Probleme beim Einsatz mongolischer Staatsbürger in der DDR
9. April 1981
Information Nr. 176/81 über einige Probleme im Zusammenhang mit dem zeitweiligen Einsatz von Bürgern der Mongolischen Volksrepublik in der DDR
Gegenwärtig befinden sich auf der Grundlage einer Planabstimmung zwischen den Staatlichen Plankommissionen der DDR und der Mongolischen Volksrepublik (MVR) und der im gemeinsamen Wirtschaftsausschuss DDR – MVR getroffenen Vereinbarungen insgesamt 635 Bürger der MVR in der DDR.
Der überwiegende Teil der Bürger der MVR (455) erhält eine Sprach- und Berufsausbildung in Betrieben und Einrichtungen der DDR (Landwirtschaft, Textilindustrie, Bereiche der metallverarbeitenden Industrie, Produktionsmittelgroßhandel). 180 Bürger der MVR absolvieren ein Berufspraktikum auf der Grundlage verschiedener Abkommen und Vereinbarungen mit der MVR (z. B. Abkommen über kulturell-wissenschaftliche Zusammenarbeit, Verträge und Vereinbarungen von Betrieben und Organisationen).1
Der überwiegende Teil der Bürger der MVR befindet sich in den Bezirken Gera (137), Karl-Marx-Stadt (85), Cottbus (70) und Potsdam (60).
Wie dem MfS bekannt wurde, ist die Situation im Zusammenhang mit dem zeitweiligen Einsatz von Bürgern der MVR seit etwa Dezember 1980 u. a. durch eine Zunahme von Vorkommnissen mit deren Beteiligung gekennzeichnet.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind acht bedeutsame Vorkommnisse bekannt geworden, wobei es sich in fünf Fällen um tätliche Auseinandersetzungen mit DDR-Bürgern, um einen unnatürlichen Todesfall, eine versuchte Selbsttötung und um einen Arbeitskonflikt handelt.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchungen sind noch keine umfassenden Angaben zu den Ursachen und Motiven der Zunahme derartiger Vorkommnisse möglich.
Bisher vorliegende Erkenntnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass folgende Ursachen bzw. Motive für das Verhalten der Bürger der MVR von wesentlicher Bedeutung sind:
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Bei der Auswahl und Einsatzvorbereitung in der MVR sind offensichtlich Mängel dahingehend zu verzeichnen, dass Jugendliche auf administrativem Weg für den Einsatz in der DDR bestimmt wurden;
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teilweise bestehende Anpassungsschwierigkeiten an die Arbeits- und Lebensbedingungen der DDR, was sich u. a. in auftretende Auffassungen, »überfordert zu sein«, widerspiegelt;
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bei einem Teil der Jugendlichen aus der MVR ist nur ein geringes persönliches Interesse an einer Ausbildung in der DDR vorhanden, und eine bedeutende Anzahl dieser Jugendlichen ist an einer baldigen Rückkehr in die MVR stark interessiert.
Zu bedeutsamen Vorkommnissen im Einzelnen:
Am 5. März 1981, gegen 23.00 Uhr, entwickelte sich in Jena-Lobeda nach Beendigung einer Tanzveranstaltung vor dem Eingang des Kulturhauses eine tätliche Auseinandersetzung zwischen 20 im VEB Vereinigte Porzellanwerke Kahla, [Kreis] Jena, [Bezirk] Gera, beschäftigten Bürgern der MVR und etwa 20 DDR-Bürgern (u. a. 7 Angehörige der NVA), in deren Verlauf die Bürger der MVR Messer und abgebrochene Flaschen benutzten. (Nach bisherigen Feststellungen traten die Bürger der MVR bereits während der Tanzveranstaltung durch Rempeleien, Umkippen von Biergläsern u. Ä. in Erscheinung.)
Im Verlaufe vorgenannter tätlicher Auseinandersetzung, der Streitgespräche zwischen den Beteiligten vorausgingen, wurden durch Bürger der MVR vier DDR-Bürger verletzt, darunter ein NVA-Angehöriger tödlich. Dem tödlich Verletzten waren Messerstiche in den Rücken versetzt worden, an deren Folgen er in der Universitätsklinik Jena verstarb. Die anderen DDR-Bürger trugen mittelschwere bzw. leichte Stichverletzungen davon. Zwischenzeitlich wurden Ermittlungsverfahren mit Haft gegen vier Bürger der MVR eingeleitet. (Die Ermittlungsverfahren sind noch nicht abgeschlossen.)
Dieses Vorkommnis rief unter der DDR-Bevölkerung der Umgebung viele, z. T. sehr negative Diskussionen bzw. Gerüchte hervor.
Am 19. Februar 1981 haben mehrere, namentlich bisher nicht ermittelte Bürger der MVR einen in Jena wohnhaften jugendlichen DDR-Bürger (18) auf dem Heimweg vom Kulturhaus Jena-Lobeda mit mehreren Messerstichen nicht lebensgefährliche Verletzungen zugefügt.
Am 21. Februar 1981 kam es während einer Jugendtanzveranstaltung in Heinsdorf, [Kreis] Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren mongolischen Bürgern und etwa 20 jungen DDR-Bürgern, in deren Folge drei DDR-Bürger ambulant behandelt werden mussten. Anlass der Auseinandersetzung gab ein wegen ungebührlichen Betragens gegen einen Bürger der MVR (Lehrling im VEG Pflanzenproduktion Petkus, [Kreis] Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam) ausgesprochener Gaststättenverweis, worauf mehrere mongolische Bürger Fensterscheiben der Gaststätte zerstört hatten.
Am 9. März 1981 wurden im Verlaufe von Streitigkeiten, die von mongolischen Lehrlingen begonnen worden waren, im Lehrlingsheim des VEG Petkus, [Kreis] Luckenwalde, [Bezirk] Potsdam, mehrere DDR-Lehrlinge vorsätzlich verletzt und Einrichtungsgegenstände im Werte von ca. 4 000 Mark zerstört. (Am 31. März 1981 erfolgte die vorzeitige Ausreise der im 3. Lehrjahr befindlichen 25 bzw. 7 im 1. Lehrjahr stehenden Jugendlichen.)
Am 1. März 1981 wurde ein Student der MVR (Bergakademie Freiberg, Fachrichtung Geologie) unter starkem Alkoholeinfluss stehend und offensichtlich dadurch bedingter fehlender Orientierungsfähigkeit, im Gleisbereich der Deutschen Reichsbahn – Freiberg-Kleinschirma – vom Triebfahrzeug eines Reisezuges erfasst und tödlich verletzt.
Am 25. März 1981 verließen neun im VEB Vereinigte Porzellanwerke Kahla, [Kreis] Jena, [Bezirk] Gera, beschäftigte Lehrlinge aus der MVR demonstrativ die Betriebsberufsschule, nachdem ihnen mitgeteilt worden war, dass der theoretische Unterricht wegen der Erkrankung mehrerer Lehrkräfte ausfallen und auf die darauffolgende Woche verlegt werden müsse.
Die mongolischen Lehrlinge brachten ihrerseits zum Ausdruck, sie seien mit der Verlegung des Unterrichtes nicht einverstanden und die Ausbildung würde nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmen.
Dazu geführte Überprüfungen ergaben, dass diese Angaben als Schutzbehauptung für mangelhafte Arbeitsmoral zu werten sind. Das Ausbildungsprogramm für die mongolischen Lehrlinge erfolgt streng nach den Vorschriften für Glas- und Porzellanfacharbeiter; vonseiten der Berufsausbildung werden keine Abweichungen geduldet. (Die Botschaft der MVR wurde über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt.)
Wie aus vorliegenden Hinweisen bekannt wurde, beschäftigte sich im März 1981 eine in der DDR weilende Delegation der MVR – bestehend aus Vertretern des ZK der MRVP und der Ministerien für Landwirtschaft bzw. für Arbeit und Berufsausbildung der MVR – u. a. mit Fragen und Problemen des Einsatzes mongolischer Jugendlicher in der DDR. Auf die von der DDR-Seite dazu unterbreiteten Vorstellungen erfolgten im Verlauf des DDR-Aufenthaltes keine Reaktionen.
Es wird vorgeschlagen, durch die Staatssekretariate für Arbeit und Löhne und für Berufsausbildung der DDR den gegenwärtigen Stand der Ausbildung mongolischer Bürger in der DDR, dabei auftretende Probleme der Lernintensität und -disziplin sowie bestehende Probleme im Freizeitbereich zu überprüfen und auf der Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse und im Zusammenwirken mit zuständigen staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen geeignete Vorschläge zu unterbreiten, die mit der mongolischen Seite beraten werden sollten.