Privatbesuch von Johannes Rau bei Bischof Schönherr
19. Februar 1981
Information Nr. 81/81 über den Privatbesuch des Ministerpräsidenten des Rheinlandes und Mitglied der Rheinischen Kirchenleitung, Rau, Johannes, und des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Immer, Karl, bei Bischof Schönherr (Hauptstadt Berlin) am 14. und 15. Februar 1981
Dem MfS wurden streng intern bemerkenswerte Einzelheiten über den Verlauf des privaten Besuchs von Ministerpräsident Rau1 und Präses Immer,2 die am 14. und 15. Februar 1981 auf Einladung von Bischof Schönherr3 in der DDR weilten, bekannt.4
Die Einreise erfolgte am 14. Februar 1981 und wurde verbunden mit einem Besuch des Bischofs der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Krusche.5 Außer allgemeinen persönlichen Fragen seien folgende Probleme mit politischem Inhalt erörtert worden:
Bischof Krusche habe Rau und Immer Vorhaltungen darüber gemacht, dass sie zu wenig gegen die durch die BRD in Verbindung mit den USA betriebene Hochrüstung unternehmen würden. Es fehle seitens der Kirche und der Regierung der BRD eine klare Position zur Herstellung und Stationierung der Neutronenwaffe, die absolut unsinnig sei. Dies würde die Lage in Europa weiter verschärfen, und es sei erforderlich, etwas dagegen zu tun.
Krusche habe weiter die in der DDR von ihm unterstützte Jugendarbeit hinsichtlich des Friedensdienstes geschildert.6 Er habe seine Gesprächspartner aufgefordert, stärker pazifistische Positionen zu beziehen. Ministerpräsident Rau und Präses Immer hätten dazu eine übereinstimmende Haltung bezogen. Ein Kampf um Frieden ohne Waffen sei illusionär. Rau habe dargelegt, dass es im Rheinland einige Städte gebe, in denen die Mehrheit der Jugendlichen Wehrdienstverweigerer sei. Dadurch entstünden Sorgen für die Bundeswehr, besonders hinsichtlich des Offiziersnachwuchses.
Bei den Gesprächen mit Bischof Schönherr in Berlin zeigte sich Rau sehr interessiert an der Einschätzung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR. Bischof Schönherr habe dazu Darlegungen gemacht, welche die reale Situation widerspiegelten und keine Angriffe gegen die DDR enthielten.
Zur Lage in der VR Polen brachte Rau gegenüber Schönherr zum Ausdruck, er habe ebenso wie Bischof Schönherr Interesse daran, dass sich die Verhältnisse in der VR Polen beruhigen. Nach den Ausführungen von Rau würde die BRD ökonomisch sehr viel für die VR Polen tun, was »verdeckt« geschehe. Es würden erhebliche Beträge »über bestimmte Kanäle« (welche sagte er nicht) der Regierung der VR Polen gutgeschrieben. Das Interesse von Rau sei identisch mit der Führung der SPD, und es ginge darum, im Interesse der Entspannungspolitik in Europa die Situation in der VR Polen zu stabilisieren. Der neue Ministerpräsident Jaruzelski7 sei »die letzte Instanz vor einem Chaos oder Bürgerkrieg«.8 Sollte Jaruzelski die Situation in der VR Polen nicht in den Griff bekommen, dann bliebe der Sowjetunion keine andere Wahl, dann müsste sie eingreifen. Nach der Auffassung von Rau sei die Sowjetunion jedoch an einem Eingreifen nicht interessiert. Rau sagte weiter, er sei nicht sehr glücklich darüber, dass Wałęsa9 die BRD besuchen wolle und beabsichtige, nach Düsseldorf zu kommen.
Rau führte weiter aus, durch die Wahl des neuen Präsidenten der USA, Reagan, sei eine Phase mit Komplikationen in der Welt, besonders hinsichtlich der Politik in Europa, eingetreten. Die Regierung der BRD müsse sich in dieser Situation Spielraum lassen, denn die USA hätten Interesse daran, die BRD »an die Leine zu legen«. Die BRD sei deshalb an weiteren bilateralen Zusammenkünften mit den verschiedenen Regierungen Europas interessiert. Sie sei dazu gezwungen, da die USA ihrerseits durch bilaterale Beratungen bestimmte Verbindungen unterlaufe.
Der neue USA-Präsident Reagan sei »besser als sein Image«. Gegenwärtig würde er allerdings zu sehr seinen Expertenberatern und Ministern vertrauen. Er habe keinen politisch ausgewogenen exponierten Standpunkt. Bundeskanzler Schmidt sei in seinem Verhältnis zum neuen USA-Präsidenten noch unsicher und habe die Absicht, abwartend und zurückhaltend zu agieren.
Abschließend wurde bei Bischof Schönherr das sogenannte Gastarbeiterproblem in der BRD erörtert, und Rau machte dazu Ausführungen, die sich auf die Kompliziertheit des Umgangs mit den türkischen Gastarbeitern bezogen.
Nach dem Besuch bei Bischof Krusche wurde auf der Weiterfahrt die Stadt Wittenberg aufgesucht. In Wittenberg erfolgte eine Besichtigung der Schlosskirche und der »Paul-Gerhardt-Stiftung«. Die Führung durch diese Einrichtung erfolgte durch Propst Treu10 (Wittenberg). Außerdem war der Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Sachsen-Anhalt, Natho,11 anwesend.
Rau und Immer zeigten sich beeindruckt von den in Wittenberg geplanten Bauvorhaben anlässlich des Luther-Jubiläums und von der großen Anzahl der in der »Paul-Gerhardt-Stiftung« ausgebildeten Krankenschwestern sowie von den niedrigeren Aufenthaltskosten für Kranke.
Am 15. Februar 1981 gab der Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Gysi,12 im Johannishof ein Frühstück.
Nach einem Gespräch mit Genossen Gysi besuchten Rau und Immer den Berliner Dom und kamen dann im Hospiz, Auguststraße, zu einem Imbiss zusammen. Hier äußerte Rau, Gysi sei »ein angenehmer Gesprächspartner«, mit dem er sehr gut zurechtgekommen wäre. Er brachte zum Ausdruck, viele in leitenden Positionen der BRD tätige Personen würden sich solche Gespräche wünschen.
Des Weiteren hatte Rau ein etwa 10-minütiges Gespräch mit dem Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bölling.13 Danach begaben sich Rau und Immer nach Potsdam, Cecilienhof, wo sie mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes für Inneres, Seelinger, zu einem Mittagessen zusammentrafen und die Gedenkstätte im Cecilienhof14 sowie die Nikolaikirche besuchten. Am 15. Februar 1981 reisten beide gegen 18.00 Uhr nach Berlin (West) aus.
Wie weiter intern bekannt wurde, habe der als Privatbesuch deklarierte Aufenthalt von Rau und Immer beiden dazu gedient, sich nach ihren Aussagen »vor Ort« exakt über die Verhältnisse in der DDR zu informieren, sich eine eigene Meinung zu bilden und mit dem Besuch ihr Image in ihren staatlichen bzw. kirchlichen Funktionen aufzuwerten.
Rau trat insgesamt zurückhaltend auf und war mitunter in seinen Äußerungen befangen. Er betonte mehrfach, dass seine Ansicht die der Führung der SPD in der BRD sei und mit ihr abgesprochen wäre.
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