Beabsichtigte Veröffentlichung des »Berliner Appells«
4. Februar 1982
Information Nr. 68/82 über weitere Aktivitäten zur Veröffentlichung eines sogenannten Berliner Appells von Havemann und Pfarrer Eppelmann in westlichen Medien
In Ergänzung bereits genannter Fakten über die beabsichtigte Veröffentlichung eines »Berliner Appells Welt ohne Waffen«1 von Robert Havemann2 und Pfarrer Eppelmann3 in westlichen Medien (siehe Information des MfS Nr. 662/81 vom 21. Dezember 1981) ist festzustellen, dass die eingeleiteten Maßnahmen – Havemann von diesem Vorhaben abzubringen – bisher keinen Erfolg zeigten.
In Gesprächen, die mit ihm durch mehrere langjährig bekannte Personen geführt wurden, zeigte sich Havemann uneinsichtig und den vorgebrachten Argumenten gegenüber unzugänglich. Er erklärte sich in keiner Weise bereit, dieses Vorhaben zu unterlassen. Es gehe ihm nicht um eine »Aktion gegen die DDR oder andere, sozialistische Staaten«, sondern nur um eine »neue Friedensoffensive«.
Wie dem MfS streng intern bekannt wurde, ist dieser sogenannte Berliner Appell fertiggestellt worden und soll in nächster Zeit – dargestellt als sogenannte DDR-Offensive – in zwei größeren Zeitungen der BRD sowie über westliche Rundfunkstationen und am 4. Februar 1982 in der Sendung Kennzeichen »D« des ZDF veröffentlicht werden (Text siehe Anlage).4 Die Vorabsprachen mit den entsprechenden Publikationsorganen führte der langjährige Kontaktpartner Havemanns, Jürgen Fuchs5 (Westberlin). Neben Fuchs werden als weitere Organisatoren der Veröffentlichung der ehemalige Regierende Bürgermeister von Westberlin, Pfarrer Heinrich Albertz,6 und der Sohn des Vorsitzenden der SPD der BRD Dr. Peter Brandt7 (beide Mitglieder der sogenannten Initiativgruppe in Westberlin zur Unterstützung des »Offenen Briefes«8 Havemanns an den Genossen Breshnew9 im Jahre 1981) bekannt.
Streng vertraulichen Äußerungen Eppelmanns zufolge, habe er den Wortlaut des sogenannten Berliner Appells am 1. Februar 1982 an Pfarrer Albertz übergeben.
Mit der Popularisierung dieser sogenannten DDR-Offensive in westlichen Medien beabsichtigen Havemann und Eppelmann, eine breite Öffentlichkeitswirkung nach dem Muster des »Krefelder Appells«10 für die in diesem Zusammenhang von ihnen geplante Diskussion und Unterschriftensammlung zu erzielen.
Es ist beabsichtigt, auch Schriftsteller der DDR, die sich mit staatlicher Genehmigung in der BRD und in Westberlin aufhalten, für eine Mitwirkung zu gewinnen. Eine Verbreitung des sogenannten Berliner Appells innerhalb der DDR soll nach der Veröffentlichung in den westlichen Medien erfolgen.
Vorliegenden Hinweisen zufolge sollen bereits eine Anzahl von Exemplaren des sogenannten Berliner Appells als Kopien gefertigt und teilweise an noch nicht identifizierte Adressaten in den verschiedenen Bezirken der DDR verschickt worden sein. Havemann würde sich bemühen, Unterschriften von Schriftstellern der DDR einzuholen.
Eppelmann sprach die Befürchtung aus, wegen dieser Aktion festgenommen zu werden. Für diesen Fall habe er eine Meldung in westlichen Medien unter der Überschrift
»Friedenskämpfer in der DDR werden eingesperrt«
vorbereitet.
Zur wirksamen Unterbindung der vorgenannten Aktivitäten und zur politisch-offensiven Durchsetzung der Positionen der DDR zum Kampf um die Erhaltung des Friedens wird vorgeschlagen:
Der Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres beim Magistrat der Hauptstadt der DDR, Genosse Hoffmann,11 sollte mit dem Generalsuperintendenten von der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Grünbaum,12 eine Aussprache durchführen.
In dieser Aussprache informiert Genosse Hoffmann den Generalsuperintendenten über die neusten politischen Aktivitäten von Eppelmann, die dieser gemeinsam mit Robert Havemann durchführt. Genosse Hoffmann hat Grünbaum aufzufordern, dass die kirchenleitenden Organe und Personen ihre Einflussnahme auf Eppelmann verstärken, damit dieser ausschließlich seine seelsorgerischen und kirchlichen Obliegenheiten wahrnimmt.
Durch Genossen Hoffmann ist energisch darauf zu verweisen, dass die im sogenannten Berliner Appell genannten Forderungen gegenstandslos sind, da dazu bereits durch den Staatssekretär für Kirchenfragen eine klare Antwort gegeben worden ist (»Wehrkunde«,13 »Sozialer Friedensdienst«14 usw.).
Ein gleiches Gespräch sollte ein Vertreter der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen mit Oberkirchenrat Dr. Demke15 – Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR – führen.
In den territorialen Bereichen und Institutionen, wo Aktivitäten in Form der Verbreitung des von Havemann und Eppelmann gefertigten Papiers festgestellt werden bzw. Unterschriften dazu erfolgen, sollte auf der Grundlage des VP-Gesetzes, § 7, Ziffer 1 Abs. b16 (erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) das Material eingezogen werden.
Die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke für Inneres werden auf einer angesetzten Beratung in der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen über die Aktivitäten von Eppelmann und Havemann informiert.
Bei dieser Beratung erfolgt die Festlegung von koordinierten offensiven und vorbeugenden Maßnahmen der staatlichen Organe, die in differenzierter Form zu realisieren sind.
Weiter wird empfohlen, den Wortlaut des »Berliner Appells« dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zu übergeben, um kurzfristig eine offensive Gegenargumentation zu erarbeiten, die über leitende Parteiorgane für eine einheitliche Orientierung und Argumentation genutzt werden könnte.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 68/82
Berliner Appell | Frieden schaffen ohne Waffen
Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den Atomkrieg. Die in Ost und West angehäuften Waffen werden uns nicht schützen, sondern vernichten. Wir werden alle längst gestorben sein, wenn die Soldaten in den Panzern und Raketenbasen und die Generäle und Politiker in den Schutzbunkern, auf deren Schutz wir vertrauen, noch leben und fortfahren zu vernichten, was noch übriggeblieben ist.
Darum: Wenn wir leben wollen, fort mit den Waffen! Und als erstes: Fort mit den Atomwaffen! Ganz Europa muss zur atomwaffenfreien Zone werden. Wir schlagen vor: Verhandlungen zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten über die Entfernung aller Atomwaffen aus Deutschland.
Das geteilte Deutschland ist zur Aufmarschbasis der beiden großen Atommächte geworden. Wir schlagen vor, diese lebensgefährliche Konfrontation zu beenden. Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges müssen endlich die Friedensverträge mit den beiden deutschen Staaten schließen, wie es im Potsdamer Abkommen17 von 1945 beschlossen worden ist. Danach sollten die ehemaligen Alliierten ihre Besatzungstruppen aus Deutschland abziehen und Garantien über die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten vereinbaren.
Wir schlagen vor, in einer Atmosphäre der Toleranz und der Anerkennung des Rechts und freie Meinungsäußerung, die große Aussprache über die Fragen des Friedens zu führen und jede spontane Bekundung des Friedenswillens in der Öffentlichkeit zu billigen und zu fördern. Wir wenden uns an die Öffentlichkeit und an unsere Regierung, über die folgenden Fragen zu beraten und zu entscheiden:
- a)
Sollten wir nicht auf Produktion, Verkauf und Einfuhr von sogenanntem Kriegsspielzeug18 verzichten?
- b)
Sollten wir nicht anstelle des Wehrkundeunterrichtes an unseren Schulen einen Unterricht über Fragen des Friedens einführen?
- c)
Sollten wir nicht anstelle des jetzigen Wehrersatzdienstes19 für Kriegsdienstverweigerer auch einen sozialen Friedensdienst zulassen?
- d)
Sollten wir nicht auf alle Demonstrationen militärischer Machtmittel in der Öffentlichkeit verzichten und unsere staatlichen Feiern stattdessen dazu benutzen, den Friedenswillen des Volkes kundzutun?
- e)
Sollten wir nicht auf die Übungen zur sogenannten Zivilverteidigung verzichten? Da es im Atomkrieg keine Möglichkeit einer sinnvollen Zivilverteidigung gibt, wird durch diese Übungen nur der Atomkrieg verharmlost. Ist das nicht womöglich eine Art psychologischer Kriegsvorbereitung?
Frieden schaffen ohne Waffen – das bedeutet nicht nur: Sicherheit zu schaffen für unser eigenes Überleben. Es bedeutet auch das Ende der sinnlosen Verschwendung von Arbeitskraft und Reichtum unseres Volkes für die Produktion von Kriegswerkzeug und die Ausrüstung riesiger Armeen junger Menschen, die dadurch der produktiven Arbeit entzogen werden. Sollten wir nicht lieber den Hungernden in aller Welt helfen, statt fortzufahren, unseren Tod vorzubereiten?
Selig sind die Sanftmütigen | denn sie werden das Erdreich besitzen
(Jesus v. Nazareth in der Bergpredigt)
Das Gleichgewicht des Schreckens hat den Atomkrieg bisher nur dadurch verhindert, dass es ihm immer wieder auf morgen vertagt hat. Vor diesem herannahenden Morgen des Schreckens fürchten sich die Völker. Sie suchen nach neuen Wegen, dem Frieden eine bessere Grundlage zu geben. Auch der »Berliner Appell« ist ein Ausdruck dieses Suchens.
Denkt über ihn nach, macht unseren Politikern Vorschläge und diskutiert überall die Frage: – Was führt zum Krieg, was zum Frieden?
Bekräftigt Eure Zustimmung zum »Berliner Appell« durch Eure Unterschrift.
Berlin, den 25. Januar 1982 (Rainer Eppelmann)