Vorbereitung der Blues-Messen 1981 (1)
12. Februar 1981
Information Nr. 80/81 über die geplante Weiterführung der Veranstaltungsreihe der sogenannten Blues-Messen im Jahre 1981
Wie dem MfS streng vertraulich bekannt wurde, konstituierte sich am 6. Februar 1981 im sogenannten Profi-Raum der Erlöser-Kirchgemeinde in Berlin-Lichtenberg ein neuer Vorbereitungskreis zur inhaltlichen und organisatorischen Durchführung von »Blues-Messen« im Jahre 1981.1
Teilnehmer waren die Personen Eppelmann, Rainer2 (Kreisjugendpfarrer von Berlin-Friedrichshain), Schröder, Bernd3 (Sozialdiakon für sozial und kriminell gefährdete Jugendliche von Berlin-Friedrichshain), Frenzel, Michael (Sozialdiakon, Kirchenkreis Berlin-Lichtenberg), Syrowatka, Ralf (Gemeindehelfer der Auferstehungskirche), Hirsch, Ralf4 (kirchlicher Angestellter der Samariter-Gemeinde), Launicke, Karl-Otto (Pädagoge), Henke, Eberhard (freischaffender Künstler) sowie ein kirchlicher Jugendmitarbeiter aus Berlin-Pankow.5
Von den Mitgliedern des Vorbereitungskreises wurde während dieser Zusammenkunft folgende Themengestaltung für kommende »Blues-Messen« vorgeschlagen:
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»Knast« (Sinn und Unsinn der Haft, Erniedrigung des Menschen und der Ohnmacht gegen staatliche Willkür) – vorgeschlagen durch Syrowatka;
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»Polenproblematik« (Fehlinformation und Rassismus in DDR-Medien, Vorbereitung auf Einmarsch in die VR Polen) – vorgeschlagen durch Henke;
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»Aussteiger« (Flucht Jugendlicher aus dem staatlichen in den kirchlichen Bereich, Antragsteilung auf Übersiedlung, Asozialität, Kriminalität) – vorgeschlagen durch Eppelmann, Syrowatka und Henke;
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»Willkürliche Kontrollmaßnahmen der Deutschen Volkspolizei« (§ 47 StGB)6 sowie »Verletzung von Menschenrechten« – vorgeschlagen durch Hirsch;
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»Werte und Maßstäbe« (Probleme der Lebensweise, Karrieredenken, Konsum-Ideologie, Anpassung) – vorgeschlagen durch Launicke;
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»Ehrlichkeit« (Zivilcourage, Heuchelei) vorgeschlagen durch Eppelmann;
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»Lebt nicht mit der Lüge« (Scheinwahrheit, Heuchelei) – vorgeschlagen durch Schröder.
Darüber hinaus wurden noch vom Stadtjugendkonvent eingebrachte Themenvorschläge wie »Staat und Kirche«, »Jugend und Zukunft«, »Warum und wofür leben«, »Geborgenheit in der Familie«, »Selbstmord und Resignation« zur Diskussion gestellt.
Im Anschluss daran wurde das Thema für die nächste »Blues-Messe« festgelegt. In diesem Zusammenhang wies Eppelmann darauf hin, dass Bischof Schönherr7 jegliche »Polen-Thematik« untersagt habe, er und Henke jedoch die Auffassung vertreten, diese Problematik gut in anderen Themen »verpacken« zu können. Der Vorbereitungskreis einigte sich, die nächste »Blues-Messe« zum Thema »Drinbleiben« als Kompromiss zu den Themenvorschlägen »Lebt nicht mit der Lüge« und »Aussteiger« durchzuführen. Unter dem Motto »Drinbleiben« solle während der »Blues-Messe« an die anwesenden Jugendlichen appelliert werden, den Wohnort bzw. Arbeitsplatz nicht zu wechseln und nach der Devise zu handeln: »Standhalten gegen Lügen, Heuchelei, Bürokratie, Korruption und den Mut zur Veränderung aufbringen«. Damit solle nach Meinung von Eppelmann angeblich häufig zu verzeichnenden »Fluchterscheinungen von Jugendlichen vor dem System« entgegengewirkt werden, mit dem Ziel sie anzuhalten, am Ort Veränderungen durchzusetzen.
In diesem Zusammenhang erwog Schröder während der »Blues-Messe« den Inhalt eines Briefes von Solschenizyn8 in die Diskussion einfließen zu lassen bzw. Textkopien unter Besuchern zu verteilen. Des Weiteren sei beabsichtigt, Bestandteile der vorgenannten Themenvorschläge »Knast«, »Werte und Maßstäbe« und »Ehrlichkeit« im festgelegten Arbeitstitel zu verwerten. (Eine genaue inhaltliche Festlegung der nächsten »Blues-Messen« soll in einer weiteren Beratung des Vorbereitungskreises am 20. oder 27. Februar 1981 in den Räumlichkeiten der Pfingst-Kirche getroffen werden.)
Im Verlaufe der Zusammenkunft legte Eppelmann dar, dass als Veranstaltungsort der nächsten »Blues-Messe« nicht mehr der »Ulmenhof« (kirchliches Freigelände in Berlin-Friedrichshagen) infrage käme (u. a. Aufenthaltsort geistig behinderter Kinder). Auch das Freigelände in Potsdam-Hermannswerder käme wegen »schlechter Erfahrungen bei Landesjugendsonntagen« als Veranstaltungsort nicht in Betracht.
Henke machte den Einwand, dass Freilicht-»Blues-Messen« in einen bloßen Aktionscharakter ohne Nachhaltigkeit ausarten könnten. Aus diesen Gründen einigte sich der Vorbereitungskreis auf die Erlöser-Kirche in Berlin-Lichtenberg als Ort für die nächste »Blues-Messe«, da dort die nötige Disziplin und Übersicht gewährleistet sei.
Zum Zeitpunkt der nächsten »Blues-Messe« gab es ursprünglich Vorstellungen für den 3. April 1981. Schröder und Launicke wandten jedoch ein, dass infolge der zeitlichen Nähe des X. Parteitages der SED9 mit verstärkten staatlichen Sicherungsmaßnahmen zu rechnen sei und deshalb die Teilnehmer der »Blues-Messe« gefährdet werden könnten. Ferner gab Launicke zu bedenken, dass Bischof Schönherr aufgrund seiner »Uncouragiertheit gegenüber dem Staat« und seiner Abneigung gegen die »Blues-Messen« diesen Termin nicht billigen würde. Man einigte sich auf den 27. März 1981 als Veranstaltungstag. Es sollen drei »Blues-Messen« (17.00 Uhr, 19.00 Uhr und 21.00 Uhr) durchgeführt werden. Die Generalprobe wurde auf den 25. März 1981, 17.00 Uhr, in der Erlöser-Kirche festgelegt.
Bezüglich der inhaltlichen/organisatorischen Gestaltung waren sich die Teilnehmer des Vorbereitungskreises über die »Notwendigkeit« einig, eine bessere Abstimmung zwischen den Musikteilen und thematischen Vorträgen zu finden. Es sollen weniger, dafür aber nachhaltigere und publikums-psychologischere Denkanstöße im Programm enthalten sein. Stark depressive Programmteile wurden abgelehnt. Ferner solle der Liederkreis der Evangelischen Studentengemeinde Berlin in die Durchführung einbezogen werden und der Arbeitskreis Frieden10 der Evangelischen Studentengemeinde Berlin einen Informationsstand errichten, an dem vervielfältigte »Bausoldaten-Gesetzblätter« und andere Materialien zu erhalten seien. Den musikalischen Teil solle wiederum die »Hollie-Blues-Band« bestreiten. (Vorliegenden internen Informationen zufolge solle nach außen eine andere Musikformation vorgegeben werden.)
Weiterhin brachte Pfarrer Eppelmann zum Ausdruck, dass Pfarrer Pahnke,11 Pfarrer Seidenschnur12 und der kirchliche Angestellte [Name 1] Interesse an der Mitwirkung bei »Blues-Messen« zeigen und vermutlich an den nächsten Beratungen anwesend sein werden.
Zur vorbeugenden Verhinderung der mit einer politisch-negativen Zielstellung geplanten »Blues-Messen« wird vorgeschlagen, folgende Maßnahmen durchzuführen:
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Der Staatssekretär für Kirchenfragen, Genosse Gysi,13 sollte beauftragt werden, bei seinem am 13. Februar 1981 durchzuführenden Gespräch mit Bischof Schönherr u. a. unter Bezugnahme auf die im Jahre 1980 stattgefundenen »Blues-Messen« und den dabei gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten politisch-negativen Angriffen erneut die Forderung zu erheben, derartige Aktivitäten zur Organisierung von »Blues-Messen« mit politisch-negativem Inhalt zu unterbinden.
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Durch den Stellvertreter für Inneres beim Magistrat von Berlin, Genossen Hoffmann,14 sollten mit gleicher Zielstellung Gespräche mit Generalsuperintendent Grünbaum15 bzw. Superintendent Richter (als Vertreter von Grünbaum) und mit Pfarrer Giering (zuständiger Verantwortlicher vom Konsistorium der Landeskirche Berlin-Brandenburg) geführt werden.
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Der Referent für Kirchenfragen beim Magistrat von Berlin, Genosse Niendorf, sollte mit gleicher Zielstellung Gespräche mit dem Stadtjugendpfarrer Passauer16 und dem Pfarrer der Erlöser-Kirchgemeinde Langhammer führen.
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Der Abteilungsleiter beim Staatssekretariat für Kirchenfragen, Genosse Wilke, sollte eine grundsätzliche Aussprache mit dem Sekretär der Kommission »Kirchliche Jugendarbeit« beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, Pfarrer Dorgerloh,17 und dem Kreisjugendpfarrer Eppelmann führen und den politischen Missbrauch der kirchlichen Jugendarbeit bei »Blues-Messen« missbilligen.
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Bei allen vorgenannten Gesprächen sollte die gesetzliche Grundlage »Verordnung über die Durchführung von Veranstaltungen« (Veranstaltungsordnung vom 30. Juni 1980)18 einbezogen werden.
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Durch das MfS wird geprüft, inwieweit auf der Grundlage bestehender gesetzlicher Bestimmungen – u. a. der Veranstaltung Ordnung – die Genehmigung für die Durchführung von »Blues-Messen« durch den Stellvertreter für Inneres beim Magistrat der Hauptstadt der DDR, Berlin, abgelehnt werden könnte.
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