Politische Probleme anlässlich des Treffens Honecker und Schmidt
[ohne Datum]
Übersicht/Hinweise zu bedeutsamen Problemen anlässlich des Treffens zwischen Genossen Honecker und Bundeskanzler Schmidt bzw. damit im Zusammenhang stehend [Bericht O/103]
(Erkenntnisse aus der Auswertung vorwiegend von Informationen der Abteilung III, Westpresse, Funkmedien, ADN/Agenturmeldungen)
1. Erwartungen und Forderungen der BRD- und Westberliner Seite
1.1. Zu Fragen des Mindestumtausches
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Frage der Mindestumtauschsätze werde bei den Gesprächen ein »spezifisches Gewicht« haben (Franke,1 Bundesministerium für »innerdeutsche Beziehungen«)
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Herabsetzung des Mindestumtausches, zumindest Erleichterungen für Rentner und Jugendliche (SPD und FDP Westberlin, Wehner,2 Franke, CDU-Kreise)
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Rücknahme der erhöhten Mindestumtauschsätze, Forderung nach Verknüpfung mit wirtschaftlichen Konzessionen (»Swing«) (CDU/CSU Barzel,3 Lorenz,4 Kohl5)
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Korrektur des erhöhten Mindestumtausches bis hin zu Detailfragen, wie etwa der Verwendung des umgetauschten Betrages für den Einkauf von Benzin (Vogel,6 SPD)
1.2. Zur Familienzusammenführung
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In der Frage der Familienzusammenführung könne nur eine »diskrete Behandlung« zu Erfolgen führen (Franke)
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Fragen der Familienzusammenführung in Verbindung mit Menschenrechtsbestimmungen der KSZE-Schlussakte vertreten (Lorenz, CDU)
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Probleme der Familienzusammenführung (u. a. mit der Rückkehr Guillaumes zugesagte Ausreise von 3 000 Kindern und Frauen in die BRD)7 (Pressestimmen)
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Ansprechen »dringender Fälle« von DDR-Bürgern, die eine Übersiedlung nach der BRD anstreben (bekannt geworden im Zusammenhang mit Aktivitäten des stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Hoppe,8 bei der Zusammenstellung entsprechender Listen).9
1.3. Zu »Erleichterungen« und »Verbesserungen« im Reiseverkehr
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BRD-Delegation soll darauf bestehen, »dass der Kreis der West-Reisenden in der DDR beträchtlich ausgedehnt wird und der Katalog der Anlässe nicht mehr so eng wie bisher ausgelegt wird« (Pressestimmen, »Welt«)
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Erwirkung weiterer Verbesserungen im Reise- und Besucherverkehr, Verlängerung der Ein- und Ausreisemöglichkeiten; Verkürzung der Wartezeiten an den Grenzübergängen; Möglichkeit der Einreise mit Hunden und Fahrrädern (Westberliner SPD-Führung, FDP)
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Schmidt10 solle sich dafür einsetzen, dass auch Motorradfahrer in die DDR einreisen können (»Deutscher Touring Automobil Club«)
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Im Rahmen der Gesamtproblematik »Reiseverkehrsverbesserungen und -erleichterungen« sei es nach Auskunft des Ministerialrates im Bundeskanzleramt, Zilch,11 nicht vorgesehen, Einzelfälle anzusprechen.
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Aktivitäten, »Einzelfälle« ins Gespräch zu bringen. Ein [Name 1, Vorname], wohnhaft in Tann/Rhön (BRD) (vor 25 Jahren die DDR verlassen, ist erblindet) ersuchte das Bundeskanzleramt, sich dafür einzusetzen, um für ihn beim Treffen eine Ausnahmeregelung für einen Besuch seiner Verwandten im Grenzgebiet der DDR zu erwirken. Eine Person [Name 2] (ehemaliger DDR-Bürger) wohnhaft Wittershausen (BRD), ersuchte einen Mitarbeiter des »Gesamtdeutschen Instituts – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben«12 Bundeskanzler Schmidt dahingehend anzusprechen, dass dieser beim Treffen die Aufhebung einer gegen ihn vermutlich vorliegenden Einreisesperre in die DDR erwirkt, damit er seine 80-jährige Mutter in Eisenach besuchen kann.
1.4. Zu Problemen des Transitverkehrs
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Schrittweiser Ausbau der Eisenbahn-Transitstrecken und qualitative Verbesserung des Transit-Straßennetzes (Elektrifizierung von Eisenbahn-Transitstrecken und Ausbau auf eine Zuggeschwindigkeit von 160 km/h) (SPD Westberlin)
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Bau der Stichstraße von der künftigen Hamburg-Autobahn in den Landkreis Lüchow-Dannenberg (SPD Westberlin)
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Transitstrecke für Radfahrer und Mopedfahrer (SPD Westberlin)13
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Ständiges Offenhalten der Grenzübergangsstelle Staaken sowie Benutzung der Autobahn Berliner Ring bis zum Anschluss an die Autobahn in Richtung Rostock (SPD, FDP Westberlin, Weizsäcker14 CDU)
1.5. Zu Problemen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
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Weiterer Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der BRD (Wischnewski15 SPD)
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Vereinbarungen über ein langfristiges Kooperationsabkommen (Pressestimmen)
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Neufestsetzung der Höhe des Swing-Kredites16 (SPD, FDP, CDU-Kreise)
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Die künftige Versorgung Westberlins mit Erdgas aus der Sowjetunion, Verlegung der Rohrleitungen über das Staatsgebiet der DDR (SPD Westberlin)
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Zielstrebige Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen der DDR und der BRD und eventuell gemeinsames Auftreten in Drittländern (Brandt)17
1.6. Spezifische Westberlin betreffende Probleme
»Wunschthemen« der SPD und FDP
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Benutzung des Teltowkanals auch für Fahrgastschiffe und Sportboote
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Eröffnung eines neuen Grenzüberganges am U-Bahnhof Alexanderplatz
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Weiterer Gebietsaustausch gemäß dem Viermächteabkommen an der Lennéstraße im Bezirk Tiergarten und am Kölner Damm in Buckow
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Regelungen für Sicherheitsmaßnahmen bei Not- und Unglücksfällen auf den U-Bahn-Linien zwischen Kochstraße und Reinickendorfer Straße und zwischen Moritzplatz und Voltastraße18
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Behandlung Berlins als umweltpolitische Einheit
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Probleme im Bereich des S-Bahnhofes Zoo
1.7. Zum Status der Vertretungen
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Vereinbarung einer Kompromissformel bezüglich der DDR-Forderung nach Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften. Bei Beibehaltung des bisherigen Status dem jeweiligen Leiter den persönlichen Titel Botschafter geben (Pressestimmen)
1.8. Einzelprobleme
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Verbesserung des Gewässerschutzes (Werra-Projekt) einschließlich bessere Reinhaltung »der Berlin durchfließenden« Gewässer (SPD Westberlin)
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Entwicklung/Ausdehnung des »innerdeutschen« Sportverkehrs, mehr Begegnungen zwischen Sportlern (Bundestags-Sportausschuss, BRD-Sportführung)
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Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten (Lorenz, CDU)
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Lösung von Problemen der Kriegsgräberfürsorge (Pressestimmen)
2. Auf eine Störung des Treffens zielende Forderungen
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Forderung nach Gesprächen über »Minen, Selbstschussanlagen und die Mauer« sowie über die »Verweigerung von Menschenrechten« in der DDR. »Warnung« vor einem Nachgeben gegenüber Forderungen der DDR etwa in der Frage der Staatsbürgerschaft. (Barzel, CDU)
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Die BRD-Regierung müsse »wirtschaftliche Konzessionen« davon abhängig machen, dass »Ostberlin zur Geschäftsgrundlage der deutsch-deutschen Verträge« zurückkehre. (deutschlandpolitischer Sprecher der CDU/CSU, Lorenz)
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Neue Vereinbarungen mit der DDR dürfe es nur geben, »wenn die Erhöhung des Zwangsumtausches in einer Weise zurückgenommen wird, die den innerdeutschen Besuchsverkehr in seinem früheren Umfang wieder ermöglicht«. (Kohl, CDU)
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Verstöße der DDR gegen den Grundlagenvertrag müssten rückgängig gemacht werden, »und zwar ohne Honorar«. (Kohl)
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Zurückweisung »juristischer Aggression der DDR-Führung gegen das Fundament der Ostverträge«. (außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mertes)19
3. Zu bedeutsamen Einzelheiten von Vorbereitungsmaßnahmen der BRD-Seite
(vorwiegend Informationen der Abteilung III)
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Um die »Trennlinie zwischen Innerdeutschem und Auswärtigem« nicht zu verwischen, habe das Auswärtige Amt der BRD einen Protokollbeamten im Vorauskommando zur Vorbereitung des Treffens dahingehend abzudecken beabsichtigt, dass er für die Dauer seines Einsatzes zum Bundeskanzleramt abgeordnet wird. (Pressebericht)
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Der Staatsminister im Bundeskanzleramt, Huonker,20 hat bei Regierungssprecher Becker21 sein Befremden darüber geäußert, dass der Leiter des Referates III A 6 (Innerdeutsche Beziehungen) im Bundespresseamt, Dr. Plück,22 der Vorausdelegation angehört. Plück sei CDU-Mann und vertrete zu sehr die Linie der CDU. Nach Meinung des Bundespresseamtes wäre eine Herauslösung des Plück aus der Vorausdelegation nicht mehr möglich, weil es zu massiven Reaktionen von CDU-Kräften mit »Öffentlichkeitswirksamkeit« kommen könnte.
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Während des Arbeitsbesuches wird eine Gruppe von neun Mitarbeitern des Bundeskanzleramtes in der Ständigen Vertretung der BRD zum Einsatz kommen. Hinweise zu deren Aufgaben liegen bisher nicht vor.
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Für die Ständige Vertretung der BRD ist für die Dauer des Treffens erhöhte Arbeits- und Einsatzbereitschaft angewiesen worden. Berlin darf nur bei dringenden Dienstreisen verlassen werden.
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Kräfte des Bundesministeriums für »innerdeutsche Beziehungen« (BMB) sind durch den Bundeskanzler beauftragt worden, in Vorbereitung des Treffens eine Einschätzung der »Stimmungslage in der DDR« zu erarbeiten. Das »BMB« beauftragte die »Infratest GmbH und Co. KG – Markt- und Sozialforschung«, München, mit der Durchführung einer entsprechenden Umfrage. Im Rahmen dieser Umfrage wurden von Besuchen aus der DDR zurückgekehrte BRD-Bürger zu Meinungen befragt, die Bürger der DDR zur Politik der beiden deutschen Staaten in Unterhaltungen geäußert haben. Diese Befragung wurde nach einem festgelegten Fragenkomplex vorgenommen und in entsprechenden Fragebögen vermerkt.23
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Die Witwe des verstorbenen Westberliner Malers und Grafikers Ole Jensen,24 [Name 3, Vorname], wandte sich an das Bundeskanzleramt mit der Absicht, Bundeskanzler Schmidt eine Zeichnung ihres verstorbenen Ehemannes zur Verfügung zu stellen, die dieser Genossen Honecker als Geschenk überreichen könnte. Auf dieser Zeichnung sollen die Botschafter der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs bei der Unterzeichnung des Vierseitigen Abkommens über Westberlin abgebildet sein.
4. Zu Aktivitäten von Korrespondenten
(Informationen der Abteilung III und der Hauptabteilung II)
Die Ständige Vertretung der BRD in der DDR führte mit ständigen Korrespondenten der BRD am 5. Dezember 1981 im Westberliner Journalistenclub eine koordinierende Absprache durch, in deren Mittelpunkt eine generelle Abstimmung der Berichterstattung und die Vermittlung von »Zusammenhängen und Hintergrundinformationen« stand.
Bisher genehmigte journalistische Vorhaben konzentrieren sich auf
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Besichtigung von Handlungsobjekten und -räumen sowie Fahrtstrecken zwischen ihnen
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Straßenbefragungen.
Dabei traten besonders in Erscheinung Pleitgen, Lehmann (ARD), Jauer (ZDF) und Waha (AP) in Güstrow, Jennerjahn (dpa) am Werbellinsee und auf Fahrtstrecken sowie Collat (AFP) am Jagdschloss Hubertusstock.
Das Fernsehteam des ZDF unter Leitung von Jauer hielt sich am 8. Dezember 1981 in Güstrow auf. Es wurde eine Straßenbefragung und ein Interview mit dem Stadtbaudirektor durchgeführt. Die befragten Personen äußerten sich nach vorliegenden Informationen zurückhaltend; teilweise Beantwortung gestellter Fragen abgelehnt.
Von der BRD-Seite wurde angekündigt, dass alle BRD-Korrespondenten nach der Pressekonferenz Schmidts nach Güstrow fahren werden.
Aus dem »Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen« wurden Bestrebungen bekannt, journalistische Aktivitäten, die sich störend auf das Treffen auswirken könnten, zu verhindern.
Der Korrespondent der »Rheinischen Post« in der DDR, Stadach, bereitet gemeinsam mit dem deutschlandpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Lorenz, öffentlichkeitswirksame Angriffe gegen den Besuch Schmidts in der DDR vor. Im Ergebnis eines sogenannten Hintergrundgespräches mit Lorenz verfasste Stadach einen Artikel mit Angriffen gegen Schmidt und verleumderischen Angriffen gegen die DDR.
Die Journalisten der Springer-Zeitung »Die Welt«, Conrad und Karutz, beabsichtigen am 11. Dezember 1981 in die Hauptstadt der DDR einzureisen. Beide wollen in der Nähe des Alexanderplatzes und des Hotels »Metropol« Gaststätten aufsuchen, um Meinungen und Stimmungen aus der DDR-Bevölkerung zu erhalten.
Zwischen dem stellvertretenden Leiter des Bonner Büros der ARD, Lueg, und dem stellvertretenden Chefredakteur des »Senders Freies Berlin«, Schultze, wurde vereinbart, am 13. Dezember 1981 eine Sondersendung in Form einer Chronik über das Treffen zu gestalten. In diese Sendung soll eine »Volksbefragung« zum Treffen, die auf den Straßen der DDR und der BRD bzw. Westberlins organisiert werden würde, einfließen.
Des Weiteren ist eine Reihe von Interviews mit prominenten Politikern vorgesehen, wie Genossen Honecker, Bundeskanzler Schmidt und dem Westberliner Regierenden Bürgermeister von Weizsäcker. Genosse Honecker soll durch »ein paar ungeheuer kritische Fragen verwirrt werden«.
Auf die Arbeitsbedingungen im Pressezentrum Bogensee soll ebenfalls in hetzerischer Weise eingegangen werden.
Kritik an »katastrophalen Zuständen« im Pressezentrum Bogensee übten Jürgen Engert (freiberuflich tätiger Fernsehjournalist) und Christa Moerstedt-Jauer (ZDF-Journalistin). Diese Bedingungen würden von den Journalisten als Politikum betrachtet und die Berichterstattung insgesamt negativ beeinflussen.25
Ergänzung zu Übersicht/Hinweise zu bedeutsamen Problemen anlässlich des Treffens zwischen Genossen Honecker und Bundeskanzler Schmidt bzw. damit im Zusammenhang stehend26
Zu 1.1. (Mindestumtausch)
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Vorstellbare Modifizierungen der Mindestumtauschsätze könnten sein:
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Ausnahmeregelungen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel,
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dann Erleichterungen für Rentner und Jugendliche,
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schließlich spürbare Herabsetzung der Umtauschquoten für alle. (Presse)
Zu 1.3. (Reiseverkehr)
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Bei auf einen Tag befristeten Besuchen die volle 24-Stunden-Frist einzuräumen und nicht auf Ausreise bis Mitternacht beharren, wäre ein »Gewinn«. (Presse)
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Einen weiteren Grenzübergang im Harz zu schaffen, stehe u. a auf dem Bundeskanzler Schmidt übergebenen niedersächsischen »Wunsch-Katalog«. (Ministerpräsident Albrecht)27
5. Zu Sicherungsmaßnahmen
(Informationen der Abteilung III)
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Die Erarbeitung einer Agenturmeldung »im Vorfeld des Besuches« über von der DDR getroffene Sicherheitsmaßnahmen wurde angeregt.
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Gebeten wurde um die Einziehung von Erkundigungen über mögliche Verhaftungen oder Isolierungen verdächtiger/negativer DDR-Bürger durch die Sicherheitsorgane der DDR.
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Die zu erwartende Fahrt des Bundeskanzlers über eine »menschenleere« Autobahn sei Ausdruck konkreter Sicherheitsvorkehrungen. (Mitarbeiter von DDP (»Deutscher Depeschendienst«)