Zum Verlauf der Berliner Begegnung zur Friedensförderung (2)
12. Dezember 1981
Information Nr. 652/81 über weitere bekannt gewordene Aktivitäten im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der geplanten »Berliner Begegnung« von Schriftstellern, Wissenschaftlern und Künstlern in der Hauptstadt der DDR, Berlin
Ergänzend zur Information Nr. 631/81 vom 7. Dezember 1981 wurden dem MfS streng vertraulich weitere Hinweise über Auffassungen und Haltungen von Stephan Hermlin,1 Aktivitäten von Havemann2 und über das beabsichtigte Auftreten der eingeladenen Schriftsteller Franz Fühmann,3 Christa Wolf4 und Ingeborg Drewitz5 (Westberlin) bekannt.
Hermlins Auffassungen nach solle die »Berliner Begegnung«6 dazu dienen, bei den Menschen in beiden deutschen Staaten ein »Umdenken« zu erreichen. Sie müssten lernen, auf neue Art miteinander umzugehen. Während der »Berliner Begegnung« sollen »andere Standpunkte als die unseren akzeptiert werden, damit andere Personen in die Lage versetzt werden, diese Standpunkte als mögliche zu teilen«.
Hermlin brachte weiter intern zum Ausdruck, dass er – entgegen den durch die Mitglieder des Politbüros des ZK der SED, Genossen Hermann Axen und Genossen Prof. Kurt Hager, während einer Zusammenkunft am 7.12.1981 mit Teilnehmern der »Berliner Begegnung« gegebenen Hinweisen – seine eigenen Vorstellungen über Inhalt und Ablauf der »Berliner Begegnung« verwirklichen wolle. Er, Hermlin, sei der Einlader und dürfe sich keinesfalls die einmalige Chance entgehen lassen, während dieser Zusammenkunft »bestimmte Dinge« zur Diskussion zu stellen, die in dem genannten Gespräch mit den Genossen Hermann Axen und Kurt Hager7 nicht gesagt werden konnten. Er habe dieses Gespräch am 7.12.1981 als »Vergatterung« aufgefasst. Die dort gegebenen Hinweise seien jedoch nicht bestimmend dafür, was während der »Berliner Begegnung« passiere.8
Weiteren Äußerungen Hermlins zufolge beabsichtige er zu garantieren, dass die »Berliner Begegnung« nicht »linkslastig« werde. Aus diesem Grunde versuche er, neben den Schriftstellern Bernt Engelmann9 und Ingeborg Drewitz, den Westberliner Schriftsteller Günter Grass10 mit einem Diskussionsbeitrag für ein am 13.12.1981 vorgesehenes Podiumsgespräch zu gewinnen.11
Aus gleichen Erwägungen habe er die Einladungen zur Teilnahme an der »Berliner Begegnung« an Havemann, Heym,12 Rolf Schneider,13 Jurek Becker14 und Thomas Brasch15 ausgesprochen, ohne die übrigen Teilnehmer an diesem Forum davon zu informieren.
Vorliegenden vertraulichen Informationen zufolge bekundet Havemann seit mehreren Tagen erhöhtes Interesse für die Teilnahme an der »Berliner Begegnung«. Aus diesem Grunde hatte er seine Ehefrau16 beauftragt, Hermlin persönlich aufzusuchen, um eine Einladung für ihn zu erlangen. Da jedoch nach diesem Gespräch bis zum 11. Dezember 1981 keine schriftliche Einladung bei Havemann einging, beauftragte er seine Ehefrau erneut, mit Hermlin in Kontakt zu treten.
Im Ergebnis dessen ließ Hermlin Havemann wissen, dass er keine schriftliche Einladung erhalte, jedoch an der Begegnung teilnehmen und dort auch sprechen könne. Darüber informierte die Ehefrau Havemanns den hinlänglich bekannten Manfred Wilke17 (Westberlin), verbunden mit der Aufforderung, in westlichen Massenmedien zu veröffentlichen, dass Havemann unter diesen Bedingungen und dem Nichtvorliegen einer offiziellen Einladung an der »Berliner Begegnung« nicht teilnehmen werde.18 Gleichzeitig solle ein Angebot Havemanns an die Teilnehmer der »Berliner Begegnung« popularisiert werden, ihn in seinem Wohnort Grünheide aufzusuchen, um über sein »Friedensmanifest« zu diskutieren.19
Dieses »Friedensmanifest« wolle er gemeinsam mit »Freunden« aus der DDR veröffentlichen, um in der DDR – ähnlich wie es in der BRD mit dem Krefelder Appell20 geschehen sei – eine »von jeder staatlichen Bevormundung freie öffentliche Unterschriftensammlung« veranstalten zu können. (Siehe auch Meldungen der Westberliner Tageszeitungen »Der Tagesspiegel«21 und »Berliner Morgenpost«22 vom 12. Dezember 1981.)
Im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an der »Berliner Begegnung« brachte der Schriftsteller Franz Fühmann23 zum Ausdruck, dass er die Friedenspropaganda in der DDR für falsch halte, weil sie nur im Zusammenhang mit der marxistisch-leninistischen Theorie eine Rolle spielen könne. Ihm scheine, dass der Marxismus im Zusammenhang mit der jetzigen Situation auf der Welt zu wenig Möglichkeiten habe, diese Situation zu klären. Seinen Diskussionsbeitrag werde er etwa so formulieren: Falls er jemals vor die Alternative Frieden oder Sozialismus gestellt würde, werde er sich für den Frieden entscheiden, gleich, ob das die Abschaffung des Sozialismus zur Folge habe. Er habe die Absicht, sich darüber mit anderen Schriftstellern aus der DDR, u. a. Christa Wolf,24 abzustimmen, damit »seine Haltung nicht untergehe«.25
Die Schriftstellerin Christa Wolf führte in Vorbereitung der »Berliner Begegnung« Gespräche mit Hermlin. Dabei brachte sie zum Ausdruck, während der Diskussion bestimmte Probleme ansprechen zu wollen, die sie bisher nicht öffentlich verkündete. Sie lasse sich von niemandem beeinflussen und werde dort das aussprechen, was sie denke.26
Vorliegenden Hinweisen zufolge, beabsichtigt die Westberliner Schriftstellerin Ingeborg Drewitz am ersten Tag der »Berliner Begegnung« in einem Vortrag während des Podiumsgespräches auf folgende Probleme einzugehen:
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Vorschlag des Russell-Friedenskomitees,27 in Europa eine atomwaffenfreie Zone anzustreben;
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Auswirkungen eines atomwaffenfreien Europas auf die gegenwärtigen Konflikte in der Welt;
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Möglichkeiten der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, innerhalb der Militärblöcke die Entspannung voranzubringen;
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Entschärfung der Konflikte im kulturellen Bereich zwischen beiden deutschen Staaten, insbesondere bezogen auf die Literatur und Autoren;
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einen vorstellbaren Einsatz der Literaturen beider deutscher Staaten in der Friedensarbeit in Verbindung mit einem öffentlich gesicherten Recht auf eine offene Friedensdiskussion.
Die Drewitz sprach in diesem Zusammenhang die Hoffnung aus, während der »Berliner Begegnung« offen miteinander reden zu können. Sie bezweifle jedoch, dass dies so gelänge wie in der BRD.
Bezugnehmend auf die »Berliner Begegnung« brachte der in der DDR akkreditierte Korrespondent des ARD-Fernsehens, Pleitgen, nach einem Gespräch mit dem Westberliner Schriftsteller Grass sowie in Wiedergabe von Meinungen seiner Redaktion zum Ausdruck, dass der Zeitpunkt dieser Begegnung »sehr günstig« sei. Sie werde unter dem unmittelbaren Eindruck des Gespräches des Generalsekretärs des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, mit Schmidt stattfinden.28 Nach Pleitgens Auffassung biete sich hier eine ideale Gelegenheit, Probleme zur Sprache zu bringen, die bei dem Gespräch des Genossen Honecker mit Schmidt zwar behandelt, aber nicht oder nur in verallgemeinerter Form veröffentlicht würden. Das seien u. a. solche Probleme wie die Verbesserung der menschlichen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, Reiseerleichterungen für DDR-Bürger in das westliche Ausland, Gewährleistung der Menschenrechte und anderes.29
Auf die Frage der Auftritts- und Publikationsfreiheit für Havemann, der durch seine »Friedensvorschläge«30 besonders populär geworden sei, werde bei der »Berliner Begegnung« angesprochen. Die Tatsache, dass sich Havemanns Initiative bereits über 1 000 Menschen angeschlossen hätten, sei Grund genug, dessen Vorschläge zu diskutieren.31
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