Westberliner Flugblattaktion an der Berliner Mauer
14. August 1981
Information Nr. 405/81 über eine provokatorische Handlung an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin am 12.8.1981
Die »Bild-Zeitung« des »Springer«-Verlages (Ausgabe Westberlin) vom 13.8.1981 publizierte eine Meldung mit Foto, nach der ein finnischer Architekt von dem Podest am Westberliner Kontrollpunkt Friedrichstraße (sog. Checkpoint Charlie) einen an den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Genossen Erich Honecker, gerichteten Brief mit einem Pfeil über die Grenzsicherungsanlagen auf das Territorium der DDR geschossen habe.1
Das MfS hatte bereits Feststellungen getroffen, dass am 12.8.1981 eine männliche Person (befand sich in Begleitung einer weiteren männlichen Person) von dem genannten Podest aus mit einem Spielzeugbogen Pfeile längs der Grenzsicherungsanlagen auf Westberliner Territorium abgeschossen hat. Diese Handlung wurde vom Begleiter des Bogenschützen fotografiert. Pfeile in Richtung DDR wurden nicht abgeschossen.
Im Ergebnis einer intensiven Suchaktion wurde unmittelbar hinter den Grenzsicherungsanlagen auf dem Territorium der DDR ein Hetzflugblatt (siehe Anlage) aufgefunden und sichergestellt, das an einem Holzstück befestigt über die Grenzsicherungsanlagen geworfen worden war.
Die an der Provokation beteiligten Personen sind bekannt. An ihrer weiteren Aufklärung wird intensiv gearbeitet.
Anlage zur Information Nr. 405/81
Offener Brief
[An] Staatsratspräsident Erich Honecker, Berlin
Der 20. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer ist Anlass zu diesem Brief.
Sie haben in Helsinki den Schlussbericht der Europäischen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit unterschrieben. Laut Abschnitt 1.a) VII schließt dieser die Erklärung der Menschenrechte vom 10.XII.1948 ein.2 Deren § 13/2 lautet:
»Jedermann hat das Recht sein Land zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.«3
Seit der Helsinki-Konferenz haben Sie keine Schritte unternommen, um die Mauer zumindest in Etappen abzubauen, obwohl sie doch auch ohne Schießbefehl und ohne weiteren Ausbau mit Selbstschussgeraten durch die zahlreichen Hindernisse sowie die angedrohten hohen Haftstrafen ausreichend wirksam wäre.
Der Widerspruch zwischen dem von Ihnen unterschriebenem Helsinki-Dokument vom 1.VIII.1975 und der Berliner Mauer mit Wachen und Schießbefehl sowie den Verurteilungen wegen »Republikflucht« ist so ungeheuerlich, dass es höchste Zeit ist, ihn zu beseitigen.
Wir fordern Sie auf, entweder die Mauer abbrechen zu lassen oder Ihre Unterschrift unter dem Helsinki-Dokument zu widerrufen.
Im Sommer 1981
Dr. Rainer Hildebrandt,4 Berlin
Eva + Nils Koppel,5 Architekten m. a. a. [master of arts in architecture], Dänemark
Hans Graf Huyn,6 Mitglied des deutschen Bundestages, Deutschland
Konrad Veem,7 Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Estland
Heikki Eskelinen, cand. phil., Finnland
Vladimír Škutina,8 Verfasser von »10 Millionen Schwejks«, Verlag Herder,9 Tschechoslowakei
Maane Kallio, Lokomotivführer, Finnland
Mark Arnold-Forster,10 Verfasser von »Die Belagerung von Berlin«, Ullstein 1980,11 Großbritannien
Peter Benenson12
Gunārs Rode,13 Riga / Stockholm, Lettland
Dr. Otto Habsburg,14 Österreich, Mitglied des Europa-Parlaments
Jan Cybulski, Ing. Arch. Warszawa, M.R.T.P.I., Polen
Vladimir Bukovsky,15 Moskau / Cambridge, G. B., Russland
Dr. Vittorio G. Pons, Internationaler Generalsekretär der Paneuropa-Union, Schweiz
Valentyn Moroz,16 Kyiv / Toronto, Ukraine
Dr. Walter Dushnyck,17 Herausgeber: The Ukrainian Quarterly
Michael A. Melman, Architekt Univ. Minnesota, Vereinigte Staaten von Nordamerika
Dr. jur. Albert Gerutis,18 Vorstandsmitglied der Europäischen Konferenz für Menschenrechte und Selbsbestimmung, Luzern, Litauen
Galea Gheorghe, Timişoara H Helsinki, Rumänien