Probleme der technischen Sicherheit in der chemischen und Energiewirtschaft
3. April 1981
Information Nr. 150/81 über einige Probleme im Zusammenhang mit der Realisierung von Maßnahmen zur Erhöhung des Regimes der technischen Sicherheit und technologischen Ordnung in Kombinaten und Betrieben der chemischen Industrie sowie in der Kohle- und Energiewirtschaft entsprechend dem Beschluss des Präsidiums des Ministerrates vom 10. April 1980
[Faksimile des Verteilervorschlages und des Deckblatts]
Im Rahmen der Realisierung des obengenannten Beschlusses1 haben die Minister für Chemische Industrie (MfC) und für Kohle und Energie (MKE) sowie die Generaldirektoren der Kombinate dieser Bereiche nach dem MfS vorliegenden Hinweisen entsprechende Weisungen erlassen und die Führungsdokumente weiter präzisiert. Auf dieser Grundlage erfolgten die Bildung der Hauptinspektionen für Arbeits- und Produktionssicherheit im MfC und MKE und die Umbildung der Direktorate für Betriebssicherheit in Inspektionen für Arbeits- und Produktionssicherheit (IfAP) in den Kombinaten und Betrieben dieser Industriezweige.
Nach vorliegenden Hinweisen ist dieser Umbildungsprozess von der administrativ-organisatorischen Seite her im Wesentlichen abgeschlossen.
Es sei jedoch – nach vorliegenden Expertenmeinungen – zu beachten, dass die administrativ-organisatorischen Maßnahmen zur Realisierung des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates und der Weisungen des MfC sowie MKE sehr unterschiedlich, z. T. mit erheblichen Terminverzügen und mit qualitativen Mängeln behaftet, durchgeführt würden.
In einigen Kombinaten und Betrieben, wie z. B. im VEB Kombinat Plast- und Elastverarbeitung, im VEB Kombinat Lacke und Farben und im VEB Energiekombinat Dresden, sei die Umbildung der Direktorate für Betriebssicherheit in IfAP erfolgt, die grundsätzliche Lösung inhaltlicher Probleme zur Erhöhung der Arbeits- und Produktionssicherheit stehe jedoch noch nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit.
Die wesentlichsten Probleme bestehen nach Auffassungen von Experten vor allem in der unzureichenden Durchsetzung des Beschlusses auf mittlerer und unterer Ebene, in der bisher ungenügenden Kontrolle über die Durchsetzung inhaltlicher Fragen. Insbesondere sei die zu leistende politisch-ideologische Arbeit zur Bedeutung des Beschlusses ungenügend. Eine Reihe kaderpolitischer Fragen sei ebenfalls ungelöst und es fehle teilweise auch an der entsprechenden fachlichen Anleitung und Kontrolle der eingesetzten Kräfte.
Sichtbarster Ausdruck dessen sei, dass es trotz der von den Generaldirektoren der Kombinate der chemischen Industrie sowie der Kohle- und Energiewirtschaft auf der Grundlage der Ministerweisungen eingeleiteten Maßnahmen bisher zu keiner spürbaren Erhöhung der technischen Sicherheit und technologischen Ordnung kam und auch noch kein nennenswerter Rückgang entsprechender Vorkommnisse eingetreten ist.
Die Durchsetzung des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates2 in anderen Zweigen und Bereichen der Volkswirtschaft vollzieht sich nach weiter vorliegenden Hinweisen trotz entsprechender Festlegungen teilweise sehr schleppend, und es gab Bereiche, in denen dieser Beschluss den Leitern von Betrieben und Einrichtungen noch längere Zeit nach seiner Bestätigung nicht bekannt war.
Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde z. B. festgestellt, dass die inhaltlichen Festlegungen des Beschlusses lediglich im Kombinat der Energieversorgung des Bezirkes bekannt waren. Die Generaldirektoren anderer im Bezirk Karl-Marx-Stadt ansässiger Kombinate erhielten erst im Zuge entsprechender Untersuchungen davon Kenntnis, dass es überhaupt einen derartigen Beschluss gibt.
Vorliegende Hinweise aus dem Bezirk Cottbus beinhalten unter anderem, dass der Beschluss in der Bauindustrie und Leichtindustrie dieses Bezirkes weitgehend unbekannt sei.
Ungenügende Aktivitäten zur Durchsetzung dieses Beschlusses wurden in den Betrieben der Ministerien für Elektrotechnik/Elektronik, Bezirksgeleitete und Lebensmittelindustrie und Allgemeiner Maschinen-/Landmaschinen- und Fahrzeugbau bekannt.
Auch die Schlussfolgerungen des Magistrats der Hauptstadt zur Umsetzung des Beschlusses in allen Bereichen werden von Experten als unzureichend eingeschätzt.
Hemmend auf eine wirksame Durchsetzung des Beschlusses wirke sich nach weiter vorliegenden Hinweisen das Festhalten an überholten Denk- und Verhaltensweisen gegenüber der notwendigen Durchsetzung eines Regimes hoher technischer Sicherheit und technologischer Ordnung aus.
Obwohl in den Leitungsdokumenten der Mehrzahl der Kombinate und Betriebe die besondere Verantwortung der Inspektionen für Arbeits- und Produktionssicherheit, der Produktionsdirektoren und Hauptingenieure für die Durchsetzung und ständige Gewährleistung von Ordnung, Sicherheit und Disziplin klar ausgewiesen ist, wird in der Praxis die Verantwortung in sehr unterschiedlicher Weise wahrgenommen.
Besonders unter den in mittleren und unteren Leitungsebenen eingesetzten Leitungskadern besteht offensichtlich noch immer eine gewisse Unterschätzung der Tatsache, dass die vorbeugende schadensverhütende Arbeit ein bedeutender Faktor der Produktionssicherheit und Produktionssteigerung ist. Vor allem die Produktionsdirektoren und Hauptingenieure, aber auch Mitarbeiter der IfAP haben zu diesen Fragen in vielen Fällen noch nicht die erforderliche ideologische Einstellung. Manche sehen im konsequenten Kampf um hohe technische Sicherheit und technologische Ordnung immer noch einen die Produktion hemmenden Faktor.
Dies zeigt sich u. a. darin, dass z. B. nach wie vor in vielen Kombinaten und Betrieben die geplanten Instandsetzungen terminlich verschoben oder der beabsichtigte Instandsetzungsumfang bei Großreparaturen im Interesse der Sicherung der Produktion bzw. einer schnelleren Verfügbarkeit der Anlagen gekürzt wird, ohne die negativen Folgen für das Stör- und Havariegeschehen zu bedenken.
Im Kraftwerk Boxberg führten die mangelhafte Durchsetzung der vorbeugenden schadensverhütenden Arbeit und [die] ungenügende Anwendung der Erfahrungen aus anderen Kraftwerken bei der Stabilisierung der Anlagen dazu, dass die Störquote der 500-Megawatt-Blöcke dreimal höher liegt als im VEB Kraftwerk Hagenwerder.
Insgesamt sind nach Feststellung des Staatlichen Amtes für Technische Überwachung im Verantwortungsbereich der Kohle- und Energiewirtschaft im Jahre 1980 31 % aller festgestellten Mängel an überwachungspflichtigen Anlagen auf ungenügende Wartung, Revision und Instandhaltung zurückzuführen, 25 % der Unfälle und Havarien an derartigen Anlagen aufgrund mangelhafter oder ungenügender Instandhaltung eingetreten und etwa 40 % der Vorkommnisse an überwachungspflichtigen Anlagen infolge von Bedienungsfehlern entstanden.
Im Rahmen dazu geführter Untersuchungen wurden vielfach mangelnde Vorbildwirkungen der Leiter bzw. Inkonsequenz bei der Durchsetzung von Betriebsvorschriften als Ursachen bzw. als das Schadensgeschehen begünstigende Umstände festgestellt.
Zur Überwindung dieser Mängel festgelegte Maßnahmen zur Erhöhung der arbeitsplatzbezogenen Qualifizierung der Bedienungs- und Instandhaltungspersonale werden jedoch ebenfalls nur sehr schleppend und mangelhaft realisiert, z. T. sogar dem Selbstlauf überlassen.
Auch der gegenwärtige Stand der Durchsetzung von Forderungen zur gründlichen Untersuchung aller Vorkommnisse, insbesondere zur Feststellung der Verantwortlichkeit, wird von Experten als insgesamt mangelhaft bezeichnet und wirkt sich hemmend auf die Verhinderung bzw. Vermeidung der Wiederholbarkeit derartiger Vorkommnisse aus.
In vielen Kombinaten und Betrieben erfolgt bisher im Wesentlichen lediglich eine Registrierung der Vorkommnisse. Die Durchsetzung der disziplinarischen und materiellen Verantwortlichkeit bei Pflichtverletzungen erfolgt insgesamt völlig unzureichend.
Die den Direktionsbereichen Produktion zugeordneten hauptamtlichen Störingenieure bzw. Störbearbeiter leisten zumeist gute Arbeit zur Erfassung von betriebsstörenden Ereignissen. Deren Einwirken auf die Herausarbeitung und Beseitigung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen von Störungen ist dagegen gering. Im Rahmen der Auseinandersetzungen mit Verursachern von Vorkommnissen werden sie ebenfalls kaum wirksam.
Ihre Einflussnahme zur Herausarbeitung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen ist dagegen gering und fehlt bei der Auseinandersetzung mit den Verursachern von Vorkommnissen fast gänzlich.
Die höhere Verantwortung der Technischen Direktoren und Produktionsdirektoren für die technische Sicherheit und technologische Ordnung wird bisher unzureichend wahrgenommen. Ihre Aktivitäten konzentrierten sich in der Vergangenheit noch zu sehr auf die Überwindung eingetretener Störungen und Havarien, nicht aber auf Aufgaben zur vorbeugenden Schadensverhütung durch Organisierung einer qualitativ guten und planmäßigen Instandhaltung der Anlagen und die exakte Durchsetzung einer möglichst gefahrlosen Technologie.3
Demzufolge erfolgt auch die Einbeziehung der Werktätigen in den Kampf um hohe Ordnung, Sicherheit und Disziplin in vielen Bereichen nur ungenügend.
Kennzeichnend für die oftmals feststellbare Unterschätzung der Probleme der technischen Sicherheit und technologischen Ordnung – besonders unter Leitungskadern – ist, dass viele Inspektionen für Arbeits- und Produktionssicherheit bisher nicht mit entsprechenden Kadern vollständig besetzt sind.
(Die Hauptinspektion des MKE ist z. B. nur annähernd zur Hälfte mit entsprechenden Kadern besetzt, sodass bisher nicht die angestrebte Wirksamkeit erreicht werden konnte.)
In einigen Kombinaten und Betrieben, wie z. B. im VEB BKK Lauchhammer, wurden die Planstellen der IfAP zum Teil mit Kadern besetzt, die sich in der Produktion nicht bewährt hatten und deshalb keine Autorität besitzen.
Ausgehend von den aus den vorliegenden Untersuchungsergebnissen resultierenden Erkenntnissen zum Stand der Realisierung von Maßnahmen zur Erhöhung des Regimes der technischen Sicherheit und technologischen Ordnung ist es Expertenmeinungen zufolge erforderlich, ein strafferes System der Kontrolle der in Erfüllung des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrates festgelegten Maßnahmen durchzusetzen. In diesem Zusammenhang sollten weitere Möglichkeiten geprüft werden, insbesondere die Maßnahmen auf dem Gebiet der Anleitung und Kontrolle auf allen Leitungsebenen weiter zu verstärken und zu vervollkommnen.
Es müsste weiter geprüft werden, wie die Klein- und Mittelbetriebe konsequenter in diese Tätigkeit einbezogen werden können (u. a. durch die Herstellung kooperativer Beziehungen auf dem Gebiet der Arbeits- und Produktionssicherheit zwischen Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben zur Organisierung und Gewährung notwendiger fachlicher Hilfe und Unterstützung.
Darüber hinaus sollte mit den zuständigen staatlichen Organen nach Möglichkeiten gesucht werden, damit die Konstruktion, Fertigung und Montage von Anlagen und Ausrüstungen noch umfassender zur Verhinderung von Fehlhandlungen bzw. entsprechende Normative (TGL u. a.) zur Grundlage sicherer technischer Anlagen und Erzeugnisse genommen werden, damit die vorbeugende Instandhaltung noch wirkungsvoller für die Zurückdrängung bzw. Beseitigung des Stör- und Havariegeschehens ausgenutzt werden kann.