Haltung der Berliner Bischofskonferenz zum Hirtenwort zu Ostern
16. März 1981
Information Nr. 130/81 über eine Stellungnahme der »Berliner Bischofskonferenz« zu den staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verlesung eines »Gemeinsamen Hirtenwortes der katholischen Bischöfe in der DDR zur österlichen Bußzeit 1981« und über die erfolgte Abkündigung des »Hirtenwortes« in den katholischen Kirchen der DDR am 8. März 1981
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Hinweisen fand in der Zeit vom 8. bis 10. März 1981 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, eine planmäßige Tagung der Katholischen Bischofskonferenz statt.1
Im Verlaufe der Tagung informierte der Vorsitzende der »Berliner Bischofskonferenz«, Bischof Schaffran,2 die Bischöfe darüber, dass er am Samstag, dem 28.2.1981, zu einem Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Gysi,3 in seiner Residenz in Dresden zusammengetroffen sei. Dieses Gespräch wäre auf Wunsch des Staatssekretärs zustande gekommen, der auf die Fortführung der persönlichen Begegnungen »gedrängt« hätte.
Er habe allerdings den Eindruck gehabt, dass der Staatssekretär vorfühlen wollte, ob auch in diesem Jahr zur Fastenzeit ein »Hirtenwort« zu erwarten sei. Um dem zuvorzukommen, hätte er sich veranlasst gesehen, von sich aus auf die vorgesehene Verlesung des vorbereiteten »Hirtenwortes« am 8.3.1981 einzugehen.
Diese Mitteilung habe er dem Staatssekretär mit dem Hinweis unterbreitet, dass die Problematik des »Hirtenwortes« über einen langen Zeitraum beraten wurde und dass die Bischöfe nunmehr die Verlesung auf den 8.3.1981 festgelegt hätten.
Der Staatssekretär habe ihm in diesem Gespräch dringend empfohlen, die Verlesung des »Hirtenwortes« zu überdenken und von einer Verlesung unbedingt Abstand zu nehmen, weil diese Problematik nicht dazu angetan wäre, die loyalen Beziehungen zwischen Staat und der Katholischen Kirche zu fördern.4
Der Staatssekretär für Kirchenfragen habe bei ihm um einen weiteren Termin für eine Unterredung in Berlin nachgesucht. Da er aus zeitlichen Gründen dem nicht entsprechen konnte, wäre er am 5.3.1981 durch den stellvertretenden Staatssekretär Kalb5 in seiner Wohnung aufgesucht worden. Der stellvertretende Staatssekretär habe ihm an diesem Tage eine Verbalnote übermittelt, in der die Verlesung des »Hirtenwortes« am 8.3.1981 untersagt wurde.
Seiner Bitte um Aushändigung der Verbalnote habe der stellvertretende Staatssekretär nicht entsprochen.6 In dem anschließenden Gespräch sei der stellvertretende Staatssekretär von ihm darauf hingewiesen worden, dass er sich aus technischen Gründen und aus Gründen, die mit dem Inhalt des »Hirtenwortes« zusammenhängen, außerstande sehe, der Aufforderung auf Nichtverlesen des »Hirtenwortes« nachzukommen.
Er habe in der Aussprache deutlich gemacht, dass es gerade dem Geiste seines Antrittsbesuches beim Staatsratsvorsitzenden am 15.1.1981 entspreche, sich in bestimmten Abständen zu Grundfragen christlichen Verhaltens zu äußern.7
In der anschließenden ausführlichen Beratung während der Bischofskonferenz zu dieser Problematik standen vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt:
Das »Hirtenwort« sei auf keinen Fall als Mittel zur Schaffung von Konfrontationen zwischen Katholischer Kirche und dem Staat gedacht.8
Die Bischöfe stimmten insgesamt überein, dass es sich beim Inhalt des »Hirtenwortes« um eine Problematik handelte, die bereits noch zu Lebzeiten von Kardinal Bengsch9 diskutiert und beraten wurde. Sie sei über einen langen Zeitraum von den Bischöfen »vor sich her geschoben« worden. Durch die Festlegung, das »Hirtenwort« am 8.3.1981 zu verlesen, sei die Problematik rein äußerlich in die Nähe des X. Parteitages gerückt.10 Das wäre weder zeitlich noch inhaltlich eine Absicht der Bischofskonferenz gewesen. Tatsache sei es, dass eine ähnliche Absicht vor dem Antrittsgespräch vom 15.1.1981 (hier unmittelbar zum Antrittsgespräch) oder nach dem X. Parteitag (hier im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen) hätte abgeleitet werden können.11
Die ganze Art und Weise der Verlesung des »Hirtenwortes« (u. a. die kurzfristige Zustellung vor dem 8.3.1981, die besonderen Hinweise der Bischöfe auf den Sperrtermin für die Veröffentlichung bis 8.3.1981 sowie die kommentarlose Verlesung) sollte mit dazu beitragen, dass es im Zusammenhang mit dem »Hirtenwort« zu keiner Veränderung im Verhältnis zwischen Katholischer Kirche und dem Staat kommt.
Die Verlesung des »Hirtenwortes« am 8.3.1981 habe außerdem katholischen Traditionen entsprochen, da sich die Bischöfe in der Fastenzeit in der Regel alljährlich zu ganz bestimmten Themen christlichen Verhaltens äußern würden.12
Bischof Schaffran vertrat in der Aussprache erneut seinen Standpunkt, dass es nicht sehr glücklich gewesen war, das »Hirtenwort« zu diesem Zeitpunkt zu verlesen.
Einige Bischöfe (u. a. Bischof Huhn,13 Görlitz, Bischof Wanke,14 Erfurt) forderten dazu auf, die mündlich übermittelte Verbalnote zur Untersagung des »Hirtenwortes« durch die Bischofskonferenz zu beantworten. Eine solche Untersagung, die bisher einmalig sei, müsse man in gleicher Weise beantworten.
Bischof Schaffran trat, unterstützt durch Bischof Braun15 und Weihbischof Hubrich16 (beide Magdeburg), für ein besonnenes Handeln der Bischöfe ein. Der Sekretär der »Berliner Bischofskonferenz«, Prälat Dissemond,17 machte die Bischöfe darauf aufmerksam, dass der Bischof Schaffran dem stellvertretenden Staatssekretär Kalb auf dessen Verbalnote bereits geantwortet hätte. Eine nochmalige Beantwortung oder Reaktion der Bischöfe bzw. der Bischofskonferenz würde zur Konfrontation führen. Außerdem wäre eine erneute Beantwortung der Verbalnote protokollarisch nicht zu halten.
In der Diskussion zu diesem Punkt wurden auch evtl. Maßnahmen des Staates erwogen. In diesem Zusammenhang kamen die Bischöfe zu der Feststellung, dass trotz der Verbalnote keine weiteren Maßnahmen seitens des Staates hinsichtlich der Verlesung am 8.3.1981 festgestellt wurden.
Da es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine weiteren Sanktionen staatlicher Dienststellen gebe, sei zu hoffen, dass es auch nach dem 8.3.1981 zu keinen grundsätzlich neuen Entscheidungen und Veränderungen der staatlichen Stellen gegenüber der Katholischen Kirche kommt.
Die Bischöfe einigten sich darauf, es bei der Beantwortung der Verbalnote durch Bischof Schaffran gegenüber dem stellvertretenden Staatssekretär Kalb zu belassen, zumal im anderen Fall die staatlichen Stellen zum Zugzwang gedrängt werden könnten.
Die Bischöfe führten weiterhin eine eingehende Aussprache darüber durch, ob es zweckmäßig sei, die Öffentlichkeit über die Verbalnote zu informieren.
Sie einigten sich darauf, dass weder schriftlich noch mündlich Außenstehende über die Verbalnote informiert werden. Lediglich bei Anfragen oder bei Gesprächen mit staatlichen Vertretern werden sie darauf eingehen und erklären, dass sie Kenntnis darüber besitzen. Spezielle Polemiken sind seitens der Bischöfe über die Verbalnote nicht vorgesehen.18
Überlegungen einzelner Bischöfe, die Dekane über ihre Schwierigkeiten und Probleme hinsichtlich der Abfassung des »Hirtenwortes« zu informieren wurden von der Mehrzahl der Bischöfe abgelehnt.19 (Inzwischen wurde eine Konferenz mit Dekanen durch Bischof Meisner,20 Berlin, durchgeführt. Bischof Meisner hielt sich strikt an die Festlegung der Bischofskonferenz.)
In diesem Zusammenhang wurde von der Mehrzahl der Bischofe auch darauf verwiesen, dass nach ihren Feststellungen die westlichen Medien die Verlesung des »Hirtenwortes« in der DDR nicht hochgespielt hätten.
Die Bischöfe vertraten hierzu insgesamt die Auffassung, dass dieses dem Vorhaben der Leitung der Katholischen Kirche, mit dem »Hirtenwort« keine Belastungen für das Verhältnis zwischen Katholischer Kirche und Staat zu schaffen, entgegenkomme.
Wie dem MfS weiter intern bekannt wurde, ist das »Hirtenwort« der katholischen Bischöfe (siehe Information des MfS Nr. 108/81 vom 28. Februar 1981) am 8. März 1981 in den katholischen Kirchen der DDR bis auf wenige Ausnahmen verlesen worden.
Offensichtlich als Ergebnis des von zuständigen staatlichen Organen geführten Gespräches mit dem Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz, Bischof Schaffran, erfolgte die Verlesung des »Hirtenwortes« im vollen Wortlaut, jedoch vorwiegend ohne Kommentar.
In einigen Gottesdiensten wurde im Zusammenhang mit der Verlesung des »Hirtenwortes« durch katholische Geistliche auf angebliche Schwierigkeiten katholischer Kinder und Jugendlicher im Bildungswesen der DDR, die Ablehnung der Jugendweihe, eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Christen, die Herstellung von Kontakten katholischer Christen zu ihren Nachbarn, um ihnen die »schlechte Lage der Katholiken in der DDR« zu erläutern, die Vertiefung des Zusammenhalts katholischer Christen, um dem »Druck des Staates mehr zu widerstehen«, eine angeblich bestehende Konfrontation katholischer Gläubiger mit dem Staat, auf die man sich einstellen müsse, eingegangen.
Nach vorliegenden internen Hinweisen wurden derartige vereinzelte Feststellungen in Templin – Bezirk Neubrandenburg, Eberswalde – Bezirk Frankfurt/O., Hauptstadt der DDR, Berlin, Wittenberg, Naumburg und Weißenfels – Bezirk Halle, Elsterwerda, Großräschen – Bezirk Cottbus getroffen.
In zwei Gottesdiensten (Falkensee und Belzig – Bezirk Potsdam) wurde angekündigt, das »Hirtenwort« erst zu einem späteren Zeitpunkt zu verlesen. Nach weiter intern vorliegenden Hinweisen haben sich die katholischen Bischöfe an der Verlesung des »Hirtenwortes« nicht beteiligt.
Die Teilnehmerzahl an den Gottesdiensten wich nach vorliegenden Feststellungen nicht von der an anderen Sonntagen ab. Besondere Reaktionen oder Provokationen im Zusammenhang mit der Verlesung des »Hirtenwortes« wurden von den Gottesdienstbesuchern nicht bekannt.
Aktivitäten von westlichen Korrespondenten im Zusammenhang mit der Verlesung des »Hirtenwortes« wurden nicht festgestellt.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!