Brief Pfarrer Eppelmanns an den Botschafter der UdSSR in der DDR
24. September 1982
Information Nr. 507/82 über das Versenden eines von Pfarrer Eppelmann verfassten Briefes an den Botschafter der UdSSR in der DDR
Dem MfS streng intern vorliegenden Informationen zufolge übergab der für seine feindlich-negative Haltung hinlänglich bekannte Kreisjugendpfarrer in Berlin-Lichtenberg, Rainer Eppelmann,1 einen von ihm verfassten und an den Botschafter der UdSSR in der DDR, Genossen Pjotr Abrassimow,2 gerichteten Brief am 21. September 1982 der Postbeförderung.3
Der Inhalt des Briefes soll nach weiter vorliegenden streng vertraulichen Hinweisen wie folgt abgefasst sein:4
»Anfang April 1982 kamen in New York die Delegierten von 85 internationalen und 127 nationalen Organisationen aus 47 Ländern unter Vorsitz des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen, Dr. Phillip Potter,5 zusammen, um möglichst alle Menschen der Welt für Aktionen zur Abrüstung zu mobilisieren.
Angesichts der rapiden Zunahme des konventionellen und atomaren Waffenpotenzials sind alle friedliebenden Menschen der Welt aufgefordert, mit jeweils allen Mitteln und Möglichkeiten dieser bedrohlichen Entwicklung entgegenzuwirken.
Die Zeit, dass Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln gemacht werden, ›entfernt oder nähert sich in Abhängigkeit von dem Willen der Menschen zum Frieden und dem alles Höhere und die Wahrheit überwiegende Trachten der Menschen nach dem Guten und der Wahrheitsliebe‹ (Patriarch von Moskau, Religiöse Weltkonferenz im Dezember 1981 in Moskau).6 Die Erkenntnis setzt sich immer mehr durch, dass wir der ständig gewachsenen atomaren Bedrohung nur durch neue Schritte konkreten Friedenshandelns begegnen können.
Nicht mehr Sicherheit durch Aufrüstung, sondern Frieden durch Schwerter zu Pflugscharen. Nicht mehr Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Schreckens, sondern durch begonnene Abrüstung Zurückgewinnung eines gewaltigen Potenzials an Rohstoffen, Finanzen und Arbeitskräften zur Lösung der anstehenden weltweiten Probleme, wie Hunger, Rohstoffverknappung und Umweltzerstörung. Besonders in den letzten Monaten hat es mutmachende Aktivitäten von verschiedenen Seiten der UdSSR gegeben.
Gemeinsam mit anderen Menschen sind wir darüber sehr froh und möchten den dafür Verantwortlichen unseren Dank aussprechen.
Zu den gemeinten Aktivitäten zählen wir:
- 1.
die 1961 der UNO durch die Sowjetunion geschenkte Skulptur ›Schwerter zu Pflugscharen‹7 als Ausdruck sowjetischer Friedenspolitik,
- 2.
den einseitigen Abzug der Roten Armee, von 1 500 Panzern und 20 000 Soldaten aus der DDR,8
- 3.
das Referat von Georgi Arbatow9 auf der Moskauer Weltkonferenz,10
- 4.
der einseitige Verzicht der Sowjetunion auf einen Kernwaffenerstschlag vor der UNO,11
- 5.
die angebotene Garantie der UdSSR, diejenigen Länder nicht atomar anzugreifen, die selbst auf eine atomare Bewaffnung verzichten.12
- 6.
den Kommentar von Radio Moskau (in deutscher Sprache) vom 13. Mai 1982 zu der Skulptur ›Schwerter zu Pflugscharen‹ u. a. m.
Nur die Solidarität aller Friedensengagierten wird das auf totale Vernichtung gerichtete Wettrüsten stoppen können. Dieser Kampf wird und muss mit den unterschiedlichsten Mitteln, Aktionen und Argumenten geführt werden und sollte, um der höheren Wirksamkeit willen, noch besser abgesprochen werden.
Die bestehenden Gefahren sind so groß, dass jedes Volk, jede Regierung, jeder einzelne Mensch gefordert ist. Keiner darf abseitsstehen oder gar der weiteren Stärkung der Friedensbewegung (bewusst oder ungewollt) entgegenwirken.
Darum ist es für uns besonders bedrückend, dass es gerade innerhalb unserer Gesellschaft Vorgänge gibt, bei denen die oben genannte populäre Skulptur, die ja die außenpolitischen Absichten und Ziele der Sowjetunion verkörpert, oder die Träger des entsprechenden Aufnähers ›Schwerter zu Pflugscharen‹ der Evangelischen Kirchen in der DDR auf vielfältige Art und Weise diskriminiert oder gar kriminalisiert werden.13
Dazu folgende Beispiele:
- 1.
Träger des Aufnähers ›Schwerter zu Pflugscharen‹ und Bürger, die die genannte Skulptur als Abbildung plakatieren, werden mit Ordnungsstrafen belegt.14
- 2.
Bürger, die sich nach Aufforderung der VP weigerten, diese Aufnäher zu entfernen, wurden mit der Begründung der Störung der sozialistischen Ordnung und des sozialistischen Zusammenlebens von der Schule verwiesen.15
- 3.
Bürger, die den Reservistenwehrdienst bei der NVA mit der Waffe verweigern,16 werden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.17
- 4.
Repressalien gegen die Kinder Eppelmanns in der Schule wegen Verwendung von Lesezeichen mit dem Symbol ›Schwerter zu Pflugscharen‹.18
- 5.
Einreiseverweigerungen in die DDR für Professor Robert Jungk19 (Österreich) und Jan Faber20 (Vorsitzender des IKV – Niederlande).21
Diese Maßnahmen sind weder überzeugend noch friedensfördernd. So arbeitet man den Anderen in die Hände und erschwert unsere aufklärerische und weiterführende christliche Friedensarbeit.22
Sehr geehrter Herr Botschafter, angesichts ›der schlimmen23 Bereitschaft bei vielen Mächten, Tendenzen aufzuhalten, die auf die Zerstörung der Welt hinauslaufen‹ (Dr. Potter), bitten wir Sie, Ihren ganzen Einfluss dahingehend geltend zu machen, trotz vieler Widerstände und anderslautender Erwägungen, dass erstens die UdSSR weitere vertrauensbildende Schritte zur Abrüstung unternimmt, zweitens die staatlichen Organe der DDR die Verfolgung derjenigen DDR-Bürger unterlässt, die durch das Tragen des Aufnähers ›Schwerter zu Pflugscharen‹ neben ihrer christlichen Hoffnung auch die außenpolitischen Absichten und Ziele der Sowjetunion, die durch die Skulptur zeichenhaft deutlich gemacht werden, unterstützen und drittens sich bei den Verantwortlichen in unserem Lande die Einsicht durchsetzt, dass eine ›einheitliche Friedensbewegung‹ nicht einförmig sein kann und sollte.
In der Hoffnung, dass man nirgends auf der Welt Menschen, die mit dem Prophetenwort aus Micha 4 auf das Ziel ›Frieden schaffen ohne Waffen‹ hinweisen, diskriminieren oder anderweitig schädigen sollte und in Erwartung Ihrer Antwort.«
Intern äußerte Eppelmann, dass er, sollte innerhalb von vier Wochen nach der Absendung des Briefes keine Reaktion darauf erfolgt sein, diesen den Presseorganen der BRD zur Veröffentlichung übergeben wolle. Dazu habe er Absprachen mit dem in Westberlin lebenden ehemaligen Bürger der DDR, Jürgen Fuchs,24 geführt, der bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen habe.
Neben Fuchs sollen vom Inhalt des genannten Briefes und den weiteren Absichten Eppelmanns folgende Personen Kenntnis erhalten haben: Bischof Forck,25 Oberkonsistorialpräsident Stolpe,26 Propst Winter,27 Stadtjugendpfarrer Passauer28 und Pfarrer Pahnke29. Weiterhin Vertreter der Organisation »European Nuclear Disarmament« (END) – England,30 des »Interkirchlichen Friedensrates« (IKV) – Niederlande31 sowie des Arbeitskreises »Atomwaffenfreies Europa« – Westberlin.32
In Abhängigkeit von der Übergabe des Briefes durch den Botschafter der UdSSR, Genossen Abrassimow, an zuständige Organe der DDR sollte erwogen werden, den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,33 zu beauftragen, in einem kurzfristig durchzuführenden Gespräch mit dem Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg, Forck, das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche erneut belastende Verhalten und Auftreten des Eppelmann darzulegen, verbunden mit der Forderung dessen energischer Disziplinierung.34
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