Bevölkerungsreaktionen zum Treffen Honecker und Schmidt (4)
13. Dezember 1981
3. Bericht zur Reaktion der Bevölkerung der DDR zum Treffen Honecker – Schmidt [Bericht O/104d]
Hinweisen aus der Hauptstadt Berlin und den Bezirken zufolge setzen sich die in den bisherigen Berichten aufgezeigten Tendenzen in der Reaktion der Bevölkerung der DDR fort.
In allen Personengruppen ist gegenwärtig eine Verlagerung des Interesses auf den unmittelbaren Verlauf des Treffens festzustellen, wobei gleichzeitig den Veröffentlichungen der DDR-Medien sehr große Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Meinungsäußerungen lassen erkennen, dass von großen Teilen der Bevölkerung die Fernsehübertragungen intensiv verfolgt werden.
Zunehmend sind Erwartungshaltungen über detaillierte Veröffentlichungen hinsichtlich der Ergebnisse des Treffens erkennbar, wobei in Diskussionen wiederum die bereits in vorhergehenden Berichten aufgeführten Spekulationen über mögliche Vereinbarungen in den Vordergrund treten.
Viele Diskussionen beinhalten auf der Grundlage der verfolgten Fernsehübertragungen erste Eindrücke vom Zusammentreffen der Repräsentanten der DDR und der BRD.
Übereinstimmend wurde von zahlreichen Bürgern geäußert, Genosse Honecker sei Schmidt gegenüber sehr sicher und souverän aufgetreten. Empfang, Begrüßung und erste Zusammenkünfte ließen vom äußeren Eindruck her darauf schließen, dass die Gespräche sachlich und konstruktiv vorlaufen könnten.
Besonders wird hervorgehoben, dass dieses Treffen international große Beachtung findet. Das widerspiegelt sich in den Berichten bedeutender Nachrichtenagenturen in der Welt sowie in der großen Anzahl akkreditierter ausländischer Journalisten und Berichterstatter.
Genugtuung findet, dass durch den Ablauf und die vorbildliche Organisation den westlichen Korrespondenten das Feld für Verunglimpfungen von vornherein eingeschränkt worden sei.
Weitere Meinungen beinhalten, es wäre zu begrüßen, dass das Treffen Realität wurde, da man damit gerechnet habe, dass Schmidt aufgrund der erneuten Zuspitzung der Lage in der VR Polen erneut kurzfristig absage.
In einer Reihe Äußerungen wird zum Ausdruck gebracht, von dem Arbeitsbesuch wären nicht sofort unmittelbar konkrete Festlegungen und Verlautbarungen zu erwarten; es sei damit zu rechnen, dass die Verhandlungen auf Ministerebene im Detail danach weitergeführt würden. Trotzdem sei man überzeugt, dass die Veröffentlichungen im Abschlusskommuniqué Anhaltspunkte geben würden, wie es in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten weitergehen soll.
Fragen traten dahingehend auf,
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warum Schmidt in einer Militärmaschine der Bundeswehr angereist und wie das zu bewerten sei,
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weshalb, obwohl es sich um ein Treffen von Staatsmännern handele, nicht die sonst üblichen militärischen Ehren erwiesen wurden,
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warum Schmidt nicht in der Residenz Pankow untergebracht sei.1
Abwertende Meinungen wurden nur in Einzelfällen bekannt. Sie beziehen sich darauf,
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bei der Ankunft Schmidts in Schönefeld sei keine Bevölkerung anwesend gewesen; offensichtlich seien interessierte Bürger von den Sicherheitsorganen zurückgehalten worden;
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die Anreise in die Schorfheide sei unter strengster »Abschirmung« erfolgt, in erster Linie zur Verhinderung von Beifallsbekundungen für Schmidt, und erst in zweiter Linie zur Gewährleistung der Sicherheit für die Staatsmänner;
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die Fahrt zur Residenz des Bundeskanzlers ohne die Stadtgrenzen der Hauptstadt der DDR, Berlin, zu berühren, wird als »Akzeptierung« des BRD-Standpunktes zum Status der »Stadt Berlin« bewertet;
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ob die Verhandlungen zwischen dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Genossen Fischer, und dem für diesen Verantwortungsbereich nicht zuständigen Bundesminister Franke dadurch nicht doch die von der BRD hartnäckig vertretene Linie sogenannte »innerdeutscher Besonderheiten« indirekt vonseiten der DDR anerkannt werde.
Die Bevölkerung des Kreises Güstrow steht dem Besuch des Genossen Honecker und des Bundeskanzlers Schmidt nach wie vor aufgeschlossen gegenüber und bekundet einen gewissen Stolz. In zahlreichen Diskussionen sind Fragen aufgetreten wie
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wird Genosse Honecker auf dem Markt zur Güstrower Bevölkerung sprechen;
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wird Schmidt die Möglichkeit erhalten, mit Güstrower Bürgern zu sprechen;
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warum werden Straßen und Häuser nicht geschmückt und geflaggt sowie die Bürger nicht aufgerufen, sich an der Protokollstrecke einzufinden;
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welche Kontakte wird es beim Besuch des Doms zwischen Genossen Honecker und den Vertretern der Kirche geben. Wie wird sich Schmidt gegenüber den Vertretern der Kirche verhalten.
Hinweisen aus sozial- und kriminellgefährdeten Personenkreisen zufolge sind sie verunsichert und würden deshalb nicht negativ in Erscheinung treten (wollen »Konfrontation« mit Sicherheitsorganen vermeiden).