Über die Werkstatttage in der Galiläa-Kirche in Berlin
27. Juli 1981
Information Nr. 373/81 über durchgeführte Veranstaltungen in der evangelischen Galiläa-Kirche in Berlin am 24./25. Juli 1981
Am 24. und 25.7.1981 fanden in der Galiläa-Kirche in Berlin-Friedrichshain, Rigaer Straße 9, sogenannte Werkstatttage statt (siehe auch Information des MfS Nr. 362/81 vom 20.7.1981), die internen Hinweisen zufolge auf Initiative der Personen Papenfuß-Gorek, Bert1 – Berlin, Häfner, Eberhard2 – Erfurt, Rathenow, Lutz3 – Berlin und Maaß, Ekkehard4 – Berlin organisiert wurden.
Auf Initiative der Mitglieder der Vorbereitungsgruppe »Blues-Messe«,5 Kulisch, Uwe,6 und Schröder, Bernd,7 konnten dazu die Räumlichkeiten der Galiläa-Kirchgemeinde für die Durchführung dieser Veranstaltungen genutzt werden.
Durch die Initiatoren der »Werkstatttage« war beabsichtigt, mit diesen Veranstaltungen Jugendliche anzusprechen, die »außerhalb der Gesellschaft stehen« (Tramper, Alkoholiker, Vorbestrafte usw.).
An den genannten Veranstaltungen nahmen am 24.7.1981 ca. 120 und am 25.7.1981 ca. 350 Personen teil, etwa 180 hielten sich während des gesamten Zeitraumes in den kirchlichen Räumen auf. Bei dem teilnehmenden Personenkreis handelte es sich größtenteils um Jugendliche im Alter von 15 bis 25 Jahren mit überwiegend dekadentem Äußeren.
Eine Anzahl der jugendlichen Teilnehmer erschien eigens zu diesen Veranstaltungen aus den Bezirken Gera, Rostock, Erfurt, Dresden und Leipzig.
Erstmals nahmen an einer derartigen Veranstaltung etwa zwanzig sogenannte Punker teil. (Dazu wurde auch in der Westberliner »BZ« vom 27.7.1981 berichtet.)8
Die »Werkstatttage« wurden am 24.7.1981 in der Zeit von 19.00 bis 22.00 Uhr mit einem »Liturgischen Abend« eröffnet. Nach der Begrüßung der Veranstaltungsteilnehmer durch die Sozialdiakone Kulisch und Schröder gestaltete der Vikar der Galiläa-Kirchgemeinde, Quasdorf, gemeinsam mit einer weiblichen Person ein einstündiges Liederprogramm.
Im Rahmen dieses Liederprogramms, vorwiegend aus jiddischen Volks- und Scherzliedern bestehend, trug er ein selbst getextetes »Fragelied« vor, das sich u. a. mit der »gesellschaftlichen Vereinsamung«, Reisebeschränkungen, »zu geringen persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten« befasste.
Der anschließend von Kulisch und jugendlichen Gemeindemitgliedern vorgetragene Sketch sowie die darauffolgende Meditation enthielten keine politischen Aussagen.
Das Programm am 25.7.1981 in der Zeit von 10.00 bis 22.00 Uhr beinhaltete
- –
Bücher- und Spielzeugtausch sowie Versteigerung,
- –
Druck- und Grafikverkauf,
- –
Ausstellung von Bildern, Fotografien, Grafiken und Plakaten,
- –
Lesungen von Lyrik,
- –
Liederprogramme und Sketche,
- –
»Punk«-Konzert der Gruppen »Rosa Extra«9 und »Väterchen Frost«,
- –
Diskussion zum Vorschlag der Initiativgruppe »Sozialer Friedensdienst«,
wobei sich die Programmteile zeitlich teilweise überschnitten.
Nach internen Informationen können zu einzelnen Programmteilen folgende politisch bedeutsamen Aussagen getroffen werden:
Ein Teil der von Holwas, Günter,10 vorgetragenen Lieder beinhaltete eindeutige politische Angriffe auf gesellschaftliche Verhältnisse in der DDR. Dies kam u. a. darin zum Ausdruck, dass er im Zusammenhang mit dem ausgesprochenen Berliner Auftrittsverbot seines Partners ein selbstgetextetes Lied mit dem Refrain »Was reimt sich auf rot – Spielverbot, Was reimt sich auf rot – Bonzenverbot« vortrug.
Ein gegen den deutschen Faschismus und Militarismus gerichtetes Gedicht Kurt Tucholskys11 missbrauchte Holwas, um Parallelen zu heutigen Verhältnissen in der DDR zu ziehen, und in dem Lied »Die Sturmbahn« wandte er sich gegen die sozialistische Wehrerziehung und den Wehrdienst. So führte er u. a. aus:
»Was machen die Soldaten? Sie stehen an der Grenze vom Süden bis Norden, und wenn einer weg will, sind sie dazu da, um in den Rücken zu morden.«
Die vom Lyriker Cimmeck (phonetisch)12 vorgetragenen selbstgetexteten Gedichte wandten sich inhaltlich gegen angebliche Erscheinungen von Bürokratie und Kleinbürgertum sowie gegen die sozialistische Kultur- und Verteidigungspolitik.
Die von den Lyrikern Anderson, Alexander13 – Dresden, Döring, Stefan14 – Berlin, Häfner, Eberhard – Erfurt, Gorek-Papenfuß, Bert – Berlin, Rathenow, Lutz – Berlin, vorgetragenen eigenen Texte richteten sich, zum Teil verdeckt, gegen Reisebeschränkungen, die sozialistische Verteidigungspolitik, angebliche Erscheinungen von Diktatur und Bürokratie in der DDR.
Es wurde allerdings festgestellt, dass die ca. 40 Teilnehmer der Lesung durch die Art und Weise des Vortrages sowie den geschraubten intellektuellen Stil kaum angesprochen wurden und die Gedichte deshalb nur geringe Resonanz fanden.
In einer Diskussionsrunde von ca. zehn Personen, die sich als Wehrdienstverweigerer ausgaben, wurde der Vorschlag der Initiativgruppe »Sozialer Friedensdienst«15 erörtert. Dieser Personenkreis stimmte dem Anliegen der Initiativgruppe zu, wertete dessen praktische Durchsetzung jedoch als unrealistisch.
(Ein Exemplar des bekannten Papiers »Sozialer Friedensdienst« wurde zur Kenntnisnahme im Vorraum der Galiläa-Kirche ausgehängt.)
Insgesamt ist einzuschätzen, dass diese Veranstaltungen keinen gottesdienstlichen Charakter trugen und durch politisch-negative Kräfte dazu missbraucht wurden, um ihre feindliche Ideologie zu verbreiten.
Der für die Galiläa-Kirche zuständige Pfarrer Cyrus betrachtete diese »Werkstatttage« internen Hinweisen zufolge als »nicht gelungenes Experiment kirchlicher Jugendarbeit«. Z. B. wurden durch die kirchlichen Amtsträger auch der Alkohol- und Nikotingenuss in kirchlichen Räumen als »unpassend« charakterisiert.
Es ist vorgesehen, dem Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,16 eine Dokumentation über Inhalt und Verlauf der Veranstaltungen mit der Zielstellung zu übergeben, einen erneuten derartigen politischen Missbrauch kirchlicher Veranstaltungen gegenüber Bischof Schönherr zurückzuweisen.
Weiter sollte durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi, der Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres des Magistrats der Hauptstadt der DDR, Genosse Hoffmann, veranlasst werden, eine Auswertung der »Werkstatttage« durch den Stellvertreter für Inneres des Rates des Stadtbezirkes Berlin-Friedrichshain mit Pfarrer Cyrus und der Superintendentin Laudin17 vorzunehmen.
In diesem Gespräch sollte in erster Linie der politische Missbrauch der kirchlichen Veranstaltungen dargelegt und darauf Einfluss genommen werden, dass eine Wiederholung derartiger Veranstaltungen unterbleibt.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.