Überfall auf einen Posten der NVA und Funkstreifenwagen der DVP
17. Januar 1981
Information Nr. 27/81 über einen Überfall auf einen Posten der NVA sowie einen verbrecherischen Anschlag auf eine Besatzung eines Funkstreifenwagens der Deutschen Volkspolizei, bei dem ein Angehöriger der DVP getötet und ein weiterer Angehöriger schwer verletzt wurde
Am 14. Januar 1981, gegen 23.50 Uhr, schlug der Bürger der DDR [Name 1, Vorname] (25) wohnhaft: 7060 Leipzig-Grünau, [Straße, Nr.], Anlagenfahrer, VEB Zuckerfabrik Markranstädt, verheiratet, zwei Kinder, mehrfach vorbestraft (1976 wegen Verkehrsgefährdung durch Trunkenheit und unbefugte Benutzung von Fahrzeugen; 1977 wegen vorsätzlicher Körperverletzung), unter Einfluss von Alkohol stehend, einen als Pendelposten zur Sicherung von Lehrgefechtstechnik des Artillerie-Regimentes 3 in Leipzig, Wiederitzscher Weg, eingesetzten Soldaten der NVA nieder, entriss diesem die Maschinenpistole, Typ »Kalaschnikow«, mit eingeführtem Magazin (30 Patronen), erzwang mit durchgeladener und vorgehaltener MPi die Übergabe der Magazintasche, in der sich ein weiteres Magazin mit 30 Patronen befand, und entfernte sich danach vom Objekt in Richtung Stadtinneres.
Gegen 0.30 Uhr des folgenden Tages beschoss der [Name 1] aus dieser Maschinenpistole in Leipzig, Kreuzung Slevogt-/Yorckstraße, einen mit zwei Angehörigen der Deutschen Volkspolizei besetzten Funkstreifenwagen, wobei der Meister der VP [Name 2, Vorname] (31), Streifenführer VPKA Leipzig, VP-Revier Nord, SED, verheiratet, zwei Kinder, durch einen Schuss in den Hals getötet, und der Hauptwachtmeister der VP [Name 3, Vorname] (28), Einsatzkraft gleiche Diensteinheit, an beiden Beinen (Oberschenkel) schwer verletzt wurde.
Im Ergebnis unverzüglich eingeleiteter Fahndungsmaßnahmen wurde der Täter durch Angehörige der DVP um 2.45 Uhr am Rathaus Leipzig-Wahren festgenommen.
Es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.
Die bisher durch das MfS geführten Untersuchungen ergaben:
Am 14. Januar 1981 nahm [Name 1] während der Arbeitszeit und danach (von 22.00 Uhr bis gegen 23.15 Uhr gemeinsam mit einem Bekannten) alkoholische Getränke zu sich. Im Verlaufe der Gespräche brüstete sich [Name 1] gegenüber der anderen Person, es sei ihm möglich, einem Posten der NVA die Waffe zu entwenden, da er sich in den Örtlichkeiten und militärischen Gepflogenheiten auskennen. ([Name 1] hat im gleichen Regiment seinen Wehrdienst abgeleistet.)
Nach Verlassen der Gaststätte fasste [Name 1] spontan den Entschluss, diesen Gedanken der Inbesitznahme einer Waffe zu verwirklichen. Er begab sich mit einem Taxi bis in die Nähe des Objektes und näherte sich zu Fuß dem Postenbereich des Lehrgefechtsparkes. Entgegen den Festlegungen der Wachdienstvorschrift der NVA ließ sich der Posten auf ein Gespräch mit [Name 1] ein. Während dieses Gespräches schlug er den Posten nieder und entwaffnete ihn. Anschließend begab sich [Name 1] in Richtung Radefelder Straße, wo er an der Wohnung einer Familie klingelte und von der ihm die Haustür öffnenden Wohnungsinhaberin mit vorgehaltener Waffe forderte, ihm einen Pkw für eine Fahrt zum Flughafen Leipzig-Schkeuditz zu beschaffen. Die Wohnungsinhaberin lehnte dieses Ansinnen sowie die Aufforderung, andere Hausbewohner zur Beschaffung eines Pkw zu bewegen, ab. Daraufhin feuerte [Name 1] im Hausflur ziellos einen Schuss ab und folgte der Wohnungsinhaberin mit vorgehaltener Waffe in die 1. Etage. Als auch ein in dieser Etage wohnender Bürger das Ansinnen zur Beschaffung eines Pkw ablehnte, verließ der Täter das Haus und klingelte am Nachbargrundstück. Mit dem Hinweis auf einen »Auto-Unfall« veranlasste er den Hausbewohner zum Öffnen der Tür. Als dieser die vorgehaltene Waffe entreißen wollte, kam es zu einem Handgemenge, in dessen Folge [Name 1] den Hausbewohner die Kellertreppe hinunterwarf und das Grundstück verließ.
Nachfolgend gab der Täter auf der Straße mehrere ungezielte Schüsse ab und begab sich in Richtung Kreuzung Yorck-/Slevogtstraße, die zu diesem Zeitpunkt durch einen Funkstreifenwagen der DVP befahren wurde. Um sich einer von ihm vermuteten Festnahme durch die DVP zu entziehen, eröffnete er auf den Funkstreifenwagen gezieltes Feuer. Der Täter entfernte sich danach in die Georg-Schümann-Straße, stellte die MPi mit dem noch darin befindlichen Magazin (27 Patronen und eine Patrone im Patronenlager; das zweite leere Magazin wurde in der Nähe des Tatortes aufgefunden) im Bereich einer Straßenbahnhaltestelle an einem Baum ab. Insgesamt gab der Täter 32 Schuss ab. Anschließend fuhr er mit der Straßenbahn nach Schkeuditz, die er dort verließ und begab sich zu Fuß in Richtung Leipzig, wo er gegen 2.45 Uhr festgenommen wurde.
Nach den bisherigen Untersuchungen motiviert der [Name 1] seine Verbrechen damit, seine »Eitelkeit« zu befriedigen und um seinem Gaststättenbekannten zu beweisen, dass er ein »ganzer Kerl« sei, die Waffe des Postens der NVA in seinen Besitz gebracht zu haben. Nach der gewaltsamen Entwendung der Waffe sei ihm die Strafbarkeit seiner Handlungsweise bewusst geworden. Er habe sich deshalb spontan entschlossen, mit Waffengewalt ein Luftfahrzeug vom Flughafen Schkeuditz zu entführen, um in die BRD zu gelangen. Dort hoffte er auf die Unterstützung von Verwandten und rechnete mit einer milden Bestrafung, ähnlich wie bei Weinhold.1 Die Waffenanwendung gegenüber den Angehörigen der DVP motiviert er als Konsequenz aus der bereits genannten Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR und aus der Annahme, festgenommen zu werden.
Die Untersuchungen werden durch das MfS fortgeführt.