9. Tagung der 6. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen
8. Dezember 1982
Information Nr. 629/82 über die 9. Tagung der 6. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen vom 25. bis 28. November 1982 in Eisenach
In der Zeit vom 25. bis 28.11.1982 fand in Eisenach die 9. Tagung der 6. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen statt.
Auf der unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden Synode war kein Vertreter des Staates anwesend.
Korrespondenten westlicher Massenmedien bzw. Mitarbeiter westlicher diplomatischer Vertretungen wurden auf der 9. Tagung der 6. Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen nicht festgestellt.
Als ausländische ökumenische Gäste waren auf der Synodaltagung anwesend:
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Oberkirchenrat Dr. Daur, Martin1 (Stuttgart/BRD), Mitglied des Evangelischen Oberkirchenrates der Evangelischen Landeskirche in Württemberg/BRD,
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Prof. Ottmar, Dietrich2 (Stuttgart/BRD), Vizepräses der Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg/BRD.
In seinem im Verlauf der Synode gehaltenen Grußwort überbrachte der Vizepräses der Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Prof. Ottmar (Stuttgart), Grüße der »Partnerkirche« bzw. der Synode seiner Landeskirche. Er wertete die auf der Synodaltagung behandelten Fragen als relevant, da sie hinsichtlich der Friedenserhaltung für die DDR und die BRD von besonderem Gewicht seien. Er unterstrich die Notwendigkeit von Kontakten zwischen den Partnerkirchen.
Im Mittelpunkt der Synodaltagung standen die Schwerpunkte
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Bericht des Landesbischofs Werner Leich3 (Eisenach),
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Bericht des ad-hoc-Ausschusses »Friedensverantwortung« der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen,
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theologische und innerkirchliche Fragen,
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(Berichterstattung über die Synoden des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR4 und der Vereinigung Evangelisch-Lutherischer Kirchen in der DDR, Bericht des Diakonischen Werkes, Haushaltsplan usw.).
In seinem Bericht schilderte Landesbischof Werner Leich u. a. in sachlicher Form seine anlässlich des im September 1982 durchgeführten Besuches der lutherischen Schwesternkirchen in der Estnischen und Lettischen SSR gewonnenen Eindrücke. Besonders verwies er in diesem Zusammenhang auf ein »erfahrenes Leben in Bescheidenheit und Dankbarkeit« sowie auf eine »brüderliche, gastfreundliche Aufnahme« seiner Person.
Unter Bezugnahme auf das bevorstehende Luther-Gedenkjahr 19835 erklärte der Landesbischof, dass ihn die diesbezüglich zu beobachtende »Verdrossenheit« der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in der DDR »mit Sorge erfüllt«. Er betonte, nicht nur die katholische Kirche habe dem 450. Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses im Jahre 19806 mehr Aufmerksamkeit geschenkt als die Evangelisch-Lutherischen Kirchen, sondern auch die gesellschaftlichen Kräfte in der DDR würden sich derzeit intensiver mit der Martin-Luther-Ehrung 1983 beschäftigen als die evangelischen Kirchen lutherischer Konfession in der DDR.
Im Zusammenhang mit der Luther-Würdigung 1983 hob Landesbischof Leich folgende Möglichkeiten und Schwerpunkte kirchlichen Wirkens hervor:
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Größere missionarische Öffentlichkeitswirksamkeit mittels der Kirchentage 1983,7 insbesondere des Thüringer Kirchentages,8
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Erfahrungsaustausch bei Begegnungen mit Besuchern der Ökumene (Ökumenischer Rat der Kirchen, Lutherischer Weltbund, Römisch-Katholische und Orthodoxe Kirchen),
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modellhafte Erprobung und Vertiefung des Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen in einem Staat auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gleichen Verpflichtung und unter dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung und gegenseitigen Achtung am Beispiel der Arbeit des staatlichen und kirchlichen Lutherkomitees.
Einen Großteil seines Berichtes widmete der Landesbischof der Erhaltung des Friedens. Er äußerte sich zustimmend zur erneut bekräftigten Bereitschaft der »neuen sowjetischen Führungsspitze«9 zu Abrüstungsverhandlungen. Als bedeutsam wertete er die jüngste Begegnung »zwischen dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und dem Bundespräsidenten der BRD, in der die besondere Verantwortung der beiden deutschen Staaten für Frieden in Europa und die elementare Feststellung bekräftigt wurde, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf«.10 An anderer Stelle betonte der Landesbischof: »Die Regierung unseres Staates soll die Gewissheit haben, dass der Grundsatz, die Sicherung des Friedens als oberste politische Aufgabe zu sehen, unserer Achtung begegnet und unserer Erwartung gegenüber unserer Regierung entspricht.«
Landesbischof Leich verwies darauf, dass es in letzter Zeit einige »Belastungen« im Bereich Volksbildung und Hochschulwesen gegeben habe. Er setze jedoch Hoffnungen in das bevorstehende Gespräch am 9.12.1982 mit Vertretern des Ministeriums für Volksbildung und der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen zu Fragen der »sozialistischen Lebensweise«. Positive Anzeichen seien in dieser Richtung bereits sichtbar, so z. B. in der Widerrufung einer Exmatrikulation eines Jenaer Studenten wegen seiner Ablehnung der Verpflichtung als Reserveoffizier; in der »zitierfähigen« Antwort des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen auf eine persönliche Eingabe des Synodalen Jagusch11 (Jena). Das Antwortschreiben enthalte die Feststellung, dass die Reserveoffiziersanwärter-Verpflichtung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit erfolge und einem Studenten, der sich aus Glaubens- und Gewissensgründen nicht dazu entscheidet, keine Nachteile für sein Studium erwachsen. (Diese Antwort soll durch die Pressestelle der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen veröffentlicht werden.)
Im weiteren Verlauf der Tagung beschäftigte sich die Synode mit dem Bericht des ad-hoc-Ausschusses »Friedensverantwortung«. (Dieser Ausschuss wurde bereits auf der Herbstsynode 1981 gebildet und mit der Ausarbeitung eines Materials zur Friedensproblematik beauftragt). Der Bericht des Ausschusses konzentriert sich auf folgende drei Schwerpunkte:
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Aspekte zur Situation des gefährdeten Friedens,
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theologische Grundsatzüberlegungen zur Friedensverantwortung der Kirche,
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Brief an die Gemeinde über Möglichkeiten und Aufgaben der Kirche.
Der Arbeitsbericht des ad-hoc-Ausschusses »Friedensverantwortung« ist wesentlich durch pazifistische Aussagen gekennzeichnet.
Direkte negativ-feindliche Angriffe gegen die Friedens- und Verteidigungspolitik der DDR sind jedoch nicht enthalten. (Gegenwärtig liegt Teil 1 des Berichtes »Aspekte zur Situation des gefährdeten Friedens« im Wortlaut vor. Er kann bei Bedarf angefordert werden.)
Die Diskussion zu diesem Bericht wurde durch das Auftreten bereits bekannter feindlich-negativer Synodaler (Oberkirchenrat von Frommannshausen12/Meiningen, Superintendent13 Küfner14/Scheibe-Alsbach, Pfarrer Steinert15/Häselrieth, Pfarrer Behr16/Gera und Synodale Schubert17/Schalkau) gekennzeichnet.
So behauptete z. B. Oberkirchenrat von Frommannshausen, dass die These »je stärker der Sozialismus, desto sicherer der Frieden« eine Irrlehre sei. Er stellte diese Aussage grundsätzlich in Zweifel.
Superintendent Küfner ging davon aus, dass die Berichterstattung der Massenmedien für den Bürger der DDR »verwirrend« sei, da Presse, Funk und Fernsehen in »Ost und West« sich desselben Vokabulars bedienen würden. Gegenseitig werfe man sich eine akute militärische Bedrohung vor. In unserem Land wäre aber »eine zunehmende Militarisierung« der gesellschaftlichen Bereiche spürbar. Die »militärische Gewalt« würde durch Manöver, Paraden und dergleichen verherrlicht. Wörtlich brachte er zum Ausdruck: »In der gegenwärtigen Situation kann man niemandem zumuten, guten Gewissens Soldat zu werden. Jeder Soldat ist ein potenzieller Massenmörder. Gedankenlosigkeit, mit der die jüngeren Soldaten handeln, erinnert an die Aufseher von Konzentrationslagern, die gedankenlos Menschen in den Tod getrieben haben.«
Pfarrer Steinert stellte den Antrag an die Synode, einen Beschluss zur Herstellung eines neuen pazifistischen Symbols mit der Aufschrift »Ich will nicht mit Atomwaffen verteidigt werden« zu fassen.
Nachdem in der kontroversen Debatte zum Bericht des Ausschusses »Friedensverantwortung« eine Anzahl von Synodalen zwar das Anliegen des Antrages von Pfarrer Steinert begrüßten, jedoch gleichzeitig Bedenken aus seelsorgerischer und verfassungsrechtlicher Sicht äußerten und einen solchen Schritt der Thüringer Landeskirche als politisch unklug einschätzten, nahm Pfarrer Steinert seinen Antrag zurück.
Mit politisch-realistischen Grundhaltungen traten in der Diskussion kirchenleitende Personen, wie z. B. Oberkirchenrat Mitzenheim18 (Eisenach), Oberkirchenrat Saft19 (Gotha) und Landesbischof Leich (Eisenach), in Erscheinung.
Oberkirchenrat Mitzenheim hob das Element der Zusammenarbeit von Staat und Kirche im Interesse der Erhaltung des Friedens hervor und berichtete über seine langjährige Mitarbeit in der »Christlichen Friedenskonferenz«.
Landesbischof Leich orientierte auf die Priorität des »Gebetes für den Frieden« als wichtigstes Anliegen der Kirchen. Er betonte, dass es wichtig sei, den Politikern Vertrauen zu schenken. Jeder Christ könne für sich allein eine Entscheidung treffen, ob er sich mit atomaren Mitteln verteidigen lassen wolle oder nicht. Er könne diese Entscheidung jedoch nicht für die gesamte Gesellschaft treffen.
Superintendent Große20 (Saalfeld) verhielt sich im Gegensatz zu seinen Reaktionen auf früheren Synoden loyal. Seine Ausführungen waren im Wesentlichen sachlich. Er betonte, dass sich die Kirche von positiven Beispielen lehren lassen sollte und orientierte auf die Unterstützung der Politik der friedlichen Koexistenz.
Auch auf die Zurücknahme des Antrages durch Pfarrer Steinert hatte Superintendent Große wesentlichen Einfluss genommen. Er verwies auf die kirchlicherseits gesammelten Erfahrungen mit dem Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« und auf die Gefahr neuer Konfrontationen mit dem Staat. Große bezweifelte die Erfolgschancen und den friedensfördernden Charakter eines solchen Schrittes.
Im Ergebnis der Erörterung des Berichtes des ad-hoc-Ausschusses »Friedensverantwortung« wurden durch die Synode lediglich einige Formulierungsänderungen vorgenommen und folgender, wörtlicher Beschluss gefasst:
»Die Synode wolle den Landeskirchenrat bitten:
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Die Synode macht sich die Stellungnahme zur Friedensverantwortung der Kirche zu eigen, die auf der Grundlage der Vorarbeit des ad-hoc-Ausschusses ›Friedensverantwortung‹ während der Synodaltagung erarbeitet wurde, den beschlossenen Wortlaut allen kirchlichen Mitarbeitern und sachbezogen arbeitenden Gruppen zur Verfügung zu stellen,
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die Mitarbeiter zu bitten, mit dem Beschluss der Friedensverantwortung in den Gemeinden zu arbeiten,
- 3.
die Pressestelle zu beauftragen, umfassend zu berichten und auf das Gesamtmaterial ausdrücklich hinzuweisen.«
Dieser Beschluss sowie die drei Teile des Berichtes des Ausschusses »Friedensverantwortung« wurden mit drei Gegenstimmen (Oberkirchenrat Mitzenheim/Eisenach, Oberkirchenrat Johannes21/Eisenach und Oberkirchenrat Thurm22/Gera) angenommen.
Als Termine der nächsten Synodaltagungen wurden bekanntgegeben:
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Frühjahrssynode vom 24. bis 27.3.1983,
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Herbstsynode vom 1. bis 4.12.1983.
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