Information für den KGB über die Politik des Vatikans gegenüber der DDR
14. August 1981
Information Nr. 406/81 über Erkenntnisse zur Politik des Vatikans gegenüber der DDR
(Ihre Information 1083/81)
Dem MfS vorliegenden Hinweisen zufolge sind in den letzten Jahren von der Leitung der katholischen Kirche in der DDR keine wesentlichen Aktivitäten gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung in der DDR ausgegangen. Die katholische Kirche hält weiter an ihrem Prinzip der Zurückhaltung,1 der Festigung und des Ausbaus ihrer Positionen fest.
Die Leitung der katholischen Kirche in der DDR vermeidet politische Kontroversen mit der DDR-Regierung. Ihre Aktivitäten sind darauf gerichtet, durch politische Abstinenz die Reihen der Katholiken zusammenzuhalten und jeden Substanzverlust zu vermeiden.
Von den katholischen Bistümern in der DDR werden gegenwärtig ca. 1,3 Millionen Personen katholischer Konfession seelsorgerisch betreut. Etwa 260 000 Katholiken davon sind in Westberlin ansässig, da die Katholiken des Territoriums Westberlin entsprechend dem kirchlich-rechtlichen Status dem Bistum Berlin (DDR) angehören.2
(Die Interessen des Bischofs von Berlin, Meisner3 – DDR –, werden, soweit es Westberliner Katholiken betrifft, von einem von ihm benannten Generalvikar, der Bürger Westberlins ist, wahrgenommen. Dieser Generalvikar ist im Auftrag von Bischof Meisner in der »Deutschen Bischofskonferenz« – BRD – vertreten.)4
Die in der DDR wohnhaften ca. 1 040 000 Katholiken sind in 1 038 katholischen Seelsorgestellen erfasst; sie werden von 1 340 Priestern betreut und sind über das gesamte Territorium der DDR verteilt. Konzentrationen gläubiger katholischer Christen sind in der DDR im Bezirk Erfurt (Eichsfeld) und im Bezirk Dresden (Wohnbereich der nationalen Minderheit der Sorben) vorhanden.
Die Anzahl der praktizierenden Katholiken, der Taufen, kirchlichen Eheschließungen und Beerdigungen ist in der DDR rückläufig.
Die Beziehungen der Leitung der katholischen Kirche in der DDR zum Staat sind von Sachlichkeit getragen. Das fand auch seinen Ausdruck in der Rede des neuen Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz, Bischof Schaffran,5 während des Antrittsbesuches beim Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, am 15.1.1981,6 in der es u. a. hieß, dass es die von gegenseitiger Achtung und wechselseitigem Verständnis getragenen Beziehungen fortzusetzen gelte; dann werde es auch gelingen, noch offene Fragen zu gegebener Zeit durch die jeweils Verantwortlichen zu regeln.
Eine Zielstellung der DDR gegenüber der katholischen Kirche besteht darin, die Fragen der Angleichung der Bistumsgrenzen an die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten zu regeln. Eine solche Festlegung kann letztlich jedoch nur vom Vatikan getroffen werden.
Diese staatlichen Bestrebungen werden zwar indirekt vom leitenden Klerus der katholischen Kirche in der DDR unterstützt; da sich kirchenleitende Kräfte der katholischen Kirche in der DDR damit aber insbesondere im Widerspruch zur Meinung leitender Kleriker in der BRD und einflussreicher politischer Kräfte in der BRD befinden, gehen von ihnen gegenüber dem Vatikan in dieser Beziehung jedoch keine sichtbaren Aktivitäten aus.
Mit einem Dekret des Vatikans vom 25.9.1976 wurde die »Berliner Ordinarienkonferenz« (Zusammenschluss der katholischen Bischöfe und Weihbischöfe in der DDR) in den Rang einer nationalen Bischofskonferenz unter der Bezeichnung »Berliner Bischofskonferenz« erhoben. Damit wurde ein erster Schritt zur Schaffung einer unabhängigen Bischofskonferenz der DDR (die es bis zu diesem Zeitpunkt nur in der BRD gab) vollzogen.7
Bisher ist jedoch keine Anpassung der Bistumsgrenzen an die Staatsgrenze der DDR erfolgt. Gegenwärtig sind die von Apostolischen Administratoren der DDR verwalteten kirchlichen Bereiche Erfurt/Meiningen, Magdeburg und Schwerin kirchenrechtlich noch Teile der Bistümer Fulda, Paderborn, Osnabrück und Würzburg in der BRD.8
Daraus ergeben sich vielfältige Kontakte zwischen diesen kirchlichen Bereichen der DDR und der BRD. Das betrifft u. a. zahlreiche »Besuche« der Bischöfe aus den Bistümern Fulda, Paderborn, Osnabrück und Würzburg bei Klerikern der genannten Bistümer in der DDR, die – soweit bekannt – zu »gegenseitigen Gedankenaustauschen« und zahlreichen Gesprächen mit katholischen Geistlichen, Studenten u. a. genutzt werden.
Dabei ist zu beachten, dass der katholische Klerus in der BRD davon ausgeht, dass alle Katholiken in der DDR weiterhin »deutsche Katholiken« sind, die im Interesse der »Gemeinsamkeit der katholischen Kirche in Deutschland« Unterstützung erhalten müssen. Unter Berufung auf das Konkordat (Vertrag zwischen Vatikan und dem damaligen Deutschen Reich) von 19339 organisieren die »Deutsche Bischofskonferenz« (BRD)10 und das »Zentralkomitee der Katholiken« (BRD)11 finanzielle, materielle und ideologische Hilfe für die katholische Kirche in der DDR.
Die finanzielle Unterstützung bezieht sich besonders auf die teilweise Finanzierung von kirchlichen Bauten in der DDR, auf Zuschüsse für Restaurierungen von Kirchen u. Ä., auf Geldzuwendungen an Priester und katholische Laiengemeinschaften, auf die Bezahlung von persönlichen Geschenken, auf die Finanzierung von Partnerschaftsreisen, von Treffen in Drittländern (so u. a. in Ferienlagern, zu Exerzitien) u. a.
Außerdem sind sogenannte Unterstützungen bekannt, die in Form von Übergabe religiöser Literatur (besonders an katholische Ausbildungsstätten) und Sachgeschenken erfolgen.
Als weitere Form dieser »Hilfe« werden von der katholischen Kirche der BRD sogenannte Partnerschaftstreffen, vorwiegend von Studentengemeinden der BRD zu Studentengemeinden in der DDR, gefördert und finanziert.
In einer Orientierung der Bischöfe der BRD an die Priester in der BRD heißt es u. a. dazu:
»Wir möchten Sie auch bitten, persönliche Kontakte zu den Mitbrüdern und Gemeinden in der DDR weiterhin aufrechtzuerhalten und zu vertiefen, Partnerschaft neu zu beleben und durch Besuche die Verbundenheit zu bekunden.«
Nachweisbar werden diese Treffen, insbesondere die Partnerschaftstreffen, in der BRD ideologisch zielgerichtet vorbereitet. Auf sogenannten Referenten-Treffen, die z. B. von der »Arbeitsgemeinschaft der deutschen katholischen Studenten- und Hochschulgemeinden« der BRD regelmäßig durchgeführt werden, werden mit der Partnerschaftstätigkeit befasste Studenten mit »politisch-aktuellen Problemen der DDR« im Sinne der sogenannten Deutschlandpolitik der BRD vertraut gemacht (z. B. zu Themen wie »Grundkonflikte BRD – DDR«/»Konvergenzdiskussion in Ost und West«, »Das System der DDR«, »Industriegesellschaft oder sozialistische Gesellschaft«). Diese »Referenten-Treffen« werden zum größten Teil von Mitarbeitern des »Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen« (BRD) durchgeführt, das nachweislich für sogenannte innerdeutsche Arbeit katholischer Kreise (z. B. für die Partnerschaftstreffen) der katholischen Kirche der BRD finanzielle Unterstützung gewährt.
Der seitens der DDR beabsichtigten Veränderung der Bistumsgrenzen wird – wie eingangs bereits angedeutet – von der katholischen Kirche in der BRD massiv entgegengewirkt. Hinter entsprechenden Aktivitäten der katholischen Kirche in der BRD, die »Einheit der katholischen Kirche in Deutschland« zu wahren und damit einen wichtigen Beitrag zur »Einheit der deutschen Nation« zu leisten, stehen insbesondere einflussreiche Kräfte der CDU/CSU in der BRD. Einer der führenden Kleriker der BRD, Kardinal Höffner,12 vertritt z. B. den Standpunkt, dass eine weitere Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR abzulehnen sei.
Folgende politische Grundlinien des Vorgehens zeichnen sich in diesem Zusammenhang ab:
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Der Klerus in der DDR müsse daran interessiert werden, an den derzeitigen Strukturen der katholischen Kirche in der DDR festzuhalten.
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Seitens der Bischöfe in der BRD müsse alles getan werden, um eine weitere Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR zu verhindern oder zumindest hinauszuschieben; dazu gehörten auch weiterhin Gespräche mit den zuständigen vatikanischen Stellen.
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Man müsse natürlich die Vor- und Nachteile einer Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR gegeneinander abwägen. Eine Verselbstständigung bedeute aber nur Nachteile, angefangen von der »weiteren Zementierung der deutschen Spaltung« bis hin zum Entzug der kirchlich-rechtlichen Grundlagen für die zweckdienliche materielle und geistige Unterstützung der Katholiken in der DDR. Daher müsse für die Beibehaltung des jetzigen kirchlich-rechtlichen Status in beiden deutschen Staaten eingetreten werden.
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Die CDU/CSU sei ebenso wie das »Zentralkomitee der Deutschen Katholiken« (BRD) gegen weitere Maßnahmen zur Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR.
Direkte Kontakte des Vatikans zum katholischen Klerus in der DDR bestehen durch die üblichen regelmäßigen Besuche insbesondere der Bischöfe Schaffran und Meisner im Vatikan (u. a. sogenannte Ad-limina-Audienz)13. Außerdem werden von anderen katholischen Bischöfen in der DDR Dienstreisen zum Vatikan unternommen, die zum Teil aus der direkten Unterstellung aller katholischen Bischöfe in der DDR beim Vatikan resultieren.
Weitere direkte Kontakte des Vatikans zu Kreisen der katholischen Kirche der DDR bestanden in den letzten Jahren aufgrund der staatlichen Genehmigung von Studienreisen für Priester aus der DDR nach Rom, der Genehmigung von sog. kirchlichen Dienstreisen zum Sitz des Vatikans oder im Zusammenhang mit Konferenzen anerkannter, katholischer Gremien sowie durch die staatlich lizenzierte Einfuhr der Kirchenzeitschrift »Osservatore Romano« als deutschsprachige Wochenausgabe.
(Diese Zeitung enthält sich jeglicher Angriffe gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung und die DDR.)
Durch leitende Kräfte des Vatikans werden – soweit bekannt – die Beziehungen der katholischen Kirche in der DDR zur Regierung der DDR als gut eingeschätzt. Besonders hervorgehoben wird der Antrittsbesuch des Vorsitzenden der »Berliner Bischofskonferenz«, Bischof Gerhard Schaffran, Dresden-Meißen, beim Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, am 15.1.1981 im Amtssitz des Staatsratsvorsitzenden.
Auch die staatlicherseits gewährten Unterstützungen bei kirchlichen Veranstaltungen (z. B. Bischofsweihen, Beisetzungen, Wallfahrten) sowie bei Grenzpassagen von Bischof Meisner und seiner Mitarbeiter zur Ausübung seines Bischofsamtes in Westberlin, werden von der katholischen Kirche hoch eingeschätzt und finden im Vatikan Würdigung.
Die Ausbildungsstätten der katholischen Kirche in der DDR sind nach Gewohnheitsrecht vom staatlichen Bildungswesen unabhängig. Hier bildet die katholische Kirche selbstständig ihren Priesternachwuchs aus.14
Zu bemerken ist, dass viele seitens der katholischen Kirche in der DDR praktizierten Aktivitäten, z. B. Exerzitien (katholische Weiterbildung), Wallfahrten, Ordenstätigkeit sowie die Möglichkeiten des Auftretens im Rundfunk, in der Presse und eigene Publikationen in katholischen Verlagen, seit Gründung der DDR gesetzlich verankert sind. Seitens der Regierung der DDR wird das Wirken der katholischen Kirche, vor allem im Rahmen des Sozial und Gesundheitswesens, immer wieder positiv hervorgehoben. Dadurch gibt es für den Vatikan in der DDR wenige Angriffsflächen.
Zur katholischen Kirche in der VR Polen gibt es auf der Grundlage unterschiedlichen Herangehens an religiöse, traditionelle und emotionale Fragen ein überwiegend kühles Verhältnis. Die vorhandenen Verbindungen sind im Wesentlichen auf das Gebiet der Seelsorge für polnische Katholiken, die in der DDR arbeiten, begrenzt. Die Leitung der katholischen Kirche in der DDR hat bisher jeden offenen Kommentar zu den Ereignissen in der VR Polen15 vermieden.
Durch die Bischöfe wird besonders an den katholischen Glaubensgrundsätzen, bestimmten religiösen Traditionen und einer ständigen Festigung der eigenen Reihen festgehalten.
Entsprechend einer internen Orientierung des leitenden Klerus in der DDR sind auch die Priester offiziell um eine loyale Haltung gegenüber der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR bemüht und widmen sich vor allem der seelsorgerischen Tätigkeit.
In den letzten Jahren kam es seitens der katholischen Kirche in der DDR lediglich zu einer öffentlichen Provokation gegen Teilbereiche der sozialistischen Gesellschaft der DDR.
Am 8.3.1981 wurde in allen Gottesdiensten der katholischen Kirche in der DDR ein »Gemeinsames Hirtenwort der katholischen Bischöfe in der DDR« verlesen.16 Im Mittelpunkt des »Hirtenwortes« standen »Antworten« zum Verhalten der katholischen Gläubigen in der sozialistischen Gesellschaft. Darin wurden die kommunistischen Erziehungsziele des Staates gegenüber der Jugend und die Durchführung der Jugendweihe angegriffen. Dabei handelte es sich um bereits bekannte Standpunkte des katholischen Klerus in der DDR zur kommunistischen Bildung und Erziehung in der DDR, die jedoch vorher öffentlich nicht dargelegt worden waren.
Dem MfS ist bekannt, dass es zur öffentlichen Verlesung des »Hirtenwortes« unterschiedliche Meinungen der katholischen Bischöfe in der DDR gab, wobei sich in diesem Falle nach dem Ableben des Kardinals Bengsch die jüngeren Kräfte unter den katholischen Bischöfen der DDR – die nach einem eigenen Profil streben, vorher jedoch unter der Leitung von Kardinal Bengsch »diszipliniert« wurden – durchsetzen konnten.
Diese Angriffe wurden von der Regierung der DDR in einer schriftlichen Verbalnote sowie in persönlichen Rücksprachen leitender Mitarbeiter des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit leitenden katholischen Bischöfen energisch zurückgewiesen.17
Diese Zurückweisung wurde vom katholischen Klerus der DDR ohne Gegenantwort zur Kenntnis genommen. Dem MfS ist bekannt, dass die jüngeren katholischen Bischöfe in internen Beratungen der »Berliner Bischofskonferenz« darauf drängten, die Öffentlichkeit über die Verbalnote zu informieren. Dieses Vorgehen wurde jedoch von der Mehrheit der Bischöfe abgelehnt, um keine Belastungen für das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche zu schaffen und den Staat nicht in »Zugzwang« zu bringen.