Verletzung des Luftraumes der DDR durch einen Ballonflieger
20. April 1981
Information Nr. 201/81 über die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen zur Verletzung des Luftraumes der DDR durch zwei Bürger der BRD mit einem Freiballon am 19. April 1981
Am 19. April 1981, zwischen 7.00 Uhr und 7.15 Uhr, drang ein mit Wasserstoff gefüllter Freiballon, Kennzeichen »D-Stadt Münster«, besetzt mit zwei Personen, in den Luftraum der DDR (Einflugtiefe ca. 85 km, Überflugstrecke ca. 106 km) ein und wurde um 10.20 Uhr ca. 500 m östlich von Nahwinden im Kreis Arnstadt, Bezirk Erfurt, durch einen Hubschrauber der GSSD zur Landung gezwungen.
Bei den Luftraumverletzern handelt es sich um die Bürger der BRD Derks, Alfred Johannes (31), geb. am [Tag, Monat] 1950, Beruf: Schlosser und Sozialarbeiter, zuletzt tätig als Sozialarbeiter beim Caritasverband der Stadt Oberhausen, wohnhaft: Essen, [Straße, Nr.], und Boelmann, Rolf (26), geb. am [Tag, Monat] 1954, Beruf: Fernmeldehandwerker, zuletzt tätig als Nebenstellenentstörer im Fernmeldeamt 423 Wesel, wohnhaft: 4134 Rheinberg, Kr. Wesel, [Straße, Nr.].
Die Luftraumverletzer wurden festgenommen, gegen sie Ermittlungsverfahren gemäß § 213 StGB – Ungesetzlicher Grenzübertritt – eingeleitet und auf gleicher Rechtsgrundlage Haftbefehle erlassen.
Die bisher geführten Untersuchungen ergaben:
Derks hat sich aus Interesse am Ballonflug im Jahre 1974 dem Freiballonsportverein Münster-Münsterland e.V. angeschlossen, 1978 die Lizenz als Pilot für wasserstoffgefüllte Ballone bis 1 000 m3 Fassungsvermögen erworben und bisher 49 Ballonfahrten unterschiedlicher Dauer von 1,5 bis 15 Stunden in der BRD und bis nach Frankreich durchgeführt. Für Ostern 1981 hatte sich Derks eine Ballonfahrt der Kategorie »zeitliche Weitfahrt« (ca. 20 Stunden Flugzeit) in den Süden der BRD und bei günstigem Wind bis nach Frankreich vorgenommen. Als Begleiter für diesen Flug gewann er seinen Schwager Boelmann, der bisher keine Ballonfahrt absolvierte und über keine diesbezügliche Ausbildung verfügt.
Nach telefonischer Wetterberatung mit dem Flughafen Düsseldorf und den ihm danach günstig erscheinenden meteorologischen Bedingungen entschloss er sich am 18. April 1981 zur Realisierung des Vorhabens. Ohne konkrete Flugberechnung sowie ungenügende Vorbereitung auf die bei Nachtflügen zum Teil erforderliche funknavigatorische Standortbestimmung starteten die beiden BRD-Bürger am 18. April 1981, gegen 22.40 Uhr, mit dem wasserstoffgefüllten Freiballon (Eigentümer: Freiballonsportverein Münster-Münsterland e.V.) vom Ballonstartplatz Oer-Erkenschwick in der Nähe von Recklinghausen.
Nach Verbindungsaufnahme des Piloten mit dem Flughafen Frankfurt/M. um 1.41 Uhr sowie 3.00 Uhr zwecks Einholung der Funkpeilung konnte er trotz der von dort erhaltenen Werte keine konkrete Standortbestimmung durchführen. Eigenen Angaben zufolge verlor Derks gegen 3.25 Uhr, nachdem leichter Schneefall eingesetzt hatte und die Sicht stark zurückgegangen war, völlig die Orientierung. Eine daraufhin vorgenommene Verringerung der Flughöhe führte zur Unterbrechung der Funkverbindung mit dem Flughafen Frankfurt/M. Nach mehrfachen Versuchen der Wiederaufnahme des Funkverkehrs erhielt Derks Verbindung zum Flughafen Bremen, von wo aus ihm gegen 6.30 Uhr der Ort Münden als Standort des Ballons genannt wurde. Damit befand sich der Ballon unmittelbar an der Begrenzung der in der BRD entlang zur Staatsgrenze der DDR eingerichteten – für den Einflug von Freiballons verbotenen – Flugsicherungszone.
Trotz ungenügender Sichtverhältnisse entschloss sich der Pilot nicht zu einer möglichen und aus Gründen der Flugsicherheit gebotenen sofortigen Landung, sondern setzte den Flug über der Wolkendecke mit einer Geschwindigkeit von ca. 35 km/h fort und drang rechtswidrig in den Luftraum der DDR ein. In der Zeit zwischen 9.00 Uhr und 9.22 Uhr wurde der Flugkörper von mehreren DDR-Bürgern über dem Kreis Arnstadt visuell beobachtet und ab 9.02 Uhr bis zur Landung durch die zuständigen Organe der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) funkmessmäßig geführt.
Durch eine erneute Funkpeilung der Flugüberwachung Coburg und Bayreuth gegen 9.35 Uhr stellte der Pilot, seinen Einlassungen zufolge, den Standort des Ballons über Stadtilm, Kreis Arnstadt, fest und überzeugte sich davon auch durch Bodenorientierung. Diese Standortbestimmung geht auch eindeutig aus Eintragungen in der Flugkarte hervor.
Weiteren Aussagen des Piloten zufolge habe er erfolglos versucht, Funkkontakt zu den Flughäfen der DDR in Erfurt und Berlin-Schönefeld aufzunehmen. Aufgrund dessen fassten die BRD-Bürger den Entschluss, wieder nach der BRD auszufliegen.
In Abstimmung des Kommandos LSK/LV mit dem Stab der GSSD wurden durch den Einsatz eines Hubschraubers der GSSD die BRD-Bürger mit dem Freiballon gegen 10.20 Uhr ca. 500 Meter östlich der Ortschaft Nahwinden, Kreis Arnstadt, auf einer Wiese zur Landung gezwungen. Es trat kein Personen- oder Sachschaden ein.
(Nach den bisher vorliegenden Untersuchungsergebnissen, der Rekonstruktion des Fluges unter Beachtung der meteorologischen Bedingungen, Eintragungen des Piloten in der Flugkarte, Fluggeschwindigkeit sowie Ort und Zeitpunkt der visuellen Feststellung des Flugkörpers war der Einflug des Freiballons in die DDR mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen 7.00 Uhr im Raum Heiligenstadt erfolgt.)
Es ist vorgesehen, das Ermittlungsverfahren gegen die beiden BRD-Bürger kurzfristig abzuschließen und die Personen in einer gerichtlichen Hauptverhandlung zu einer Strafe mit Freiheitsentzug zu verurteilen. Danach sollte über das weitere Vorgehen entschieden werden.1