRD und die Renovierung/Restaurierung/den Neubau von Kirchen.
Mehrfach wurde von kirchlichen Würdenträgern im Gemeindedienst und auf mittlerer leitender Kirchenebene die Rolle Schmidts als »Initiator« des Treffens und »Mittler« in Spannungsräumen gewertet.
Intern bekannt gewordene Reaktionen aus Kreisen der Parteivorstände der Blockparteien sowie von Mitgliedern dieser Parteien beinhalten grundsätzliche Zustimmungen zum Treffen Honecker – Schmidt bei Hervorhebung der vom Genossen Honecker persönlich ausgehenden Initiativen. Gleichzeitig beinhalten die Meinungsäußerungen jedoch auch Spekulationen über Verhandlungsgegenstände, mögliche Vereinbarungen und Ergebnisse.
Unter Journalisten des Zentralorgans der CDU »Neue Zeit« traten Meinungsäußerungen dahingehend auf, dass das Treffen ein »Anstandsbesuch« sei und es vermutlich aufgrund der politischen Spannungen zwischen der SPD und der CDU/CSU keine öffentliche Erklärung des Bundeskanzlers Schmidt zu Fragen der Abrüstung geben werde. Andere leitende Mitarbeiter von Blockparteien diskutierten darüber, ob es ein Abschlusskommuniqué geben wird und inwieweit darin auch Details der Vereinbarungen veröffentlicht werden. Mit ausschließlichen Formulierungen in der Abschlussmeldung wie »sachliche und konstruktive Atmosphäre« könne in diesem Fall und bei dem bestehenden Interesse der DDR-Bevölkerung am Treffen keine »Zufriedenheit« unter der Bevölkerung der DDR geschaffen werden.
Unter der Bevölkerung des Kreises Güstrow ist die Haltung und Reaktion zum Treffen Honecker – Schmidt im Vergleich zum 1. Bericht unverändert.
Dem MfS bekannte kriminell gefährdete Personen der Stadt Güstrow äußerten, sich am 13.12.1981 diszipliniert verhalten zu wollen, um keinen Grund zu geben, dass gegen sie strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden.
Zahlreiche Bürger Güstrows sind der Meinung, dass sie sich weder direkt noch über das Fernsehen der DDR über den Aufenthalt Schmidts in ihrer Stadt informieren können und deshalb auf Berichte westlicher Massenmedien angewiesen seien.
Im größeren Umfang wird über eingeleitete Sicherheitsmaßnahmen diskutiert, wobei die Meinungen sehr differenziert sind. Überwiegend stoßen die eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen auf Verständnis (u. a. auch Studenten der Pädagogischen Hochschule Güstrow und Schüler von EOS). Ein Teil der Bürger hält »den Aufwand« für übertrieben; vereinzelt wird die »große Anzahl« von Sicherheitskräften als »Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit« gewertet.