Aktivitäten anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Jenas
18. März 1982
Information Nr. 133/82 über beabsichtigte Aktivitäten von Angehörigen der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte anlässlich der Wiederkehr des Jahrestages der Bombardierung Jenas am 19. März 1982
Vorliegenden vertraulichen Hinweisen des MfS zufolge planten Angehörige der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte1 – angeregt durch das sogenannte Friedensforum2 anlässlich des Jahrestages der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1982 – aus Anlass der Wiederkehr des 37. Jahrestages der Bombardierung Jenas am 19. März 1982 in der Friedenskirche in Jena einen »Friedensgottesdienst« durchzuführen.
Die Initiatoren dieses »Friedensgottesdienstes«, Rösch3 und Klingenberg,4 – Feinmechaniker bzw. Hilfspfleger an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und beide Führungskräfte der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte – beabsichtigten, die genannte Veranstaltung für massive Angriffe gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der DDR zu missbrauchen.
Durch Einladungen an »gleichgesinnte Jugendliche« aus den Bezirken Halle, Erfurt, Dresden, Leipzig und der Hauptstadt der DDR, Berlin, wollten die Veranstalter eine »republikweite Ausdehnung« der Wirksamkeit dieser Veranstaltung erreichen.
In Realisierung des genannten Vorhabens wurde ein sogenannter Vorbereitungskreis der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte gebildet, der am 10. März 1982 eine Zusammenkunft durchführte. Im Mittelpunkt dieses Treffens, an dem ca. 20 Personen teilnahmen, standen die Beratung über den Stand der Vorbereitung des »Friedensgottesdienstes« und ein Vortrag zur »Plattform« des Aktionskreises »Anstiftung zum Frieden« innerhalb der Evangelischen Studentengemeinde Berlin5 durch dessen Leiter Launicke6.
Im Zusammenhang mit dem vorgesehenen »Friedensgottesdienst« wurden folgende Probleme erörtert:
Kreisjugendpfarrer Nenke7 (Jena) sollte den Gottesdienst mit Worten zum Thema einleiten. Danach wären Augenzeugenberichte aus der Nacht der Bombardierung Jenas und eine Aufstellung eines sogenannten ABC der Grausamkeiten (A = Atomtod, M = Mord, V = Völkermord usw.) vorgesehen. In einem Sprechteil sollten Zitate über Krieg und Frieden vorgetragen werden, die aus der Tagespresse der DDR (ND) und dem Lehrbuch für den Wehrunterricht bzw. aus Aussagen des Außen- bzw. Verteidigungsministers der USA entnommen werden sollten.
Willkürlich aus dem Zusammenhang herausgerissen, sollten durch diese Zitate die Friedensbemühungen und Abrüstungsinitiativen der UdSSR und anderer sozialistischer Länder negiert und verleumdet werden.
Ein folgendes Friedensgebet »Gedanken zum Frieden« sollte u. a. solche Probleme enthalten:
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Erst wenn jeder den Kriegsdienst verweigert, ist der erste und einzige Schritt zum Frieden getan.
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An ein Gleichgewicht des Schreckens glauben wir nicht.
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Niemand kann und darf gezwungen werden, einer Einberufungsorder zu folgen, man kann auch zu Hause bleiben.
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Es müssen aktive und wirksame Formen des gewaltlosen Widerstandes gefunden werden.
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Unsere Kraft wird im ewigen Theoretisieren verpufft.
In der anschließend vorgesehenen Meditation zum »Friedensgottesdienst« sollte Folgendes zum Ausdruck gebracht werden:
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Gebt dem Frieden eine Chance, wir brauchen keine Politiker, die von Friedenswaffen reden und aufrüsten und vom Gleichgewicht des Schreckens sprechen.
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Der 37-jährige Waffenstillstand muss überwunden, der Frieden endgültig gesichert werden.
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Ich habe Kinder – ich habe Angst vor unfriedlichen Zeiten. Friedliche Menschen werden zu Mördern, weil sie [sich] schützen müssen vor der Gier des Feindes.
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Frieden mit Gott und Frieden auf Erden sind nicht dasselbe. Mein Ziel ist auf den Frieden ausgerichtet, ich habe Heimweh nach Freiheit, das ist der eigentliche Frieden – eine Wahl zwischen Frieden einerseits und Menschenrechten und Freiheit andererseits kann ich nicht akzeptieren.
Frieden ist nicht mit Macht zu erreichen, er hat seinen Ursprung in unserem Herzen.
Nach der Diskussion über die inhaltliche Gestaltung des »Friedensgottesdienstes« unterbreitete Launicke im Namen des Aktionskreises »Anstiftung zum Frieden« der Evangelischen Studentengemeinde Berlin folgende, internen Hinweisen zufolge nach Meinung des Studentenpfarrers Dorsch8 (Jena) wegen ihres negativen Inhalts als nicht im Sinne der eigentlichen »ESG-Arbeit« liegende Probleme:
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Unsere Antwort auf das internationale Wettrüsten ist und wird der aktive Pazifismus sein.
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Als »Friedenskreise« sehen wir unsere Aufgabe darin, einen Bewusstseinsprozess zu fördern über Fragen wie Krieg, Frieden, Militarismus und angrenzende Probleme.
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Einen Schwerpunkt bildet der »Soziale Friedensdienst«9 als vertrauensbildende Maßnahme und Friedenszeichen in der Gesellschaft.
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Wir treten dafür ein, dass jegliche Ausbildung, unabhängig von Bereitschaftserklärungen zum Reserveoffiziersanwärter, von Beteiligungen an Zivilverteidigungsübungen oder der vormilitärischen Ausbildung, möglich ist.10
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Wir wollen aufklären über Grenzen der Zivilverteidigung (Pugwash-Konferenz11) und treten dafür ein, dass der Katastrophenschutz von der Zivilverteidigung getrennt wird.
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Wir appellieren an die Regierung der DDR, sich dem Beispiel der schwedischen Regierung anzuschließen und auf Herstellung, Vertrieb, Import und Export von Spielzeug mit militärischem Charakter12 zu verzichten.
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Wir setzen uns ein für die Durchführung eines Faches »Friedens- und Sozialkunde«, anstelle des Faches »Wehrkunde«.
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Wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, dass die »Friedenskreise« der DDR für alle offen sind und ihre Initiativen untereinander abgestimmt werden.
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Zusammenführung aller dieser »Friedenskreis-Gruppen« zu einer einheitlichen Friedensbewegung unter Leitung des Pfarrers Tschiche13 (Magdeburg).14
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Ideologische Zustimmung zum »Berliner Appell«15 des Pfarrers Eppelmann16 unter Ablehnung der organisatorischen Form.
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Abgestimmte langfristig vorbereitete Auseinandersetzung mit dem Staat, mit der Taktik der Vortäuschung konformer Aktivitäten.
Launicke teilte mit, dass seitens des Aktionskreises »Anstiftung zum Frieden« ein Brief entworfen wurde, der an den Präsidenten der USA gerichtet sei (Abschrift als Anlage). Eine Kopie dieses Briefes solle an das ZK der SED und an das »Neue Deutschland« verschickt werden.
Eine Kopie dieses Briefes legte Launicke während der Zusammenkunft am 10. März 1982 aus. Circa 15 Teilnehmer unterzeichneten dieses Schriftstück.
Durch die zuständigen staatlichen Organe wurden unverzüglich geeignete Maßnahmen eingeleitet, um den politischen Missbrauch des geplanten »Friedensgottesdienstes« am 19. März 1982 u. a. derartiger Veranstaltungen durch Kräfte der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte zu verhindern.
Im Ergebnis dieser Maßnahmen, einschließlich des Gesprächs des Stellvertreters des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Gera für Inneres mit dem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Dr. Leich,17 hat Landesbischof Dr. Leich auf dem Superintendentenkonvent am 15./16. März 1982 in Eisenach ein eindeutiges Verbot dieser Veranstaltung ausgesprochen. (Seine Argumente und Weisungen sind im Vergleich zu zurückliegenden Entscheidungen als eindeutiger und klarer einzuschätzen.)
Den Initiatoren des geplanten »Friedensgottesdienstes« wurde die Entscheidung von Landesbischof Dr. Leich auf einer weitergehenden Zusammenkunft zur Vorbereitung ihres Vorhabens am 16. März 1982 durch Superintendent Siebert18 (Jena) mitgeteilt.
Siebert begründete das Verbot damit, dass die Vorbereitungen einen politischen Missbrauch kirchlichen Anliegens erkennen lassen. Er forderte die Initiatoren und Organisatoren auf, bereits ausgesprochene Einladungen rückgängig zu machen und empfahl, mit Personen, die trotzdem zum genannten Zeitpunkt anreisen, eine »unverfängliche Wanderung« durchzuführen. Ferner sprach er ein Verbot aus, während dieser Zeit Veranstaltungen in den Räumen der »Jungen Gemeinde« Jena-Stadtmitte durchzuführen.
Siebert schlug vor, zu einem späteren Zeitpunkt und nach qualifizierter Vorbereitung einen »Friedensgottesdienst mit christlichem Bekenntnis« durchzuführen.
Dem MfS vorliegenden internen Hinweisen zufolge ist keine erkennbare Absicht der Organisatoren des geplanten »Friedensgottesdienstes« vorhanden, das ihnen erteilte Verbot der Durchführung dieser Veranstaltung zu durchbrechen.
Durch das MfS wurden weitere geeignete Maßnahmen eingeleitet, um solche Aktivitäten, die sich gegen diesbezüglich erteilte staatliche Auflagen und innerkirchliche Festlegungen richten, rechtzeitig zu erkennen, unter Kontrolle zu halten und zu verhindern.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 133/82
Inhalt des Briefes an Reagan19 | »Offener Brief«
Wir der Aktionskreis, »Anstiftung zum Frieden« der Evangelischen Studentengemeinde Berlin, Hauptstadt der DDR, der u. a. für die sofortige schrittweise Abrüstung ohne geforderte Gegenleistung beider Machtblöcke eintritt, wendet sich energisch gegen Ihre Vermessenheit, in der Welt als Richter über Recht und Unrecht aufzutreten.
Sie sind unglaubwürdig, wenn Sie unter den Vorwand der Verletzung der Menschenrechte in der VR Polen20 mit Erpressung drohen, während Sie den Mord Zehntausender Menschen in El Salvador finanzieren und deren Mörder ausbilden.21
Sie sind unglaubwürdig, wenn Sie andere Staaten der Verletzung des Völkerrechtes anklagen, aber meinen, entscheiden zu können, welches Volk aufgrund angeblich unamerikanischer Interessen eine Gesellschaft nicht nach seinen Willen errichten darf.
Sie sind unglaubwürdig, wenn Sie gegen Militärgewalt in den sozialistischen Staaten vorgehen wollen, aber gleichzeitig die stärkste Stütze der Militärdiktatur in der Türkei22 sind, unter deren Opfern sich übrigens auch Gewerkschaften befinden.
Je mehr Sie Ihren gelenkten Terror in der Welt forcieren, wird der Name Ihres Landes immer mehr zum Symbol der Heuchelei und Unterdrückung für uns Christen.
Wir fordern:
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Einstellung der Militärhilfe und Ausbildung von salvadorianischen Truppen,
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Abzug der Militärberater aus El Salvador,
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Keine Invasionsdrohungen.