Zur Verbreitung der Schweinepest in Nordbezirken der DDR und in Thüringen
19. Oktober 1981
Information Nr. 530/81 über vorliegende Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage der Verbreitung der Schweinepest unter den Hausschwein- und Schwarzwildbeständen auf dem Territorium der DDR und zu den zur Bekämpfung der Schweinepest bisher eingeleiteten Maßnahmen
Wie dem MfS bekannt wurde, ist erstmalig im Zeitraum Oktober und November 1980 unter den Schwarzwildbeständen in den Kreisen Ribnitz-Damgarten und Grimmen, [Bezirk] Rostock, der Ausbruch der Schweinepest festgestellt worden, deren weitere Verbreitung in der nachfolgenden Zeit nicht verhindert werden konnte.
Gegenwärtig gelten deshalb die Schwarzwildbestände in mehreren Kreisen der Bezirke Rostock (Rostock, Ribnitz-Damgarten, Grimmen, Greifswald, Wolgast), Neubrandenburg (Malchin, Demmin, Teterow) und Schwerin (Bützow) als verseucht, und es wird – nach Expertenauffassung – noch mit einer weitergehenden Verbreitung der Schweinepest unter den Schwarzwildbeständen in den an vorgenannte Gebiete angrenzenden Kreisen gerechnet.
Weiteren Feststellungen zufolge ist im unmittelbaren Zusammenhang damit stehend in diesen Gebieten ein indirektes bzw. direktes Übergreifen des Seuchengeschehens auf den Bestand der Hausschweine überwiegend in individuellen Tierhaltungen (37 Vorkommnisse) und teilweise auch in genossenschaftlichen Tierhaltungen (acht Vorkommnisse) eingetreten.
Unabhängig vom und nicht ursächlich mit dem Seuchengeschehen in den genannten Nordbezirken der DDR im Zusammenhang stehend, kam es Ende Mai/Anfang Juni 1981 in drei Betriebsteilen der LPG Tierproduktion Ringleben, [Kreis] Erfurt-Land (Schlachtung des Bestandes; Ringimpfung von ca. 40 000 Schweinen; Ursache bisher ungeklärt) sowie in den darauffolgenden Monaten Juli/August zu weiteren zwei Ausbrüchen von Schweinepest (VEG Schweinezucht Gotha und LPG Remstädt, [Kreis] Gotha).
Das Auftreten von Schweinepest in individuellen Beständen im Ortsteil Steinrode der Gemeinde Funkenhagen, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, Ende September 1981 wird von Experten als ein Signal dafür gewertet, dass es sich offenbar um eine Weiterverbreitung der Schweinepest in südlicher Richtung handeln könne. (Letzte festgestellte Ausbruchsstellen im Kreis Wolgast, [Bezirk] Rostock, Anfang August bzw. Anfang September 1981.)
Durch diese Seuchenlage sei damit auch eine größere Gefährdung der Schweinebestände in den Schweinezucht- und Mastkombinaten Haßleben, [Kreis] Templin, und Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O., eingetreten (ca. 20 km bzw. 50 km Luftlinie vom Ausbruchsort Steinrode entfernt). Die erforderlichen Schutzmaßnahmen, wie Sperrung der Betriebe für Betriebsfremde, Verstärkung der Wachen und Kontrollen, zusätzliche Desinfektionsmaßnahmen, Schutzimpfungen in den Kreisen Templin und Eberswalde, wurden zwischenzeitlich eingeleitet.
In welchem Zusammenhang am 14.10.1981 getroffene Feststellungen über vorhandene Schweinepest im Tierbestand der Schweinemastanlage Viecheln der LPG Behren-Lübchin, [Kreis] Teterow, [Bezirk] Neubrandenburg, mit dem Seuchengeschehen stehen, konnte infolge der langwierigen Untersuchungen des Veterinärmedizinischen Dienstes noch nicht zweifelsfrei geklärt werden.
(Bei planmäßiger Kontrollschlachtung ist bei 6 von 14 geschlachteten Schweinen Schweinepest festgestellt worden, jedoch sei nach Auffassung des Veterinärmedizinischen Dienstes Neubrandenburg eine Erkrankung des Gesamtbestandes auszuschließen. Vermutlich habe eine ungenügende Desinfektion zur Erkrankung beigetragen. Es wird eine Sperrschlachtung vorbereitet.)
Wie bekannt wurde, ist am 15.10.1981 in der Schweinemastanlage (Bestand 1 427 Mastschweine) der LPG »Treue« Mandelshagen, [Landkreis] Rostock, bei insgesamt 42 Mastschweinen der Verdacht auf Schweinepest festgestellt worden (Verendung von 22 Mastschweinen).
Der Tierbestand steht unter Impfschutz (LVV). Es wird vermutet, dass die Infizierung des Bestandes offenbar aufgrund der Lage – befindet sich unmittelbar an einem verseuchten Waldgebiet, in dem bereits verendete Wildschweine gefunden wurden – erfolgte.
Vorbeugend wurden erste Maßnahmen zur Sperrung und nochmaligen Impfung der genossenschaftlichen und individuellen Schweinebestände eingeleitet.
Der Ausbruch der Schweinepest überwiegend in individuellen Tierhaltungen wird u. a. besonders auf das geringere Niveau des Seuchenschutzes zurückgeführt.
Insgesamt müsse nach Auffassung von Experten bei der Beurteilung des Seuchengeschehens unbedingt mit berücksichtigt werden, dass auch von bedeutenden Ländern Westeuropas mit intensiver Landwirtschaft und Tierproduktion wie der BRD, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg in den Schweinebeständen dieser Länder ein akutes Schweinepestgeschehen international angezeigt wurde.
Auch aus den USA und Argentinien liegen Hinweise über Seuchenausbrüche vor (DDR importiert Schweineleder aus diesen Ländern).
Aufgrund dieser Situation verfügte der Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und Vorsitzende der zentralen Tierseuchenkommission (Anweisung Nr. 5 vom 19.6.1981) Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der klassischen Schweinepest bei Schwarzwild mit dem Ziel, einen Seuchenzug in den Schwarzwildbeständen und das Übergreifen der Schweinepest auf die Hausschweine in der DDR zu verhindern.
In den zu Gefährdungsgebieten und Schutzzonen erklärten Territorien der Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg erfolgten daraufhin die Schutzimpfungen aller Hausschweine gegen Schweinepest (ca. eine Million Tiere) und entsprechend der örtlichen Möglichkeiten die radikale Bejagung des Schwarzwildes unter zeitweiliger Hinzuziehung von Jagdberechtigten und Tierärzten aus allen Bezirken der DDR. (Bis zum 15.10.1981 wurden 28 722 Stück Schwarzwild erlegt bzw. gefangen.)
Im Ergebnis dessen konnte die Seuchenlage im Wesentlichen beherrscht und bisher das Übergreifen der Schweinepest auf konzentrierte Tierbestände in LPG und industriemäßig produzierende Großanlagen verhindert werden (bis Ende September u. a. ca. 2 500 Schweine/Ferkel der Seuchenschlachtung zugeführt bzw. getötet).
Im Zusammenhang mit der vollständigen Bejagung des Schwarzwildes stellte sich jedoch heraus, dass offensichtlich wegen tief verwurzeltem jagdlichem Brauchtum und Denken, Jäger und Jagdkollektive entgegen staatlicher Weisung von einem radikalen Abschuss des gesamten Wildschweinbestandes Abstand nahmen und diese Haltung u. a. damit zu motivieren versuchten, wonach die Winterperiode 1981/82 zu einer natürlichen Selektion führen würde.
Im Ergebnis der nur unzureichenden Umsetzung der staatlichen Weisung zur Merzung des gesamten Schwarzwildbestandes im Seuchengebiet konnten deshalb bei der Bekämpfung des Seuchengeschehens im Schwarzwildbestand bisher keine durchgreifenden Erfolge erzielt werden.
Nach Abschluss der Maisernte bestehen jedoch noch günstigere Voraussetzungen für den konzentrierten und radikalen Abschuss des Schwarzwildbestandes.
Mit der seit dem 1.10.1981 begonnenen Aktion in peripheren Kreisen des Seuchengebietes (Bützow und Güstrow, [Bezirk] Schwerin, und Teterow, Malchin, Demmin, Altentreptow und Anklam, [Bezirk] Neubrandenburg) wird beabsichtigt durch die vollständige Beseitigung des Schwarzwildbestandes einen Schutz zur Verhinderung des Übergreifens der Schweinepest in südlicher Richtung zu schaffen.
Zugleich wird mittels diagnostischer Untersuchungen der in diesem Gebiet und in den südlich angrenzenden Kreisen geschossenen Wildschweine eine noch exaktere Eingrenzung der Seuchenverbreitung im Schwarzwildbestand gewährleistet.
Diese jagdlichen Maßnahmen sind auch dahingehend ausgelegt, jegliches Auseinandersprengen der Rotten zur Verhinderung einer beschleunigten Seuchenausbreitung zu vermeiden.
Weiter sehen diese jagdlichen Maßnahmen vor, vor allem Keiler in den festgelegten Gebieten zu erlegen, da durch Keiler mit Eintritt der Rausche1 (insbesondere im Zeitraum November bis Januar) Standortveränderungen von 30 km bis zu 40 km auftreten. Dadurch erhöht sich u. a. die Gefahr der Verbreitung der Schweinepest über größere Entfernungen.
Das Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft schöpft alle Möglichkeiten aus, Schutzimpfungen des Schwarzwildbestandes im Seuchengebiet unter Ausnutzung von Futtermitteln zur Wirkung zu bringen.
Die Prüfung dieser Möglichkeiten erfolgt selbst unter Inkaufnahme eines Aufwandes, der die 100 fache Menge an Impfstoff gegenüber der für normale Impfzwecke benötigten Menge erfordern würde. (Über Importe von Impfstoffen aus der UdSSR und der ČSSR müsste in diesem Zusammenhang gesondert entschieden werden.)
Es ist weiter festgelegt worden, für die Entscheidung zur Anwendung der Immunisierung von Schwarzwild gegen Schweinepest die Arbeiten zur Prüfung und Erprobung des Verfahrens am Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung Insel Riems unter Einbeziehung von Versuchen in einem Wildgatter intensiv weiterzuführen. Gleichzeitig werden am Friedrich-Loeffler-Institut Insel Riems bis zum 15.11.1981 die personellen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für die Produktion von 150 000 Impfeinheiten gegen Schweinepest in Form von Fraßködern über rund 5 000 infizierte Kaninchen zu schaffen. Dazu wird eine ausgelaufene ehemalige Schweinepest-Impfstofflinie genutzt. Der Aufkauf von 5 000 Kaninchen im Bezirk Rostock wird stabsmäßig vorbereitet. Eine Entscheidung über die Realisierung dieser Produktion soll gesondert getroffen werden.
Nach Bekanntwerden des Auftretens der Schweinepest in individuellen Tierhaltungen der Gemeinde Steinrode, [Kreis] Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, Ende September 1981 veranlasste der Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (Anweisung Nr. 9/81 vom 15.10.1981) weitergehende Maßnahmen und verpflichtete die Räte der Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/O., Magdeburg und den Magistrat der Hauptstadt Berlin, mit dem Ziel der völligen Liquidierung der klassischen Schweinepest auf dem Territorium der DDR, ihrerseits Maßnahmen einzuleiten, die darauf gerichtet sind:
- 1.
die Sicherung der Versorgung der Bevölkerung unter allen Umständen zu gewährleisten und ein Übergreifen der Schweinepest auf die Hausschweinebestände und das Entstehen eines Seuchenzuges in diesem Bereich zu verhindern;
- 2.
die Schweinepest auf die bereits betroffenen Gebiete zu begrenzen und Seuchenherde sofort zu liquidieren;
- 3.
die Aufgaben des Schweinefleisch- und Schlachtschweineexportes abzusichern und in Verbindung damit die erforderliche Informationseinschränkung zur Seuchenlage gegenüber dem Aus- und Inland zu gewährleisten.
Es ist vorgesehen, die Realisierung vorgenannter Maßnahmen auf der Grundlage einer von den Veterinärorganen der DDR erarbeiteten Konzeption zur Liquidierung der Schweinepest vorzunehmen. Diese Konzeption sieht im Wesentlichen vor:
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verschärfte Seuchenschutz- und -bekämpfungsmaßnahmen in den Hausschweinbeständen durchzusetzen, vorrangig besonders in individuellen Tierhaltungen;
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Liquidierung der Schwarzwildbestände im verseuchten und seuchengefährdeten Gebiet sowie verstärkten Abschuss in den Schutzzonen durch außerordentliche Bejagungsmaßnahmen;
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Sicherung der maximalen Produktion von Schweinepestimpfstoff;
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Vorbereitung von außerordentlichen Maßnahmen für Extremsituationen (verstärkte Ausbreitung der Seuche auf Hausschweine).
Durch die Feststellung, dass Neuausbrüche von Schweinepest im Oktober 1981 in bereits immunisierten Gebieten auftraten, wird es als notwendig erachtet, diese Konzeption durch Festlegung von Maßnahmen zur Nachkontrolle der Wirksamkeit der Seuchenschutzmaßnahmen zu ergänzen.