Außerplanmäßiger Stillstand des Blockes 1 im KKW Greifswald
[ohne Datum]
Information Nr. 658/82 über die Ergebnisse der Untersuchung aus dem am 15. November 1982 wegen des außerplanmäßigen Stillstandes des Blockes 1 im VEB Kernkraftwerk »Bruno Leuschner« Greifswald (KKW) gegen – Unbekannt – eingeleiteten Ermittlungsverfahren
Nach planmäßig durchgeführter Großinstandhaltung in der Zeit vom 10.7. bis 6.9.1982 und erfolgter Kernbrennstoffumladung wurde nach Wiederinbetriebnahme des Blockes 1 im Inhaltswasser an fünf der sechs zu diesem Block gehörenden Dampferzeugern (2. Kreislauf) am 7. und 8.9.1982 erhöhte Radioaktivität gemessen. Deshalb wurde in Übereinstimmung mit den sowjetischen Spezialisten auf der Grundlage der betrieblichen Vorschriften der Block 1 aus Sicherheitsgründen am 8.9.1982 außer Betrieb genommen. Eine nukleare Gefährdung des Personals, der Anlagen sowie der Umwelt war damit nicht gegeben.1
Die daraufhin erfolgten betrieblichen Überprüfungen ergaben, dass an 117 Nadelrohren (Siederohre) der Dampferzeuger im Bereich ihrer Halterungen Undichtigkeiten auftraten, sodass das radioaktive Wasser des 1. Kreislaufes (nuklearer Teil) in das für die Dampferzeugung benötigte Inhaltswasser des 2. Kreislaufes eingedrungen war.
Für den Ersatz der sechs Dampferzeuger des Blockes 1 im Jahre 1983 sind nicht geplante Importe aus der UdSSR in Höhe von 18 Mio. Rubel erforderlich. Darüber hinaus entstehen im Jahre 1983 durch den Schadensfall bedingt unplanmäßige Stillstandzeiten des Blockes 1, die zu einem Verlust an industrieller Warenproduktion in Höhe von 83,5 Mio. Mark führen.
Die zum Schadensfall durchgeführten Untersuchungen erbrachten als wesentliches Ergebnis:
Die Undichtigkeiten der Nadelrohre der Dampferzeuger wurden ausschließlich im Bereich ihrer Halterungen festgestellt. Sie entstanden durch Risse, die in Längsrichtung der Rohre verlaufen und ihren Ausgangspunkt in einer an dieser Stelle stattgefundenen Lochfraßkorrosion haben.
Dieser Lochfraßkorrosion und der sich daraus entwickelnden Spannungsrisskorrosion liegt als Ursache folgender Schadensmechanismus zugrunde:
Nachweisbar entstehen aufgrund der im 2. Kreislauf des KKW vorhandenen Anlagen und deren Materialzusammensetzung (unlegierter Stahl, Kupferlegierungen und austenitischer Stahl) sowie der darauf abgestimmten wasserchemischen Fahrweise im Inhaltswasser der Dampferzeuger Korrosionsprodukte. Diese führten gelöst und fein verteilt, unter den gegebenen wärmetechnischen Bedingungen zu festhaftenden Ablagerungen aus Kupfer- und Eisenverbindungen auf der Oberfläche der Nadelrohre und verstärkt im Bereich der Halterungen.
Wie nachgewiesen werden kann, bilden diese Ablagerungen infolge ihrer Struktur in Verbindung mit den Siedevorgängen an den Nadelrohroberflächen die Voraussetzung für eine Auf- oder Tiefenkonzentration für die im Inhaltswasser der Dampferzeuger anlagenbedingt vorhandenen Chloride.
Mit der Außerbetriebnahme des Blockes 1 entstanden im KKW durch Produktionsausfall bis zur Wiederinbetriebnahme des Blockes am 19./20.12.1982 Verluste an geplanter Warenproduktion von ca. 65,0 Mio. Mark.
Während die Chloridkonzentrationen in den Ablagerungen an den freien Rohrabschnitten durch das ständige Umspülen mit Inhaltswasser und das häufige Abplatzen der Ablagerungen gering sind, erreichen sie in den Halterungsbereichen der Nadelrohre durch die dort vorhandenen konstruktionsbedingten Wasserströmungsverhältnisse wesentlich höhere Werte.
Nach Einschätzung kompetenter Experten vollzieht sich der Prozess der Aufkonzentration der Chloride kumulativ und sehr langsam.
Kurzfristig überhöhte Chloridgehalte im Inhaltswasser der Dampferzeuger hatten dabei kaum Auswirkungen auf die Chloridkonzentration in den Bereichen der Halterungen. Bei Vorhandensein des Oxydationsmittels Sauerstoff führte diese Chloridaufkonzentrierung in den Ablagerungen zur Zerstörung der an der Oberfläche des austenitischen Edelstahls der Rohre vorhandenen Schutzschicht. Dabei bildeten sich unter den Halterungen der Nadelrohre elektrochemische Bedingungen aus, die die Lochfraßkorrosion ermöglichten.
Da während des Betriebes die Nadelrohre wegen Druck- und Temperaturdifferenzen zwischen der Innen- und Außenseite der Rohre mechanischen Zugspannungen ausgesetzt waren, stellte die Lochfraßkorrosion in den Bereichen der Halterungen, wie einleitend festgestellt, den Ausgangspunkt oder die Voraussetzung für die zur Undichtigkeit führende Spannungsrisskorrosion dar.
Auch wenn die gutachterlichen Untersuchungen gegenwärtig noch nicht abgeschlossen sind, kann auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse, Experimente und anderer umfangreicher Prüfungsergebnisse zusammenfassend festgestellt werden, dass folgende Haupteinflussfaktoren für die Entstehung und Ausbreitung der Korrosionsschäden nach dem geschilderten Schadensmechanismus gewirkt haben:
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Eintragungen von Korrosionsprodukten in das Speisewasser,
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konstruktiv bedingte Spalte im Bereich der Halterungen bzw. die konstruktive Ausführung der Halterungen,
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Bildung von Ablagerungen durch Korrosionsprodukte, insbesondere in den Halterungsbereichen,
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Vorhandensein von Chloriden im Dampferzeugerinhaltswasser während des Leistungsbetriebes und
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Eindringen von Sauerstoff während des Abkühl- und Stillstandregimes.
Wie die auf der Grundlage des dargestellten Schadensmechanismus, der Haupteinflussfaktoren für die Korrosionsschäden, der Ursache und der Umstände des Schadensfalles geführten Untersuchungen zeigen, gab es für bestimmte leitende Mitarbeiter des KKW seit 1976 mehrere begründete Anlässe, den Zustand der Nadelrohre der Dampferzeuger zu prüfen und daraus entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Derartige Anlässe waren u. a.:
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Am 16.11.1976 richtete der Leiter der Gruppe der sowjetischen Spezialisten im KKW, D. Tonikow,2 einen Brief mit Unterschrift des Hauptkonstrukteurs des OKB »Hydropress«3 des Staatlichen Komitees für friedliche Anwendung der Atomenergie der UdSSR,4 W. Stekolnikow,5 an den Werkdirektor Fischer6. In diesem Brief7 wurde aufgrund festgestellter Ablagerungen auf den Nadelrohren der Dampferzeuger 2 und 3 des Blockes 1 Besorgnis über die Korrosionsbeständigkeit der Rohre hervorgehoben. Er enthielt die Forderungen, in kürzester Frist Untersuchungen zur Zusammensetzung der Ablagerungen, zum Zustand der Rohre an den Stellen der Ablagerungen durchzuführen, den Ursprung und die Ursachen für die Ablagerungen zu bestimmen und Maßnahmen zu deren Beseitigung zu realisieren. Es wurde um Rückinformation zu den eingeleiteten Maßnahmen gebeten. Die Zusammenarbeit zwischen den sowjetischen Spezialisten im KKW und den Verantwortlichen des VEB KKW »B. Leuschner« wird nachweislich seit dem 25.6.1975 in ständig präzisierten Ordnungen geregelt.
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Im Technischen Jahresbericht 1976, VD PEB 1/77, des Hauptingenieurs (für alle Produktionsbereiche verbindlich) wurden u. a. Feststellungen zu den Ablagerungen auf den Rohrbündeln der Dampferzeuger der Blöcke 1 und 2 getroffen und zur Beurteilung eventuell korrosionsfördernder Ablagerungen das Schneiden von Rohrproben gefordert.
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Der Technische Jahresbericht 1980, VD KKW/TTE 6/81, sagt aus, dass am Dampferzeuger 2 des Blockes 1, an einem defekten, geborgenen Nadelrohr erstmals sekundärseitig ausgehende Spannungsrisskorrosion im Bereich der Rohrhalterung im siebenten Betriebsjahr nachgewiesen wurde. Es erfolgte die Festlegung, weitere Forschungsuntersuchungen zu führen. Im Ergebnis dieser Untersuchungen durch die Abteilung Werkstofftechnik, Bereich Forschung, wurden im Untersuchungsbericht »Schadensfall am DE-Nadelrohr DE 2 Block 1« vom 27.8.1981 folgende Schlussfolgerungen gezogen:
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»Für die Organisation des Wasserregimes ist es notwendig, den Aufbau der Beläge auf der Nadelrohrlänge, aber auch an den kritischen Einspannstellen genauer zu verfolgen. Es ist notwendig, die Belagbildung völlig zu unterbinden bzw. regelmäßig rückgängig zu machen.«
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»Für die Werkstoffprüfung ergibt sich die Notwendigkeit, regelmäßig den Schädigungsgrad der Nadelrohre zu prüfen, um Betriebsstörungen und Verfügbarkeitsausfall zu vermeiden.«
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Diese Ergebnisse erhielten der für den Dampferzeuger verantwortliche Bereich – 1. Kreislauf – sowie die Technische Kontrollorganisation (TKO).
Obwohl diese Hinweise und Tatsachen Veranlassung sein mussten, den Zustand der Dampferzeugernadelrohre gründlich zu untersuchen, wurden von keinem der leitenden Mitarbeiter des KKW wirksame Maßnahmen mit dem Ziel durchgesetzt, eventuell vorhandene Gefahren für die Gewährleistung der geplanten Verfügbarkeit der Anlage zu erkennen und abzuwenden. Damit wurde der Prozess der Erkenntnisgewinnung sowie die Bestimmung geeigneter, die Korrosion einschränkender Verfahren, um einen nach Aussagen kompetenter Fachexperten nicht exakt bestimmbaren Zeitraum (wegen fehlender Langzeituntersuchung) verzögert. Diese nicht rechtzeitige Wahrnehmung der Verantwortung wurde, wie die Untersuchungen ergaben, durch folgende Umstände begünstigt:
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völlig unzureichende Fixierung, Abgrenzung, Zuordnung und Durchsetzung der mit den jeweiligen Funktionen übertragenen Pflichten,
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mangelhafte Analyse und Kontrolle des Produktionsprozesses und daraus abzuleitende wissenschaftlich-technische Aufgabenstellungen,
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ständige Verletzung sozialistischer Leitungsprinzipien, die sich in der lückenhaften Durchsetzung und Kontrolle getroffener Festlegungen zeigen,
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Gewöhnung an Verstöße gegen bestehende Normative und betriebliche Vorschriften,
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Abwendung von den sowjetischen Erfahrungen in der Kraftwerksführung.
Die Verantwortlichkeiten für den eingetretenen Schadensfall konzentrieren sich nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchung auf folgende leitende Mitarbeiter des KKW:
Schönherr, Alexander8 geb. am [Tag, Monat] 1935, Hauptingenieur im VE Kombinat KKW »Bruno Leuschner« bis 23.11.1982.
Entsprechend dem Geschäftsverteilungsplan des KKW ist Schönherr neben einer Reihe anderer Aufgaben ausdrücklich für die Leitung des Betriebes, die Sicherung eines stabilen Dauerbetriebes, die Instandhaltung und Wartung, die Koordinierung und Kontrolle der Zusammenarbeit zwischen den betriebsführenden und instandhaltenden Bereichen des Kernkraftwerkes, die Erarbeitung und ständige Aktualisierung der Bedienungs-, Betriebs-, Wartungs- und Reinigungsvorschriften, die Vorgaben der Instandhaltungs- und die Erarbeitung der Stillstandsstrategie bei Großinstandhaltungsmaßnahmen seit 1976 verantwortlich.
Des Weiteren wurde Schönherr vom Werkdirektor die spezielle Aufgabe übertragen, die schriftlichen Hinweise und Empfehlungen der sowjetischen Spezialisten zu bearbeiten.
Trotz des Vorliegens einer die Zusammenarbeit mit den sowjetischen Spezialisten regelnden Ordnung, die Schönherr selbst verfasste und die am 18.11.1976 vom Werkdirektor bestätigt wurde, sind die schriftlichen Empfehlungen der sowjetischen Seite von Schönherr nicht ordnungsgemäß bearbeitet, beantwortet und umgesetzt worden. Dadurch war es möglich, dass auf den bereits erwähnten Brief der sowjetischen Seite vom 16.11.1976 im KKW keinerlei Reaktionen erfolgten.
Schönherr unterließ es des Weiteren, die im Technischen Jahresbericht 1976 enthaltenen Forderungen, die an den Nadelrohren festgestellten Ablagerungen durch das Entnehmen von Rohrproben untersuchen zu lassen und entsprechend seiner Verantwortung daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten.
Wie nachgewiesen werden kann, erhielt Schönherr am 10.1.1978 davon Kenntnis, dass die sowjetische Betriebsvorschrift für Dampferzeuger Nr. 180 – i – 029 im KKW vorlag. Von den ihm unterstellten Bereichen wurde er auf notwendige Änderungen der Vorschriften, die sich für mehrere Produktionsbereiche ergaben, hingewiesen.
Er unterließ es jedoch, die Bedienungs-, Betriebs-, Wartungs- und Reinigungsvorschriften der Dampferzeuger zu aktualisieren.
Im Technischen Jahresbericht 1980 wurde festgelegt, dass unter seiner Verantwortung die aufgetretene Spannungsrisskorrosion an einem Nadelrohr in einem Forschungs- und Entwicklungsthema weiterzubearbeiten ist. Nach seinen Aussagen hat er den ihm dazu übergebenen Zwischenbericht vom 12.6.1981 nicht gelesen. Dadurch wurden die im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen zur Zurückdrängung der Ablagerungen und damit zur Verhinderung von korrosionsfördernden Aufkonzentrationen nicht verwirklicht.
Glasner, Peter,9 geb. am [Tag, Monat] 1940, stellv. Hauptingenieur für Produktion bis 3.8.1979, Hauptingenieur bis 11.7.1980, Produktionsdirektor ab 10.1.1980 bis 23.11.1982.
Glasner war in seinen Funktionen durchgängig u. a. verantwortlich für die Einflussnahme auf die Erarbeitung, Begutachtung und Aktualisierung der Betriebs-, Bedienungs- und Wartungsvorschriften, die Anleitung und Kontrolle der Einhaltung von Bedienungs- und Betriebsvorschriften, die Kontrolle und Analyse der chemischen Parameter in den Betriebsanlagen, die Sicherung der umfassenden Störungserfassung und -auswertung sowie für die Befundaufnahmen und Schadensuntersuchungen.
Wie festgestellt wurde, hat Glasner seine im Geschäftsverteilungsplan 1976 enthaltenen Pflichten verletzt, indem er auf die Erarbeitung der Betriebs-, Bedienungs- und Wartungsvorschriften, insbesondere der Revisionsprogramme, auf der Grundlage der sowjetischen Herstellervorschrift Nr. 180 – i – 029 keinen Einfluss nahm. Nach eigenen Darstellungen machte er sich erst im Jahre 1982 mit dieser sowjetischen Herstellervorschrift vertraut. Als amtierender Hauptingenieur zeichnete Glasner den mehrfach erwähnten Brief vom 16.11.1976 ab, unterließ es jedoch, Termine für die Bearbeitung und Abrechnung der im Brief genannten Empfehlungen festzulegen.
Infolge seiner mangelhaften Leitungstätigkeit wurden dazu weder ein kontrollierbarer Maßnahmeplan erarbeitet, noch irgendwelche Kontrollen festgelegt.
Obwohl Glasner aus dem Technischen Jahresbericht 1980 sowie aus schriftlichen Empfehlungen, mit denen die sowjetischen Spezialisten auf Korrosionsprobleme im ersten und zweiten Kreislauf hinwiesen, Kenntnis darüber erhielt, dass im Interesse der Sicherheit und Anlagenverfügbarkeit die Nadelrohre in eine systematische Bauteilüberwachung einbezogen werden müssen, unterließ er es, entsprechende Entscheidungen durchzusetzen.
Im Jahre 1980 erhielt Glasner davon Kenntnis, dass die im Jahre 1977 erarbeitete Beiztechnologie zur Entfernung der Ablagerungen auf den Nadelrohren wegen der Abwasserprobleme nicht anwendbar ist. Aufgrund des Standpunktes des verantwortlichen Abteilungsleiters Chemie, Langecker,10 dass ein Beizen nicht erforderlich sei, verzichtete er auf die Entwicklung einer im KKW anwendbaren Beiztechnologie.
Langecker, Klaus, geb. am [Tag, Monat] 1938, Abteilungsleiter Chemie bis 1.10.1980.
Langecker ist lt. Geschäftsverteilungsplan des KKW neben anderen Aufgaben verantwortlich für die Kontrolle der chemischen Parameter in den Betriebsanlagen, die Auswertung des Untersuchungsmaterials und Erarbeitung von verfahrenstechnischen Vorschlägen zur Führung und Verbesserung des Betriebsregimes und für die Durchführung gezielter chemischer Untersuchungen zur Aufdeckung von Schwachstellen an Ausrüstungen und im chemischen Betriebsregime.
Wie durch die Untersuchung festgestellt wurde, hatte Langecker ab 1974 Kenntnis von den Ablagerungen auf den Nadelrohren und untersuchte diese in der Zeit von 1974 bis 1976 auf ihre Zusammensetzung.
Aufgrund seiner Feststellungen während der Revision der Dampferzeuger der Blöcke 1 und 2 im Jahre 1976 und im Zusammenhang mit dem Brief vom 16.11.1976 führte er anhand einer Rohrprobe Untersuchungen zur Entstehung der Ablagerungen durch.
Seine Untersuchungsergebnisse wurden in den Technischen Jahresbericht 1977 aufgenommen. Darin wird festgestellt, dass die Ablagerungen »zurzeit weder in wärmetechnischer noch in korrosionschemischer Hinsicht ein Problem darstellen.«
Langecker erklärte hierzu, dass er zur damaligen Zeit aufgrund seiner Untersuchungsergebnisse keinen Anlass sah, weitergehende Untersuchungen zu führen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlung kann Langecker nicht nachgewiesen werden, was er zu diesem Zeitpunkt für Maßnahmen zur Verzögerung des jetzt bekannten Korrosionsmechanismus entsprechend seiner Verantwortung hätte durchführen müssen. Auf der Grundlage seiner damaligen Untersuchungsergebnisse vertrat Langecker ferner die Auffassung, dass ein Abbeizen der Ablagerungen auf den Nadelrohren nicht erforderlich war. Diese Auffassung wird von ihm auch nach der heutigen Erkenntnis noch vertreten. Er begründet dies damit, dass durch das Beizen die Ablagerungen in den Halterungsbereichen der Nadelrohre nicht beseitigt und in diesem Zusammenhang dem Schadensmechanismus nicht wirksam entgegengetreten werden kann.
[Name, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1927.
[Name] war bis zum 30.9.1980 in der Funktion als Bereichsleiter 1. Kreislauf und ab 1.10.1980 als Leiter TKO lt. Geschäftsverteilungsplan des KKW u. a. verantwortlich für die Gewährleistung des stabilen Dauerbetriebes der Anlagen des 1. Kreislaufes, die Erarbeitung von bereichstypischen Dokumentationen, wie Bedienungsvorschriften und Reparaturtechnologien, die Formulierung von Aufgaben für den Forschungsplan aufgrund von technisch-ökonomischen Analysen, die Erhaltung und Verbesserung des technischen und sicherheitstechnischen Anlagenzustandes und für die Mitarbeit bei der Auswertung des Störgeschehens, insbesondere bei Werkstoffschaden.
Die bisherigen Ermittlungen ergaben, dass [Name] die sowjetische Herstellervorschrift Nr. 180 – i – 029 seit Dezember 1977 bekannt war. Er unterließ es, die in der Vorschrift enthaltenen Festlegungen zur Überwachung des Korrosionszustandes der Nadelrohre, zur Messung der Beläge und deren Beseitigung bei Überschreitung des Normwertes durchzusetzen. [Name] hat sich seine Verantwortung nicht genügend bewusst gemacht, weil er darauf vertraute, dass die chemischen und werkstofftechnischen Untersuchungen durch andere Abteilungen selbstständig realisiert werden.
Aufgrund der in den Jahren 1978 und 1979 festgestellten geringen Ablagerungen auf den Nadelrohren verzichtete [Name] in Abstimmung mit Langecker bis 1980 auf die Vorbereitung und Durchführung der Beizung.
Die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen zu den Verantwortlichkeiten und Pflichtenlagen einer Vielzahl weiterer Mitarbeiter des KKW aus verschiedenen Betriebsebenen lassen zwar umfangreiche Verletzungen betrieblicher Vorschriften, Normative und Weisungen erkennen, die jedoch nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Schadensfall stehen.
So sind beispielsweise die seit Inbetriebnahme des Blockes 1 im Jahre 1973 erfolgten 38 Überschreitungen der Chloridnormwerte im Inhaltswasser der Dampferzeuger nicht die Ursache für den festgestellten Korrosionsmechanismus.
In diesem Zusammenhang kann nachgewiesen werden, dass von den elf in der Zeit vom 1.10.1978 bis September 1982 aufgetretenen Überschreitungen des Chloridnormwertes neun anlagenbedingte Ursachen hatten und vom Bedienungspersonal nicht vermieden werden konnten. Bei zwei Normwertüberschreitungen lag Fehlverhalten verschiedener Personen vor.
Zu diesen Normwertüberschreitungen wird durch Sachverständige dargelegt, dass die kurzzeitig erhöhten Chloridkonzentrationen kaum Einfluss auf die Chloridanreicherung in den Ablagerungen unter den Halterungen haben und kein kausaler Zusammenhang zwischen den eingetretenen kurzfristigen Chloridnormwertüberschreitungen und der festgestellten Lochfraßkorrosion besteht.
Die im Bericht dargestellten Ergebnisse zur Ursache und den Umständen des eingetretenen Schadensfalles sowie die dazu festgestellten Verantwortlichkeiten und Pflichtverletzungen lassen gegenwärtig keinen zweifelsfreien Nachweis strafrechtlich relevanter Handlungen zu.
So sind die tatbestandsmäßigen Anforderungen des § 167 StGB der vorsätzlichen Verletzung von Pflichten und der fahrlässigen Herbeiführung eines damit im kausalen Zusammenhang stehenden bedeutenden wirtschaftlichen Schadens11 mit den jetzt vorliegenden Beweismitteln nicht erfüllt.
Es können gegenwärtig keine eindeutigen Aussagen darüber gemacht werden, welche Maßnahmen auf der Grundlage der für einzelne Personen bestehenden Pflichten hätten getroffen werden müssen und entsprechend den objektiv gegebenen Bedingungen auch veranlasst werden konnten, um das Wirken der Korrosion zu einem genau zu bestimmenden Zeitpunkt einzuschränken bzw. zu unterbinden.
Darüber hinaus kann zurzeit noch nicht eingeschätzt werden, ob bestimmte von Experten als notwendig angesehene Maßnahmen zur Verzögerung des Korrosionsprozesses die beabsichtigte Wirkung erzielen und um welchen Zeitraum der Schadenseintritt bei pflichtgemäßem Verhalten bestimmter verantwortlicher Personen hinausgeschoben worden wäre. Gegenwärtig fehlt auch der Nachweis, dass für diese Maßnahmen die materiellen, wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Voraussetzungen gegeben waren.
Beispielsweise ist gegenwärtig noch unklar, wie eine systematische Bauteilüberwachung der Nadelrohre der Dampferzeuger bei Fehlen zerstörungsfreier Prüfmethoden zu gewährleisten ist und ob bei Anwendung zerstörender Prüfmethoden, wie das Herausschneiden von Rohren, repräsentative Aussagen getroffen werden können. Dieses Problem hat insofern Bedeutung, da es die Frage beantworten würde, ob bei über 77 000 Halterungspunkten, die in einem Dampferzeuger bevorzugte Stellen für den Korrosionsmechanismus darstellen, die bei der Wiederinbetriebnahme des Blockes 1 im September 1982 in Erscheinung getretenen 117 Undichtigkeiten an fünf Dampferzeugern rechtzeitig feststellbar waren.