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»Blues-Messen« in der Erlöserkirche Berlin-Lichtenberg am 2.7.1982

5. Juli 1982
Information Nr. 367/82 über die am 2. Juli 1982 in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg durchgeführten »Blues-Messen«

Am 2. Juli 1982 fanden in der Zeit von 17.00 Uhr bis 23.00 Uhr in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg vier aufeinanderfolgende »Blues-Messen«1 gleichen Inhalts unter dem Thema »Gewogen und zu leicht befunden« statt.

Zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs der »Blues-Messen« durch feindlich-negative Personenkreise innerhalb der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wurde durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,2 und den Stellvertreter des Oberbürgermeisters für Inneres, Genossen Hoffmann,3 am 28. Juni 1982 mit Bischof Forck4 (Berlin) ein Gespräch geführt. Dabei wurde Bischof Forck erneut verdeutlicht, dass der Staat von der Kirchenleitung erwartet, dass diese ihrer Verantwortung nachkommt und nicht zulässt, dass in kirchlichen Veranstaltungen bzw. durch kirchliche Mitarbeiter Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung geführt werden.

Bischof Forck erklärte im Ergebnis dieses Gespräches, die volle Verantwortung für die »Blues-Messen« am 2. Juli 1982 zu übernehmen.

Um den staatlichen Erwartungshaltungen gegenüber kirchenleitenden Personen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Nachdruck zu verleihen, erfolgte am 1. Juli 1982 ein Gespräch des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der DDR, Berlin, Genossen Krack,5 mit dem Generalsuperintendenten Grünbaum6 (Berlin) und dem Jugendpfarrer Passauer7. Genosse Krack wies dabei erneut darauf hin, dass die Organisatoren die volle Verantwortung für die Veranstaltung tragen und ein politischer Missbrauch der »Blues-Messen« weiterführende Konsequenzen im Verhältnis Staat – Kirche nach sich ziehen kann.

Generalsuperintendent Grünbaum und Jugendpfarrer Passauer versicherten, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden und es zu keinen politischen Angriffen auf den Staat kommen werde.

Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen nahmen an den Veranstaltungen in der Erlöserkirche insgesamt ca. 2 400 Personen teil. (Im Einzelnen: Erste »Blues-Messe«, 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr, ca. 700 Personen; zweite »Blues-Messe«, 18.45 Uhr bis 19.50 Uhr, und dritte »Blues-Messe«, 20.10 Uhr bis 21.45 Uhr, jeweils ca. 800 Personen; vierte »Blues-Messe«, 21.40 Uhr bis 23.00 Uhr, ca. 700 Personen; ca. 600 Personen besuchten mehrere Veranstaltungen.)

Bei dem festgestellten Teilnehmerkreis handelte es sich im Wesentlichen um Jugendliche im Alter zwischen 15 und unter 25 Jahren, überwiegend mit dekadentem Äußeren, sogenannte Tramper8. Die überwiegende Mehrheit der Besucher kam aus der Hauptstadt der DDR, Berlin; ca. 25 % waren aus anderen Bezirken der DDR angereist. Zahlreiche Jugendliche befanden sich im angetrunkenen Zustand. (Durch vorbeugende Maßnahmen der Sicherheitsorgane wurde 437 jugendlichen Personen die Anreise nach Berlin untersagt.)

An den »Blues-Messen« nahmen neben den bekannten Organisatoren (Stadtjugendpfarrer Passauer, Kreisjugendpfarrer Eppelmann,9 Diakon Kulisch10) Generalsuperintendent Grünbaum sowie die Pfarrer Pahnke11 (Stephanus-Stiftung), Cyrus12 (Galiläa-Gemeinde), Taube13 (Evangelische Gemeinde Berlin-Karlshorst), Hubrich14 (Fredersdorf) und Langhammer15 (Erlöser-Gemeinde) teil. Unter den Teilnehmern wurde die hinlänglich bekannte Katja Havemann16 festgestellt.

Der Ablauf der »Blues-Messen« wurde durch das Mitglied der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und Pressereferenten des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Rolf-Dieter Günther,17 verfolgt.

Als »Beobachter« der »Blues-Messen« war der Leiter des Evangelischen Pressedienstes Westberlin (epd), Reinhard Henkys,18 anwesend.

Eine Teilnahme von in der DDR akkreditierten westlichen Journalisten wurde nicht festgestellt.

Zum inhaltlichen Verlauf der »Blues Messen« ist einzuschätzen, dass sie keine direkten politisch-negativen Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung enthielten.

Die inhaltliche Ausgestaltung der »Blues-Messen« wurde, wie bei analogen Veranstaltungen, als Folge von Blues-Musik, Sketchen19 und Gebet durchgeführt. Der Ablauf und die Sprechtexte der »Blues-Messen« (siehe Anlage) wurden unter maßgeblicher Mitarbeit von Kreisjugendpfarrer Eppelmann und Stadtjugendpfarrer Passauer entworfen und von Beauftragten der Kirchenleitung bestätigt.

Die auf das Thema bezogenen inhaltlichen Passagen der einzelnen »Blues-Messen« wurden eingeleitet mit zwei Spielszenen.

In der ersten Szene wurden anhand eines Gespräches zwischen mehreren Personen mittleren Alters in einer »Kneipe« folgende typische Merkmale ihrer Lebensweise herausgestellt:

  • Konsumorientiertes Denken am Beispiel des Kaufes eines Pkw »Mazda« auf dem »Schwarzmarkt«,

  • Flucht vor angespannten familiären Verhältnissen in den Alkohol,

  • ablehnende Haltung zu Qualifizierungsmöglichkeiten,

  • Betrachtung von Frauen als reines »Lustobjekt«.

In ähnlicher Weise wurden in der zweiten Szene Lebenshaltungen jugendlicher bzw. jungerwachsener Personen geschildert. Sie wurden charakterisiert durch

  • übermäßigen und häufigen Alkoholkonsum,

  • Verherrlichung westlicher Modetrends,

  • Streben nach hochwertigen industriellen Konsumgütern,

  • distanziertes Verhältnis zu Schule, Lehre und Arbeit.

In einer sich daran anschließenden Spielszene wurden die »Ursachen« dieser Verhaltens- und Lebensweisen mit »Stress, nicht befriedigten Konsumbedürfnissen, Grenzen …, die nicht durchbrochen werden können« und des »Zuviels an Politik« begründet. Ferner wurde hervorgehoben, dass das Streben nach Besitz und Erfolg durch die »Älteren« anerzogen wird. In der dritten »Blues-Messe« wurde diese Aussage politisch motiviert, indem als die »Älteren« »Erzieher«, »Vorgesetzte«, »Politiker« und »Militärs« konkret genannt wurden.

In der anschließenden Predigt von Kreisjugendpfarrer Eppelmann wurde durch ihn geäußert, dass »im Gegensatz zum eingangs dargestellten egoistischen Lebensstil« christliches Verhalten durch Freundschaft, Liebe und Geborgenheit, Hilfsbereitschaft und Frieden geprägt sei. Bei Verzicht auf persönlichen Wohlstand stellte er eine größere Freiheit des Redens und Handelns in Aussicht. Er verwies darauf, dass es »mehr Gerechtigkeit und Frieden gäbe, wenn auch die Mächtigen dieser Welt« entsprechend diesen christlichen Maximen regieren würden.

Zum Abschluss der jeweiligen Veranstaltung erfolgte die Ankündigung zur Sammlung einer Kollekte für die entstandenen Unkosten im Zusammenhang mit den »Blues-Messen« sowie für »diejenigen, die mit der Gesellschaft nicht fertigwerden, die mit den Gesetzen in Konflikt stehen, für Rechtsanwälte und für Fahrten in den Knast«.

Das Musikprogramm wurde von der Gruppe »Infekt« (ehemals »Gurkensalat«) gestaltet.

Im Innern des Kirchenschiffes waren Antikriegskarikaturen zum Thema »So leicht ist Abrüstung« ausgestellt. Veranstaltungsteilnehmern wurde auf einem Aushang Gelegenheit gegeben, ihre Meinung zu folgenden Problemen zu äußern:

  • »Was habt Ihr gegen den Krieg getan, außer Tränen?«

  • »Frieden schaffen ohne Waffen – jetzt erst recht«.

Außerdem konnten in der Sakristei Fotos unter dem Titel »Kinder und Krieg« besichtigt werden. Beide Ausstellungen wurden bereits während der »Friedenswerkstatt« am 27. Juni 1982 gezeigt. Sie trugen pazifistischen Charakter, ohne konkret Stellung gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR zu beziehen.

Im Gegensatz zu früheren »Blues-Messen« wurde durch die Veranstalter kein Hinweis auf weitere Termine für das Stattfinden von »Blues-Messen« gegeben.

Durch mit Plaketten gekennzeichnete kirchliche Ordnungskräfte der sogenannten Info.- Gruppe wurde die Ordnung auf dem Gelände der Erlöserkirche im Wesentlichen gewährleistet.

Der An- und Abmarsch der Teilnehmer der »Blues-Messen« zur bzw. von der Erlöserkirche verlief ohne besondere Vorkommnisse. Rowdyhafte oder andere, die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigende Handlungen wurden nicht festgestellt.

Es ist einzuschätzen, dass die vorbeugend eingeleiteten und rechtzeitig durchgeführten politisch offensiven Maßnahmen der Partei, der staatlichen Organe sowie gesellschaftlichen Organisationen und Kräfte bewirkten, dass die geplanten Aktivitäten reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte, diese »Blues-Messen« zu offenen und direkten Angriffen gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR zu missbrauchen, weitestgehend verhindert wurden. Durch das koordinierte und abgestimmte Zusammenwirken der Schutz- und Sicherheitsorgane waren Ordnung und Sicherheit jederzeit gewährleistet.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

Anlage zur Information Nr. 367/82

Ablauf der »Bluesmesse« »Gewogen und zu leicht befunden«

  • 1.

    Kurzer Tusch

  • 2.

    Begrüßung: Bruno Kahlau

    technische Ansagen

  • 3.

    Blues

  • 4.

    Szenen: Ralph Syrowatka

    »Die Alten«: Uwe Kulisch | Bruno Kahlau

    »Die Jungen«: Rainer Eppelmann | eine unbekannte männliche Person

  • 5.

    Psalm 78, Vers 56–58 Martin-Michael Passauer

  • 6.

    Blues

  • 7.

    Anspiel: Rainer-Eppelmann | Ralph Syrowatka

  • 8.

    Predigt: Rainer Eppelmann

  • 9.

    Blues

  • 10.

    Kollekteninformation: Ralph Syrowatka

    Fürbitte: Bruno Kahlau

    Segen: Uwe Kulisch20

    Sendwort: die unbekannte männliche Person

  • 11.

    Blues

»Bluesmesse« am 2. Juli 1982 in der Erlöserkirche Lichtenberg

Thema: »Gewogen und zu leicht befunden«

Ablaufplan

1. Kurzer Tusch

2. Begrüßung

»Hallo Freunde! Wir freuen uns, dass Ihr hier seid. Von woher seid Ihr denn überall gekommen? Es melden sich Personen aus Salzwedel, Cottbus, Thüringen, Sachsen, Mecklenburg und von der Küste.

In diesem Gottesdienst wollen wir wieder Blues empfinden und über unser Leben nachdenken. Was ist wichtig in unserem Leben? Leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir um zu leben. Was ist wichtig? Auto, Klitsche, Suff, Prämie, Karriere, oder sind wir selbst wichtig, unsere Gefühle, die Gefühle der anderen. Muss ich meine Fragen mit Besitz betäuben. Ich muss die toten Zustände in mir verändern. Wenn ich gewogen werde, will ich wichtiger – schwerer als Wohlstand, Suff und Prämie sein. Später dazu aber mehr – zu unserem heutigen Thema ›Gewogen und zu leicht befunden‹.

Jetzt noch einige technische Ansagen. Toilettenwagen, nicht rauchen, beim Nachhausegehen Bürgersteige benutzen.

Und denkt auch daran, dass Ihr 20 Pfennige habt, sonst kostet es Euch 10,00 Mark. Die staatlichen öffentlichen Stellen freuen sich nur, wenn Ihr ihnen 10,00 Mark spendiert.«

3. Bluestitel (ohne Text)

4. Spielszenen

I. Szene »Die Alten«

In der linken Hälfte der Bühne ist eine Kneipe »Zur guten Laune« angedeutet. Ein Tresen ist zu sehen. Hubert, der Wirt, bedient.

Drei Jedermanns sind gerade beim Bestellen, als ein vierter Jedermann durch die Tür kommt. Sie bestellen für ihn zwei Klare mit.

JM: »Na, ausjerückt von deiner Alten?«

JM: »Naja, wat willste machen – stinkt wieder janz schön ab, meine Alte, der steigt die Qualifizierung zu Koppe. Hier brauch ick mir wenigstens nich det Jenöle anzuhör'n.«

– Schnaps kommt –

JM: »Sind alle gleich, die Weiber! Prost!«

Tageslichtschreiber:

»Du bist in Gemeinschaft und doch allein!«

JM prosten mit und lachen.

JM zu JM: »Wem gehört'n der Mazda vor deinem Haus? – hat ne saubere Chromfarbe, det Ding.«

JM: »Is meiner.«

JM: »Hör uff, kannste mir doch nich erzählen – oder haste im Lotto jewonnen?«

JM: »Ick hab ’nen bisschen off'n Schwarzmarkt jeschmiert und meine zwee alten verkloppt. Der kommt jetzt jut, sauber ufffrisiert.«

JM: »Man müsste doch mal aus ’m Arsch kommen.«

Tageslichtschreiber:

»Du bist frei und doch in Ketten!«

JM: »Ihr könnt ja mal vorbeikommen, dann drehn wir mal ’ne Runde.«

JM: »O.K. Vielleicht, könn’ wa een paar Weiber offreißen.«

JM: (sieht sich nach jemand um) »Hat ’n janz schönen Balkon die Alte, wa? Die möcht ick och mal umlegen!«

JM: »Brauchste ja nicht erst versuchen, bei der klemmste. Ick habe schon versucht.«

JM: »Det Jute jibs eben immer zu wenig!«

Sie fassen sich alle um, legen die Arme auf die Schultern und einer fängt an zu singen, die anderen fallen mit ein:

»Es gibt kein Bier auf Hawaii,21 es gibt kein Bier. Drum fahr ick nich nach Hawaii, drum bleib ick hier!«

Tageslichtschreiber:

»Du bist lebendig und doch tot!«

»Es gibt kein Bier auf Hawaii, kein nasser Fleck, und auch vom Hula – Hula geht der Durst nicht weg.«

Hubert kommt und sagt: »Etwas ruhiger bitte, Kollegen!«

Die vier Jedermann's zahlen.

JM: »Ach Scheiße, wat soll ick schon zu Hause. Ey, Hubert, reich mal ne kleene Granate rüber« (zum Wirt). Er nimmt die Flasche und geht raus. Draußen betrinkt er sich und schläft vor einer Haustür ein.

– Licht verdunkelt sich –

Es wird der Panzer-Blues22 gespielt – Übergang zur II. Szene

II. Szene »Die Jungen«

Gleiches Bühnenbild. Die Alten haben sich verjüngt, durch Perücken tragen sie jetzt lange Haare. Als Überschrift – mit Tageslichtschreiber – steht:

»Gewogen und zu leicht befunden«

JM kommt durch die Kneipentür.

JM: »Ey, kommst jerade richtig, Du musst noch Deinen Jeburtstag nachfeiern mit uns, versteht sich.«

JM: »Quatsch doch nich, ick hab doch erst im Aujust.«

JM: »Macht doch nichts, Alter, wir brauchen ’nen Grund zum Saufen, los, Du musst jetzt ’nen Trinkspruch machen.«

JM: »O.K., Ää, Schule is nich mehr drin, im Saufen liegt der Sinn. Proooost!«

JM: »Ick hab ooch noch eenen: Der Lehrmeister um de Ecke schleicht, ’e komm, saufen wir einen, dann ertragen wir's leichter. Proooost!«

JM: »Und ick als fertiger Maurer: Ohne uns'ren Bierbrauer, wächst keene eenz'ge Mauer. Prooooooooost!«

Tageslichtschreiber:

»Du bist in Gemeinschaft und doch allein«

JM kommt durch die Tür. Er trägt einen neuen Schelli.

JM: »Mensch, guck Dir det an.«

JM: »Man, wo hast ’n deeen her?«

JM: »Nen echten Schelli,23 ick wird’ verrückt!«

JM: »Die janze Urlaubsknete für Ungarn hab ick dafür off'n Kopp gehauen. Jibs ja nich mehr, die Dinger.«

JM: »Hätt’ ick och jemacht, sieht ja echt stark aus.«

JM: »Steht Dir och. Vielleicht kann ick noch eenen besorjen.«

JM: »Vier Blaue, kriegste sofort.«

JM: »Ick hab jesagt, vielleicht!«

Tageslichtschreiber:

»Du bist frei und doch in Ketten!«

JM: »Hab ick auch schon erzählt, ick hab mir een Tonband besorgt.«

JM: »Nee, wat ’n für eens?«

JM: »Soons, wie da off ’n Tresen steht, macht ’n bärischen Sound – Biste in a jans andren Welt.«

Alle starren auf das Tonband.

»Ick hab ’n Band mit, Hubert erlaubt det schon.«

– Licht verdunkelt sich –. Vom Band kommt Musik: Frank Zappa o. ä. Musik ziemlich laut.

Tageslichtschreiber:

»Du bist lebendig und doch tot!«

– Musik wird leiser, Licht kommt –

5. Psalm/Medidation

Psalm 78, Vers 56–58 (gesprochen aus dem Hintergrund)

»Aber sie versuchten Gott und trotzten dem Höchsten und hielten seine Gebote nicht;

sie wichen zurück und waren treulos wie ihre Väter

und versagten wie ein schlaffer Bogen;

sie erzürnten ihn mit ihren Höhen

und reizten ihn zum Zorn mit ihren Götzen.«

(durch einen Jedermann gesprochen – auf der Bühne)

»Trink wa noch ein Tröpchen, trink wa noch ein Tröpchen aus dem …

Herr, ick bin Jedermann,

der Alk is alle.

Langsam kommen mir wieder die Zweifel;

bin ick ofn richtjen Weg.

Watt hab ick denn vom Leben.

Jeden Tag arbeiten … is ja jut n bissel Knete.

Die einen gieren nach ne Klitsche, wolln en Auto,

die anderen wolln e Schelli und ne Bandmaschine.

Is ditt denn allet.

Lohnt et sich dafür zu leben.

Saufen – in Jemeinschaft sein und doch allene.

Immer nur uff meine Karriere, uff meine Prämie achten;

ick halt ditt nich aus!

Ick will so nich mehr!«

6. Ein Bluestitel (engl. Text)

7. Anspiel

»Siehst Du die Schrift nicht an der Wand? Seh doch da hin,

bist Du blind. Siehst Du die Schrift nicht?« (gesprochen aus dem Hintergrund)

JM: »Ich möchte mal wissen, was das bedeuten soll. Das muss doch was sollen, das geht mir auf die Ketten. Irgendwas muss sie doch wollen. Was soll denn das, was habt Ihr da hingeschrieben? Ich will das wissen, was soll das.«

JM: »Das ist die Alternative.«

JM: »Quatsch, Alternative. Also richtig, es lohnt sich. Ohne dem gehts nicht. Und wenn Du Druck hast, dann drehst, dann drehst, dann drehste durch.«

JM: »Durchdrehen, ich glaub, das ist genau das Bild, was Du eben gebraucht hast. Mit zu viel Alkohol im Kopf drehst Du durch. Du stellst alles auf den Kopf, Du machst Dich kaputt und Du machst andere kaputt. Besoffen gehst Du ihnen auf den Geist. In Gemeinschaft, und doch allein.«

JM: »Das mag schon stimmen. Aber das Leben ist zu schwierig. Überall Stress, nicht das Richtige zu kaufen, nicht das, was ich will, überall Grenzen, durch die ich nicht durchkomme. Und die viele Politik. So ein Leben ist doch nur im Suff zu ertragen. Man möchte alles vergessen. Irgendwie auf den Kopf stellen, das hilft.«

JM: »Ich glaube, Du siehst nur eine Seite eines Lebens. Nimm diese Scheibe Brot als Zeichen für das Leben, auch für Dein Leben. Du kannst das Brot nehmen, bestreichen, kannst Dich damit sattessen. Das ist wichtig und gehört zu Deinem Leben dazu. So ist das auch mit vielen anderen Dingen, die Du brauchst, die Du besitzen möchtest. Schlimm ist nur, dass viele Menschen im Anhäufen von Besitz und Erfolg den einzigen Sinn in ihrem Leben sehen. Und schlimm ist auch, dass die Älteren uns zu solchem Denken noch erziehen.

Aber mein Freund, das ist nicht das ganze Leben. Es hat wie diese Scheibe Brot zwei Seiten. Du kannst dieses Brot – nimm es bitte – Du kannst es auch teilen, gib mir davon ab, wir kommen dabei in Kontakt, ich werde vielleicht doch ein wenig satt und wir können bei diesem Teilen Freundschaft miteinander schließen.

Versteh es, zum Leben gehören Freundschaft und Liebe, Geborgenheit und Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeit. Und Frieden mit dazu. Und darum auch die Bereitschaft eines jeden Menschen, wie eines jeden Staates, zu verzichten und zu teilen.

Liebe Freunde, wir wollen das Teilen mal miteinander probieren. Nicht nur darüber nachdenken, sondern darüber reden. Wir haben einige wenige Brote besorgt. Wollt Ihr miteinander teilen? Und es ist ganz gewiss nicht genug Brot, scheint mir, damit jeder eine ganze Scheibe bekommen kann. Achtet also bitte bei der Größe des Happens darauf. Damit jeder, der hier in dieser Kirche ist, etwas von diesem Brot abbekommt.

Freunde, aber teilt nicht nur das Brot miteinander, das es jetzt gleich geben wird, sondern teilen wir einander mit, erzählen wir uns, indem wir uns ein Stück Brot reichen, was uns im Augenblick gerade erfreut oder frohmacht, was uns bedrückt und ärgert. Freunde, teilen wir miteinander, teilen wir uns einander mit. Erleben wir dies beispielhaft als wichtige Seite unseres Lebens. Als die wichtigere Seite.«

– Bluestitel und Verteilen von Broten in der Kirche –

JM: »Mit dem Teilen, mit dem Mitteilen unter uns hatte ich eine gute Idee. Wie bist denn du darauf gekommen?«

8. Predigt

»Das hört sich für den einen oder anderen sehr fromm an, ich habe das von Jesus Christus gelernt, von ihm wird erzählt, wie er sein Brot, seine Zeit, seine Hoffnung, sein … mit anderen geteilt hat. Ziel seines Lebens war es gerade nicht, viele Dinge für sich selbst anzuhäufen. Gewiss hat sich auch Jesus über die angenehmen Dinge des Lebens gefreut, aber die waren ihm nicht so wichtig, um sie zu bekommen, über Leichen zu gehen. Oder das für ihn eigentlich Wichtige im Leben verriet, Jesus ist nicht wie wir, so oft unter Druck zu sitzen [sic!]. Zwar deshalb, weil ihm persönlicher Besitz und Erfolg nicht so wichtig waren, konnte man ihn damit nicht erpressen. Und so wie Jesus sich selbst und seiner Überzeugung, er bleib Gott treu. Damals als Jesus lebte, gab es gewiss ebenso viel Neid und Hass. Leid und Ungerechtigkeit, Unfreiheit und Krieg wie heute. Aber Jesus hatte es, so wie er lebte, nicht nötig, sich mit den Dingen dieser Welt zu betäuben. Durch sie das Böse um ihn herum zu vergessen. Jesus lebte auch nicht in der ständigen Angst, arm zu werden oder arm zu bleiben. Jesus wusste, dass er reich und frei war. Er wusste, dass ihm kein Mensch das nehmen konnte, was ihm das Wichtigste im Leben war. Und darum ist Jesus Christus für mich, für uns, so meine ich, die Alternative für ein glückliches, freies und sinnvolles Leben. Stell Dir vor, wie viel gute Freunde Du haben könntest, wenn Du Dich auch um die anderen sorgen würdest. Oder stell Dir vor, wie frei Du auch bei uns reden und handeln könntest, wenn Du Dich nicht mehr mit Deinen persönlichen Wünschen nach Wohlstand und Erfolg erpressen lassen würdest.

Oder stell Dir vor, wie anders und schön Dein Leben sein könnte, wenn Du mit andern über Deine Fragen und Probleme sprichst und ihnen dadurch Mut machst, dass sie dir ebenso mitteilen, was sie bedrückt und sie bewegt.

Oder stell Dir vor, wie viel mehr Gerechtigkeit und Frieden es gäbe, wenn auch die Mächtigen dieser Welt nach dieser Alternative Jesus handeln würden.

Darum, mein Freund, nehmen wir diese Alternative für unser Leben an, und hoffen wir, dass durch unser neues Leben wir andern so viel Mut machen, sich ebenfalls auf diesen guten Weg Jesu einzulassen. In diesem Sinne wünschen wir Euch, Euch allen viel Glück und Segen.«

9. Blues

10. Kollekteninformation

»Vom Teilen war die Rede. Wir haben Brot geteilt, wir wollen auch unser Geld teilen. Wie Ihr wisst, aus früheren Gottesdiensten, brauchen wir für diese, unsere Bluesmesse, Geld, um die Unkosten zu finanzieren. Aber nicht nur dafür. Wie Ihr auch wisst, brauchen wir auch Geld für diejenigen unter Euch, die mit der Gesellschaft nicht klarkommen. Für diejenigen, die mit den Gesetzen in Konflikt stehen. Für Rechtsanwälte, die auch bezahlt werden müssen. Geld für Fahrten in den Strafvollzug, um unsere Freunde im Knast zu besuchen.

Wir brauchen auch Geld für Räume, die wir für Euch erhalten wollen oder, wenn nicht vorhanden, neu schaffen wollen.

Greift bitte tief in Eure Tasche und weniger zur Flasche.

Es wäre besser, wenn wir unseren Verstand nicht versaufen, sondern gebrauchen.«

Fürbitte

»Jesus von Nazareth, unser Bruder, wir alle sind Jedermann. Wie oft wollen wir besitzen und andere beherrschen. Herr, wir vergessen dann das, was wir von Dir wissen. Und auch uns selbst. Hilf uns, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Jesus von Nazareth, zeige uns den richtigen Weg. Gib uns Mut und Klarheit, unser Leben zu ändern. Jesus, wir bitten Dich. Amen.«

Sendwort

»Die Hoffnung nach diesem Gottesdienst an Euch ist, dass Ihr, wenn Ihr nach diesem Gottesdienst nach Hause geht, lernt, auf Überflüssiges zu verzichten. Weniger ist in dieser Situation heute mehr. Geht hin mit dieser Gewissheit, dass dieser Jesus bei Euch ist und Euch Kraft gibt. Amen.«

Segen

»Jesus Christus verspricht uns kein bequemes Leben. Aber er verspricht uns bei uns zu sein und mit uns zu teilen. Deshalb geht nach Hause mit dem Frieden Gottes, der keinen als zu leicht abtut. Schalom uns allen.«

11. Bluestitel

Abschluss

»Noch einmal möchte ich Euch bitten zu teilen, und zwar diese Kelche mit denen, die noch draußen sind. Machts gut, geht schnell, macht’ die Plätze frei für die, die noch draußen sind und auch reinwollen.«

  1. Zum nächsten Dokument Flucht von vier Meliorationsarbeiter im Kreis Plauen

    6. Juli 1982
    Information Nr. 358/82 über die Untersuchungsergebnisse zum ungesetzlichen Grenzübertritt nach der BRD durch vier Meliorationsarbeiter am 10. Juni 1982 im Bereich des Grenzregimentes 10 Plauen

  2. Zum vorherigen Dokument Statistik Einnahmen Mindestumtausch (28.6.1982–4.7.1982)

    1. Juli 1982
    Information Nr. 369/82 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 28. Juni 1982 bis 4. Juli 1982