Tierseuchenlage in der DDR
[ohne Datum]
Information über die Tierseuchenlage in der DDR und über die von den zuständigen staatlichen Organen der DDR eingeleiteten Maßnahmen zur Verhinderung des Einschleppens bzw. Unterbindung des Verbreitens besonders gefährlicher Tierkrankheiten im Rahmen des Ex- und Imports landwirtschaftlicher Produkte [Bericht K 1/108]
Die Aufklärung der Ursachen von Tierverlusten durch Seuchenausbrüche, die zu volkswirtschaftlichen Schäden führten, und deren vorbeugende Verhinderung, insbesondere unter den Bedingungen der Konzentration von Tierbeständen in industriemäßig produzierenden Großanlagen (KIM) und spezialisierten LPG und VEG der Tierproduktion, bildet einen Schwerpunkt in der Tätigkeit des MfS.
Im Zusammenhang mit der Aufklärung entsprechender Vorkommnisse konnten bisher keine Hinweise auf gegnerische Einwirkung erarbeitet werden.
Nach vorliegenden Hinweisen von Experten ist die Tierseuchenlage in der DDR als günstig und stabil einzuschätzen. Seit ca. zehn Jahren traten auf dem Territorium der DDR gefährliche und in ihren Auswirkungen bedeutsame Tierseuchen nur noch sporadisch auf. Dem Veterinärwesen der DDR ist es im Zusammenwirken mit den Veterinärorganen anderer sozialistischer Staaten – insbesondere mit dem Veterinärwesen der UdSSR – gelungen, das Entstehen von Tierseuchenherden auf dem Territorium der DDR rechtzeitig zu erkennen und deren Ausbreitung durch zielgerichtete Maßnahmen zu verhindern.
Lokale Tierseuchenausbrüche (insbesondere die Maul- und Klauenseuche, die Schweine- und klassische Geflügelpest) konnten im Wesentlichen auf den Ursprungstierbestand oder auf relativ wenige Betriebe sowie territoriale Gebiete der DDR begrenzt werden.
Zugleich konnte die Diagnostik für die typischen europäischen Tierseuchen stabilisiert werden. Für diese Tierseuchen sind spezifische Impfstoffe vorhanden.
Das Ausbrechen exotischer Tierseuchen durch Einschleppen aus außereuropäischen Gebieten konnte auf dem Territorium der DDR bisher verhindert werden.
Das Veterinärwesen der DDR unterscheidet gegenwärtig bei den seit 1970 erstmalig auf dem Territorium der DDR aufgetretenen Tierseuchen folgende Entstehungsarten (zugleich auch als Ursache bzw. begünstigende Bedingungen zu betrachten):
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Tierseuchen, die durch Importe und aufgrund des Reise-, Besucher- und Transitverkehrs u. a. Ursachen unerkannt im grenzüberschreitenden Verkehr eingeschleppt worden sind;
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Tierseuchen, die als einfache Infektionskrankheiten vereinzelt und selten auftreten, jedoch durch die hohe Konzentration der Tierbestände und vielfältige Verflechtungen in der Tierproduktion zum Teil bedeutende schädliche Auswirkungen nach sich zogen;
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Massenerkrankungen mit teilweise seuchenhaftem Charakter, die durch bekannte Krankheitserreger hervorgerufen werden und analog den humanmedizinischen Erkenntnissen auf gegen Arzneimittel unempfindlich gewordene Erreger zurückzuführen sind.
Zu vorgenannten Entstehungsarten von Tierseuchenausbrüchen im Einzelnen:
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Tierseuchen, die durch Importe und durch den Reise-, Besucher- und Transitverkehr u. a. Ursachen unerkannt eingeschleppt worden sind und bei den Tierarten Rind, Schwein, Schaf, Geflügel und Fisch (Forelle) auftraten.
Rind:
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Infektiöse bovine Rhinotrachitis, Infektiöse pustulöse Vulvovaginitis, d. h. Erkrankung der oberen Luftwege und der Geschlechtsorgane des Rindes; weltweit verbreitet; Seuchenzüge in Übersee, Europa, u. a. VR Ungarn.
Schwein:
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Vesikuläre Schweinekrankheit, d. h. Bläschenkrankheit der Schweine; eine maul- und klauenseucheähnliche Infektionskrankheit; die Einschleppung erfolgt offensichtlich über Speisereste von Touristen aus verseuchten europäischen Ländern – teilweise Bekämpfung durch Impfstoff möglich.
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Transmissible Gastroenteritis der Ferkel, d. h. seuchenhaft verlaufende, mit Durchfall einhergehende Magen-Darm-Erkrankung, bisher besonders in den USA, Frankreich und in der BRD festgestellt, führte z. T. zu Totalverlusten.
Schaf:
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Traberkrankheit der Schafe – übertragbare, langsam verlaufende Tierseuche, mit schweren Gehirnschädigungen; in Europa verbreitet, insbesondere in Großbritannien und der BRD, weil Erreger noch nicht isoliert, keine Behandlung erkrankter Tiere möglich.
Geflügel:
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Mareksche Krankheit; virusbedingte Krankheit der Hühnervögel mit Veränderungen des Nervensystems, der Blutzellen und der Muskulatur; hat sich mit der Entwicklung der industriemäßigen Geflügelproduktion international ab 1955 explosionsartig in fast allen Ländern der Erde ausgebreitet; in der DDR 1970 im Zusammenhang mit Geflügelimporten aus der VR Ungarn erstmalig aufgetreten; mittels Impfstoff Eindämmung möglich.
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Mycoplasmose der Puten; chronisch verlaufende Infektionskrankheit des Atmungsapparates – 1974 über Importe in die DDR eingeschleppt; nur durch konsequente Sanierungsprogramme zu überwinden, da auch bei Menschen und Nutztieren verbreitet.
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Gumboro Disease, Infektiöse Bursitis des Huhnes; eine hochinfektiöse, mit hohen Verlusten verbundene virusbedingte Krankheit des Huhnes; Einschleppung 1976 vermutlich über importiertes Geflügelfleisch bzw. durch den Reise-, Besucher- und Transitverkehr; Therapie noch nicht möglich. Ausgehend von den USA hat sich die Seuche auch stark in Europa ausgebreitet, wird als international zurzeit gefährlichste, verlustreichste Geflügelseuche angesehen.
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Gänsehepatitis; infektiöse Leberentzündung; 1976 im Zusammenhang mit Importen aus der ČSSR erstmalig in der DDR aufgetreten; Bekämpfungsmaßnahmen sind noch nicht ausreichend vorhanden.
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Entenpest; eine virusbedingte Seuche, tritt als Darmentzündung in Erscheinung; 1978 erstmalig in der DDR aufgetreten – Übertragung vermutlich durch Wildenteneinflug.
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Putenenteritis; virusbedingte infektiöse Darmerkrankung; 1974 vermutlich über Importtiere in die DDR eingeschleppt. In den USA und Europa verbreitet; komplizierte Bekämpfung.
Fische:
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Infektiöse Pancreasnekrose der Forelle; 1978 erstmalig in der DDR aufgetreten; in vielen Ländern Europas, u. a. BRD, Dänemark verbreitet; Einschleppung möglicherweise über Gewässer aus BRD.
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Tierseuchen, die als einfache Infektionskrankheiten vereinzelt und selten auftreten und durch die hohe Konzentration der Tierbestände und die vielfältigen Verflechtungen in der Tierproduktion als Infektion mit z. T. bedeutenden Auswirkungen auftraten.
Im Zusammenhang mit den höheren Belastungen der Tiere – bis zu Stresssituationen – und den vielfältigen Zulieferungen aus unterschiedlichen Tierbeständen in die Tierproduktionsanlagen mit größeren Tierkonzentrationen ist das Gleichgewicht zwischen Tier und Tierseuchenerreger z. T. zu Ungunsten der Tiere gestört, sodass über vermehrte Tierpassagen der Erreger infektionsfähiger, aggressiver wird und dadurch eine Tierseuche hervorruft.
Das betrifft insbesondere:
Rind:
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Mycoplasmenmastitis, Euterentzündung; als chronisch verlaufende Infektionskrankheit erstmalig 1974 in der DDR aufgetreten.
Rind, Schwein, Geflügel:
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Salmonellose
Fische:
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Myxobakteriose der Jungfische; Behandlungsverfahren noch unzureichend.
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Massenerkrankungen mit teilweise seuchenhaftem Charakter, die durch bekannte Krankheitserreger hervorgerufen werden und analog den humanmedizinischen Erkenntnissen ihre Ursache in gegen Arzneimittel unempfindlich gewordenen Erregern haben. Es entsteht der sogenannte Hospitalismus (einzig mögliche Form der Bekämpfung mittels längerfristiger Isolation der verseuchten Tierbestände).
Das betrifft insbesondere:
Rind:
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Prototheken-Mastitis, erstmalig 1965 in der DDR in Erscheinung getreten; Bekämpfung nur durch Schlachtung möglich.
Coli-Erkrankungen; mit erheblichen Verlusten verbunden, wobei sich Erreger durch Fütterungs-, Haltungs- und Pflegemängel mobilisieren; Antibiotika sind durch Erregerresistenz vielfach unwirksam.
Geflügel:
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Kokzidiose; die Beherrschung dieser Parasitose z. T. wegen Erregerresistenz gegen Medikamente begrenzt.
Wie von Experten eingeschätzt wird ist die Tierseuchensituation in den an die DDR angrenzenden sozialistischen Staaten mit der in der DDR bestehenden Lage vergleichbar. Gegenwärtig sind in diesen Ländern keine Seuchenherde mit für die Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft bedeutsamen Tierseuchenausbrüchen bzw. -herden vorhanden.
In der VR Bulgarien ist mit Unterstützung anderer sozialistischer Staaten (Impfstoffe, Desinfektionsmittel usw.) ein breiter »Cordon Sanitaire« im Grenzgebiet zur Türkei und Griechenland, vor allem gegen die exotische Maul- und Klauenseuche (A22) in der Türkei, eingerichtet worden.
Auch in der ČSSR besteht ein wirksames Veterinärregime.
Aufgrund des Exportes von Schlachttieren, Fleisch- und Fleischproduktion der VR Polen in kapitalistische Staaten kam es offensichtlich damit im Zusammenhang stehend in der VR Polen mehrfach zu bedeutenden Seuchenausbrüchen. (In der VR Polen besteht kein mit der DDR vergleichbares Veterinärsystem, u. a. beeinflusst der hohe Anteil individueller Tiererzeuger die Wirksamkeit des vorbeugenden Seuchenschutzes. Das mit weitaus größeren Transportaufkommen verbundene Kommunikationswesen im Zusammenwirken mit bestehenden Lücken des vorbeugenden Seuchenschutzes in der VR Polen haben letztlich zu diesen Erscheinungen in der VR Polen beigetragen.)
Die zuständigen Organe der VR Polen haben nach vorliegenden Hinweisen nicht immer das Internationale Tierseuchenamt mit Sitz in Paris1 und die DDR – entsprechend den internationalen und bilateralen Vereinbarungen zwischen der DDR und der VR Polen – informiert.
Dieses Verhalten der polnischen Seite steht offenkundig damit im Zusammenhang, den in bedeutenden Größenordnungen sich vollziehenden Fleisch- und Fleischproduktenexport sowie den Export von Schlachttieren in kapitalistische Länder nicht aus veterinärhygienischen Gründen (dazu liegen international abgestimmte Maßnahmen/Bestimmungen in einem Katalog des Internationalen Tierseuchenamtes fest) zu gefährden.
Bei den aufgeführten Erkrankungen (Punkt 1–3) handelt es sich um Tierseuchen und Infektionskrankheiten, die mit einer Massenerkrankung einhergehen und deren Erreger (Virus, Bakterien, Parasiten) durch Tiere, vom Tier stammende Produkte, den Menschen und andere Zwischenträger verschleppt werden.
Sie sind den klassischen Tierseuchen hinsichtlich ihrer Entstehung, Wirkung und Weiterverbreitung im Wesentlichen gleichzusetzen. Z. T. sind auch überall vorhandene Erreger, die im Organismus geschädigter oder geschwächter Tiere – Stresssituation – auftreten, krankheitsauslösend.
Die aufgezeigten Krankheiten sind zwar zu diagnostizieren, Impfstoffe bzw. therapeutische Verfahren sind jedoch im Wesentlichen national und international nur begrenzt vorhanden bzw. bekannt.
Als Ursachen des Auftretens und als ständige Gefahrenquelle für das Einschleppen und die Verbreitung von Tierseuchen in der DDR (besonders der unter Punkt 1 genannten) werden von den Experten – unter Berücksichtigung teilweise noch unbekannter Entstehungsursachen – vor allem genannt:
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Der Import von Zuchttieren,
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der Transitverkehr nach Drittländern von Personen, Tieren, Tierprodukten und tierischen Rohstoffen über das Territorium der DDR, einschließlich des umfangreichen Transitverkehrs zwischen der BRD und Westberlin, (vorbeugende Maßnahmen werden an den Grenzübergangsstellen der DDR vom Veterinärhygienischen Verkehrsüberwachungsdienst der DDR (VHVD) und an den Transitstrecken von den territorial zuständigen Veterinärorganen bzw. im Zusammenhang mit Im- und Export pflanzlicher Erzeugnisse (Getreide, Futtermittel) vom Pflanzenquarantänedienst der DDR ständig gewährleistet),
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unzureichende Kapazitäten in den Tierkörperverwertungsbetrieben der DDR.
Ein weiteres Problem resultiert aus den internationalen Beziehungen der DDR zu den jungen Nationalstaaten und Entwicklungsländern. In diesen Ländern kommen in der Regel vor allem exotische Tierseuchen vor (z. B. exotische Typen von Maul- und Klauenseuchen und die afrikanische Schweinepest).
Aus diesem Grund sind z. B. Importe von Tierprodukten aus diesen Ländern in die DDR nicht zugelassen.
Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung des Einschleppens von Erregern exotischer Tierseuchen konzentrieren sich deshalb auf Personen dieser Länder, die zu Aus- bzw. Weiterbildungszwecken in die DDR delegiert werden und dazu einen zeitweiligen Aufenthalt in der DDR erhalten bzw. auf die DDR-Spezialisten, die in vorgenannten Ländern aus den verschiedensten Gründen einen längerfristigen Einsatz absolvieren.
(Sämtliche Importgüter aus diesen Ländern werden unter veterinärhygienischen Gesichtspunkten bei der Grenzpassage in die DDR gesondert überprüft, da in der Diagnostik nur geringe Voraussetzungen zur raschen Isolation von exotischen Tierseuchen bestehen, keine entsprechenden Impfstoffe vorhanden sind und insgesamt im Veterinärwesen nur geringe Erfahrungen auf diesem Gebiet vorliegen.)
Die gegenwärtig mögliche Strategie zur Bekämpfung aufgetretener Tierseuchen ist vordergründig auf veterinärpolizeiliche Maßnahmen beschränkt und beinhaltet über vorgenannte Maßnahmen hinausgehend:
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Objekt- und Gebietssperre nach Sperr- und Schutzzonen;
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Handelsbeschränkungen oder -verbote werden nach internationaler Seuchenlage laut Internationalem Tierseuchenamt (OIE) in Paris und bei den Veterinärorganen vorliegenden Informationen, Erfahrungen und Erkenntnissen festgelegt;
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Maßregelung des Fleisches u. a. vom Tier stammender Produkte,2 um den Menschen gesundheitlich nicht zu gefährden bzw. über Küchenabfälle eine Weiterverbreitung zu unterbinden;
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Schlachtung verseuchter Tierbestände – Sperr-/Seuchenschlachtungen – oder ihre Vernichtung an Ort und Stelle.
Darüber hinaus leitete die DDR einige, auch in Zukunft für die Erhöhung der Abwehrbereitschaft gegen Tierseuchen, für den vorbeugenden Schutz der Tierbestände und für die Einordnung biologischer Kampfmittel aus der Sicht Viren, Bakterien und Rickettrien (Seuchen bei Mensch und Tier, durch gleichen Erreger hervorgerufen) entsprechende Maßnahmen ein.
So wurden in Auswertung des Seuchengeschehens 1979 die gesetzlichen Bestimmungen zur vorbeugenden Verhütung von Tierseuchen und zur Stabilisierung des Veterinärregimes speziell auf dem Gebiet der Geflügelhaltung vervollkommnet und präzisiert.3
Es wurde eine sofortige Informationspflicht bei von der Norm abweichenden Verhaltensweisen und Schwankungen oder Veränderungen der Leistung der Tiere angewiesen, um schneller Erreger isolieren, zu identifizieren und lokalisieren zu können, d. h. um so frühzeitig wie möglich veterinärhygienische und veterinärpolizeiliche Maßnahmen durchsetzen zu können.
Das System vorbeugender Maßnahmen der Seucheneinschleppung wurde und wird weiter vervollkommnet. Das bezieht sich vorrangig unter starker Berücksichtigung solcher Aspekte, wie der biologischen Kriegsführung, gegnerischer Diversionshandlungen, für dieses subversive Vorgehen geeigneter Möglichkeiten der Ausnutzung von Futtermitteln, Trinkwasser und Luft, für vorgenannte Zwecke (Anwendung bzw. Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten von Kontroll- und Messmethoden unter Beachtung des ökonomischen Aufwandes, besonders aus der Sicht der zunehmenden Konzentration der Tierbestände).
Die Anstrengungen zur Intensivierung des Veterinärtrainings in Abstimmung mit allen dafür zuständigen staatlichen Organen werden fortgesetzt.
Zur Verhinderung der Einschleppung von Tierseuchen im grenzüberschreitenden Verkehr erfolgte zwischen dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, dem Ministerium für Staatssicherheit, dem Ministerium für Nationale Verteidigung, dem Ministerium für Verkehrswesen und der Zollverwaltung der DDR eine weitere Abstimmung über einzuleitende koordinierende Maßnahmen.
Im Zusammenhang mit vorliegenden Hinweisen zum Tierseuchengeschehen in der DDR ist die Aufklärung der Ursachen des Auftretens der klassischen Geflügelpest im VEB Kombinat Industrielle Mast (KIM) Taucha/Leipzig-Land (Mai 1979; Merzung der Bestände; bisher berechneter Gesamtschaden ca. 40 Mio. Mark) von besonderer Bedeutung.
In enger Zusammenarbeit mit Einrichtungen des sowjetischen Veterinärwesens wurde im KIM Taucha ein hochpatogener Influenza-A-Viren Hybrid (Rekombination) der Antigenstruktur Hav1 und Hav2 festgestellt, der erstmalig in der DDR auftrat. (Aus anderen Ländern liegen laut offizieller Seuchenmeldungen keine Hinweise zum Auftreten dieses hochpatogenen Influenza-A-Viren Hybrids vor.)
Die Art und Weise der Einschleppung des Virus im VEB KIM Taucha konnte bisher von den Organen des Veterinärwesens der DDR nicht zweifelsfrei geklärt werden.
Nach Einschätzung der Experten ist davon auszugehen, dass der Erreger an ein Trägermaterial gebunden ist und demzufolge eine Einschleppung über die Luft ausgeschlossen werden könne, während die Einschleppung über das Wasser, das Futter oder den Menschen durchaus infrage komme.
Die weitere Aufklärung seitens des MfS ergab Folgendes:
Am 2. Oktober 1979 veranstaltete das Institut für medizinische Mikrobiologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald ein wissenschaftliches Forum von Influenza-Spezialisten, an dem auch der stellvertretende Direktor des Instituts für Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen/BRD, Prof. Dr. Scholtissek4 (Veterinär-Biochemiker), teilnahm.
Im Institut für Virologie der Universität Gießen wird in drei Abteilungen unter Leitung der Professoren Rott,5 Klenk6 und Scholtissek, von verschiedenen Problemkreisen ausgehend, mit äußerster Intensität auf dem Gebiet der Influenza-Viren gearbeitet.
Fachwissenschaftliche Kontakte unterhält Prof. Dr. Scholtissek zu den Professoren Schumann und Palaise (USA), Prof. Skehel7 – Weltgrippezentrum London – und zu den Professoren Lwow8 und Stanow vom Iwanowski-Institut Moskau.9
Wie intern dazu eingeschätzt wird, soll das Gießener Institut in der Influenza-Virusforschung international am weitesten fortgeschritten sein. Das resultiere u. a. auch daraus, dass nach bisherigen Aussagen die Arbeit mit dem Virus der klassischen Geflügelpest z. B. in den USA und Großbritannien wegen seiner Gefährlichkeit und vor allem verheerenden Wirkung in Geflügelbeständen offiziell verboten ist.
Bekannt ist weiter, dass am Institut für Virologie der Universität Gießen mit den serologischen Grundtypen des im VEB KIM Taucha festgestellten Virus-Hybriden (Rekombination) Hav1 (erstmalig 1934 in der Umgebung von Rostock aufgetreten) und Hav2 (1949 in der BRD aufgetreten) forschungsseitig gearbeitet wird und sämtliche Rekombinationen mit apatogenem und hochpatogenem Endresultat hergestellt werden bzw. werden können.
Prof. Scholtissek äußerte zu den beiden Ergebnisvarianten – wobei sie nicht präzise vorausbestimmt werden können –, dass sie zur ersteren einen a-virulenten Stamm zur Herstellung von Lebendimpfstoff isoliert haben, und die zweite Gruppe sei »der Wolf im Schafspelz«.
Die materielle und finanzielle Sicherstellung seiner Forschung erfolgt über die Behring-Werke Marburg (BRD), den Serva-Konzern (Schweden) und die sogenannte Deutsche Forschungsgemeinschaft in der BRD (Charakter einer Stiftung).10
Des Weiteren wird in einer Literaturstudie von 1977 – Verfasser Rott, Klenk, Scholtissek – ein Programm des Sonderforschungsbereiches 47 erwähnt.11 Erhärtet durch die Äußerung von Prof. Dr. Scholtissek, mitunter große Schwierigkeiten bei der Publikation seiner Ergebnisse durch von ihm nicht beeinflussbare Interessen Dritter zu haben, vermuten Experten hinter der obengenannten Forschungsgemeinschaft entsprechende Kreise (u. a. auch, dass sich dahinter Forschungen mit militärstrategischer Bedeutung verbergen könnten).
Generell ist aus allen Literaturrecherchen erkennbar, dass es keine Veröffentlichungen zu Problemen der Sicherheit im Umgang mit Virusstämmen gibt.
In internen Einschätzungen wird dazu festgestellt, dass Wissenschaftler und wissenschaftliche Einrichtungen, die mit Virusstämmen arbeiten, bemüht sein werden – falls durch Lücken ein Durchbruch entstehe – dies zu verheimlichen.
Damit würden auch die dem Internationalen Tierseuchenamt Paris vorliegenden Meldungen über das Tierseuchengeschehen in der Welt kein reales Bild vermitteln.
Bedeutsam ist, dass die USA im Jahre 1979 bei einer groß angelegten simulierten Seuchenalarmübung unter Einbeziehung von Militär vom Einschleppen einer Seuche in das Land ausging. Gleiche Grundprämissen sind im Herangehen des Veterinärwesens Großbritanniens erkennbar.
In dem für den Seuchenausbruch in Taucha relevanten Zeitraum wurde die Einreise einer im Institut für Virologie der Universität Gießen tätigen Reinigungskraft zu einem im VEB KIM Taucha beschäftigten Kraftfahrer sowie der Besuch eines emeritierten Professors der Universität Gießen bei Verwandten in Holzhausen, Kreis Leipzig-Land, festgestellt.
Eindeutig ist bisher nur, dass das Seuchengeschehen in Taucha im Bestand eines individuellen Tierhalters seinen Ausgang nahm.
Alle bisherigen Überprüfungen von ornithologischen Spezialisten ergaben, dass eine Einschleppung des Virus über eine Wildentenpopulation weitestgehend auszuschließen ist.
Im Zusammenhang mit der Fortführung der Maßnahmen zur Aufklärung der Ursachen von Seuchenausbrüchen und zu deren vorbeugender Verhinderung sind noch folgende Feststellungen beachtenswert:
Seitens der Botschaft der USA in der DDR und der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR gibt es gezieltes Interesse an Informationen zum Veterinärwesen und dem Tierseuchengeschehen in der DDR sowie zur Besichtigung von Großanlagen der Tierproduktion und des Warenumschlages im Rostocker Hafen.
Die Ostforscher der BRD haben mit dem Forschungsauftrag Nr. HS 52 »Die industriemäßig betriebene tierische Agrarproduktion in der DDR« (400 Seiten) einen vollständigen Oberblick auf diesem Gebiet erarbeitet.
Wie zuverlässig dazu eingeschätzt wird, sei diese Darstellung eine in Kleinarbeit zusammengetragene reale Einschätzung der Lage auf diesem Gebiet in der DDR, die ermögliche, auch die »Schwachstellen« zu erkennen.
In den Jahren 1979/80 verließen insgesamt sieben Veterinärmediziner und deren Familienangehörige ungesetzlich die DDR. Es besteht der begründete Verdacht ihrer Ausschleusung durch die kriminelle Menschenhändlerbande »ARAMCO AG«12 unter Mithilfe (Arbeitsstellenvermittlung) des Veterinärmediziners Dr. Großklaus, Direktor des Ostertag-Institutes Westberlin.13