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Aspekte zur Beisetzung von Robert Havemann

19. April 1982
Information Nr. 191/82 über bedeutsame Aspekte im Zusammenhang mit der Beisetzung von Robert Havemann

Am 17.4.1982, 14.00 Uhr, wurde der am 9.4.1982 verstorbene Robert Havemann1 auf dem kommunalen Friedhof in Grünheide/Kreis Fürstenwalde beigesetzt.

Nach einer, die Trauerfeier um 14.00 Uhr einleitenden Musik hielt der Gemeindepfarrer von Grünheide Meinel, Johannes2 (45, langjährige enge Verbindung Havemanns) – in der Tür der Friedhofskapelle stehend und den davor versammelten Teilnehmern der Beisetzung zugewandt – eine ca. 40 Minuten dauernde Trauerrede.

Meinel betonte eingangs, seine Ansprache habe ursprünglich über Lautsprecher übertragen werden sollen; dies sei jedoch nicht gestattet worden.

Seine Rede kann inhaltlich als zurückhaltend bewertet werden, wobei dem Wirken Havemanns, insbesondere während der Zeit des Faschismus, breiter Raum gewidmet wurde. Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung wurden »in verdeckter Form, vor allem als Meditation zum Prinzip Hoffnung«, vorgetragen.3

(Eine Kurzfassung des Inhalts der von Pfarrer Meinel vorgetragenen Trauerrede wird in der Anlage 1 beigefügt.)

In diesem Zusammenhang ist Folgendes bemerkenswert:

Während der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg (16.–20.4.1982) trat am 17.4.1982, 12.30 Uhr, Konsistorialpräsident Stolpe4/Berlin an die an der Synode offiziell teilnehmenden staatlichen Vertreter (Sektorenleiter für Kirchenfragen beim Magistrat Berlin und Sekretär des Rates des Bezirkes Frankfurt/O.) heran und teilte mit, dass auf der »weltlichen« Beerdigung des Robert Havemann der Pfarrer der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Meinel, sprechen werde. Pfarrer Meinel habe vom evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg die Auflage erhalten, seine Rede dem evangelischen Konsistorium vorzulegen, was erfolgt sei. Vom Konsistorium seien Propst Winter5 und Konsistorialrätin Cynkiewicz6 beauftragt, das Auftreten von Pfarrer Meinel in Grünheide zu kontrollieren.7 (Beide Personen wurden als Teilnehmer an der Beisetzung festgestellt.)

Direkt an der Grabstätte Havemanns sprach Meinel nochmals kurz – ca. eine Minute – auf Havemann persönlich bezogene Worte.

Danach ergriff der Jugendpfarrer Eppelmann8/Berlin-Friedrichshain kurz das Wort und führte wörtlich aus:

»Haben wir begriffen, dass das, was Robert, Havemann wollte, weiterleben kann? Sind wir bereit, mit der gleichen Entschiedenheit, mit der gleichen Opferbereitschaft, mit der gleichen Kraft der Versöhnung, mit der er dauernd bemüht gewesen ist, uns für Frieden und Verständigung einzusetzen, wie wir Menschen das bisher getan haben, um Kriege zu gewinnen?«9

Unmittelbar an der Beisetzung Havemanns nahmen ca. 250 Personen teil – entgegen der tendenziösen Meldung in westlichen Massenmedien, die eine Zahl von 500 Teilnehmern verbreiteten. Dabei handelt es sich um alle engen Familienangehörigen Havemanns, einschließlich der in der BRD und WB wohnhaften, um Verwandte und enge Bekannte Havemanns, Mitglieder der »Jungen Gemeinde« aus umliegenden Orten, Einwohner von Grünheide sowie weitere Personen aus der BRD und Westberlin, denen die Einreise gestattet wurde.

(In der Anlage 2 wird eine Übersicht über die offiziell an der Beisetzung Havemanns teilnehmenden Personen aus der BRD und Westberlin beigefügt.)

Die aus der BRD und WB angereisten Personen legten Blumen an der Grabstätte nieder; Peter Brandt10 erhob dabei die Faust zum Gruß. Sie traten nicht feindlich-negativ in Erscheinung.

Von ca. zehn an der Beisetzung teilnehmenden Jugendlichen wurden im Friedhofsgelände Anstecker/Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«11 offen getragen. In allen Fällen waren diese vorher von ihnen in der Kleidung verborgen worden, sodass sie beim Betreten des Friedhofsgeländes äußerlich nicht erkennbar waren.

Unter den Trauergästen befanden sich

  • Heym, Stefan12

  • Wüste-Heym, Inge13

  • Schlesinger, Klaus14

  • Wegner, Bettina15

  • Berger, Götz16 (ehemaliger Rechtsanwalt),

die nicht feindlich-negativ in Erscheinung traten.

Außer den angegebenen ca. 250 Teilnehmern an der Beisetzung hielten sich auf dem Friedhofsgelände und in der näheren Umgebung zum Zeitpunkt der Trauerfeier weitere Personen auf, die jedoch entsprechend den Feststellungen nicht zur Beisetzung angereist waren. Es handelt sich dabei um Spaziergänger und »Schaulustige«, die in Grünheide wohnhaft sind oder dort Wochenendgrundstücke besitzen.

Nach Beendigung des Zeremoniells an der Grabstätte verließen alle Personen diszipliniert den Friedhof. Der engste Familienkreis Havemanns begab sich unmittelbar danach für ca. eine Stunde in die Wohnung des Pfarrers Meinel, wo ein Imbiss stattfand. Nach Feststellungen trugen die dort geführten Gespräche ausschließlich familiären Charakter.

Aus der BRD und Westberlin waren 14 Publikationsorgane bzw. Nachrichtenagenturen vertreten, deren Vertreter sich teilweise bereits eine Stunde vor Beginn der Beisetzung auf dem Friedhofsgelände in Grünheide aufhielten.

Sie sprachen vor, während und unmittelbar nach der Trauerfeier auf Tonband eigene Kommentare und fertigten Aufnahmen im Rahmen vorliegender Genehmigungen. Nach Feststellungen wurden von ihnen keine Befragungen von Personen während dieser Zeit durchgeführt.

(In der Anlage 3 wird eine Übersicht über die während der Beisetzung Havemanns aus der BRD und WB vertretenen Publikationsorgane beigefügt.)

Zur vorbeugenden Verhinderung von Provokationen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdenden Handlungen wurden durch Sicherheitsorgane für die Zeit der Beisetzung am 17.4.1982 insgesamt 23 bekannte feindlich-negativ eingestellte DDR-Bürger vorbeugend zugeführt und zu verschiedenen Sachverhalten gehört.

Weitere sechs Personen wurden nach erfolgter Kontrolle an Zufahrtsstraßen nach Grünheide aus sicherheitspolitischen Erwägungen, wegen fehlenden erforderlichen Ausweispapieren, im Rahmen von Fahndungsfeststellungen u. a. zurückgewiesen.

Am 17.4.1982, gegen 15.00 Uhr wurden im Raum Erkner/Grünheide zwei ausländische Bürger im Rahmen der Kontrollhandlungen festgestellt, die versuchten, ohne gültige Einreisepapiere mit einem Taxi nach Grünheide zu gelangen. Dabei handelt es sich um Gimbernat, Enrique17 (44), wohnhaft: Madrid, Universitätsprofessor an der Aluale DE, MENARES/Madrid, und Caselis, Georges18 (65), wohnhaft: Antony/Frankreich, Professor der Theologie, Universität Paris.

Da die Beisetzung schon beendet war, wurden sie entsprechend der bestehenden Ordnung zurückgewiesen.

Darüber hinaus wurde der BRD-Bürger Beckmann, Lukas19 (32), nach eigenen Angaben Bundesgeschäftsführer der Bundesgeschäftsstelle »Die Grünen« bei der Ausreise auf Tagesaufenthaltsgenehmigung am 17.4.1982, 18.50 Uhr über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße festgestellt, der angab, er habe auch ohne Genehmigung der Beisetzung Havemanns beiwohnen wollen.

An der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße wurden am 17.4.1982 drei Blumengebinde mit Schleifen niedergelegt, die zu gegebener Zeit von den DDR-Kontrollkräften entfernt wurden.

Die Ausreise der offiziell zur Beisetzung Havemanns eingereisten Personen aus der BRD und Westberlin erfolgte in der Zeit von 18.30 bis 23.40 Uhr mit Ausnahme von Havemann, Sibylle20 und ihrem Freund Wambach,21 die im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung bis 20.4.1982 sind und sich noch in Grünheide aufhalten.

In Grünheide kam es bisher vor, während und nach der Beisetzung Havemanns zu keinen feindlich-negativen öffentlichkeitswirksamen Handlungen; es wurden keine Plakate, Transparente o. Ä. festgestellt.

Am 17.4.1982 wurde in einem Fenster im Erdgeschoss des Wohnhauses Berlin-Lichtenberg, Alfred-Kowalke-Straße 10, ein aus Karton und schwarzer Tusche selbstgefertigtes Plakat (Größe 60 × 100 cm) mit dem Text: »Wir trauern um unseren Robert Havemann« festgestellt. Die sofortige Entfernung wurde veranlasst. Die Wohnungsinhaber [Name 1, Vorname 1] (45), zzt. ohne Arbeitsrechtsverhältnis, und [Name 1, Vorname 2] (39), Näherin im VEB Fortschritt Berlin, kennen Havemann nicht persönlich und hatten keinerlei Verbindung zu seinem Umgangskreis. Sie haben eine verfestigte negative Haltung zur DDR und wollten durch ihre Handlung ihren mehrfachen rechtswidrigen Ersuchen auf Übersiedlung in die BRD Nachdruck verleihen. Beide Personen wurden verwarnt und werden weiter bearbeitet.

Anlage 1 zur Information Nr. 191/82

Kurzfassung des Inhalts der Trauerrede von Pfarrer Meinel in der Friedhofskapelle des Waldfriedhofs Grünheide

Meinel ging in seiner Trauerrede davon aus, dass, wenn einer den Willen zum Leben, zum Überleben aufgebracht habe, dann Robert Havemann.

Solange wir die Kraft hätten, den Lauf der Dinge zu ändern, dürften wir die Hoffnung nicht aufgeben.

Meinel würdigte ausführlich den Lebenslauf des Verstorbenen, beginnend mit dem Elternhaus und unter Hinweis auf dessen außergewöhnliche Intelligenz und phänomenales Gedächtnis. Bereits mit 22 Jahren habe er seine Doktorarbeit vorgelegt. Es habe dann noch viele Jahre gedauert, bis er anfing, sich politischen Zusammenhängen mit gleicher Sachlichkeit zuzuwenden, wie der Wissenschaft. Vor allem der aufkommende Antisemitismus habe seine menschlichen und persönlichen Beziehungen im Sinne einer politischen Orientierung geprägt. Bald sei er ein leidenschaftlicher, politisch interessierter Mensch geworden, der der KPD beitrat, in der er die entschlossenste Kraft im Kampf gegen Hitler sah.

Er habe auch im Widerstandskampf für die Vereinigung von KPD und SPD gewirkt und sei 1943 verhaftet worden. In der Urteilsbegründung des Volksgerichtshofes sei wörtlich ausgeführt worden, dass Havemann Beziehungen zu illegalen politischen Gruppen ausländischer Arbeiter unterhalten, Flugblätter hergestellt und verbreitet und Juden Hilfe geleistet habe. Er habe an der Sicherheit des Reiches gerüttelt, werde für immer ehrlos sein und mit dem Tode bestraft.

Hieran schloss die Frage an: »Hat man ihn für immer entehrt?« Havemann habe mit einem hohen persönlichen Aufgebot an Kraft vermocht, dem Fallbeil zu widerstehen, den Kopf oben behalten, obwohl er nicht gewusst habe, wie lange noch. Angeblich kriegswichtige Forschungen hätten einen Exekutionsaufschub zunächst für ein halbes Jahr erwirkt, das Leben als Zugabe.

Trotzdem habe er anderen Mithäftlingen Informationen über den Frontverlauf zukommen lassen und geholfen, geplante Exekutionen zu verhindern.

Unser heutiges gesamtes Leben hätten wir jenen Opfern zu verdanken. Wir kämen aus dieser Dankesschuld nicht los. Einer lebe von den anderen und für den anderen. Sowjetische Soldaten hätten die Gittertüren aufgeschlossen und alle freigelassen. Havemann sei entschlossen gewesen, alles zu tun und zu unterstützen, was von denjenigen ausging, die ihm das Leben gerettet hätten.

1945 begann für ihn sein zweites Leben. Es habe für ihn keinen Zweifel gegeben, dass der Fortschritt auf unserer Seite, im Osten sei. Obgleich er zunächst in Westberlin gearbeitet hätte (1950 wegen Agitation gegen die Wasserstoffbombe gefeuert), habe er 1950 seine Berufung als Direktor des Physikalischen Instituts der Humboldt-Universität erhalten. Er habe von 1950 bis 1963, ideologisch fundiert und fachlich autorisiert, das Leben eines Genossen geführt, der ganz bei der Sache gewesen sei.

Aus der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus hätten sich für ihn Fragen ergeben, die den Glauben an den Staat betreffen, ob man »Widerstand gegen den Staat leisten müsse, um den Staat gegen den Staat zu verteidigen«. Er habe diese Fragen nicht länger für sich behalten, zumal Rosa Luxemburg22 Freiheit und Demokratie als Wesenseigenschaften des Sozialismus erkannt habe.

Der XX. Parteitag der KPdSU23 sei ein Schlüsselerlebnis für Havemann geworden. »Ungeheuerlichkeiten als Fehler zu entschuldigen«, habe »Kritik am Sozialismus« unumgänglich gemacht, verbunden mit der schmerzlichen Erkenntnis, sich selbst und seine Partei für kritikwürdig zu halten und »für Veränderungen fähig zu glauben«.

Havemann sei folgerichtig den naturwissenschaftlichen Aspekten philosophischer Probleme nachgegangen, habe sich nicht länger bevormunden lassen und sei »anderen im Gespräch und in der Aktion Partner« gewesen.

Abschließend meditierte Meinel über »die Hoffnung als Prinzip menschlichen Geistes«. Es sei das Wesen des Begriffes Hoffnung, dass wir, wenn wir aufhören zu hoffen, den Kampf für das Bessere aufgeben würden. Hoffnung brauche einen konkreten Inhalt und lebe davon, wenn gleich sie auch immer Utopie sei. Aber durch die Hoffnung existiere in unseren Gedanken schon eine Welt, in der »die Unmenschlichkeit unserer Welt« aufgehoben werde. Das helfe in der Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben.

Abschließend dankte Meinel Robert Havemann für seine freundschaftlichen Gedanken und die von ihm ausgehende »Ermutigung«.

Anlage 2 zur Information Nr. 191/82

Übersicht über die offiziellen Teilnehmer an der Beisetzung Robert Havemanns aus der BRD und Westberlin

  • Dr. Duve, Freimut (45), wohnhaft: BRD, SPD-Bundestagsabgeordneter

  • Dr. Brandt, Peter (33), wohnhaft: Westberlin, Sohn des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt Historiker, FU Westberlin

  • Wendt, Michael (26), wohnhaft: Westberlin, Abgeordneter, Vertreter der »Alternativen Liste«

  • Schmidt, Klaus-Jürgen (48), wohnhaft: Westberlin, Abgeordneter, Vertreter der »Alternativen Liste«

  • Havemann, Florian (30), wohnhaft: Westberlin, 1971 die DDR ungesetzlich verlassen, Sohn Havemanns, freischaffender Künstler/Bühnenbildner

  • [Name 2, Vorname] (24), wohnhaft: Westberlin, Freundin von Florian Havemann

  • Havemann, Sibylle (27), wohnhaft: BRD, Tochter von Havemann, nicht berufstätig

  • Wambach, Bernhard (36), wohnhaft: BRD, Freund der Sibylle Havemann, Musiker

  • Havemann, Günther (39), wohnhaft: Westberlin, Verwandter von Havemann

  • Havemann, geb. Borgmeier, Rita (36), wohnhaft: Westberlin, Ehefrau des Havemann, Günther

Anlage 3 zur Information Nr. 191/82

Übersicht über während der Beisetzung Robert Havemanns vertretene ausländische Publikationsorgane bzw. Nachrichtenagenturen

  • Holtz, ZDF und Team (drei Personen)

  • Bethke, ARD-Hörfunk- und Fernsehteam (drei Personen)

  • Jennerjahn, »Deutsche Presse-Agentur«/DPA

  • Giehr, DPA-Foto

  • Millar, »Reuters« und eine weibliche Person

  • Waha, »Associated Press«/AP

  • Reichert, AP-Foto

  • Kämpgen, »Westdeutsche Allgemeine Zeitung«/WAZ

  • Nöldechen, »Westfälische Rundschau«/WR

  • Lölhöffel, »Süddeutsche Zeitung« und drei Personen

  • Menge, »Die Zeit«

  • Bub, »Stern«

  • Schmitt, »Stern«-Fotograf

  • Franke, »Agence France Press«/AFP

  • Winnington, »Morning Star« und zwei männliche Personen

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    21. April 1982
    Information Nr. 205/82 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 12. April 1982 bis 18. April 1982

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    19. April 1982
    Information Nr. 190/82 über die III. Europäische Ökumenische Jugendkonferenz