Aufenthalt von William Graham in der DDR
26. Oktober 1982
Information Nr. 546/82 über einige Gesichtspunkte des Aufenthaltes des Evangelisten Dr. William Graham (Billy), USA, vom 14. bis 25.10.1982 in der DDR
In der Zeit vom 14.10.1982 bis 25.10.1982 hielt sich der amerikanische Evangelist, Dr. William Graham,1 mit Mitarbeitern seines »Evangelistenstabes« und einem Fernsehteam der »Billy Graham Evangelistic Association«2 (insgesamt 17 Personen aus den USA) in der DDR auf.
Sein Aufenthalt in der DDR erfolgte auf Einladung des Bundes der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinden in der DDR in Abstimmung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR.
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen hielten sich Dr. Graham und die Mitarbeiter seines Stabes während der Dauer des Aufenthaltes in der DDR korrekt an die staatlichen Festlegungen und Vereinbarungen. Das Besuchsprogramm verlief planmäßig und ohne politisch-negative Vorkommnisse.
Nach eigenen Angaben verfolgte Dr. Graham die Absicht, mit seinem Aufenthalt in der DDR das Leben und Wirken der Kirchen und Christen in der DDR kennenzulernen und das Evangelium zu predigen. Dafür hatte er um bestmöglichste Bedingungen und einen störungsfreien Verlauf seiner Reise gebeten.
Dr. Graham und seine Mitarbeiter traten in insgesamt zehn Evangelisationsveranstaltungen auf, an denen ca. 16 000 Besucher teilnahmen. Der Anteil Jugendlicher an diesen Veranstaltungen lag zwischen 30 und 50 Prozent. Darüber hinaus hatte Dr. Graham zahlreiche Begegnungen mit maßgeblichen Vertretern des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens der DDR sowie mit kirchlichen Amtsträgern.
Weiteren Feststellungen zufolge zeigte sich Dr. Graham außerordentlich interessiert am Leben der Christen in der sozialistischen Gesellschaft und an Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.
Offiziell und intern äußerte sich Dr. Graham wiederholt und übereinstimmend zu seinen Eindrücken und Ergebnissen des Besuches, wobei er seinen Aufenthalt in der DDR als wertvoll und erfolgreich einschätzte.
Die von ihm gehegten Erwartungen seien »mehr als erfüllt« worden. Sein DDR-Bild hätte er völlig revidieren müssen.
In Übereinstimmung mit dieser Einschätzung trat Dr. Graham zu den unterschiedlichsten Anlässen mit positiven Aussagen zum Leben in der DDR, zu kirchlichen Arbeitsmöglichkeiten und besonders zu Fragen des Kampfes um die Erhaltung des Friedens auf.
Er wandte sich gegen das Wettrüsten und gegen die atomare Bedrohung. Er betonte u. a., er sei kein Pazifist und wäre der Überzeugung, dass nur durch eine schrittweise kontrollierte Abrüstung die Kriegsgefahr beseitigt werden könnte.
Intern brachte Dr. Graham seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die sozialistischen Länder gegenüber den Christen sehr tolerant wären, wenn diese für das bestehende System keine Gefahr bedeuten. Öffentlich bezog Dr. Graham während seiner Predigt in der Kreuzkirche Dresden Stellung dahingehend, dass man aus der Bibel keine Opposition gegen die Friedenspolitik der DDR ableiten dürfe und könne.
Dr. Graham schätzte nach weiter intern vorliegenden Hinweisen ein, dass im Ergebnis einer z. T. falschen und überbetonten Interpretation der Bibel durch viele kirchliche Amtsträger in der DDR weniger Christen in die Kirchen gingen als in anderen Ländern. Die Kirche maße sich in ihrem Wirken eine politische Rolle an, die ihr nicht zustehe.
In diesem Zusammenhang differenzierte Dr. Graham im internen Kreise auch das Verhalten evangelischer Bischöfe zum sozialistischen Staat und gegenüber seiner Person.
Die Bischöfe Gienke,3 Greifswald, und Wollstadt,4 Görlitz, akzeptiere er, weil aus ihrem Verhalten Bezugspunkte zu seiner eigenen Meinung zu erkennen seien, während er Bischof Forck,5 Berlin, ganz ablehne und Bischof Krusche,6 Magdeburg, bis zu einem gewissen Grade.
Der Verlauf des Aufenthaltes von Dr. Graham und sein politisch positives Auftreten hat nach internen Erkenntnissen Einfluss auf den weiteren Differenzierungsprozess innerhalb der evangelischen Kirchen in der DDR. Bereits in Vorbereitung des Besuches von Dr. Graham äußerten sich einige Bischofe der evangelischen Kirchen in der DDR skeptisch und ablehnend zum vorgesehenen Aufenthalt Grahams, wobei sie zum Ausdruck brachten, dass sie seine Art und Weise der Evangelisation ablehnen.
Diese Bischöfe betonten, es sei zu erwarten, dass Graham in der DDR eine ähnliche Haltung einnehmen würde wie während der Weltkonferenz religiöser Friedenskräfte im Mai 1982 in Moskau.7 Deshalb waren sie offensichtlich an einer breiten Öffentlichkeitswirksamkeit und Einflussnahme Dr. Grahams auf das kirchliche Leben in der DDR nicht interessiert.
Es kann eingeschätzt werden, dass vorhandene Erwartungen negativer kirchlicher Kräfte, wonach sich Dr. Graham zum Fürsprecher gegen den sozialistischen Staat gerichteter Forderungen machen würde, nicht erfüllt wurden. Das positive Verhalten Grahams gegenüber staatlichen Vertretern der DDR mussten leitende kirchliche Personen stattdessen als Kritik hinsichtlich ihres eigenen Auftretens besonders in den letzten Monaten empfinden. Die Verärgerung darüber zeigte sich u. a. in solchen Reaktionen wie in der von Bischof Forck, Berlin, der intern zum Ausdruck brachte, dass er »in keiner Weise vom Besuch Grahams begeistert« sei. Er betonte auch, die Bischöfe der evangelischen Landeskirchen hätten es »mit einer gewissen Dankbarkeit« gegenüber dem Staat registriert, dass keine großen öffentlichen Gebäude für die Veranstaltungen Grahams zur Verfügung gestellt wurden.
Bischof Forck erschien nicht zu einer Begegnung zwischen Dr. Graham und Vertretern der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.
Auch bei anderen Gelegenheiten brachten einzelne kirchliche Vertreter Dr. Graham gegenüber, z. T. in ironischen Bemerkungen, ihre ablehnende Haltung zu seinem Auftreten in der DDR zum Ausdruck.
Andererseits wurde Dr. Graham auch mehrfach von leitenden kirchlichen Kräften in der DDR gebeten, sich nach seiner Rückkehr in die USA bei seiner Regierung für eine Einstellung deren Konfrontationskurses einzusetzen.
Dr. Graham wertete dies als Ausdruck des Friedenswillens der DDR-Bürger und versprach, darüber bei der USA-Regierung zu berichten.
Unter Gläubigen und vielen kirchlichen Amtsträgern in der DDR hatte der Besuch Dr. Grahams vorerst große Resonanz gefunden, was an den hohen Teilnehmerzahlen zu seinen Veranstaltungen deutlich wurde. Ihre Erwartungen wurden jedoch nicht in vollem Maße erfüllt, da die theologischen Ausführungen Grahams für DDR-Bürger z. T. ungewohnt und deshalb nicht immer verständlich waren. Negative Kräfte, die kritische Bemerkungen gegenüber dem Staat erwartet hatten, sahen sich enttäuscht.
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