Gewaltsamer Grenzdurchbruch mit einem Lkw bei Zarrenthin
8. Dezember 1981
Information Nr. 632/81 über einen gewaltsamen Grenzdurchbruch nach der BRD durch einen Arbeiter des Autobahnbau-Kombinates Magdeburg mit einem Lkw »Tatra« im Bereich der Autobahnbaustelle Wittstock – Hamburg bei Zarrenthin, Kreis Hagenow, Bezirk Schwerin, am 7. Dezember 1981
Am 7.12.1981, gegen 13.45 Uhr, durchfuhr der Bürger der DDR, [Name 1, Vorname 1] (26), geb. am [Tag, Monat] 1955, wh.: Wittstock, [Straße, Nr.], tätig als Fugenschneider im Autobahnbaukombinat Magdeburg, Betrieb Nord Potsdam (im Bauraum der DDR auf BRD-Territorium tätig seit Oktober 1981), im Bereich der im Bau befindlichen Grenzübergangsstelle Zarrenthin, im Sicherungsabschnitt Autobahn des 3. Grenzbataillons Lassahn, mit einem Lkw vom Typ Tatra 138 (Kipper), pol. Kennzeichen DC [Zulassung], an dem eine Fugenvergussmaschine angehängt war, die Staatsgrenze der DDR zur BRD.
Dabei durchfuhr er den 90 m hinter der Staatsgrenze aufgestellten 1,50 m hohen Plastmaschendrahtzaun, der BRD-seitig als Baubegrenzung für die Autobahntrasse errichtet worden war.
Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben:
[Name 1] war am 24.10.1981 erstmals im Bereich der Grenzübergangsstelle Zarrenthin nach erfolgter Bestätigung für Arbeiten im Sperrbereich 1a (bis zur Staatsgrenze) und im BRD-Nutzungsgebiet (90 m hinter der Staatsgrenze auf dem Territorium der BRD, vertraglich vereinbart bis zum 15.12.1981) zum Fugenschneiden und Vergießen eingesetzt. Bis zum 23.11.1981 war er in diesem Bereich insgesamt in 24 Fällen tätig. Nach Abschluss der Arbeiten erfolgte am 23.11.1981 seine Umsetzung nach Neustadt-Glewe, Kreis Ludwigslust.
Am 5.12.1981 wurde [Name 1] kurzfristig erneut nach Zarrenthin umgesetzt, da zwei Wasserabflussschächte ausgestemmt und dadurch neu ausgefugt werden müssten. Da am 5.12.1981 aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse diese Arbeiten nicht durchgeführt werden konnten, wurde durch den zuständigen Bauleiter angewiesen, diese Arbeiten am Nachmittag des 7.12.1981 durchzuführen.
(Der Bauraum auf dem Territorium der BRD wurde der DDR am 12.10.1981 in einer Länge von 100 m und einer Breite von 50 m zur Durchführung der bautechnisch erforderlichen Anbindungsleistungen übergeben. Er wurde durch die BRD-Seite auf Forderung der DDR mit einem 1,50 m hohen Maschendrahtzaun begrenzt, der an Vierkantpfosten befestigt ist.)
Entsprechend dieser Festlegung wurde [Name 1] zusammen mit dem Fugenverguss-Brigadier [Name 2, Vorname] (27) in die Arbeitsanmeldung für das BRD-Nutzungsgebiet am 7.12.1981 beim Kontrollposten Sperrbereich 1 gemeldet und hatte damit die Berechtigung, diesen Bereich zu betreten.
Nach den vorbereitenden Arbeiten begab sich [Name 1] mit [Name 2] gegen 13.00 Uhr zum Sperrbereich 1, wo er von dem Kraftfahrer [Name 3] (27) den genannten Lkw »Tatra« mit der angehängten Fugenvergussmaschine übernahm. ([Name 3] ist nicht im Besitz der Berechtigung zum Betreten des Sperrbereiches 1a und des BRD-Nutzungsgebietes.)
Am Beginn des Sperrbereiches 1 erhielt [Name 1] nach Abgabe seines Betretungsausweises für die Grenzübergangsstelle Zarrenthin (nachdem durch die ordnungsgemäße Kontrolle festgestellt wurde, dass er in der Arbeitsanmeldung für das BRD-Nutzungsgebiet bestätigt ist), die dafür notwendige Betretungsmarke Nr. 14 und fuhr mit dem Lkw zur Kontrollstelle des Sperrbereiches 1a. Um 13.00 Uhr passierte er diese nach dem Vorzeigen der Marke. Nach langsamer Fahrt erreichte [Name 1] um 13.35 Uhr die Kontrollstelle unmittelbar nach der Staatsgrenze, die er gleichfalls nach dem Vorzeigen der Marke passierte. Unmittelbar hinter der Staatsgrenze hielt [Name 1] den Lkw an.
[Name 1] und [Name 2] sahen sich gemeinsam die zu verfugenden Wasserabflussschächte an, von denen sich einer 1 m von der Staatsgrenze entfernt auf dem Territorium der DDR und einer 10 m hinter der Staatsgrenze im BRD-Nutzungsgebiet befindet.
Gemeinsam legten sie fest, zunächst den Schacht auf dem Nutzungsgebiet der BRD zu verfugen. Aus diesem Grunde wies [Name 2] den [Name 1] an, mit dem Lkw vorzufahren und dann zu wenden, um rückwärts mit der Fugenvergussmaschine an den Wasserabflussschacht zu gelangen.
[Name 1] bestieg den Lkw, fuhr langsam an und lenkte den Lkw so nach rechts, als wollte er das Wenden einleiten, beschleunigte dann jedoch den Lkw, fuhr direkt in Richtung BRD und durchbrach um 13.45 Uhr den in 80 m Entfernung befindlichen Bauzaun. Anschließend fuhr [Name 1] auf dem Territorium der BRD noch ca. 300 m und hielt dann den Lkw an. (Im BRD-Nutzungsgebiet sind keine Grenzsicherungskräfte der DDR im Einsatz. Aufgrund der vorgeschilderten Situation war es auch den zu diesem Zeitpunkt auf diesem Gelände Beschäftigten, die gleichzeitig in gedeckter Form Sicherungsaufgaben wahrnehmen, nicht möglich, den Grenzdurchbruch zu verhindern.)
Veröffentlichungen in westlichen Massenmedien zufolge hat [Name 1] als Grund für seinen Verrat an der DDR »politische und wirtschaftliche Unzufriedenheit« angegeben.
Zum Persönlichkeitsbild wurde bisher bekannt:
Der [Name 1] entstammt einer Arbeiterfamilie und erlernte nach Abschluss der Grundschule im VEB WBK Potsdam, Betriebsteil Wittstock, den Beruf eines Maurers. Anschließend leistete er von November 1973 bis Oktober 1976 seinen Ehrendienst als Soldat auf Zeit in der NVA ab. Nach seiner Entlassung aus der NVA mit dem Dienstgrad Unteroffizier arbeitete [Name 1] zunächst ein Jahr als Kraftfahrer im VEB Kfz-Instandsetzungsbetrieb »Max Reimann« Potsdam und nahm im Oktober 1977 seine Tätigkeit im VEB Autobahnkombinat auf.
Während seines Einsatzes als Maurer und Kraftfahrer auf verschiedenen Baustellen der DDR erwarb [Name 1] die Lizenz zur Bedienung von Fugenschneidgeräten. In seinem Arbeitskollektiv wurde [Name 1] als ein zuverlässiger, charakterlich ruhiger und ausgeglichener Facharbeiter eingeschätzt, der die ihm übertragenen Aufgaben verantwortungsbewusst realisiert.
Der [Name 1] ist seit [Tag, Monat] 1979 verheiratet mit [Name 1, Vorname 2], geb. [Geburtsname] (24), tätig als Erzieherin im Hort der [Name der Schule] Wittstock. Aus dieser Ehe entstammt bisher ein Sohn (2 Jahre).
Die Familie [Name 1] lebt in geordneten Verhältnissen. Sie interessierten sich für den Kauf eines Wohnhauses, sind im Besitz eines Gartengrundstückes und beabsichtigten einen Pkw zu kaufen.
Auch zu den Eltern des [Name 1] liegen keine negativen Hinweise vor. Der Vater (Maler) ist mehrfacher Aktivist und ehemaliger ehrenamtlicher Mitarbeiter der ABI. Seine Mutter ist als Reinigungskraft tätig und wurde ebenfalls als Aktivist ausgezeichnet. Sie haben eine positive Grundhaltung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Ein Bruder der Mutter des [Name 1] lebt in der BRD und ist als Ingenieur an der Ruhr-Universität in Bochum tätig. Von 1971 bis 1979 reiste er jährlich einmal besuchsweise zu den Eltern des [Name 1] ein.
Hinweise zum Motiv der Straftat liegen bisher nicht vor.
Die Untersuchungen des MfS zur umfassenden Aufklärung der Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen werden fortgesetzt.
Gleichzeitig wurden – unter Einbeziehung der Ehefrau und der Eltern des [Name 1] – Maßnahmen getroffen, um [Name 1] zur Rückkehr in die DDR zu veranlassen.
Maßnahmen zur Rückführung des vom Täter benutzten Kraftfahrzeuges mit Fugenverfüllgerät werden am 8.12.1981 durch das Ministerium für Verkehrswesen in Abstimmung mit der verkehrspolitischen Abteilung der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD und dem Autobahnbaukombinat Magdeburg eingeleitet.