Privatreise von François Mitterrand und Willy Brandt in der DDR
9. März 1981
Information Nr. 128/81 über den Aufenthalt des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Frankreichs, François Mitterrand, und des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Willy Brandt, in der DDR
Am 5. März 1981 reisten François Mitterrand über die Grenzübergangsstelle Wartha um 10.35 Uhr und Willy Brandt über die Grenzübergangsstelle Drewitz um 10.26 Uhr jeweils mit einem Pkw in die DDR ein. Beide Politiker trafen sich um 13.37 Uhr in der Raststätte Hermsdorfer Kreuz, nahmen dort zusammen mit führenden Vertretern des Bezirkes Gera das Mittagessen ein, (Willy Brandt1 war bereits um 12.19 Uhr an der Raststätte Hermsdorfer Kreuz eingetroffen.) und fuhren dann zur Grenzübergangsstelle Hirschberg, die sie um 15.39 Uhr in Richtung BRD verließen. Die Abfertigung von Mitterrand und Brandt sowie ihrer Begleitungen an den Grenzübergangsstellen bei der Ein- und Ausreise erfolgte zügig, reibungslos und ohne Vorkommnisse. Sie betrug nur wenige Minuten und wurde an den Fahrzeugen durchgeführt.
Das Anliegen der Besuchsreise von Mitterrand bestand darin, wie auch offiziell durch westliche Massenmedien publiziert wurde, die Stelle in Rudolstadt aufzusuchen, an der sich das Kriegsgefangenenlager befand, aus dem er als Kriegsgefangener – auf den Tag genau – am 5. März 1941 geflohen war.2
Mitterrand wurde begleitet von Jean Honoré Munier,3 ein Freund Mitterrands aus gemeinsamer faschistischer Kriegsgefangenschaft und leitendes Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs, [Vorname Name 1], Mitarbeiter im Büro von Brandt, und dem Kraftfahrer [Vorname Name 2]. In Begleitung von Brandt befanden sich Herr [Name 3], Mitarbeiter im Büro von Brandt und der Kraftfahrer [Vorname Name 4].
Durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera, Genossen Krätzschmar,4 wurden Mitterrand und dessen Begleitung an der Grenzübergangsstelle Wartha empfangen und begrüßt. Mitterrand nahm den Vorschlag des Genossen Krätzschmar an, mit ihm gemeinsam in seinem Pkw die Fahrt über Rudolstadt bis zum Hermsdorfer Kreuz fortzusetzen. Er akzeptierte auch die Vorschläge über den weiteren Ablauf seines Aufenthaltes in der DDR.
Das Gespräch während der Fahrt nach Rudolstadt, wo Mitterrand wunschgemäß das ehemalige Kriegsgefangenenlager Rudolstadt-Schaala besuchen wollte, verlief in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Es wurde u. a. über die Ehrung der antifaschistischen Widerstandskämpfer gesprochen. Positiv reagierte Mitterrand auf die Erläuterungen, dass in Rudolstadt alljährlich der Opfer des Faschismus, darunter auch der französischen Antifaschisten, gedacht wird und auch auf den Hinweis, dass am Ehrenmal der Opfer des Faschismus in Rudolstadt eine Gedenktafel von der französischen Partnerstadt Aubervilliers mit dem Symbol »FIR« angebracht ist.
Mitterrand äußerte Achtung und Anerkennung über den antifaschistischen Kurs der Politik der DDR und erklärte sinngemäß, es diene dem Frieden und der Zusammenarbeit der Völker, wenn das Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer überall verwirklicht werde.
Nach seiner Ankunft in Rudolstadt-Schaala besichtigte Mitterrand das Gebäude, in dem er mit anderen französischen Kriegsgefangenen untergebracht war. Im Verlaufe der Besichtigung überreichten ihm einige Arbeiterinnen der GHG Kultur- und Haushaltwaren Blumensträuße (von der SED-Kreisleitung organisiert), für die er sich bewegt bedankte. Er sprach weiterhin mit einer 74-jährigen Bürgerin (Hausmeisterin), die sich an die Flucht von Kriegsgefangenen und an einen gemeinsam bekannten Mitgefangenen erinnern konnte.
Anschließend fuhr Mitterrand zu dem Gebäude, von dem aus er seine Flucht angetreten hatte – ohne den Pkw zu verlassen – und von dort zum Marktplatz in Rudolstadt. In dem Hotel »Zum Löwen« nahm er einen Imbiss ein. Im Verlaufe des Tischgespräches mit Genossen Krätzschmar drückte Mitterrand sein Erstaunen darüber aus, dass sein privater Besuch von der Bevölkerung solche Beachtung finden würde und dass er sich über die herzliche Begrüßung in Schaala und Rudolstadt gefreut habe. Weiterhin sagte er, dass die Einwohner von Schaala die französischen Kriegsgefangenen schon während des Krieges gut behandelt hätten.
Nach dem Verlassen des Pkw – der Marktplatz war zu diesem Zeitpunkt stark belebt – wurde Mitterrand von einigen Personen begrüßt. Auch beim Verlassen des Hotels begrüßte er einige anwesende Frauen durch Handschlag.
Eine ältere Bürgerin (als fortschrittlich eingestellt bekannt) überreichte ihm einen Blumenstrauß und stellte die Frage, wie es ihm in Rudolstadt gefalle. Mitterrand antwortete, dass es ihm in Rudolstadt sehr gut gefalle; Rudolstadt sei eine schöne Stadt.
Auf eine entsprechende Frage des Genossen Krätzschmar sagte Mitterrand, dass er selbst zur Formierung der Résistance und der Antihitlerkoalition in Frankreich beigetragen habe. (Es war allgemein erkennbar, dass Mitterrand Wert darauf legte, insbesondere seinen Begleitpersonen gegenüber sich als aktiver Widerstandskämpfer gegen den Faschismus zu zeigen.)
Nach dem kurzen Aufenthalt im Hotel begaben sich Mitterrand und seine Begleitung zum Platz der Opfer des Faschismus und legten an dem dortigen Ehrenmal zwei Nelkensträuße nieder. Anschließend erfolgte die Weiterfahrt in Richtung Hermsdorfer Kreuz.
Brandt wurde nach seinem Eintreffen am Hermsdorfer Kreuz (12.19 Uhr) vom 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Gera, Genossen Ziegenhahn,5 und vom Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera, Genossen Fleischer,6 begrüßt.7
Während des Essens wurden Erläuterungen über die ökonomische und sozialpolitische Entwicklung des Bezirkes Gera gegeben. Mitterrand stellte dabei die Frage nach den Pflichten der DDR im Rahmen des RGW, die von den führenden Repräsentanten des Bezirkes Gera beantwortet wurden.
Brandt zeigte während der Ausführungen über die Entwicklung des Bezirkes Gera keine Reaktion, machte jedoch im Zusammenhang mit der Erklärung, dass sich jeder Staat im Rahmen des RGW auf bestimmte Schwerpunkte und Höchstleistungen konzentriere, die Bemerkung, nur im Sport scheine es das wohl nicht zu geben.
Mitterrand fragte weiter, was denn bei all den aufgezählten Erfolgen nun bei uns in der DDR nicht so klappe, wo wir Schwierigkeiten hätten, wie es um die demographischen Probleme bestellt sei, ob z. B. allein die bezahlte Freistellung der Frau eine höhere Geburtenziffer bewirke. Im Zusammenhang mit einer Diskussion über solche Fragen, die Mitterrand besonders interessierten, räumte Mitterrand ein, dass – bezogen auf Frankreich – in der Tat die soziale Abhängigkeit der Frau die Beziehungen zwischen Mann und Frau verfälscht. In der DDR seien jedoch die Beziehungen zwischen Mann und Frau »echter« und in der DDR gebe es ein reiches Betätigungsfeld, um den zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere die Familie betreffend, zum Erfolg zu verhelfen.
Bei den Tischgesprächen erklärte Mitterrand wiederholt, dass er mit den Auffassungen seines Freundes Brandt völlig übereinstimme und es ihm ein persönliches Anliegen sei, sich ständig für den Abbau der Politik der Konfrontation einzusetzen und alle friedensfördernden Maßnahmen zu unterstützen.
Mitterrand zeigte sich stark interessiert an den Ergebnissen der Entwicklung des geistig-kulturellen Lebens in der DDR und brachte zum Ausdruck, dass er wiederholt Gast von Veranstaltungen der in Frankreich gastierenden DDR-Ensembles sei und dass er auch Gespräche mit dem DDR-Botschafter in Frankreich8 über soziale Probleme geführt habe.
Während der Gespräche wurde auch auf die Wahlen in der BRD und in Frankreich eingegangen (Mitterrand: »Ja, Willy Brandt hat die Wahlen hinter sich, ich habe sie vor mir.«),9 das Thema Massenmedien angeschnitten und zu Äußerungen von Strauß10 in der BRD gegenüber Bundeskanzler Schmidt Stellung bezogen. (Brandt macht Bemerkungen zu Äußerungen von Strauß anlässlich seiner Aschermittwoch-Rede, die er als »geschmacklose Äußerungen« bezeichnete. Strauß hatte Schmidt als »Krawall-Kanzler« bezeichnet.)
Brandt bedankte sich für den guten Empfang, der ihm und seinem Freund Mitterrand bereitet worden sei. Genosse Ziegenhahn bedankte sich bei den Gästen und lud Mitterrand zu einem weiteren Besuch der DDR ein. Mitterrand bedankte sich seinerseits für die Einladung, nochmals die DDR zu besuchen. Er brachte zum Ausdruck, dass dies nicht erst wieder nach Ablauf von 40 Jahren – offensichtlich auf sein Alter angespielt – geschehen werde.
Beiden wurde ein Souvenir überreicht.
Die in der DDR akkreditierten Fernseh-Journalisten Pleitgen (ARD) und Jauer (ZDF) machten mit ihren Teams einige Filmaufnahmen am Hermsdorfer Kreuz, Pleitgen auch in Rudolstadt.