Erste Reaktionen der Bevölkerung auf das FDJ-Parlament
4. Juni 1981
Hinweise über erste Meinungsäußerungen und Reaktionen zum XI. Parlament der Freien Deutschen Jugend [Bericht O/100]
Vorliegenden ersten Hinweisen zufolge hat sich nach der Veröffentlichung des Rechenschaftsberichtes des Zentralrates der FDJ an das XI. Parlament durch die Funkmedien und die Presse der DDR das Interesse breiterer Bevölkerungskreise, insbesondere aber von Schülern, Lehrlingen und Pädagogen, am Verlauf und den Ergebnissen des XI. Parlament erhöht.1
Im Mittelpunkt erster Meinungsäußerungen stehen die im Rechenschaftsbericht vorgeschlagenen sozialpolitischen Maßnahmen für Lehrlinge, Oberschüler und Studenten, die überwiegend begrüßt werden.2
So äußeren z. B. Studenten, dass die weitere Ausgestaltung des Leistungsprinzips an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR durch die Gewährung von Leistungsstipendien eine Verbesserung der Studienergebnisse nach sich ziehen würde. Gleichzeitig verringere sich auch die finanzielle Abhängigkeit vieler Studenten von ihren Eltern.
In produktiven Bereichen wurden die angekündigten sozialpolitischen Maßnahmen gleichfalls positiv aufgenommen. Dabei wurde wiederholt hervorgehoben, dass dies Ausdruck der Anerkennung der Leistungen unserer Jugend durch die SED sei. Eine Reihe von Jugendkollektiven (u. a. im VEB Bergmann-Borsig, im VEB Görlitzer Maschinenbau3 sowie bei der Deutschen Reichsbahn in der Hauptstadt der DDR, Berlin) reagierte spontan mit Verpflichtungen zu höheren Leistungen.
Vereinzelt wird jedoch geäußert, dass – ohne die politische Bedeutung der Parlamente der FDJ zu unterschätzen – die Verkündung sozialpolitischer Maßnahmen in erster Linie den Parteitagen der SED vorbehalten bleiben sollte. Gleichzeitig wird betont, dass entsprechend der Bevölkerungs- und Einkommensstruktur eine Rentenerhöhung weitaus breitere Resonanz gefunden hätte.
Des Weiteren werden im Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Einführung eines Grundstipendiums für alle Studenten Bedenken geäußert, wonach mit einer solchen Regelung faktisch die Übernahme bisheriger finanzieller Aufwendungen von Familien mit relativ hohem Einkommen durch den Staat erfolge.
Gleichzeitig wird, teilweise auch von am XI. Parlament der FDJ teilnehmenden Wirtschaftsfunktionären, auf ein mögliches weiteres Anwachsen von Diskrepanzen zwischen Leistungsvermögen und Konsumtion verwiesen. Es wird mit möglichen Abstrichen bei der Realisierung volkswirtschaftlich bedeutender Vorhaben gerechnet; bereits erfolgte Kürzungen von Investitionen für erforderliche Industriebau-Vorhaben im Bereich der Mikroelektronik werden u. a. auf die angekündigten sozialpolitischen Maßnahmen mit zurückgeführt.
In den bisher vorliegenden Meinungsäußerungen wird der Inhalt des Rechenschaftsberichtes und die Art und Weise des Vortrages durch den 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ anerkennend hervorgehoben. Die Anwesenheit führender Funktionäre der Sozialistischen Einheitspartei, der Staatsführung der DDR sowie weiterer Persönlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens der DDR und von ausländischen Gästen am XI. Parlament wird als Wertschätzung der Rolle der Jugend und ihres Jugendverbandes durch Partei und Regierung in der DDR betrachtet.
Im Zusammenhang mit dem Diskussionsbeitrag des polnischen Delegationsleiters Jaskiernia4 kam es zu verstärkten ablehnenden Meinungsäußerungen.
Als völlig unzureichend wird seitens verschiedener Delegierter die vorgenommene Einschätzung der Ursachen der Krise in der VR Polen betrachtet.5 Vermisst wird insbesondere eine klassenmäßige Orientierung für den weiteren Weg der fortschrittlichen Kräfte in der VR Polen. Besonders die Bemerkung, wonach sich der polnische Jugendverband als »politisch kämpfende, weltanschaulich offene Organisation« verstehe, wurde mit Unverständnis aufgenommen.
In Einzelfällen bekannt gewordene indifferente und negative Meinungsäußerungen beinhalten vorwiegend Desinteresse am Parlament, als angeblich nur die Jugend berührende Angelegenheit sowie Verleumdung desselben als »Theater« und »Show«. Vereinzelt werden die Darlegungen im Rechenschaftsbericht als »Schönfärberei« diskreditiert.