Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg mit Schriftstellern
26. Januar 1981
Information Nr. 48/81 über die Tagung der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg am 17./18. Januar 1981 unter Beteiligung von Schriftstellern und Lyrikern der DDR
Dem MfS wurden über die am 17./18.1.1981 in der Stephanus-Stiftung Berlin-Weißensee1 durchgeführte »Tagung für Buchhändler und Leser« der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg2 (findet alljährlich statt) folgende Einzelheiten bekannt:
Die Veranstaltung stand unter dem Thema »Ansprechbare Wirklichkeit – Lyrik der Gegenwart« und wurde als »Dialog mit Gedichten und ihren Verfassern und Nachdenken über Wirklichkeit im Gedicht« bezeichnet.
Sie wurde von der Leiterin der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg, Elisabeth Adler,3 deren Stellvertreter, Dr. Manfred Punge,4 sowie Dr. Jürgen Henkys,5 Dozent am Evangelischen Sprachenkonvikt Berlin6 und stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Ausbildung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, organisiert. Vorwiegend Henkys bestimmte den teilnehmenden Schriftstellerkreis, lud ihn persönlich ein und wählte gemeinsam mit diesen Personen die vorzutragenden Gedichte aus.7
An der Veranstaltung nahmen ca. 350 Personen teil, darunter ca. 60 % Jugendliche, überwiegend aus studentischen und intellektuellen Kreisen. Ein großer Teil davon hatte offensichtlich keine religiösen Bindungen.
An der zweitägigen Veranstaltung (1. Tag von 10.00–19.00 Uhr, 2. Tag von 9.30–13.30 Uhr) nahmen folgende Schriftsteller und Lyriker auf persönliche Einladung teil: Stefan Heym,8 Rainer Kirsch,9 Erich Arendt,10 Heinz Czechowski,11 Karl Mickel,12 Gerhard Wolf,13 Elke Erb,14 Richard Pietraß,15 Bert Papenfuß-Gorek,16 Brigitte Struzyk,17 Klaus Körner,18 Stefan Döring,19 Jürgen Huldreich.20
Der überwiegende Teil dieser genannten Personen ist dem MfS aufgrund ihrer indifferenten bis negativ-feindlichen Grundhaltung zur Kulturpolitik der DDR bekannt. Während der Tagung gingen jedoch von ihnen, wie auch von den übrigen Teilnehmern, keine Angriffe gegen die Partei, den Staat und ihre Kulturpolitik aus.
Eigene Gedichte lasen während der Tagung Czechowski, Struzyk, Mickel, Arendt, Papenfuß-Gorek, Huldreich, Körner und Döring. Diese Gedichte (die keine politischen Aussagen erkennen ließen) waren z. T. für die Besucher unverständlich, sodass darüber kein Dialog zustande kam.21 Durch Dr. Henkys wurden sie teilweise von literarisch-historischen Positionen aus, ohne gesellschaftlichen und politischen Bezug, interpretiert. Auch seine Ausführungen sowie alle weiteren waren intellektuell auf ein akademisches Publikum zugeschnitten, wurden z. T. als überspannt bezeichnet und lösten Unverständnis und Verwunderung aus.
Das betraf auch die Vorträge, die von Richard Pietraß, Elke Erb und Gerhard Wolf gehalten wurden.
Der Lyriker und Schriftsteller Pietraß gab in seinem Vortrag »Ars poetica« (poetische Kunst) einen allgemeinen Überblick über das künstlerische Schaffen von DDR-Lyrikern. In seinen Darlegungen brachte er zum Ausdruck, dass das »Messer an der Zunge des Sängers besser ist, als das Schweigen«. In diesem Zusammenhang bekräftigte er folgende, in einem Gedicht von Elke Erb enthaltene Auffassung: »Wir bauen kein Nest, keine Zelle im Staat. Wir leben am Rande, am Rande ist Platz.«22
Elke Erb verlas und interpretierte im Rahmen ihres Vortrages »Einblick und Überblick« u. a. Gedichte von Sascha Anderson,23 Volker Braun,24 Adolf Endler,25 Rainer Kirsch, Uwe Kolbe26 und Kito Lorenc.27 In diesem Zusammenhang bezeichnete sie Erich Arendt und Adolf Endler als die »derzeit größten Lyriker der DDR«. Dagegen wertete sie die Lyrik Volker Brauns als »unkünstlerisch«.28 Er sei wie »Lucifer, der dem Himmel das Licht bringen wolle«. Während der Veranstaltung konnte ein enger persönlicher Kontakt zwischen Elke Erb und dem freischaffenden Lyriker Bert Papenfuß festgestellt werden. (Das Auftreten von Elke Erb kann als Fortsetzung ihrer Bestrebungen gewertet werden, Kontakte zu jungen Lyrikern in der DDR zu festigen, wobei sie diese im negativ-feindlichen Sinne zu beeinflussen versucht.)29
Gerhard Wolf sprach in seinem Vortrag »Ansprechbare Wirklichkeit« zum künstlerischen Schaffen des französischen Lyrikers und Schriftstellers Paul Celan,30 der im Mittelpunkt seiner Literatur »die Selbstentfremdung des Menschen, sein Verstummen als Struktur des Verstummens selbst, als in der Sprache vorhandenes Schweigen« (Gerhard Wolf) darstellt. Besonders stützte sich Wolf bei der »Analyse« des künstlerischen Werkes von Celan auf dessen 1961 gehaltene Rede »Der Meridian«31.
An beiden Veranstaltungstagen kam keine flüssige Diskussion zustande. Es wurden lediglich persönliche Anfragen an die Lyriker gestellt, z. B. ihren künstlerischen Werdegang betreffend. Von Teilnehmern der Veranstaltung wurden Czechowski und Papenfuß als die talentiertesten aus dem anwesenden Lyrikerkreis bezeichnet. Das Verhalten der Teilnehmer war diszipliniert. Es kam zu keinen offenen Sympathiebekundungen für Einzelne anwesende Schriftsteller bzw. zu als politisch-negativ zu wertenden Reaktionen.
Der während der gesamten Veranstaltung anwesende akkreditierte Journalist Hans-Jürgen Röder (epd/BRD) entwickelte keine Aktivitäten.
Stefan Heym trat nur als Zuhörer in Erscheinung. Intern wurde bekannt, dass Pfarrer Linke32 (Neuenhagen), der ebenfalls an der Tagung teilnahm, in einem persönlichen Gespräch mit Stefan Heym bemüht war, ihn für eine Schriftstellerlesung in der evangelischen Kirchengemeinde Neuenhagen zu gewinnen. Heym habe grundsätzliche Bereitschaft gezeigt, ohne eine terminliche Vereinbarung zu treffen.33
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